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AUensteig, Dienstag den 16. November

1926

D*- Wahlreform

In den bisherigen Meldungen über die Wahlreform sind einige Ungenauigkeiten enthalten gewesen. DieStuttgar­ter Pressekorrespondnz" hat sich an zuständiger Stelle er­kundigt und dabei folgendes zuverlässig erfahren:

Der Entwurf eines neuen Wahlreformgesetzes» der gegen­wärtig dem Reichskabinett zur Beratung vorliegt, ist, bevor er noch in seiner vom Kabinett beschlossenen Fassung dem Reichsrat zugegangen ist, bereits Gegenstand der Erörte­rung zwischen und innerhalb der Reichstagsfraktionen, ge­worden. Im allgemeinen ist der neue Entwurf auf der Vor­lage von 1924 aufgebaut, enthält jedoch gegenüber der frü­heren eine Reihe Verbesserungen, die zum Teil als das Er­gebnis der Diskuschon in der Oeffentlichkeit zu werten sind. In der neuen Wahlrechtsreform des Reichsinnenministe­riums sind die Grundsätze der Verhältniswahl aufrechter­halten geblieben: ja, es sind sogar in Bezug auf das Ver­hältniswahlsystem gewisse Fortschritte erzielt worden, die zweifellos der bei den Wahlen hervorgetretenen Volksstim­mung stärker als bisher Rechnung tragen werden. Vor allen Dingen wird die Verrechnung der Reststimmen auch in der neuen Reform gewahrt.

Dagegen ist sie gegenüber der Wahlreform von 1924 inso­fern wesentlich verbessert worden, als nur ein Bewerber für jeden örtlichen Wahlvorschlag zugelassen wird und außer­dem die Wahlkreise noch stärker verkleinert werden. Im Zusammenhang mit der Verkleinerung der Wahlkreise ist in der neuen Wahlrechtsreform auch eine erhebliche Berkiri- nerung der Wahlkreisverbände vorgesehen. Insgesamt soll es nach dem Entwurf des Reichsinnenministeriums 227 Stimmkreise geben, die wiederum zusammengefaßt sind in 37 Wahlgebiete. Wenn aus den Kreisen der Mittelpar­teien gegenüber der neuen Wahlkreisreform Bedenken er­hoben werden, daß infolge der Heraufsetzung des Wahl­alters von 20 auf 21 Jahre und wegen der Heraufsetzung der Stimmenzahl von KV Vllü auf VVV, die für die Wahl eines Abgeordneten erforderlich sind, die Gefahr besteht, daß die schwächeren Parteien völlig aufgerieben werden, so ist demgegenüber richtig zu stellen, daß fast in keinem anderen Lande der Welt ein so niedriges Wahlalter besteht wie in Deutschland und außerdem für die Wahl eines Abgeord­neten nicht die Aufbringung von 70000- Stimmen im Stimmkreis, sondern im Wahlgebiet erforderlich sind. Hier­aus ergibt sich, daß im Falle in irgendeinem Stimmkreis beispielsweise die Partei T die nötigen 70 000 Stimmen für die Wahl ihres Ortskandidaten nicht aufbringen sollte, trotz­dem infolge der Zusammenlegung sämtlicher Stimmen für die Kandidaten der Partei T in dem betreffenden Wahl- zebiet mindestens ein Kandidat als gewählt hervorgeh: n würde. Damit die Reststimmen, die über die 70 000 erfor­derlichen Stimmen hinaus in einem Ortswahlkreis vcr- handen sind, nicht verloren gehen, werden diese Reststimm:>r der einzelnen Parteien im ganzen Reiche zusammengezällt und sodann jenen Parteikandidaten zugeschlagen, die ruft dem besten Wahlerfolg aus der Wahl hervorgegangen sind. Werden also, um noch ein Beispiel anzuführen, in einem Wahlgebiet für die Kandidaten einer Partei 330 000 Stim­men abgegeben, sind vier Kandidaten gewählt und 50 000 Reststimmen vorhanden. Diese Reststimmen und die aus den andern Wahlgebieten werden nun zusaMmengezählt durch 70 000 dividiert, und das Ergebnis der Verrechnung k-umt sodann den Kandidaten der betreffenden Partei zu­gute, die zwar in dem Ortswahlkreis, in dem sie kandidier­ten. unterlegen sind, aber im Verhältnis zu den übrigen unterlegenen Kandidaten derselben Partei die meisten Stimmen auf sich vereinigten.

Die neue Wahlrechtsreform des Ministeriums des Innern liegt, wie gesagt, dem Reichskabinett zur Beschlußfassung vor. Man kann damit rechnen, daß in absehbarer Zeit das Cesetz dem Reichsrat zugeleitet werden wird, so daß die Möglichkeit besteht, daß-sich der Reichstag nach der Verab­schiedung des Etats für 1927 u. a. auch mit der Wahlreform­vorlage beschäftigen wird. Mag der neue Entwurf noch zu diesen oder jenen Bedenken Anlaß geben, er stellt zweifel­los gegenüber dem jetzigen Wahlsystem eine erhebliche Ver­besserung dar, auch insofern, als er die Möglichkeit schafft, den Wählern gegenüber dem heutigen Zustand die Mög­lichkeit zu geben, wahre Führerpersönlichkeitcn in den Reichstag zu entsenden, während bisher die Wählerschaft gezwungen war, ohne Rücksicht auf die Person sich für dieses oder jenes Parteiprogramm zu entscheiden.

