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Nn 888 ^ ^ Donnerstag dt» 9. Dezember ^ 1926
Krise in SiS^
Man schreibt uns: - ^ -
Die innerpolitische Lage im Reich hat plötzlich eine Zw spitzung erfahren, die in weitesten Kreisen begreifliche Erregung verursacht hat. Der Fraktionsführer der Deutschen Volkspartei im Reichstage, Abgeordneter Dr. Scholz, dem man gerade nicht taktisches Geschick in heiklen Situationen attestieren kann, hat auf einer Tagung der DeutfchM Volks- paitei in Ostpreußen eine Rede gehalten, in der er einen sehr energischen Strich nach links hin zog. Die Sozialdemokraten haben in den Ausführungen des Abgeordneten Scholz eine „Kriegserklärung" gesehen, sie sprachen sofort von einem „brüsken Abbruch" der Beziehungen zwischen der Koalition der Mitte und Sozialdemokratie und gebärdeten sich auch sonst außerordentlich wild. Zwei hervorragende Vertreter der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion erschienen Leim Reichskanzler, machten ihn auf den Ernst der Situation aufmerksam und ließen dabei auch durchblicken, daß unter Umständen ein sozialdemokratisches Mißtrauensvotum gegen die gesamte Regierung zu befürchten sei. Herr Marx hat die Ausführungen der sozialdemokratischen Abgeordneten zunächst mit der ihm eigenen Ruhe ausgenommen, er ,owie eine Reihe anderer Kabinettsmitglieder bemühen sich zurzeit krampfhaft, eine weitere Verschärfung der Lage zu verhindern und im übrigen wird eine nicht immer glücklich geleitete Presse für ein Scheitern der Hilfsaktionen des Kanzlers sorgen. Das eine scheint festzustehen: Wir gehen einigermaßen sorgenvollen Wochen entgegen. Die Sozialdemokratie scheint wirklich Ernst machen zu wollen und hat die Reoe des volksparteilichen Fraktionsführers als willkommenen Vorwand dazu benutzt, in den offenen Kampf mit der Minderheilskoalition der Mitte treten zu können.
Um sich ein klares Bild von der Lage zu machen, wird man nicht umhin können, einige Feststellungen bezüglich der Ausführungen des Abgeordneten Dr. Scholz zu treffen. Dieser hat seine Ausführungen gemacht, ohne einen Auftrag von seiner Partei dafür erhalten zu haben. Eigentlich ist es nicht recht verständlich, warum die Sozialdemokraten sich über dieie Rede sonderlich aufgeregt haben. Sie kennen ebenso gut Herrn Scholz wie wir und die näheren Parteifreunde des volksparteilichen Führers ih kennen. Er neigt gern dazu, nicht jedes Wort auf die Wagschale zu legen und er ist bekannt dafür, gerade in Krisenzeiten nicht immer die taktische Position seiner Partei und Fraktion verbessert zu haben. Wir glauben auch annehmen zu können, daß man über die Rede des Herrn Scholz in Insterburg zur Tagesordnung übergegangen wäre, wenn nicht eben im Augenblick die Sozialdemokratie dazu Neigung zeigte, unter allen Umständen die bürgerlichen Mittelparteien, insbesondere aber Zentrum und Demokraten, endgültig vor die Alternative zu stellen, sich für rechts oder für links zu entscheiden. Insofern hat an der Zuspitzung der deutschen innerpolitijchen Verhältnisse zu einer Zeit, wo außenpolitisch vieles auf dem Spiele steht, die Sozialdemokratie mindestens ebensoviel, wahrscheinlich aber doch noch mehr Schuld als Herr Scholz. Nun wäre die ganze Agelegenheit noch nicht so sehr schlimm geworden, wenn nicht von einem Teil der Deutschen Volkspartei die Aeußerungen des Abgeordneten Scholz eine entschiedene Bekräftigung erfahren hätten. Während gewisse Kreise mit dem-Kanzler bemüht sind, die schädlichen Wirkungen der Ausführungen des Abgeordneten Scholz zu eliminieren, gießen andere neues Oel ins Feuer und erklären, daß es eben mit der Sozialdemokratie keine Zusammenarbeit geben kann. Das mag nicht nur vom volksparteilichen Standpunkte aus der Fall sein. Die bürgerliche Mittelkoalition als solche hat aber im Augenblick das größte Interesse daran, daß zunächst alle Weiterungen unangenehmer Art vermieden werden. Es ist schon wahrhaftig schlimm genug, daß die Sozialdemokratie die angebliche Kriegserklärung der Deutschen Volkspartet mit einer offenen Drohung der Herbeiführung einer Regierungskrisis beantwortet.
