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I 51. Jahrgang

Zur Lage.

Mit dem bevorstehenden Zusammentritt des Deutscher Reichstages am 18. Oktober sind bedeutsame Fragen vei deutsche« Innenpolitik der Entscheidung nachegerückt. In die­ser Woche hat der Reichsrat sich mit der Schulfrage und de: Beamtenbesoldungsreform auseinandergesetzt und den Vor­lagen der Neichsregierung in verschiedener Hinsicht eim andere Gestalt gegeben. Es ist damit zu rechnen, daß sowohl voamtenbesoldungsreform wie das Reichsschulgesetz in eine, Voppelvorlage an den Reichstag gelangen. Die Besoldungs- Vorlage ist im Reichsrat bereits angenommen. Die Aende- rung des Finanzausgleichgesetzes wurde mit 39 gegen 2, Stimmen im Reichsrat abgelehnt. Bayern, Baden unk Württemberg hatten diese Aenderung gewünscht, um di, Mittel für die Beamtenbesoldungserhöhungen zu schaffen Angenommen wurde dagegen der Deckungsantrag der Län- ' der, wonach von der Einkommen- und Körperschaftssteuei statt 76 Prozent künftig 80 Prozent den Ländern und Ee- - meinden zufällt. Der Vertreter der Reichsregierung er- - klärte, daß das Kabinett sich mit diesem Beschluß nicht ab- frnden könne. Die Entscheidung des Reichsrats zum Reichs- i schulgesetz hat am Freitag überraschend zur Ablehnung - der Vorlage geführt, die ja durch die Abänderungsanträg« i eine andere Gestaltung erhielt. Der Zwang, unter Um- ' ständen die verschiedenen Schularten nebeneinander einzu- l führen, bedeutet für die Länder Mehraufwendungen, für die : keine Mittel zur Verfügung stehen. Die Länder wollen deshalb im Gesetz festgelegt haben, daß die Kosten dieser Schulreform, die ja auch durch die Reichsverfassung bedingt ist, vom Reich getragen wird. Der Reichsfinanzminister hat für diese Millionen keine Gelder. Im übrigen geht der Hauptkampf beim Schulgesetz um die Rangstellung zwischen - Simultanschule und Bekenntnisschule. Wie die Entscheidun­gen in den beiden Vorlagen im Reichstag fallen mögen, sie werden zu einer Belastungsprobe für das Reichskabinett und - fiir die Koalitionsparteien. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß das große Wahljahr 1928, das nicht nur , in Deutschland, sondern auch in Frankreich und England, s nicht zuletzt in Amerika wichtige innerpolitische Entscheidun- ' gen für die betreffenden Länder bringt, sich schon jetzt mit - allerlei Anzeichen bemerkbar macht. Die Bürgerschaftswah- len in Hamburg und die Gemeindewahlen in Königsberg ^ vom letzten Sonntag, die ein Anschwellen -der Stimmen der - Sozialdemokratie und Kommunisten mit sich brachten, haben eine kleine Probe davon gegeben, wie die Parteien schon Hetzt sich auf die Wahlentscheidungen des Jahres 1928 vor- s b«eiten. Der Flaggenstreit, der sich in Berlin vor Hinden- - bnrgs Geburtstag entzündet hatte, ist nunmehr beigelegt. Das Preußenparlament hat zwar erst am Donnerstag noch- - mals eine ganze Sitzung auf diese Frage verschwendet, die i aber niemals von den Parteien und auch nicht vom grünen j Tisch aus entschieden werden kann. Wie beim Schulgesetz, so s sind eben in der Flaggenfrage in der Weimarer National- - Versammlung halbe Entscheidungen getroffen worden, die ! sich nunmehr in unausgesetzten innerpolitischen Reibereien f auswirken. Und doch gäbe es in Wirklichkeit für das deutsche - Bolk, namentlich im Blick auf die Außenpolitik, Wichtigeres i zu tun und alle Kräfte zufammenzufassen, um in Einigkeit : der deutschen Forderung auf Milderung der Rheinland- : besatzung, ja auf Räumung des besetzten Gebietes einen star- ! ken Resonanzboden zu schaffen. h

