Nr. 285
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 89. Jahrgang.
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Samstag» den 5. Dezember 1914.
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Die Lage auf den Kriegsschauplätzen.
Der deutsche Tagesbericht.
(W TB.) Krotzes Hauptquartier» 4. Dez, vormittags. (Amtlich). Mitteilung der obersten Heeresleitung. Auf dem westlichen Kriegsschauplatz wurden französische Angriffe gegen unsere Truppen in Flandern wiederholt abgewiesen» ebenso in der Gegend nordwestlich Alitirch, wo die Franzosen bedeutende Verluste erlitten.
Auf dem östlichen Kriegsschauplatz find feindliche Angriffe östlich der masurischen Seenplatte unter großen Verlusten für die Russen abgeschlagen worden. Unsere Offensive in Polen nimmt normalen Verlauf.
(W T.B) Krotzes Hauptquartier» 4. Dez» vorm- mittags. (Amtlich.) Der Kaiser ist gestern abend z« kürzerem Aufenthalt in Berlin eingetroffen.
Der russische Generalstabsbericht.
Genf, 4. Dez. Der heutige russische Generalstabsbericht lautet, wie dem „Verl. Tageblatt" berichtet wird: In gewissen Bezirken der Gegend von Lodz dauern die Kämpfe fort. Außerordentlich bedeutende feindliche Streitkräfte, darunter besonders von der Westfront kommende Truppen, nehmen die Offensive in der Gegend Lutomiersk-Sierzchow auf. Von der übrigen Front des linken Weichselufers ist keine bedeutende Aenderung zu melden.
Wenn das russische Hauptquartier eine solche Meldung bringt, dann mutz es nicht gut um die Sache der Russen stehen.
Zur Lage im Osten.
Wien, 4. Dez. Die Krakauer Blätter melden übereinstimmend, wie dem „Lokalanzeiger" übermittelt wird, daß gestern tagsüber und auch nachts nach viertägiger Pause in Krakau wieder starker Kanonendonner hörbar wurde. Die Bevölkerung ist ruhig und zuversichtlich. Zurückkehrende Verwundete erzählen, datz die Kämpfe heftiger als je seien und sich an der ganzen Front zu entwickeln beginnen. Namentlich dank der Treffsicherheit der Artillerie seien die Verluste der Russen sehr grotz; den Bajonettangriffen der Oesterreicher vermöchten die Russen nicht ftandzuhalten. Wegen der Erschwerung des Etappendienstes werde die Verpflegung auf russischer Seite immer mangelhafter.
Kopenhagen. 4. Dez. Aus Petersburg kommt die Meldung, datz die russische Heeresleitung über die Lage ziemlich pessimistisch zu urteilen scheine. Der russische Generalissimus, Großfürst Nikolai Nikola- jewitsch, hat nämlich, laut „Nationalzeitung", die Anordnung getroffen, daß die Berichterstatter aller russischen und englischen Blätter, die bisher an der Schlachtfront weilten, sich aus dem Operationsgebiete in Polen zu entfernen haben. Die Kriegskorrespondenten der Londoner Blätter sind bereits nach Petersburg zurückgekehrt.
Japanische Artillerie für Rußland.
(W.T.B.) Frankfurt a. M.» 4. Dez. Die „Frankfurter Zeitung" meldet aus Tokio: Der russische General Hermonius hat mit japanischen Artilleriewerk- ftätten einen Lieferungsvertrag für 48 Batterien abgeschlossen.
Zum Durchbruch in Nordpolen.
Berlin. 3. Dez. Die „Vossische Zeitung" erfährt aus Amsterdam vom 2. Dez.: „Daily Mail" meldet
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aus Petersburg: Nur eine deutsche Armee war in der Lage, diesen Ausgang der Kämpfe in Südpolen herbeizuführen. Die Art, wie die Deutschen sich gegen die Menschenwelle der Russen warfen, als sie sich ciugeschlossen sahen, war unbeschreiblich. Was den deutschen Soldaten noch besonders geholfen hat, war eine angebliche Rede des Kaisers, in der er versicherte, datz mit der Einnahme von Warschau der Krieg vorüber sein würde. Auf diese Weise entging die deutsche Armee einem Sedan. Die Russen kämpften hervorragend, aber da sie nicht genügendTruppen hatten, um die Deutschen gänzlich umzingeln zu können, gelang der Durchbruch. Auch litten die Nutzen sehr unter der furchtbaren Kälte. 4
Przemysl.
(W.T.B.). Berlin. 4. Dez. Aus Wien meldet der „Verl. Lokalanzeiger": Eine Fliegerpost vom 3. ds. Mts. aus Przemysl meldet, datz dort alles wohl ist. Alle Angriffe des Feindes seien mit großen Verlusten für diesen abgeschlagen worden. Bei Ausfällen haben die österreichischen Truppen viele Gefangene gemacht.
Zur Loge in Nordfrankreich.