Die Frage, ob es unter diesen Umständen den Bemühungen des Kanzlers gelingen wird, die zurzeit hochgehenden tnnerpolitischen Wogen zu glätten, ist also mindestens noch offen. Die weitere Entwicklung hängt dabei nicht so sehr von etwaigen parteiamtlichen Korrekturen der Ausführungen des Abgeordneten Dr. Scholz ab. als vielmehr von den Sozialdemokraten und deren Reichstagsfraktion. Es liegt auf der Hand, daß sich die Sozialdemokratie nicht mit dem Schritt begnügen wird, den die Abgeordneten Müller-Franken und Breitscheid beim Kanzler am Montag unternommen haben. Die Sozialdemokraten werden von der Tatsache der Besprechungen mit den Vertretern der bürgerlichen Mittel- Parteien vor nunmehr zwei Wochen ausgehend gewisse Garantien oder besser gesagt, eine Antwort von Zentrum und
Demokraten verlangen, ob man in Zukunft mit der Linken oder der Rechten Zusammenarbeiten will. Die größte Gefahr liegt nun darin, daß sich die bürgerlichen Parteien der Mitte in den nächsten Tagen und Wochen auseinanderreden und auseinandermanöverieren. Man kann also die Sorge verstehen, die maßgebende Stellen gegenüber unserer innerpolitischen Entwicklung zur Schau tragen. Man ist jetzt schon teilweise geneigt, die Situation als hoffnungslos zu bezeichnen, für den Fall, daß die,Sozialdemokraten zum offenen Kampf gegen das Kabinett Marx im Reichstag übergehen, weil man dann keine Möglichkeit zur Regierungsbildung mehr sieht.
Scheidemann über die Haltung der Sozialdemokratie
München, 8. Dez. Zn einer Versammlung der Münchenei Sozialdemokratischen Partei betonte Reichstagsabgeordneter Scheidemann in einer Rede, daß die Sozialdemokratie als Volkspartei die grundsätzliche Forderung der Beteiligung nicht bloß an der Regierung der Länder, sondern auch an der Reichsregierung erhebe. Recht scharf wandte sich Scheide-, mann gegen den volksparteilichen Abgeordneten Dr. Scholz wegen seiner Znsterburger Rede und erklärte, die Sozialdemokratie habe die bisherige Regierung toleriert und mit ihr Tuchfühlung genommen. Wenn die Deutsche Volkspartei nicht von den Erklärungen des Abgeordneten Scholz abrücke lei es mit der Tolerierung und der Tuchfühlung vorbei Dann würde die Sozialdemokratie wieder frei sein zurr Kampf gegen die Regierung. Die Sozialdemokratie sei zur Mitarbeit an der Regierung bereit, aber auch zum äußersten Kampfe entschlossen.
Die Sozialdemokraten beim Reichskanzler
Berlin, 8. Dez. Heute mittag empfing Reichskanzler Dr. Marx die sozialdemokratischen Parteiführer Hermann Müller und Wels zu einer Besprechung, in der der Kanzler, dem „Berliner Tageblatt" zufolge, nochmals betonte, daß, wie der volksparteiliche Abg. Scholz schon selbst erklärt, die Znsterburger Rede keine programmatische Erklärung der Deutschen Volkspartei bedeuten solle. Die Sozialdemokraten sollen sich, wie das genannte Blatt weiter berichtet, mit dieser Erklärung nicht zufrieden gegeben haben. Ihnen liege vor allem an einer Aufklärung darüber, ob das Reichskabinett tatsächlich bereit sei, auch über innerpolitische Fragen rechtzeitig vorher eine Verständigung mit der Sozialdemokratie zu suchen. Das gelte besonders für die Arbeitszeitfrage. Hier verlangten die Sozialdemokraten bestimmte Garantien. Der Reichskanzler werde sich wegen dieser Forderungen mit den Führern der Regierungsparteien in Verbindung setzen und auch das Reichskabinett werde sich voraussichtlich morgen mit den innerpolitischen Fragen beschäftigen. Im Anschluß an den Besuch der Sozialdemokraten habe der Kanzler auch den Abg. Dr. Scholz empfangen, der bei dieser Gelegenheii nochmals betont habe, daß er t« Insterburg lediglich seine veriönliche Auffassung zum Ausdruck gebracht habe.
keit der in Genf vereinigten Delegationen in Anspruch nehmen zu können. Die grundsätzliche Zustimmung der Deutschen zu einem Kontraktsystem desVölkerbun- des nach Artikel 213 des Versailler Vertrages stelle die Grundlage der gegenwärtigen Verhandlungen dar und lassen durch den guten Willen, den sie bekunden, einen günstigen Ausgang erwarten. Wenn, wie man überzeugt sei, der Völkerbund in einigen Tagen zu einer Verständigung kommen könne, würden andere Probleme aufgeworfen werden, nämlich die Sonderkontrolle im Rheinland und sogar das Problem der Räu- fmung der besetzten Gebiete. Für den Augen- ! blick sei aber weder von dem einen, noch von dem anderen
- dieser schwerwiegenden Probleme die Rede und es sei keine Wahrscheinlichkeit, daß sie auf die Tagesordnung der gegenwärtigen Ratstagung gesetzt werden würden, das heißt, daß die van gewissen Kreisen geplante Abänderung einer Kontrolle in den Reinlanden kommenden Besprechungen
^ Vorbehalten bleibe.