Die Räumungspolitik Frankreichs hat trotz der offiziellen ! Mitteilung der Besatzungsmächte, daß 10 000 Mann zurück- - gezogen werden, in diesen Tagen eine neue Beleuchtung er- - fahren. Es will nicht die zugesagten 8000 Franzosen zurück- , ziehen, sondern durch allerlei kniffliche Verrechnungen nur ! einen Teil davon, so daß ein Rest von eta 2000 Mann ver- s bleiben soll, den Frankreich nicht zurücknimmt. Im Auswär- ^ tigen Amt in Berlin hofft man noch immer ans eine. Ant- ? wort aus Paris, aber aus der französischen Presse wird : ersichtlich, daß man die französische Rheinlandpolitik noch ! nicht aufgegeben hat, daß man nicht daran denkt, die Fol- ! gerungen aus Locarno zu, ziehen. Frankreich treibt unter ! dem Vorwand seiner Sicherheitsthese eine Politik mit dop- peltem Boden. Ein Beweis dafür ist auch die in der letzten , Zeit wieder außerordentlich laut gewordene französische « Saarpropaganda. So wurde dieser Tage von derfranzösisch- saarländischen Handelskammer" in Saarbrücken eine Wirt- ! schaftskonferenz eröffnet, die ausgesprochen dem Zwecke die- / nen sollte, die persönlichen Beziehungen zwischen der fran- - rösischen und der Wirtschaft des Saargebiets in Gang zu - bringen. Erfreulicherweise ist festzustellen, daß von den mehr ' als 200 Delegierten, die nach französischen Berichten an der , Konferenz beilnahmen, keiner dem Saarge-biet entstammt. !

Im Gegenteil, die saarländische Wirtschaft hat der Kon­ferenz deutlich die kalte Schulter gezeigt, so daß die fran- - zösischen Propagandisten vollkommen unter sich geblieben ' sind. Bemerkenswert ist aber die Offenheit, mit der schon > am ersten Tage der Konferenz über die wahren Ziele Frank- j reichs an der Saar gesprochen wurde. In einem Bericht, den ; der Generalsekretär der französischen Staatsbergwerke, Ras- > pail, erstattete, erklärte dieser,Frankreich habe in seinem ! Spiel an der Saar genügend Trümpfe, und das Spiel sei zu l loyal, als daß es von Frankreich nicht gewonnen werden : könnte". Auf gut deutsch also: man rechnet in maßgebenden i französischen Kreisen immer noch damit, die spätestens 1936 : stattfindende Abstimmung der Saarbevölkerung durch alle i möglichen Mittel so beeinflussen zu können, daß mindestens - sehr wertvolle Teile des Saargebiets an Frankreich fallen : würden. Der Ernst der Situation erfordert von den maß- i gebenden Stellen der Neichsregierung alle Aufmerksamkeit, j da die Franzosen schon jetzt drauf und dran sind die Be- ! völkerung durch wirtschaftlichen Druck an Frankreich zu : fesseln. Die Veröffentlichungen über die Vorgeschichte und - den Verlauf des Weltkrieges geben uns immer mehr Ma- - terial an die Hand, um die Schuldlüge und das Versailler s Diktat zu bekämpfen. Aus einer Besprechung desTemps" i zu dem bereits genannten Tagebuch des britischen Feld- , marschalls Wilson und auch der britischen Aktenstücke über - dfe Geschichte bis 1914 läßt sich der Schluß ziehen, daß h.ej - Kriegsausbruch ein vollkommen ausgearbeiteter und ström - geheim gehaltener englisch-französischer Operationsplan zu s Wasser und zu Lande vorlag, der bereits mit dem Eindrin- ' gen deutscher Truppen in Belgien rechnete. Nur dürfen - solche Veröffentlichungen in ihrer Wirkung nicht überschätzt ! werden, ebenso wenig die privaten Aeußerungen einzelner s Diplomaten. So hat der japanische Vertreter beim Völker- ! bund, Jshii, in einer Unterredung mit einem Zeitungsmann i die Berechtigung der deutschen Kolonialansprüche festgestellt j und betont, daß die Deutschen bessere Verwalter ihrer ehe- maligen Kolonien gewesen seien als die gegenwärtigen ! Mandatare. Es ist an dieser Aeußerung nur das eine be, - merkenswert, daß ein Vertreter eines Landes, das gegen - uns im Kriege stand, von der kolonialen Schuldlüge abrückt, - Auch in Frankreich wird am 18. Oktober das Parlament , wieder zusammentreten, wenn nicht ein Kabinettsrat noch ' einmal eine Verschiebung des Zusammentritts der Kammer / vornimmt. Poincare ist darauf bedacht, alle unangenehmen ^ Erörterungen im Voraus zu unterbinden. Die Aufgabe des > Parlaments besteht zunächst in der Haushaltsberatung, im Mittelpunkt des Interesses find jedoch die französisch-rus- f fischen Beziehungen. Sie haben mit der von Moskau aus , erfolgten Abberufung des Botschafters Rakowski eine neue , Wendung genommen. In Moskau hat man also nachgegeben, ; aber in der russischen Note schiebt man die Verantwortung - und die Folgen auf Frankreich. Und vor diesen bangt den französischen Rechtsparteien, die diesen diplomatischen Schub . verursachten. Denn in der Note aus Moskau läßt sich zwi- k schen den Zeilen lesen, daß man in Moskau die Zugeständ- ? niste in den Schuldenverhandlungen zurücknehmen will. Da- ! mit würde aber der französische Kleinrentner, der fran- s zMche Wähler, betroffen, der vor dem Kriege sein Geld in j Rußland anlegte, weil es die Regierung so wünschte. Das ! könnte den Parteien, die Rakowskis Abberufung betrieben, k gefährlich werden. Zn Wirklichkeit mußte Rakowski ja nur ! gehen, weil er dem französischen Petroleumkapital hinderlich ? war, das neuerdings gerne die Oelquellen am Schwarzen s Meer unter französischen Einfluß gebracht hätte. Zn den s Zoll- und Handelsvertragsverhandlungen zwischen Frank- j reich und Amerika scheint sich doch noch eine Verständigung j anzubahnen, die durch ein Nachgeben Frankreichs bereits - eingeleitet ist. s

