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Sonnlügsausgabe der L
ichwarzwälder Tageszeitung „Aus den Tannen"
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Anzeigenpreis: Die einspaltige Zeile
80 Pfg., die Reklamezeile SO Pfg.
Aitensteig» Sonntag, 4. März
Bezugspreis im Monat 40 Pfennig -i QO«
Die Einzelnummer . . 10 Pfennig
Sonntagsgedanken.
Die Glocke
lleberall, wo du weilst auf Erden Reicht zum Himmel auf ein Elockenstrang. Wenn du willst, kann sie geläutet werden, Mächtig wirkt der Glocke Klang.
Drum läute! Vis zu Gottes Thron Dringt der Glocke mächt'ger Ton.
Laß die Glocke zu dem Himmel tragen Alles, was dein Herz bedrückt und quält. Immer hört man sie dort oben schlagen, Jeder Zug wird dort gezählt.
Drum läute! Bis zu Gottes Thron Dringt der Glocke mächt'ger Ton.
Will jedoch der Hausherr nicht gleich höre«, Laß dich's nicht betrüben, läute fort! Endlich muß dein Läuten er erhören;
Dies verhieß uns ja sein Wort.
Drum läute! Bis zu Gottes Thron Dringt der Glocke mächt'ger Ton.
Und solang du lebst an diesem Orte,
Zieh' die Glocke, und vergiß sie nicht! Endlich öffnet sich die Himmelspforte,
Wenn das Auge sterbend bricht.
Drum läute? Bis zu Gottes Thron Dringt der Glocke mächt'ger Ton.
Frau Agnes und ihre Kinder
Der Roman einer Mutter. — Von Fritz Hermann Gläser Copyright by Martin FeuLtwanger, Halle (Saale)
Wagen und Pferde, Jungvieh und Inventar, alles, was unter dem Hammer des Auktionators veräußert werden soll, wird in den geräumigen Hof gebracht. Käufer und Gaffer drängen sich dazwischen, und die Versteigerung beginnt.
Die ausgebotenen Sachen werden neugierig in Augenschein genommen. Man prüft, beklopft und taxiert. Das Jungvieh wird befühlt und untersucht, die schmucken Pferde werden vorgeführt. Nach des Auktionators und des alten Englers Meinung muß sich eine ganz stattliche Kumme aus den Sachen lösen lassen. Jedenfalls hoch tzenug, um durch sie alle Kosten und des Heiders letzte Schulden tilgen zu können. Wenn halbwegs gut geboten wird, muß sich für Frau Agnes und ihre Kinder sogar «och ein guter Ueberschuß ergeben. So ist es zu verstehen, daß diese Frau, erregt bis in die Fingerspitzen, mit leiftr Angst dem kommenden entgegensieht.
Dazwischen tönt des Auktionators Stimme: Kauf- und Zahlungsbedingungen werden verlesen, die ersten Sachen imsgeboten.
Es zeigt sich schon beim ersten Bieten, daß sich d»e vielen Käufer die allergrößte Zurückhaltung auferlegen. Die Gebote bleiben weit unter dem reellen Wert zurück Der Auktionator muß mit List und Klugheit Me Tricks und Kniffe spielen lassen, den Nutzen und die Qualität der Sache eindringlich und mit vielen Worten schildern, um überhaupt der Schar der Anwesenden ein Angebot z« entlocken. Es kommen Pelze, Stiefeln, Fußsäcke und Ueberschuhe zum Verkauf. Geschirre, Sielen, Wagen, Schlitten, Kutsch- und Lastgespanne werden angeboten; alles Sachen, die einem jeden Bauer, Händler oder Fuhrmann immer des Kaufes wert und willkommen sind. Für solche Dinge ist doch stets Bedarf vorhanden. Und doch kommt heute kein Angebot zustande, das auch nur einigermaßen dem wahren Gegenwert entsprochen hätte. Es wird wohl eine jede Sache aufgerufen, der Wert- und Mindesteinsatz laut genannt. Nach langer Pause fällt ein knappes Angebot, vielleicht auch zwei oder gar drei, und dann ist keine neue Nennung mehr zu hören. Der Auktionator mag rufe», wie er will: „Zum ersten! — Zum
zweiten!-und zum ...!", es wird kein höheres Gebot
gemacht.
