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Schwarzwiilder Tageszeitung „Aus den Tannen"
Seite I
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Neuenbürg, 7. Sept. (Besitzwechsel.) Bei der am Montag stattgefundenen Versteigerung des im Februar 1926 abgebrannten städtischen Schuppens an der Bahnhof- stratze mit zugehörigem Platz an der Enzbrücke, zusammen 1 Ar 47 Quadratmeter, ging derselbe zu 6100 Mark in den Besitz von Schreinermeister Robert Ferenbach über. In diesem Preis ist eine Brandentschädigung von 4600 Mark
inbegriffen.
Herrenberg, 7. Sept. (Autolinie Herrenberg—Calw.) Die Erwartungen, die man an diese Linie geknüpft har, sind nicht eingetroffen. Die Unkosten sind zu groß und die Benützung der Autolinie durch die Bevölkerung ist zu gering. Die Linie rentiert sich nicht. Nun war letzten Montag in Calw eine Besprechung zwischen Vertretern der beteiligten Gemeinden über die zu treffenden Maßnahmen M folgendem Ergebnis: Ab 15. September wird die Linie nur noch mit einem Wagen befahren. Der Pendelverkehr Stammheim—Calw soll anderweitig geregelt werden. Ein zweites Unternehmen soll jedoch aus der konzessionierten Linie nicht geduldet werden. Der Fahrplan wurde neu festgesetzt.
Stuttgart» 7. Sept. (Süddeutsche Hausbesitzertagung.) Am Samstag, den 10. und Sonntag, den 11. September findet in den Sälen des Bürgermuseums eine Süddeutsche Hausbesitzertagung statt, in der die Vertreter der Hausbesitzerverbände Badens, Bayerns, Hessens und Württembergs gemeinsam zu der geplanten Erhöhung der Eebäudeentschul- dungssteuer und der Wohnungszwangswirtschaft Stellung nehmen werden.
Herb st Übungen der Reichswehr. Am 8. September wird >das Grenadierbataillon zu den Regiments- Übungen im Gelände zwischen Münsingen und Ehingen und den anschließenden Divisionsübungen abbefördert. Die Rückkehr in den Standort erfolgt am 20. September. Teile des Bataillons werden bis zum 30. September an den Hebungen der 3. Kavallerie-Division und den großen Manövern in Westfalen teilnehmen.
Obertürkheim, 7. Sept. (Tödlicher Unfall.) Der 51 Jahre alte verheiratete Versandmeister bei der Firma Kleemann hier, E. Schneck von Rudern, wurde auf dem Eüterbahnhof Obertürkheim während der Fahrt auf einem Lastauto von einer gußeisernen Welle an Len Wagenschlag gedrückt und hernach aus die Straße geschleudert. Seinen schweren Verletzungen ist er nunmehr erlegen.
Reutlingen, 7. Sept. (Ertrunken.) Beim Baden in der Kems ist ein nach Reutlingen gehöriger 19jähriger Zögling der Anstalt Schönbühl, Gemeinde Veutelsbach, ertrunken. Das Unglück ereignete sich am Sonntag.
Dehlingen, 7. Sept. (Ertrunken.) Zn schweres Leid wurde üe Familie des Studienrats Strodtbeck versetzt, der die tele- paphische Nachricht zuging, daß ihr Sohn Fritz im Ferien- msentbalt ertrunken ist. , . .. . . . .
Stuttgart, 7. Septbr. (Besuch des Reichsernährungs- Mmsters.) Am Freitag, den 9. September, vormittags 10 llhr findet im großen Sitzungssaal des Wirtschaftsministeriums aus Anlaß der Anwesenheit des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft Schiele ein Empfang des Herrn Reichswirtschaftsminister für die Vertreter der württ. Landwirtschaft, insbesondere der Milchwirtschaft, statt.
Renmugen OA. Leonberg, 7. Sept. (Tödlicher Insektenstich.) Der 48jährige Bäcker Wilhelm Stoll von hier wurde dieser Tage von einem Insekt gestochen. Er schenkte dem Stich wohl keine Beachtung, so daß Blutvergiftung eintrat. Trotzdem die sofortige Ueberführung nach Stuttgart zur Operation veranlaßt wurde, ist er am Montag gestorben.
Tübingen, 7. Sept. (Unfall der Herzogin Philipp.) Her- Min Philipp, die greise Mutter des Eeneralfeldmarschalls Herzog Albrecht, die gegenwärtig in Friedrichshafen weilt, erlitt am Dienstag einen Beinbruch und wurde sofort, begleitet von Herzog Albrecht, hieher in die Chirurgische Klinik überaeiübrt.