Zn dieser Woche tagte in Berlin der Verwaltungsrat des ^ Internationalen Arbeitsamtes, das seinen regulären Sitz in i Genf hat. Von den 36 Sitzungen, die dies internationale - Organ der Sozialpolitik bisher abgehalten hat, haben bis- - her nur zwei außerhalb Genfs stattgefunden. Der Zusam- ^ mentritt der Körperschaft in Berlin ist ein Anerkenntnis, s daß Deutschland sozialpolitisch unter den modernen Völkern j einen der ersten Plätze wenn nicht überhaupt den ersten s Platz einnimmt. Man kann dasInternationale Ar- i beitsamt" mit Reckt densozialpolitischen Völkerbund" nen- ^ nen. Die näheren Bestimmungen über Zusammensetzung und j Befugnisse des Arbeitsamts bilden einen Teil der Friedens- f Verträge, die zur Beendigung des Weltkrieges abgeschlossen / worden sind; im Versailler Vertrag, der seines sonstigen ? Inhalts wegen nicht den Ehrennamen einesVertrages' i verdient, bilden die Bestimmungen über das Znternatio- ! nale Arbeitsamt den Teil XIII. Die Organe des Inter- ;

nationalen Arbeitsamtes sind die folgenden: 1. die Arbeits­konferenz (entsprechend der Vollversammlung des Völker­bundes), 2. der Berwaltungsrat (analog dem Völkerbunds­rat) und 3. dem Sekretariat (entsprechend dem Völkerbunds­sekretariat). Dem Internationalen Arbeitsamt gebürten von Anfang an die Vertreter der am Völkerbund beteiligten Mächte an. Deutschland, das dem Völkerbund bekanntlich erst im Herbst 1926 'beitrat, ist bereits im Herbst 1919 znm Beitritt zum Internationalen Arbeitsamt aufgefordert wor­den. Die Vereinigten Staaten von Amerika, die ja auch dem Völkerbund nicht angehören, sind im Arbeitsamt nicht ver­treten. Da die staatliche Sozialpolitik in Amerika noch sehr rückständig ist, muß es besonders bedauert werden, daß die von Genf ausgehenden Anregungen nicht über den Atlan­tischen Ozean dringen. Der Berwaltunasrat des Inter­nationalen Arbeitsamtes besteht aus 24 Personen, nämlich 12 Regierungsvertretern, 6 Arbeitgeber- und 6 Arbeitneh­merdelegierten. Deutschland hat in der Person des Mini­sterialrats Dr. Feig vom Reichsarbeitsministerium einen ständigen Regierungs-Vertreter, in der Person des frei­gewerkschaftlichen Führers Hermann Müller (nicht mit dem früheren Reichskanzler und Außenminister gleichen Namens zu verwechseln!) einen ständigen Arbeitnehmervertreter und in der Person des Chemnitzer Industriellen Kommerzienrat Vogel einen stellvertretenden Arbeitgebervertreter. Das In­ternationale Arbeitsamt ist zu dem Zwecke geschaffen, die internationale Sozialpolitik zu vereinheitlichen und vor­wärtszutreiben. Da die verschiedenen Völker verschied r be­gabt und veranlagt, verschieden wirtschaftlich entwickelt und auch verschieden wohlhabend sind, ist eine absolut starre Gleichheit auf allen Gebieten der Sozialpolitik nicht zu er­zielen. Daher kommt es auch, daß gerade auf den wichtigsten Gebieten der Sozialpolitik, z. B. auf dem der Vereinheitli­chung der Arbeitszeit (Einführung des allg meinen achtstün­digen Arbeitstages), die Neigung der großen Wirttchaits- völker, sich internattonal zu binden, recht gering ist. Im großen und ganzen kann man aber sagen, daß die Arbeiten des Internattonalen Arbeitsamtes dem sozialen Fortschritt große Dienste geleistet haben und auch noch weiter leisten werden.