Das ist wahrhaftig eigenartig, ist auffällig und ganz außergewöhnlich! Der Auktionator kann nichts anderes tun, als immer wieder den Hammer zu schwingen und Stück um Stück von Heiders Hinterlassenschaft einem lachenden Käufer zu spottbilligem Preise zuzuschlagen. Und seltsam ist es auch, daß dennoch jeder der Anwesenden l irgendein Stück und wirklich billig in Besitz bekommt. -
Frau Agnes wird bei diesem Treiben himmelangst. Roch nicht einmal die Hälfte der veranschlagten Summen werden in Wirklichkeit erzielt. Wenn das so weitergeht, ist es ihr gar nicht möglich, auch nur die noch offenen Schulden mit dem Erlös der Auktion zu decken, viel weniger, daß für sie selbst noch eine Summe übrigbleibt. Dann j steht sie vor dem grauen Nichts, allein und auf sich selber - angewiesen; und das Gespenst der ungetilgten Schulden z -leibt ihr ferner auf den Fersen. f
Der Auktionator hat es längst bemerkt, daß das junge ! Weib an seiner Seite gegen eine Schwäche kämpft. Aus r Ihren Wangen ist das Blut gewichen, der Schweiß steht f ßhr in großer:, kalten Tropfen auf der Stirn, und ihre - Hand, die sorgsam jeden Posten bucht, zittert verräterisch, j Er kennt de» Grund ihrer Erregung, fragt sie leise, ob er i die Versteigerung vielleicht beenden oder gar abbrechen ? soll. Es sei möglich, daß sich an einem anderen Tage f höhere Preise erzielen lassen. Sie wehrt müde ab. Um j Gottes willen! Für morgen muß sie die Gelder flüssig j Laben, um die bestellten Gläubiger zufriedenzustellen. Die Pferde sind noch nicht verkauft. Sie müssen und werden sicherlich die größte Summe bringen.
Als letzte Nennung werden sie jetzt vorgeführt. Es sind Wahrhaftig ein paar prächtige Tiere! Eigenwillig blähen sie die Nüstern und stampfen unruhig den Boden. Der Bernhardiner springt an ihnen hoch, hält sie bellend in Schach. Es ist ein Bild, das jedes Menschen Herz erfreuen mutz. Frau Agnes nur wird bitter Weh zumute, wenn sie bedenkt, daß sie auch diese, ihre Lieblinge, des schnöden Geldes wegen jetzt veräußern soll. Es bleibt ihr aber keine andere WaH. Nur daß die beiden Füchse und der große Hund in Zukunft auch zusammenbleiben, will sie ermöglichen. Das ist auch stets des Heiders Wunsch gewesen. Als Ganzes werden sie nun einer Nennung unterworfen.
Der Auktionator kann das nicht gutheitzen. Aber Frau Agnes meint, das prächtige Gespann zu trennen, käme einer Sünde gleich. Und der gefleckte, treue Bernhardiner soll, wie einst zu Heiders Zeiten, Freund und Beschützer dieser Tiere bleiben.
Frau Agnes hat, benommen von diesen Gedanken, gar nicht bemerkt, daß der Versteigerer die Pferde schon zur Nennung bringt. Es ist ein mühsames Beginnen; und lange Zeit will es gar scheinen, als würde sich hier überhaupt kein Käufer finden. Die Bauern gehen um die Goldfüchse mißtrauisch herum. Der eine will dies, der andere will jenes wissen; ein jeder hat an ihnen etwas f auszusetzen. Und unter ihnen ist ein kleines, buckliges, Z verschmitztes Kerlchen, das will die beiden Pferde ganz ° aenau und aus Erfahrung kennen. Und wispert es auch z . -.-.Ui jeden, der es wissen will oder auch nicht, vertraulich i za: er möchte diese beiden Füchse nicht einmal geschenkt annehmen. Er ganz allein setzt aber auf die beiden Pferde.
Die Geduld des Auktionators ist zu Ende. Wenn sich kein besserer Käufer findet und sich kein höheres Gebot erzielen läßt, kann er nichts weiter in der Sache tun, als dem vereinzelten Bieter die beiden Pferde und den Bern- ? hardiner zuzuschlagen. Was geht es ihm an, wenn sie der ! Bucklige zur guten Hälfte geschenkt bekommt! Und dröh- ! nend fällt zum dritten- und zum letztenmal sein Ham mer... 2
Erschrocken fährt Frau Agnes auf. Me Summe ist wahrhaftig lächerlich. Ein dürrer Klepper wäre Wohl zur Not damit bezahlt gewesen, doch nicht des Heiders beiden Füchse, Prachtexemplare von zwei Pferden, die vor dem Wagen laufen können mit dem Winde um die Wette, und deren Fell wie eitel Gold erglänzt. Gar nicht zu reden , von dem mitgekauften treuen Hunde! Aber jetzt ist's zu ^ spät! Des Auktionators Hammer hat bereits entschieden, s der Handel ist rechtsgültig abgeschloffen.
