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Nr. 2L

I

Altensteig. Donnerstag üe« 27. Januar

,927

Bor dem Abschluß der neue» Koalition Die Richtlinie«

Die letzte« Verhandlungen

Berlin» 26. Jan. Wie das Wolfs-Büro aus parlamenta­rischen Kreisen erfährt, empfing Reichspräsident von Hin- denburg heute vormittag 10.15 Uhr Reichskanzler Dr. Marx, der ihm aus dem gegenwärtigen Stand seiner Bemühungen Min die Regierungsbildung Bericht erstattete. Nach seinem Besuche beim Herrn Reichspräsidenten begab sich Dr. Marx dann in den Reichstag, um mit den Führern der für die Koalitionsbildung in Betracht kommenden Parteien eine Besprechung abzuhalten.

Berlin, 26. Jan. Die Besprechung des Reichskanzlers, des Reichsarbeitsministers und des Reichsaußenministers mit den Vertrauensmännern des Zentrums, der Deutschen Volkspartei und der Deutschnationalen war kurz vor 2 Uhr beendet, lieber das Ergebnis, das im einzelnen natürlich Noch vertraulich gehalten wird, erfahren wir im allgemei­nen, das; ein sachlicher Abschluß über die Richtlinie« des Regierungsprogrammes erzielt worden ist. Diese Richt­knien werden nunmehr den Fraktionen, auch der demokra­tischen Fraktion, vorgelegt werden. Die Personalfragen sind «och nicht erörtert worden. Darüber wird heute abend ver- handelt werden.

In der zweiten Nachmittagsstunde bat Reichsminister des Aeußern Dr. Stresemann den demokratischen Fraktionsfüh­rer Dr. Koch-Weser zn einer etwa halbstündigen Unter­redung. Die gleich darauf stattfindende Fraktionssitzung der demokratischen Partei wurde vertagt, weil die programma­tischen Richtlinien des Reichskanzlers d^r Fraktion noch immer nicht oorgelegt werden konnten.

Zustimmung zu den Richtlinien

Berlin, 26. Jan. Die Zemtrumsfraktion des Reichstages hat in seiner heutigen Fraktionssitzung den mit den Deutsch- »ationalen vereinbarten Richtlinien einstimmig zugestimmt. Der Parteiausschuh des Zentrums ist für den K. Februar einberufen worden.

Auch die Deutsche Volkspartei hat nach kurzer Debatte den Richtlinien zugestimmt.

Die Richtlinien werden erst veröffentlicht, wenn alle in Frage kommenden Fraktionen sich mit der Veröffentlichung einverstanden erklärten. ,

Die Entscheidung auf Donnerstag verschoben

Berlin, 26. Jan. Entgegen den Erwartungen konnte die Regierungsbildung auch heute abend noch nicht zu Ende gebracht werden. Rückfragen einzelner Frak­tionen über die Richtlinien haben zu einer Verzögerung der Regierungsbildung geführt.

So beschäftigte sich die demokratische Reichstagsfraktion am Mittwoch abend eingehend mit den Richtlinien des Reichskanzlers, führte die Beratung aber noch nicht zu Ende, sondern vertagte sich auf Donnerstag vormittag, je­doch wurde, wie das Nachrichtenbüro des Vereins deutscher Zeitungsverleger hört, der Fraktionsvorsitzende Koch be­auftragt, bereits am Donnerstag vormittag dem Reichs­kanzler mitzuteilen, daß die schulpolitischen Teile der Richtlinien in dieser Form für die demokratische Fraktion nicht annehmbar seien. Ein konfessio­nelles Schulgesetz könnten die Demokraten nicht mitmachen.