s Vor einer Einigung in der Frage der Militärkontrolle
- Genf» 8. Dez. Die heutigen formlosen Unterhaltungen , der juristischen Sachverständigen über die Abände- srung des Znvestigationsprotokolls und i seine Ausführungsbestimmungen berechtigen zu der An- ^ nähme, daß die Juristen zu einem Ergebnis kommen wer- j den, das den deutschen Wünschen, wie sie im wesentlichen
in der Note des Reichsaußenministeriums vom Januar d. j Z. formuliert sind, gerecht wird. Es steht fest, daß der ! Gedanke einer Zwischenlösung endgültigt ausgefchaltet ist. r Zn einigen Punkten, so insbesondere hinsichtlich der nun- f mehr aufgegebenen sogenannten örtlichen ständigen Kon- i trollorgane in der entmilitarisierten Rheinlandzone und ! in Bezug aus die ursprünglich den Znveftigationskommis- ! sionen zugestandenen Exekutive ist bereits eine Einigung ^ erzielt. Die juristischen Sachverständigen werden morgen j ihre Besprechungen fortsetzen, um autentische und matzge- i Lende Formulierungen über Ergänzungen und zur Aus- ' legung des Jnvestigationsprotokolles auszuarbeiten, über j die dann ein formell bindender Ratsbeschluß herbeige- i führt werden soll.
Die Genfer Ratstagung
Dr. Strefemanns Befinden
Genf, 8. Dez. Neichsminister Dr. Stresemann ,der sich eine leichte Erkältung zugezogen hat, ist ohne Fieber. Auf Vorschlag des Arztes wird er jedoch auch heute nachmittag nicht an der Ratssitzung teilnehmen.
Beratungen über das Znvestigationsprotokoll Genf, 8. Dez. Nach den Besprechungen der letzten Tage zwischen den hier weilenden Vertretern der Rheinpaktmächte sind heute vormittag die juristischen Sachverständigen dieser Länder zusammengetreten, um gemeinsam einen ersten Gedankenaustausch zu pflegen über die Form, in der eine Abänderung des Znvestigationsprotokolls vom September 1924 vorgenommen werden könnte. Neben diesen juristischen Vorarbeiten wurden die Einzelbesprechungen u. a. durch einen Besuch von Staatssekretär v. Schubert bei Cbamberlain fortgesetzt-
Genfer Verhandlungen über die Militärkontrolle Paris» 8. Dez. Der Sonderberichterstatter von Havas in Genf hebt hervor, daß man in französischen Kreisen in Genf die Bedeutung der zwischen den alliierten und den deutschen Vertretern eingeleiteten Verhandlungen betone. Die Organisation der internationalen Kontrolle, die an die Stelle der interalliierten Kommission treten werde, sobald die Botschafterkonferenz sich für befriedigt erklärt habe, sei wichtig genug, um für sich allein die Aufmerksam-
Beschlüsse des Völkerbundsrats über Abrristungs- und Sanktionsfragen
Genf, 8. Dez. Der Völkerbundsrat genehmigte heute nachmittag 3 Berichte Beneschs, die mit den Vorarbeiten zur Abrüstungskonferenz im Zusammenhang stehen. Der Generalsekretär wurde beauftragt, allen Völkerbundsstaaten unter Empfehlung des Abschlusses von Schiedsver- trägen die Mitarbeit des Völkerbundsrats für das Zustandekommen solcher Verträge zwecks Wiederherstellung von Vertrauen und Sicherheit anzubieten. Zn einer zweiten Entschließung fordert der Rat den Vorbereitungsausschutz auf, ihm Vorschläge über die Einberufung der Abrüstungskonferenz zu machen, sobald es der Stand der Vorarbeiten erlaubt und das Programm der Abrüstungskonferenz aufzustellen. Chamberlain und Scialoja warnten vor einer Einberufung ohne sorgfältige Vorbereitung in technischer und politischer Hinsicht. Paul Boncour stimmte dieser Auffassung bei, sprach aber den Wunsch nach möglichst baldigem Zusammentritt der Konferenz aus. Eine dritte Entschließung des Rats genehmigte die vom Ratskomitee in der vergangenen Woche aufgestellten Richtlinien und Beschlüsse für ein beschleunigtes Zusammentreten des Rates im Faue von internationalen Verwicklungen, ferner für die Verwirklichung finanzieller Hilfe im Falle eines Angriffs und für die Instandsetzung wirtschaftlicher Sanktionen. Scicuoja warnte davor, daß bei der vom Ratskomitee empfohlenen und heute vom Rate beschlossenen eingehenden Untersuchung über die Anwendung von Artikel 16 genaue und endgültige Regeln aufgestellt werden, die einer bindenden Auslegung des Völkerbundspaktes gleichkommen könnte.
Genfer Besprechungen über das Saargebiet
Genf, 8. Dez. Zn der Frage der vom Saargebiet geforderten Z-u rückziehung der französischen Truppen aus dem Saargebiet und zu der französischen Gegenforderung, daß mindestens 2 Bataillone zur Sicherung des Eisenbahntransitverkehrs im Saargebiet verbleiben sollen, dürfte eine Einigung auf folgender Grundlage beovrstehen: Es soll für die saarländischen Bahnen ein rein technischer Bahnschutz ohne irgendwelchen militärischen Charakter geschaffen werden, der ausschlietz-