Waugen i. A„ 7. Sept. (Ministerbesuch.) Anläßlich des Besuchs des Reichsernährungsministers Schiele ist auch Staatspräsident Bazille mit Begleitung in Wangen ein- Zerroffen.
Die wirtschaftliche Lage des Schwarzwälder Handwerks
im August 1927
Die Handwerkskammer Reutlingen schreibt hiezu:
Das Bild, welches die Berichte aus den verschiedenen Verufs- zweigen des Handwerks von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage desselben geben, weist im August gegenüber dem Vormonat, was den Geschäftsgang anbelangt, keine wesentlichen Aenderungen auf. Sowohl der Absatz der Erzeugnisse, wie auch die Zahl der angefallenen Aufträge hat sich ungefähr auf der gleichen Höhe gehalten, sodaß die Mehrzahl der Betriebe hinreichend mit Arbeit versehen war.
Jedoch zeigt der Konjunkturverlauf in der Handwerkswirtschaft während der letzten Zeit nicht mehr die einheitliche, auswärts gerichtete Linie wie im ersten und zweiten Jahresvierte!. Das kommt schon in der Zusammensetzung des Auftragsbestandes deutlich zum Ausdruck. Der bis vor kurzem noch verhältnismäßig rege Eingang von Neuarbeiten wurde merklich schwächer, wogegen die Reparaturen Zunahmen, ein Zeichen, daß mH Z>ie Unternehmungslust teilweise erschöpft hat.
HÜr diese Annahme sprechen auch die wieder öfter als bisher anstretenden Stockungen und Schwankungen im Arbeitsanfall. Zweifellos wirken Saisoneinflüsse dabei mit. Da aber ähnliche Nachrichten fast aus allen Handwerksberufen kommen, selbst aus einer Reihe solcher, die nicht als ausgesprochene Eaisongewerbe angesehen werden können, scheint doch die Konjunkturbewegung im Handwerk nach oben wenigstens vorläufig ihren Höhepunkt erreicht zu haben.
, Eine weitere Bestätigung dafür gibt die ungleichmäßige Be- Ichaftigung des Handwerks. Während der Geschäftsgang in den Verkehrs- und industriereichen Gegenden des Kammerbezirks m großen und ganzen befriedigend war, ließ dieser in den überwiegend landwirtschaftlichen Teilen desselben sehr viel zu ! wünschen übrig. Mit wenigen Ausnahmen hatten hier fast alle f
Berufe des Handwerks unter dem Mangel an genügend Arbeit und Absatz ihrer Erzeugnisse zu leiden. Ihre Lage hat sich im Laufe des Berichtsmonats noch dadurch verschlechtert, daß die Hoffnungen auf eine gute Ernte, von der man sich im Hano- werk dieses Jahr vor allem einen regeren Geschäftsverkehr mit der Landwirtschaft versprochen hatte, durch die infolge der langen Schlechtwetterperiode eingetretenen Schäden wesentlich vermindert wurden. Die Folge war, daß der zu Anfang der Berichtszeit besser gewordene Absatz bald wieder nachließ und die Landwirtschaft bei ihrer bisherigen geschäftlichen Zurückhaltung verharrte. Für das Handwerk wäre ein guter Ernteertrag deshalb von großer Bedeutung, weil die seit einiger Zeit etwas günstigere Konjunktur dadurch wesentlich gestützt und stabiler und dann nicht zuletzt auch für die Zeit, in welcher der Bedarf der anderen Wirtschaftsgruppen erfahrungsgemäß nachläßt, ein gewisser Ausgleich eintreten würde. Für die einzelnen Betriebe ist das auch insofern wichtig, als so größere Schwankungen in der Beschäftigung ausbleiben.