Sie IllrWhriing der Anleihe- MösmgrMer

Berlin, 15. Nov. Am 10. November d. Js. trat der Unter, ausschuß des 5. Ausschusses (für Anleiheablösung) des Reichstages zu einer Sitzung zusammen. Der Vertreter des Reichsfinanzministeriums machte über - n Stand der Durch­führung des Anleiheablösungsgesetzes folgende Mitteilun­gen: Die Durchführungsbestimmungen zu Paragraph 27 des Anleiheablösungsgesetzes (soziale Wohlfahrtsrente für An­stalten und Einrichtungen der freien und kirchlichen Wohl­fahrtspflege, die Aufgaben der öffentlichen Wohlfahrtspflege erfüllen, und kulturelle Wohlfahrtsrente für Anstalten und Einrichtungen zur Förderung wissenschaftlicher Ausbildung und Forschung) und zu Paragraph 47 des Anleiheablösungs­gesetzes (Varablösung der Anleihekleinbeträge) liegen zur­zeit dem Reichsrat vor. Vis Ende Oktober sind beim Reichs­kommissar für die Ablösung der Reichsanleihen alten Besitzes 3 779 325 Anträge eingegangen, die einem Anleihekapital von 32,3 Milliarden Mark entsprechen und mit denen 763,9 Mil­lionen Reichsmark Auslosungsrechte beantragt werden. Ent­schieden sind von diesen Anträgen 2 448 584, durch welche 203 Millionen Reichsmark Auslosungsrechte zuerkannt worden sind. Die Erledigung der restlichen Anträge wird bis Mitte nächsten Jahres dauern.

Die Altbesitzmarkanleihen im Reichsschuldbuch werden auf über 8 Milliarden Mark geschätzt. Im Schuldbuch sind bis Ende Oktober 1926 auf 564 666 Konten 196 001 337.50 RM. Auslosungsrechte zugesprochen worden. Die Umwandlung der Markschuldbuchkonten in Anleiheablösungsschuld und in Auslosungsrechte wird voraussichtlich in diesem Jahre be­endet werden. Die Anmeldungen beim Reichskommissar und die Konten der Reichsschuldenverwaltung ergeben zusammen einen Betrag von über 4V Milliarden Mark alten Besitzes.

Im Vorzugsrentenversahren sind bei den Ausschüssen 606 000 Anträge eingegangen: bei 540 000 Anträgen haben di Ausschüsse über die Frage der Bedürftigkeit, der deut­schen Reichsangehörigkeit und des Wohnsitzes im Inlands entschieden. Von der Reichsschuldenverwaltung ist endgültig bei 386 000 Anträgen, mithin bei rund 63 Prozent der ge­stellten Anträge, die Borzugsrente zuerkannt worden. Bei 322 000 Anträgen, mithin bei 83,4 Prozent der zuerkannten Renten sind bereits Zahlungen durch die Reichsschuldenver­waltung erfolgt.

Bis zum 30. Oktober 1926 sind zur Zahlung durch die Reichsschuldenverwaltung angewiesen worden 31,3 Millio­nen Reichsmark. Von diesem Betrage haben 266 463 Gläu­biger zum ersten Male eine Vorzugsrente empfangen,- 87 441 Gläubiger eine zweite oder dritte Zahlung.

Der Regierungsvertreter wies sodann darauf hin, daß die erste Ziehung der Auslosungsrechte in zwei Abschnitten im Dezember d. Js. und im Herbst 1927 erfolgt.

Von mehreren Abgeordneten wurde ferner darauf hin­gewiesen, daß die Verweigerung der Altbesitzrechte bei ge­schäftsunkundigen alten Leuten, welche die am 31. März d. Js. abgelaufene Anmeldungsfrist versäumt haben, eine große Härte bedeuten würde. Der Vertreter des Reichs­finanzministeriums entwickelte die Grundsätze, nach denen schon bisher in weitem Umfang von der Fristverlängerung gemäß Paragraph 49 Abs. 1 des Anleiheablösungsgssetzes Gebrauch gemacht wurde. Er sagte in Erfüllung der von denk Ausschuß geäußerten Wünsche zu, die Genehmigung zur nach­träglichen Anmeldung gemäß Paragraph 49 Ziffer des An­leiheablösungsgesetzes grundsätzlich dann zu erteilen, wenn «standhaft nachgewiesen wird, daß der Anleihegläubiger in­folge seiner durch hohes Alter verursachten Geschaftsunge- wandtheit oder durch Krankheit oder ähnliche zwingende Umstände an der rechtzeitigen Anmeldung verhindert war. Die nachträgliche D rmeldung muß spätestens bis 31. Dezem­ber d. Js. bei dem Reichskommissar für die Ablösung der Reichsanleihen alten Besitzes. Berlin, Alte Jakobstraße 117- 120, eingereicht werden.