MS die Käufer an sich nehmen, was sie erstanden, als alles verstreut, verschenkt und davongeführt wird, was früher der Heider mit Mühe und Not zusammengetragen, geliebt, gepflegt und hochgehalten hat, muß sich die Frau zur Seite wenden, um die Tränen, die ihr Herz und Auge ersticken wollen, vor den Fremden zu verbergen, um nicht ledern ins Gesicht zu schreien, wie sie ihn hasse, und sein Geld, womit sie morgen weder diesem, noch jenem feinen Geiz und seine Habgier stillen kann. Ja, sie haßt das Geld, sie haßt die Menschen, die ihre Not sich noch zunutze machen, sie unter dem Schein des Rechts belügen und betrügen dürfen! Haßt des Lebens ganze Erbärmlichkeit!,
Derweil geht es im Kretscham anders zu. Dort wird ei« großes Gelage abgehalten. Die Bauern, Händler und Hausierer haben sich hier wieder eingefunden; man hat doch allen Grund, das Resultat der Auktion recht reichlich und ergiebig zu begießen. Ein jeder hat ganz prächtig bei dem Handel abgeschnitten. Der kleine, bucklige Polack ist wahrhaftig ein famoser Kerl! Der hat die Sache pfiffig eingeleitet. Weshalb sich auch durch gegenseitiges Ueber- bieten die Ware selbst verteuern! Warum sie sich von einem anderen vor der Nase wegkaufen lassen! Wenn man sich vorher einigt, was jeder von den genannten Sachen zu kaufen bekommt, so müssen sich unvorteilhafte Begleitumstände kinderleicht umgehen lassen. Ein jeder hatte davon seinen Vorteil. Das leuchtete auch selbst dem dicksten Bauernschädel ein.
Des Heiders Wagen und die beiden Pferde sollten für den Polack bleiben. Das hatte sich das bucklige Bürschchen ganz entschieden ausbedungen. Hier sollte keiner wagen, irgendein Gebot zu machen. Denn sonst... Schon gut! Schon gut! Sie wußten alle, was er meinte. Der Polack hätte sich mit einem Male auf manche alte Schuld besinnen können, was dann des Heiders Weib zum Nutzen wäre. Schon gut! Schon gut! Man war mit allem einverstanden.
Mischkowski hatte es nicht nötig, um derlei kleine Gefälligkeiten viel zu bitten. Und fast von jedem Bauer ließ er sich ein rundes Sümmchen geben. „Für alte Schuld! Als Gotteslohn mit Zins und Zinseszins!" Ein Blick, em Teufelstachen, und man verstand ihn allsogleich. Vom Wiedergeben war natürlich keine Rede, und dennoch hatte man dabei noch ein Geschäft gemacht. Schon gut! Schon gut! ...
Und als es Abend wird, treibt es die Bauern endlich aus dem Wirtshause. Der Polack läßt den Kretschamknecht des Heiders Füchse anspannen, schwingt sich, umringt von seinen Zechgenossen und Helfershelfern, mühsam und schwer betrunken aus den Kutscherbock. Ein rauhes Johlen bricht aus allen Kehlen, wie es zu Heiders tollen Zeiten manchmal erklungen ist. Doch gilt es heute mehr dem lächerlichen Männchen, das gar so herrisch und doch allzu kindisch eine große, schwere Peitsche schwingt.
Frau Agnes' Wohnung liegt dem Kretscham gegenüber. Ganz erschrocken steht sie bet dem Höllenlärm aus ihrem Fenster. Mischkowski hat sie auch bemerkt. Und als die Pferde, nach alter Gewohnheit, jetzt zum früheren Stall abbiegen wollen, reißt er, wie besessen, an den Zügeln, läßt die Peitsche roh auf ihre glatten Rücken niedertanzen. Die Tiere bäumen sich in wildem Schmerz. Wie von Furien verfolgt, jagen sie aus und davon. Cäsar, der Bernhardiner, ist mit einer Leine an das Handpferd angebunden, und er mutz, ob er will oder nicht, das wilde Jagen und die Peitsche mit den beiden Füchsen teilen. Sein Wehes, jämmerliches Heulen klingi Frau Agnes noch recht lange in den Ohren.
Der Schmerz der Tiere trifft sie fast persönlich. Und jenen Peitschenschlag, den sie dem Polack damals beigebracht, hat sie heute von ihm zurüüerhalten.
Fortsetzung folgt.