Obwohl sich die wirtschaftliche Lage des Handwerks im Vergleich zum Vorjahr etwas gebessert hat, darf daraus nun nicht auf eine Ueberwindung der vielen Schwierigkeiten, mit denen das Handwerk kämpfen mußte, geschlossen werden. Diese bestehen vielmehr fast unvermindert fort, wenn sie auch bei der lebhafteren Beschäftigung der Betriebe jetzt weniger sichtbar sind als früher. Am deutlichsten zeigt sich dies darin, daß dxr Verdienst meistens mit der Steigerung des Umsatzes t-ei weitem nicht gleichen Schritt gehalten hat. Durch die 'Verteuerung des Rohmaterials, Erhöhung der Löhne, Postgebühren, ferner auch durch die außerordentlich großen Aufwendungen für Steuern usw. sind die Herstellungskosten derart hoch, daß die erzielten Preise häufig nur einen bescheidenen Nutzen gewährten. Dazu kommt eine gerade in letzter Zeit sich bemerkbar machende starke Krcditinanspruchnahme der Kundschaft beim Handwerker, welche die Betriebsführung wesentlich erschwert und auch die Unkosten erheblich steigert, da der Handwerker seinerseits wieder gezwungen ist, das notwendige Betriebskapital sich auf dem Wege des Kredits zu beschaffen. Abgesehen davon, daß ein Zinssatz für solche Gelder von 7—9 Prozent, vor allem bei größeren Beträgen ziemlich ins Gewicht fällt, war es Lei den gegenwärtigen gespannten Geldmarktverhältnissen nicht immer leicht, Kredit in der benötigten Höhe zu erhalten. Es ist klar, daß daraus manche Verlust- und Unkostenquellen entstehen, die natürlich den Ertrag der Arbeit beeinträchtigen.
Nicht geringe Schwierigkeiten entstehen dem Handwerk durch den Hausierhandel, der nach wie vor in großem Umfang betrieben wird, und durch die fast in allen Berufszweigen zu findende Schwarzarbeit. Die hieraus für Handwerk und Gewerbe entstehenden Gefahren liegen nicht allein in ihrer wirtschaftlichen Schädigung, sondern auch darin, daß bei der Bevölkerung das Verständnis für die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Bedeutung des gewerblichen Mittelstandes geschwächt wird, der ebenso wie die anderen Berufsstände hinreichend Lebensmöglichkeiten braucht, um seine Aufgaben innerhalb der deutschen Gesamtwirtschaft erfüllen zu können und nicht zum Schaden derselben zu verkümmern.
Auf den Arbeitsmärkten haben sich die Verhältnisse nicht viel geändert. Die Nachfrage nach Gesellen wurde mit wenigen Ausnahmen stets gedeckt.
Der Württ. Lehrerverein gegen den Reichsschulgesetzentwurf
Der Württembergische Lehrerverein versendet folgende Protesterklärung:
„Der Württembergische Lebrerverein erhebt mit dem Deutschen Lehrerverein schärfsten Einspruch gegen den dritten Reichsschul- gcsetzentwurf und lehnt ihn mit Entschiedenheit ab, weil er die Schulorganisation verschlechtert, die Kosten für die Schule unnötig vermehrt, die Leistungen der Schule herabsetzt und so jeden Schulfortschritt verhindert. Der Entwurf gefährdet die staatsbürgerlichen Rechte der Lehrer, unterstellt die Staatsschule dem bestimmenden Einfluß der Kirchen- und Weltanschauungsgemeinschaften und ist keine wort- und sinngemäße Ausführung der Reichsverfassung, da er der Gemeinschaftsschule nicht die ihr nach der Verfassung eingeräumte Stellung gibt, von einer Ausführung des Artikels 146, 1 absteht und den Religionsunterricht einseitig nur für die Volksschule, nicht auch für die höhere Schule regelt.
Ein Reichsschulgesetz nach dresem Entwurf würde namentlich auch in Württemberg von den unheilvollsten Folgen sein, denn es würde
1. die Einführung der Gemeinschaftsschule als Regelschule verhindern und damit den bedauerlichen Riß, der durch unser Volk gebt, nicht überbrücken, sondern vertiefen,
2. unsere seitherigen Schulen, die zwar nach Bekenntnissen getrennt sind, denen aber in unserem wiirttembergischen Schulgesetz ein gemeinsames Ziel gesetzt ist und die in den nicht religiösen Fächern nach einem gemeinsamen Plan einheitlich arbeiten, in extreme Konfessionsschulen verwandeln, in denen auch die weltlichen Fächer „konfessionell" erteilt werden müßten,
3. die Kinder von Minderheiten, die eine derartige Schule der anderen Konfession besuchen müssen, in eine unerträgliche Lage bringen,
4. die durch das llebereinkommen von 1921 zwischen den würt- tembergischen Oberschul- und Oberkirchenbebörden herbeigesübrte Regelung des Religionsunterrichts und seiner Beaufsichtigung, welche der Kirche ihr volles Recht gibt, zugunsten einer Vormachtstellung der Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften abändern, damit aber auch wieder unliebsame Kämpfe zwischen Kirche und Schule, zwischen Geistlichen und Lehrern heraufbeschwören,
ö. die Geistesfreiheit in einer Weise cinengen, wie wir es in Württemberg kaum je erlebt haben,
6. die Errichtung von leistungsschwachen und teuren Zwergschulen neben gut ausgebauten Schulen begünstigen, das Bestreben der Lehrerschaft, der Schulbehörden und der Gemeindeverwaltungen auf Verbesterung der Schulorganisation durchkreuzen und den Gemeinden, welche ohnedies unter dem Schullasten- gesetz schwer leiden, sowie dem Staat neue, und zwar unnötige Lasten auferlegen.