Der Fall^Garibaldi

Der Name Garibaldi, durch den italienischen Freiheits­kämpfer zu Ehren gebracht, hatte einen guten Klang, selbst in Deutschland, obwohl Euiseppe Garibaldi mit seinen bei­den Söhnen und mehreren Tausend Anhängern im Kriege - von 1870/71 den Franzosen zu Hilfe kam, obwohl zu Be­ginn des letzten Krieges seine Enkel, an die Tradition ihres Geschlechtes anknüpfend, mit einer kleinen Gruppe

freiwilliger Italiener in Den Argonnen gegen die Deut­schen standen, noch ehe die Italiener ernstlich daran dach­ten, sich auf die Seite unserer Feinde zu schlagen. Heute ist der Name beschmutzt durch Garibaldi, auf den keine andere Bezeichnung paßt, als die eines bedenkenlosen Schurken. Als Gegner des Faschismus gab sich Riciotti Garibaldi aus und lebte doch vom heimlichen Gelds der Faschisten in der Ee- burtsstadt seines Großvaters, Nizza. Um nur ein einziges aus der Fülle seiner Verbrechen, nur 'eine einzige aus der Menge seiner Dummheiten zu nennen: Den jugendlichen, ihn ohne Sinn und Maß verehrenden Scivioli, einen An­gestellten im Geschäfte seines Bruders, wollte er zum At­tentat auf Mussolini verleiten, indem er ihm das Attentat Lucettis, der eine Bombe gegen den Wagen Mussolinis ge­schleudert hatte, als Vorbild einer Heldentat hinstellte, wo­bei er natürlich verschwieg, daß er von dem Attentat dieses armen Verführten vorher gewußt hatte. Hören wir die Worte, die Scivoli zu Garibaldi sagte, als er ihm nach sei­ner Entlarvung geg nllbergestellt wurde:Wie erklären Sie, daß Sie mich veranlaßt haben, mehrere Male das ita­lienische Konsulat in Nizza wegen meines Passes zu besu­chen? Ich werde Ihnen den Zweck sagen: Meine Feinde sol­len mich genau kennen lernen. Für Geld haben Sie sich Dazu Herbeigelasien, mich auszuliefern, dessen Idol Sie waren."

DasHamburger Fremdenblatt" schreibt: Es soll von dem weiten politischen Hintergrund gesprochen werden, auf dem das Spiel zwischen Deutschland, Frankreich und Ita­lien vor sich geht, jenes Spiel zu dreien, das schon manche Jahre währt und das noch immer nicht abgeschlossen ist. Warum, so müssen wir uns fragen, hat Mussolini oder haben die Hintermänner Mussolinis in Frankreich die At­tentäter bestellt, und warum hat dann Mussolini und die ihm ergebene Presse gegen Frankreich so geschürt, daß heute der Franzose der am wenigsten willkommene Fremde in Italien ist, daß von der erregten Menge ein Zwischenfall gegen französische Konsulate nach dem anderen hervorge­rufen wird? Es genügt wirklich nicht, zur Erklärung zu sa­gen, daß Attentate den Ruhm Mussolinis erhöhen, oder daß der Duce nach immer neuen Vorwänden sucht, die fran­zösische Regierung zu einer schärferen Haltung gegen die in Frankreich lebenden italienischen Emigranten zu ver­anlassen.

Der Grund liegt sicherlich viel tiefer. Italien will von Frankreich Zugeständnisse auf kolonialem Gebiet. Musso­lini hat mehr als einmal in Reden, die er in Rom und in den Provinzen gehalten hat, ebenso offen wie feierlich ge­sagt, daß der lleberschuß der italienischen Bevölkerung eine Art moralischen Anspruch habe, in jenen Gebieten ausge­nommen zu werden, die am Mittelmeer zwar unter franzö­sischer Herrschaft stehen, aber von den Franzosen, die sogar im Mutterlands auf den Zugang fremder Arbeiter ange­wiesen sind, niemals besiedelt werden können. Aber was kann er bieten? Nichts als die Freundschaft und vielleicht noch das Versprechen, mit Frankreich gemeinsam den ge­fürchteten Anschluß Oesterreichs an Deutschland zu ver­hindern. Das ist nicht viel für das, was er fordert. Nun gilt es für Mussolini, dieses Angebot der Freundschaft so wertvoll wie möglich zu machen. Es ist bekannt, daß er sich gegen den Abschluß des Locarno-Paktes gesträubt hat, daß er später nur unwillig seine Unterschrift unter die Ver­träge gesetzt hat, weil es ihm besser in die Rechnung gepaßt hätte, wenn sich Frankreich von Deutschland weiter be­droht gefühlt und auf diese Weise auf die Ausschau nach guten Freunden gedrängt worden wäre. Er verspottet den

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