Berlin, 26. Jan. (Amtlich.) Nachdem der Herr Reichs­kanzler um 10 Uhr vormittags dem Herrn Reichspräsi­denten über den Stand der Regierungsbildung Bericht er­stattet hatte, fanden gegen Mittag die Verhand­lungen über die Richtlinie ndes Herrn Reichs­kanzlers für die künftige Regierungspolitik mit den deutsch- nationalen Unterhändlern nach einer eingehenden Erörte­rung ihren Abschluß. Die in dieser Besprechung vereinbar­ten Grundsätze über Außenpolitik, Verfassung, Reichswehr, Kulturfragen, sowie Sozial- und Wirtschaftspolitik wur­den sodann seitens des Herrn Reichskanzlers den Fraktions­führern des Zentrums, der Deutschen Volkspartei, der De­mokratischen Partei, der Wirtschaftlichen Vereinigung und der Bayerischen Volkspartei mitgeteilt. Der Herr Reichs­kanzler richtete an die genannten Fraktionen das Ersuchen, sich nunmehr sämtlich auf Grund der gefundenen Grund­lagen an der Regierungsbildung zu beteiligen. Da wäh­rend der weiteren Nachmittagsstunden sich die Fraktionen mit der Beratung der oben bezeichnten Grundsätze be­faßten, mußten die weiteren Verhandlungen, namentlich über die Personalfrage, auf morgen vormittag verschoben werden.

Die parlamentarische Lage am Mittwoch Abend Berlin, 26. Jan. Wie das WTB. aus parlamentarischen Kreisen erfährt, ist man bei den Parteien, deren Beteili­gung an der neuen Koalition bisher feststeht, der Auffas­sung, daß die Entscheidung über die weitere Entwicklung der Regierungsbildung nunmehr bei der demokrati­schen Fraktion liegt, die sich auf Grund der Richt­linien über ihre Beteiligung schlüssig werden muß. Von unterrichteter volksparteilicher Seite wird uns erklärt, daß die Deutsche Volkspartei entschieden darauf besteht, die De­mokraten zu dieser Koalition hinzuzuziehen. Dr. Scholz hat noch in der interfraktionellen Besprechung von heute mittag darauf hingewiesen, daß die Einbeziehung dieser Partei auch im Aufträge des Reichspräsidenten enthalten ist und daß auch die Sicherung der Mehrheit im Reichs­tag, die mit 248 Stimmen die Hälfte aller Abgeordneten nur um eine Stimme übersteigt, eine solche Verbreitung der Koalitionsbasis wünschenswert mache. Die Deutschnatio­nalen haben sich hiermit einverstanden erklärt. Die wei­tere Entwicklung ist nun so beabsichtigt, daß die beteiligten Fraktionen dem Kanzler offiziell ihr Einverständnis mit den Richtlinien Mitteilen lassen. Personalfragen sind bis­her noch nicht behandelt worden.

Die Richtlinien

Berlin, 26. Jan. DieVossische Zeitung" veröffentlicht in ihrer Expreßausgabe die Ri ch t l i n i-e n, wie sie vom Reichskanzler D r. Marx ausgearbeitet seien. Das Blatt bemerkt dazu, daß ihm die Aenderungen, die eventuell in den heutigen Besprechungen daran vorgenommen worden ; sind, nicht bekannt seien. ^

Zur Information ohne alle Gewähr geben wir hier den Wortlaut nach derVossischen Zeitung" wieder: ;

1. Außenpolitik: Fortführung der bisherigen ?

Außenpolitik im Sinne gegenseitiger friedlicher Verständi- : gung. Anerkennung der Rechtsgültigkeit des Vertrags- s Werkes von Locarno, loyale gleichberechtigte Mitarbeit im s Völkerbund. r

2. Verfassung: Anerkennung der Rechtsgültigkeit ,

der in der Verfassung von Weimar begründeten republi- i kanischen Staatsform. Unbedingter Schutz dieser Verfas­sung in ihrer Gesamtheit, sowie der verfassungsmäßigen : Reichsfarben (Artikel 3 der Reichsverfassung), gegen alle ; herabsetzenden Verunglimpfungen und rechtswidrigen An- ' griffe, Vorgehen gegen alle Vereinigungen und alle Be- I ftrebungen, die den Umsturz der bestehenden Staatsform ! bezwecken. Verbot an alle Beamte, sich an solchen Vereint- ^ gungen oder Bestrebungen zu beteiligen. Die verfassungs- s mäßig gewährleisteten Rechte der Beamten werden hier- 1 durch nicht berührt. ^