Der Württembergische Lehrerverein erwartet deshalb, daß die württembergische Regierung dem Entwurf im Reichsrat ihre Zustimmung nicht gibt, und ruft alle, die sich mit dem Schicksal von Jugend, Volk und Staat verbunden fühlen, zum Kam^ den Entwurf auf.
Heiteres
Abgekühlt. In E . . ., am Easthof zur „Goldenen Rose", war eine scharfe Kurve für Motorradfahrer. Wir zählten in kurzer Zeit neunundzwanzig Pärchen, die vorübersausten. Das dreißigste ereilte das Schicksal. „Das war auch ausnahmsweise ein verheiratetes Paar", meinte der Wirt, „die anderen klammern sich fester an!" (Simpl.)
Kleine Nachrichten aus aller Welt.
' Tragischer Unglücksfall. Wie aus Wollin gemeldet wird, wollte der dreijährige Sohn eines Arbeiters in der Wohnung seiner Großmutter mit einem Revolver spielen. Die alte Frau wollte ihm die Waffe reichen. Dabei kam sie dem Auzug zu nahe, der geladene Revolver entlud sich und das Kind sank ins Herz getroffen tot zu Boden.
Schießerei in einem Anwaltsbüro. Die Blätter berichten aus Newyork: Als fünf Männer im Büro eines Rechtsanwalts im 9. Stock eines Gebäudes nahe des Harvard- Clubs eine Sitzung abhielten, zog einer von ihnen plötzlich eine Pistole und begann zu schießen. Zwei Rechtsanwälte sprangen aus dem Fenster, um den Kugeln zu entgehen. Einer war sofort tot. der zweite wurde so schwer verletzt, daß man an seinem Aufkommen zweifelt. Ein dritter Teilnehmer an der Sitzung brach in seinem Stuhl, von zwei Kugeln in der Brust getroffen, tot zusammen, während der vierte, der nach dem Lift eilte, vor der Tür tot zusammen- siürzte. Der Täter ist flüchtig. Es wird angenommen, daß Vermögensstreitigkeiten der Anlaß der Schießerei waren.
Meuterei in einem Erziehungsheim. Am Sonntag entstand unter den Zöglingen des Erziehungsheimes Berlin- chen (Neumark) eine Prügelei. Als Diakon Arndt den Streit schlichten wollte, wurde er von den Zöglingen mit Eisenstangen angegriffen und schwer verletzt. In der Nacht zum Montag flüchteten fünfzehn Zöglinge mit Rädern der Aufsichtsbeamten. Am Morgen drangen Zöglinge in die Geschäftszimmer ein. zerstörten die Akten, zerschlugen sämtliche Fensterscheiben und vernichteten die Wirtschaftsvor- rüte. Als die Polizei erschien, wurde sie mit Knüppeln und Stangen empfangen, io daß von Soldin aus Landjäger zu Hilfe gerufen werden mußten. Auch die Feuerwehr aus Verlinchen erschien mit ihrem Schlauchwagen, um sich am Kampfe gegen die Meuterer zu beteiligen.
Ein Mord nach sieben Jahren aufgeklärt. Am 14. November 1920 wurde abends außerhalb der Station Walpertskirchen, Linie München—Mühldorf, neben den Schiene« die von der Lokomotive durchschnittene Leiche des 61jcch» rigen Landwirts Mittermeier aus Opperding gesunde». Die Untersuchung ergab, daß er erschlagen, zum Bahndamm geschleppt und auf die Schienen gelegt worden war. Mehrere Personen wurden verhaftet, mußten aber wieder freigelassen werden, unter ihnen der Sohn Simon des Ermordeten, der sein Alibi Nachweisen konnte. Jetzt wurde er abermals verhaftet. Nach den Feststellungen hat er den i« seinen Diensten stehenden Franz Rutzmoser und eine» Dienstknecht des Nachbaranwesens Witt gedungen, seine« Vater zu erschlagen und die Leiche auf die Gleise zu bringen. Der in München an seiner Dienststelle als Hausmeister verhaftete Rutzmoser hat ein Geständnis abgelegt. De« beiden waren je 6000 Mark versprochen worden, die sie aber dann nicht erhalten hatten. .
