Nr. 26.
Amts* und Anzeigeblatt für den Oberarntsbezirk <Lalw.
89. Jahrgang.
Lrscheinung-weise: 6 mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberami-- bezirk Lalw für die einspaltige VorgiSzetle 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg., s Reklamen 2ö Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittag-. Telefon 9. j
Msntag, de« 2. Februar 1914.
er ezug-prer-. An oer Staüt mir Tragerloyn Mk. i.2b otertet)ührUch. Post« Bezugspreis für den Ort-- und NachbarortSverkebr Ml. 1.20, im Fernverkehr Mk 1.30. Bestellgeld in Württemberg KO Pfg.. m Bayern und Reich 42 Pfg.
Amtlich» Sskai-tmachrcng»«.
Sekanntmachung.
Am 12. Februar 1914, vormittags 9 Uhr, findet im Dienstgebäude des Bezirkskommandos Calw die ärztliche Untersuchung derjenigen Volksschullehrer und Kandidaten des Volksschulamts, welche sich im militärpflichtigen Alter befinden und am 1. April 1914 zur Ableistung ihrer einjährigen Dienstzeit eintreten wollen, statt.
. Noch nicht militärpflichtige, taugliche Volksschullehrer usw. dürfen sich zum Diensteintritt freiwillig bereit erklären. Der Ausstellung eines Meldescheins bedarf es in diesem Falle nicht.
Ein Recht auf dieWahl des Truppenteils haben die einzestellenden Lehrer usw. nicht; doch wird etwaigen Wünschen möglichst Rechnung getragen werden.
Die schriftlichen Gesuche um Untersuchung und Einstellung sind bis spätestens K. Februar 1914 an das Bezirkskommando einzureichen.
Dieselben haben zu enthalten: sämtliche Vornamen —Rufname unterstrichen —, Geburtsdatum und Ort, Familiennamen und Vornamen der Eltern, ob solche noch leben oder nicht, Gewerbe oder Stand des Vaters und Wohnsitz der Eltern; Religion. Ferner ist das Prüfungszeugnis und evtl, der Losungsschein beizufügen.
Calw, den 10. Januar 1914.
Königliches Bezirkskommando.
Der Gewerkschaftsstreit.
I.
Der durch den Brief des Kardinals Kopp an den Herausgeber der Zeitschrift „Klarheit und Wahrheit", den Grafen Oppersdorf, wieder neu entfachte Streit um die christlichen Gewerkschaften geht in seinen Anfängen auf die Osterdienstagskonferenz — vor bald 5 Jahren — zurück. Damals erfuhr die Welt „offiziell", welch tiefer Riß durch den politischen Katholizismus geht, und wie auf der einen Seite die „Berliner" Richtung die grundsätzliche Gegnerin jeder Arbeitsgemeinschaft zwischen Katholiken und Protestanten ist, selbst auf sozialem Gebiet, im Rahmen der christlichen Gewerkschaften, und wie andererseits die „Kölner" Richtung im Kampf um die Berechtigung einer mehr vermittelnden Haltung im politischen und sozialen Leben sich durchzusetzen bemüht.
Die christlichen Gewerkschaften sind schon von dieser und jener Seite angeschwärzt worden, sie seien Trabanten des Zentrums und Nachläufer Roms. Darum muhte ihnen die Encyklika des Papstes, (E. heißt Rundschreiben an die Bischöfe) in welcher Pius X die wirtschaftlichen Organisationen der Arbeiter behandelt, willkommen sein. Aus dieser Encyklika nun lesen die Berliner Gewerkschaften, scgenannte Fachabteiler, eine Bevorzugung vor den christlichen Gewerkschaften durch den Papst heraus, eine Auffassung, die sie natürlicherweise durch ihre Presse ausgiebig ausposaunen ließen. Tatsächlich läßt der Wortlaut der Encyklika auch die Deutung zu, daß der Papst den Kirchenfürsten in Deutschland die Förderung der rein katholischen Fachabteiler — Organisationen empfiehlt, dagegen nur die Duldung der christlichen Gewerkschaften insoweit, als deren Mitglieder in Ermanglung einer Berliner Organisation wenigstens die Vorteile wirtschaftlichen Zusammenschlusses genießen können. Die christlichen Gewerkschaften wurden durch diese unklare Haltung der Encyklika, durch die fortgesetzte Berufung der Berliner auf die Gunst dieses päpstlichen Rundschreibens in ihrem Ansehen schwer erschüttert. Denn den katholischen Mitgliedern war auf diese Weise das Verbleiben in den christlichen Gewerkschaften ganz bedeutend erschwert, für die Dauer sogar unmöglich gemacht und deshalb mußte es sich für die Bischöfe darum handeln, der päpstlichen Encyklika eine Auslegung (Interpretation) zu geben, die den katholischen Mitgliedern der christlichen Gewerkschaften das Anschlußrecht auch an