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Berlin, 14. Okt. In der heutigen Sitzung des Reichsrates stand der Reichsschulgesetzentwurf zur Beratung. Den Vorsitz führte Reichsinnenminister v. Keudell. Der Berichterstatter Min.Drr. Kaestner wies zunächst darauf hin, daß nach dem Vorschlag der Ausschüsse die Vorlage den Namen Reichsvolks, schulgesetz tragen soll. Die Ausschüsse waren sich darüber einig, daß das erste Gebot für die Fassung des Gesetzes die peinlich genaue Beachtung und Durchführung der Reichsverfassung sein mußte. Es würden letzt mindestens vier verschiedene Formen der öffentlichen Volksschule in Erscheinung treten: Die Gemein­schaftsschule, die Bekenntnisschule, zumindesten für die beiden großen Bekenntnisse und die bekenntnisfreie Schule. Zum ersten Male trat in dem Gesetz der Wille der Erziehungsberechtigten in die Erscheinung.

Im Ausschuß seien ungefähr 300 verschiedene Anträge gestellt worden, deren wesentlichste dahingehen, daß in 8 12a eine Fassung beantragt wird, die sich aus der lleberzeugung der Mehrheit der Ausschüsse von einer durch Artikel 146 der Reichs­oerfassung begründeten Vorzugsstellung der Gemeinschaftsschule ergibt. Ferner ist von den Ausschüssen eine dem Wortlaut der Reichsverfassung enger angepaßte, dem Leben der Schule elasti­scher gerecht werdende und dem Minderheitenschutz voll genügende Fassung beantragt. Ferner wird eine Fassung beantragt, die es Sen Religionsgesellschaften ermöglicht, sich die lleberzeugung von oer Uebereinstimmung des Religionsunterrichtes mit den Grund­sätzen der Religionsgesellschaften gemäß Art. 140 der Reichs­oerfassung in den verschiedensten in den Ländern bewährten Formen und auch ohne Einsichtnahme in den Religionsunter­richt zu verschaffen. Die beantragte Bestimmung über die Kosten des Gesetzes entspricht dem Verlangen der Länder, das Reich müsse die erforderlichen Mittel übernehmen, da die Länder und Gemeinden dazu außerstande seien.

Reichsinnenminister v. Keudell erklärte, daß die Reichs­regierung in vielen Punkten den AusschußLeschlüssen nicht zu­stimmen könne. Sie werde das bei den einzelnen Bestimmungen erklären und sich ihre Stellungnahme Vorbehalten.

Der sächsische Gesandte Dr. Eradnauer erklärte, die sächsische Regierung würde der Regierungsvorlage nicht zustimmen kön­nen, weil diese Vorlage eine unerträgliche Zersplitterung des sächsischen Schulwesens Hervorrufen, Unfrieden erzeugen würde und weil diese Vorlage auch der Verfassung widerspreche.

Bei der nun folgenden Einzelberatung der Vorlage erklärte Minister v. Keudell, daß die Reichsregierung ihre Zustim­mung zu den von den Ausschüssen beantragten Aenderungen