Gute Anzeigentexte
Die Zeitung ist des Kaufmanns Rednerbühne. Sie gibt ih« Gelegenheit, alles, was er zugunsten seiner Ware oder seiner Leistungen zu sagen bat, einem beliebig großen Publikum r» verkünden, und zwar nicht im Straßentrubel oder während sonstiger ablenkender Geschehnisse, sondern gerade dann, wenn es Zeit bat und willig ist, die Ankündigung aujzunebmen, nämlich nach getaner Arbeit.
Nun kommt es aber sehr darauf an, in welchen Worten ma« zum Publikum spricht. Die Zeit der „markerschütternden Aufschreie", der Reklame, die originell sein wollte um jeden Preis, selbst um den des Erfolges, ist vorbei. „Amerikanische Reklame" nannte man es früher, wenn jemand recht grotesk inseriert«, wenn er mit der Venus von Milo oder mit dem letzten Eisenbahnunglück anfing, um am Schlüsse seine gute Stiefelwichse z« empfehlen.
Man bat allmählich erkannt, daß der beste Reklametext der rein sachliche ist. Er kann trotzdem originell, geistreich und homu- ristisch sein, denn es ist natürlich ein Gewinn für eine Firma, wenn der Zeitungsleser eigens rbre Anzeigen aufsucht, um sich an der originellen, geistreichen oder witzigen Ausgestaltung s» erfreuen. Manche Firmen verdanken solchen geschickt geschriebene» Anzeigentexten ihr Aufblühen, und wer ein Meister des Stils ist, dem gewährt es sicher schon eine gewisse Befriedigung, das, was er dem Publikum mitzuteilen hat, in künstlerisch vollendet« Form zu sagen.
Der einzige Zweck der Zeitungsanzeige ist aber schließlich d« Verkauf der Ware, und deshalb muß der inserierende Geschäftsmann seine ganze Stilkunst auf die Ueberredung konzentriere«. Dazu bedarf es keiner hochtönenden Phrasen, im Gegenteil, fi« sind zu vermeiden. Die höchste Kunst besteht darin, kurz schlagend und überzeugend zu schreiben, und das gelingt am besten, wen« man sich von dem landläufigen „Kaufmannsdeutsch" ganz losmacht und genau so schreibt, wie man zum Kunden spreche» würde, wenn man ihn im Laden vor sich hätte.
So ganz einfach ist das allerdings nicht, sondern es erfordert viel Selbstkritik, die abgegriffenen Redewendungen, die man nur schreibt und nie spricht, zu meiden. Darin liegt das Geheimnis der guten amerikanischen Reklame, daß der Kaufmann nicht i« pomphaften Redewendungen, sondern in ganz schlichten, natürlichen Worten die Vorzüge seiner Ware fachmännisch erklärt.
Zum Beispiel (unter der Abbildung eines Stiefels):
„Setzen Sie bitte einmal her! Dieser solide, wasserdichte Iagdstieiel ist aus echtem, rotbraunem Fettgarleder berge» üellt, mit Kalbtederiutter, Lederuntersohlen und 10 Mm. starken Krevvgummisoblen, Schaft gegen das Eindringe« von Sand mit Filzmanschette absedichtet.
Es ist beste handgenähte Bodenarbeit, der Stiefel, den St« brauchen, wenn Sie lange Märsche in Schnee und Rege« durch Wald und Feld machen wollen, ohne feuchte Strümps« zu bekommen. Zahlen Sie lieber 10 4t mehr dem Schuhmacher, als 20 -4t dem Apotheker usw." —
Eine Anzeige in so liebevoll beschreibender Form packt natürlich ganz anders an als die größte Häufung nichtssagender Eige» schaftsworte, wie: großartig, das Beste vom Guten, unerreicht i« Qualität, hervorragend usw. usw. Und da der Fachmann von jeder Ware etwas Interessantes zu sagen weiß, so ist es für ihn garnicht so schwer, einen wirksamen, umsatzerböbenden Anzeigentext zu schreiben, wenn er sich nur dazu entschließen kann, alle Phrasen beiseite zu lassen und so schlicht und einfach zu schreiben, wie er spricht. Gegen solche cut durchdachte und lebendige Anzeigentexte kommt die kostspieligste Reklame i« Straßenbahnen, an Hausgiebeln, auf Theatervorhänge«, in K'nas v ui. weil ihr die überredende Wirkung fehlt.