3. Reichswehr: Bezüglich der Reichswehr wird der i

entsprechende Teil der Rede des Reichskanzlers vom 16. - Dezember 1926 als maßgebend anerkannt: 1. die Verord- j nung des Herrn Reichspräsidenten vom 31. 12. 1926 ist ! strengstens durchzuführen, 2. den Angehörigen der Reichs- ' wehr ist die Zugehörigkeit, das Zusammenarbeiten mit po- i kitischen Verbänden aller Richtungen, zu denen die söge- z nannten Wehrverbände aller Richtungen und Formen in s erster Linie gehören, verboten; 3. es wird eine Rekrutie- i rungsverordnung erlaffen, die Vorkehr trifft, daß keine S verfassungsfeindlichen Personen im Sinne der Ziffer 2 in z die Reichswehr ausgenommen werden. x

4. Kulturfragen: Es ist angeregt worden: Erlaß '

eines Reichsschulgesetzes unter Wahrung der Gewissensfrei­heit, und des Elternrechts. Grundsätzliche Gleichstellung - der im Artikel 146 der Reichsverfaffung vorgesehenen r Schularten, sowie Sicherung des Religionsunterrichtes, i (Artikel 149.) s

5. Sozialpolitik: Tatkräftige Förderung der So- j zialreform, Ausbau und Verlängerung des Arbeitsrechts, s Der nächste Schritt auf diesem Gebiete soll die Schaffung . einer umfassenden Arbeiterschutzgesetzgebung unter beson- - derer Berücksichtigung der Bergarbeit sein. Darin ist l ausgehend von den deutschen Verhältnissen die Arbeits- - zeit einschließlich der Sonntagsruhe im Einklang mit den s internationalen Abmachungen zu regeln. Auf Grund s einer solchen Regelung ist die deutsche Regierung zur Ra- i tisizierung des Washingtoner Abkommens gleichzeitig mit : den anderen westeuropäischen Industrieländern bereit. Bis j zum Inkrafttreten dieses Gesetzes sollen durch Uebergangs- .

und Notmaßnahmen Mißstände auf dem Gebiete der Ar­beitszeit beseitigt werden. Die in Artikel 165 der Reichs- Verfassung vorgesehene Mitwirkung der Arbeiter und An­gestellten in der Wirtschaft ist im Sinne der im Reichs­wirtschaftsrat zustande gekommenen Einigung weiter aus­zubauen.

Dringend ist die Verabschiedung einer Versicherung ge­gen Arbeitslosigkeit. Damit im Zusammenhang stehen Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsnachweises, Aus­bau und Verfahren der Sozialversicherung sollen nach Möglichkeit vereinfacht werden. Die verschiedenen Versiche­rungszweige bedürfen einer organischen Verbindung und Ausgestaltung. Die Lage der Invaliden muß verbessert werden.

/ Für Seeleute ist eine Krankenversicherung zu schassen. ' Entschlossene Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Für­sorge für die Erwerbslosen mit allen zur Verfügung steh­enden wirtschafts- und sozialpolitischen Mitteln. Die So­zialreform ist auch international, insbesondere im Zusam­menwirken mit dem internationalen Arbeitsamt zu fördern.