die christlichen Gewerkschaften zugestand. Diese Auslegung verfaßte Bischof Dr. Schulte in Paderborn und legte sie auf der Fuldaer Vischofskonferenz vor. Mit einer milderen Auslegung der Gewerkschaftsencyklika war, noch vor der Konferenz, auch Kardinal Kopp in Breslau einverstanden, ja, zwei Briefe an den Zen- trumsführer Dr. Porsch und Dr. Schulte ermächtigten diese, die mildere Auslegung der Enyklika als die Auffassung sämtlicher Bischöfe (des Episkopats) den christlichen Gewerkschaftsführern Mitteilen zu dürfen. Kardinal Kopp war der Urheber des Gedankens, die mildere Auslegung einer Reihe von Sätzen der Encyklika als die Auffassung des Eesamtepiskopats gelten zu lasten. Dementsprechend erklärte Generalsekretär Stegerwald auf der außerordentlichen Tagung der christlichen Gewerkschaften am 26. November 1912, daß er von Kardinal Kopp und Bischof Dr. Schulte „autorisiert" sei, diese mildere Auslegung als die Auftastung der Fuldaer Bischofskonferenz wiederzugeben. Kardinal Kopp hat am 24. November 1912 die „mildere" Interpretation den Bischöfen der Fuldaer Konferenz zugchen lasten und dazu geschrieben: „Da die christlichen Gewerkschaften für den auf den 26. d. M. einberufenen Kongreß zur Abwehr dieser Erläuterungen zu bedürfen glaubten, war eine Befragung der hochwürdigsten Mitglieder der Fuldaer Konferenz nicht mehr möglich; es dürfte jedoch auf deren Zustimmung und nachträgliche Ermächtigung gerechnet werden können."
Und nun platzt mit einemmal der Brief Kardinal Kopps, in dem er selbst auffallenderweise von der durch ihn mitangeregten milderen Interpretation gänzlich abrückt, mitten unter die Eewerkschaftsleute beider Richtungen.
Sta-t, Bezirk Nachbarschaft.
Talw, den 2. Februar 1914 Eeorgenäumsvortrag.
Bei einer verhältnismäßig guten Beteiligung konnte am Samstag abend Präzeptor Ströhle aus Stuttgart über die „Die neue Zeit" reden. Der Vortrag war eine geschichtliche Zusammenfassung über die Entwicklung der Kultur des Mittelalters. Dabei lernten die Zuhörer in dem Redner einen gründlichen Kenner seines Stoffes und man konnte ihm, da er diesen lebensvoll und fließend gestaltet vortrug, mit innerlicher Freude folgen. Wie plastisch gelang ihm z. B. die Schilderung des bürgerlichen, wirtschaftlichen und religiösen Lebens des ausgehenden Mittelalters in Deutschland! Auf dem Hintergründe des materiellen deutschen Lebens des 15. Jahrhunderts baute sich das geistige Leben auf, erwuchs der Humanismus. Er fand ebensowenig wie die Buchdruckerkunst, in Deutschland aber lange Zeit nicht die verdiente Berücksichtigung. Man konnte in Deutschland nicht, wie in Italien an geschichtlich Vorhandenes anknüpfen, eine nationale Kultur fehlte. Da hatten die hereinströmenden fremden Kulturen leichten Einfluß. Die Folge war an den Universitäten das phrasenhafte Humanistentum, das die deutsche Scholastik verdrängte; es kamen Reuchlin, Me- lanchthon; letzterer aufgeklärter religiöser Humanist. Er hat dem deutschen Protestantismus die Bildungsgrundlage gegeben. Die literarische und künstlerische Kultur hatte als Träger den Klerus, das Bürgertum lebte ihr abgewendet. Die Fruchtbarkeit der Literatur des 15. Jahrhunderts ist groß, die Qualität dagegen gering. In der Kunst kam der gotische Stil auf, der Stil des Privathauses entwickelte sich und das Kunsthandwerk kam in Schwung. Ulms, Blaubeurens, Nürnbergs Schule zog an dem geistigen Auge vorüber. In diese Entwicklung hinein kam die italienische Renaissance, die deutsche Stadt des 16. Jahrhunderts ist schon Renaistancestadt. Zn der Religion war einerseits die Gesunkenheit des Klerus typisch, andrerseits das Bestreben auf Verinnerlichung des religiösen Lebens und ohne eine gründliche Reform konnten die Geister nicht mehr auskommen. Mit Luther kam dann die neue Zeit.