Ein beurlaubter belgischer Offizier, der in den Kämpfen um den Schienenweg Nieuport-Dixmuiden verwundet und nach mehreren Leidensstationen im Hospital von Eu untergebracht wurde, machte dem Vertreter des „Verl. Lokalanz." einige interessante Mitteilungen über die Lage in Nordfrankreich:
Mit 54 Offizieren, worunter sich zwei Generalleutnants befanden, so erzählte der Offizier, wurde ich hinter die Gefechtslinie gebracht. Die Kämpfe, an denen sämtliche belgischen Streitkräfte teilgenommen hatten, übertrafen an Wildheit und Erbitterung alle früheren Gefechte. Unsere Reihen waren nach diesem Treffen stark gelichtet worden. Die Hauptschuld unserer Niederlage trug die schlechte Verständigung mit den Soldaten. Wir sprachen nur französisch, die Mannschaften nur flämisch. Das gab oft ein wirres Durcheinander. Vor unserem Abtransport nach St. Omer besuchte uns König Albert. Er sah sehr ermüdet und totenblaß aus. In seinen Worten lag wenig Zuversicht. Alle Lazarette waren überfüllt mit belgischen Mannschaften. Es ging ihnen sehr schlecht. Die Nahrungsmittel ließen auf sich warten. „Alles an die Front!" lautete der Befehl. Zufuhrkolonnen kamen vorüber, aber den Belgiern brachten sie nichts. Hunderte gingen zugrunde und wurden auf französischem Boden begraben. Man pferchte unsere Soldaten mit den unzivilisierten Kolonialsoldaten zusammen. Es war ein ekelerregender Anblick. Die Schwarzen verstopften sich ihre Wunden mit Sand, sogen sich gegenseitig das Blut aus dem zerrissenen Fleisch. Viele von ihnen waren irrsinnig und sprangen aus den Wagenfenstern, was man ruhig geschehen ließ. In St. Omer ging alles drunter und drüber. Die Bevorzugung der „Verbündeten" empörte uns dermaßen, daß wir uns weigerten, die für uns bestimmten, vor Schmutz starrenden Räumlichkeiten zu beziehen, ehe nicht den belgischen Mannschaften ein menschenwürdiges Obdach gewährt würde. Es kam zu Streitigkeiten, die -ein bedenkliches Licht auf das brüderliche Einvernehmen unter den Verbündeten warfen. Die französischen Verluste müssen unheimlich grotz sein. In Abbeville und Umgebung liegen 35000 Verwundete. Die Picardie heißt im Volksmunde „Frankreichs Hospital". Ich glaube nicht, daß man in Paris, Bordeaux, Lyon,
Marseille eine Ahnung von der wahren Lage hat, sonst wäre die Siegeshoffnung ernstlich erschüttert. Alle französischen Offiziere, die ich sprach, legten mir mit tränenerstickter Stimme das Geständnis ab: „Unsere Armee wird langsam, aber sicher ermordet. Wir werden ums nicht ergeben, bis zum letzten Mann ausharren. An einen Sieg zu glauben, ist Torheit. Frankreich stirbt an diesem Verzweiflungskamps."
Die Kämpfe um die Küste.
(W.T.B.) Berlin. Nach einer Depesche der „Köln. Zeitung" meldet „Daily Lhronicle" aus Amsterdam, die Deutschen hätten den vereinigten Hauptangriff auf die Stellung der Verbündeten an der Hser begonnen. Wahrscheinlich werde der Angriff von größeren deutschen Truppenstärken mit schwereren Geschützen ausgeführt als jemals zuvor.
Die deutschen Pioniere.
London, 4. Dez. Der deutsche Angriff auf Calais läßt immer noch auf sich warten, und die Stimmung in London wird täglich nervöser. Hauptursache der wachsenden Beunruhigung Englands ist eine Mitteilung, die die britischen Kriegsberichterstatter vom nördlichen Flandern aus ihren Blättern drahteten, um dem Publikum die abwartende Haltung der deutschen Heeresleitung erklärlich zu machen; diese Nachricht lautet: Die Ueberschwemmung in Nordflandern geht zurück! Nach den hier vorliegenden Berichten scheint es nämlich, als ob in aller Stille den deutschen Pionieren eine Tat von autzer- ordentlicher Bedeutung geglückt sei, nämlich eine wenigstens teilweise durchgeführte Wiederherstellung der durchstochenen Dämme. Mit größtem Erstaunen haben die in der vordersten Front stehenden Truppen feststellen müssen, wie von Tag zu Tag die Ausdehnung jenes Sumpflandes abnahm, das sich bisher schützend zwischen sie und die Deutschen gelegt hatte. Stellenweise ist jetzt sogar schon möglich, trockenen Fußes durchzukommen. Der großen Gefahr, die in dieser Tatsache liegt, sind sich die britischen Fachleute wohl bewußt.
Die Senegalneger.
(W.T.B.) Berlin, 4. Dez. Der „Berliner Lokalanzeiger" meldet ans Mailand: Von der italienischfranzösischen Grenze wird berichtet, datz an der Goldküste 2000 Senegalneger eingetroffen sind, die aus Frankreich zurückgezogen werden mutzten, weil sie das Klima nicht vertragen und in der letzten Zeit matzenhaft dahinstarben.
Der Hilferuf an Japan.
Paris, 4. Dez. Wie Pichon, so tritt jetzt auch Gustave Hervö für eine bewaffnete Intervention Japans auf dem europäischen Kriegsschauplatz ein. Er hält die Entsendung einer japanischen Armee für dringend geboten, da eine genügende Anzahl englischer Truppen nicht vor dem Frühjahr erwartet werden könnte. Wo Lebensinteretzen auf dem Spiele ständen, habe man der Meinung der amerikanischen Freunde, die man durch eine derartige Maßnahme zu verletzen glaubt, keine so große Bedeutung beizumessen. Die Intervention Japans, durch die die Erlösung Belgiens um mehrere Monate beschleunigt werden könnte, sei absolut notwendig, selbst wenn England und Frankreich sie mit hartem Eelde oder Kolonialentschädigungen bezahlen müßten.
Wie die „Franks. Zeitung" dazu zu melden weih, sollen die Forderungen Japans für die Entsendung einer Armee ganz bedeutend sein. Ein Gerücht, dem