. Die Lage nach Veröffentlichung der Richtlinien

Berlin, 27. Jan. Die durch die vorzeitige Veröffentlichung der Richtlinien für die Regierungsbildung geschaffene Lage wird von den Blättern verschieden beurteilt. Nach derD eut- I scheu Tageszeitung^ ist durch die Veröffentlichung, die das Blatt auf eine Persönlichkeit der linken Zentrumsseite zu- ! rückführt, eine völlig neue Lage geschaffen. Die Deutschnatio­nalen seien nicht mehr bereit, die Verhandlungen in der bis­herigen Art weiterzuführen und sollen heute vormittag Dr. Marx erklären, daß man für die neue Regierung neue Grund­lagen weide suchen müssen. DieKrcuzzei tung", die oon einem grobem Störungsversuch spricht, schreibt: Wir verraten kein Geheimnis, wenn wir berichten, daß in den Kreisen der Pressevertreter die Namen der Abgeordneten Dr. Wirth und Joos mit der Affäre in Zusammenhang gebracht wurden. Die Deutsche Tageszeitung" hebt hervor, daß die ver­öffentlichten Richtlinien nur einen Teil der Regierungserklä­rung darstellen und deshalb nur einen ganz unvollständigen Eindruck von dem Programm der kommenden Regierung geben können. Eine Reihe positiver Ergänzungen auch durch ganz neue Punkte, namentlich auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik, würden von den Deutschnationalen beantragt werden. Die ^Deutsche Al lg. Zeitung" teilt mit, daß neben den Richtlinien ein Protokoll diktiert wurde, das wichtige Ergän­zungen für die künftige Regierungspolitik enthält. Infolge­dessen werde erst die endgültige Regierungserklärung ein rich­tiges Bild von der Gesamtheit der Vereinbarungen gewinnen lassen. DieTägliche Rundschau" bemerkt zu der deutsch­nationalen Fraktionserklärung: Man wird nicht daran zwei­feln brauchen, daß die deutschnationale Reichstagsfraktion end­gültig zustimmt, wenn über die Zusammensetzung des Kabinetts selbst eine Einigung erzielt sein wird. DieGermania" nennt es einen Vorgang von nicht zu unterschätzender Bedeu­tung, daß die Deutschnationalen sich ohne Vorbehalt zur Wei­marer Verfassung bekennen und deren Rechtsgültigkeit aner­kennen. Das Zentrumsorgan verlangt, daß das, was gestern als Grundlage für das Kommende festgelegt worden ist, ehrlich und offen in die Tat umgesetzt werden muß. DasBerliner Tageblatt" spricht von einem gefährlichen Experiment, das das Zentrum mit den beiden Rechtsparteien unternimmt. Die Demokraten werden in aller Ruhe abwarten können, bis ihre Zeit kommt. DieVossische Zeitung" interpretiert die Verlautbarung der deutschnationalen Fraktion dahin, daß diese ihre Entscheidung nicht von dem Regierungsprogramm, sondern von der Erfüllung der deutschnationalen Portefeuilleforderungen abhängig mache. DerVorwärts" nennt die Richtlinien einepeinliche Maskerade".

RegieruiWbMW und Ausland

Ein Interview des Reichsaußenministers

London, 26. Jan. In einem Interview mit dem Berliner Vertreter derTimes" wendet sich Dr. Stresemann gegen ge­wisse im Zusammenhang mit der Regierungskrise im Ausland aufgetretene irrige Meinungen über die Gefährdung der in London und Locarno aufgebauten deutschen Außenpolitik. Er erklärte darin, daß die Ursache der Krise ausschließlich auf in­nerpolitischem Gebiet liegen, daß sich auf außenpolitischem Ge­biet seit geraumer Zeit eine sehr große Mehrheit für die von ihm in Uebereinstimmung mit Reichskanzler Dr. Marx geführt« und vom Reichspräsidenten gebilligte Politik herausgebildet bat, wie dies auch der Führer der sozialdemokratischen Reichstags­fraktion im Dezember im Reichstag unwidersprochen feststellte und daß es demgemäß bei allen Verhandlungen über die Neu­bildung des Kabinetts als ganz selbstverständlich gegolten bat, daß die folgerichtige Einhaltung der bisherigen außenpolitischen Linie unbedingt gewährleistet werden muß. Jetzt, wo die in­neren Widerstände gegen meine Außenpolitik so sehr zusammen- geschrumvft sind, kann kein Vernünftiger annehmen, daß ich mich von dem klar vorgezeichneten Weg abdrüngen lasse. Das Gleiche gilt von Reichskanzler Marx. Ganz entschieden lebnt er, Stresemann, vor allem den Gedanken ab, daß die Fortfüh­rung der Locarnovolllik Deutschland binüchtlich des Svielens