Wie man sieht, war der Vortrag eine Entwicklung der Kulturzustände des Mittelalters, nicht eine solche derer der Neuzeit, wie das Thema vermuten ließ. Zu loben ist, daß er genau zur festgesetzten Stunde begann und bei Zeit endete; wir empfehlen diese Pünktlichkeit für sonstige Veranstaltungen in unserer Stadt nachdrücklich.
Oeffentliche sozialdemokratische Versammlung.
Die Sozialdemokratie des hiesigen Bezirks versammelte gestern in der früheren Brauerei Dreist ihre Anhänger und Freunde zur Entgegennahme eines Vortrags des durch seine Kandidatur für den Reichstag im Bezirk bekannten Eewerkschaftsbeamten Otto Stein - mayer aus Stutgart. Seinen Stoff entnahm sich der Vortragende aus den jüngsten wichtigen politischen Ereignissen und er hatte aus ihnen die Frage formuliert: „Ist Deutschland ein Rechtsstaat oder ein Militär st aat? Nach Begrüßung und Einleitung durch Herrn Robert Störr beantwortete er diese etwa folgendermaßen:
1913 werde im Volksempfinden nicht das auslösen, was 1813. Drei politische Ereignisse geben dem Jahr 1913 sein besonderes Gepräge. Zunächst die Jubelfeier von 1813, d. h. die Form, unter der die Jahrhundertfeiern vor sich gingen, dann die Steuer- und Militärforderungen, die vom deutschen Parlament von 1913 angenommen worden sind, und endlich ganz besonders die Vorgänge in Zabern. Aus diesen drei politisch bemerkenswertesten Dingen von 1913 schloß der Redner, daß ein grosserer Gegensatz zwischen1813 und heute nicht denkbar sei. Das erste, was er sich vornahm, war Zabern. Aus den Begebenheiten dort leitete Herr Steinmayer das Bestehen eines Militärstaates in Deutschland ab. der durch das Urteil des Straßburger Kriegsgerichts sanktioniert worden sei. Seine Belege für diese Auffassung beizubringen unternahm Steinmayer, indem er die rechtliche Seite der Zaberner Geschichten und des Straßburger Urteils ausführlich und oft witzig, sarkastisch, nocheinmal aufrollte. Diesen militärstaatlichen Zuständen stellte der Vortragende dann gegenüber. daß der preußische Militärstaat anno 1813 angeblich gefallen sei, um dem Rechtsstaat Platz zu machen, durch die Art aber, wie das Straßburger Urteil von der reaktionären Presse glossiert werde, das als Recht ausgegeben werde, was vor 100 Jahren schon nicht mehr Recht gewesen sei. Es wäre bester gewesen, für des deutschen Volkes freiheitlichere Entwicklung, wenn Napoleon damals das Preußen der ostelbischen Junker vernichtet hätte, denn diese Gesellschaft habe es kurze Zeit nach ihrer Niederlage bei Jena doch wieder verstanden, die Macht an sich zu reißen. Und da komme einem wohl wieder in Erinnerung, daß die Jahrhundertfeiern des Bürgertums von der falschen Voraussetzung ausgingen: „Der König rief, und alle, alle kamen!" Aber die Geschichte hat gelehrt, daß es hätte richtiger heißen wüsten: „Alle, alle riefen, und endlich kam der König." Warum beruft man sich an den betreffenden Stellen nicht auch auf die Kabinettserlaste eines Königs Friedrichs III, auf die Ermahnungen eines Scharnhorst, in denen die Militärs mit Todesstrafe belegt werden, die das Bürgertum in verletzender Weise herausfordern, und von den jüngeren Offizieren die strikte Achtung vor dem Bürgerkleid verlangt wird? Für unser „aufgeklärtes" Deutschland, für den natürlich empfindenden Menschen bedeutet das nichts mehr als eine Fastnachtsposte, daß jetzt nach der Gültigkeit einer Kabinettsordre, die 1820 ein Fürst in irgend einer Laune erlasten hat, geforscht wird. Der Geist, der aus dem Straßburger Urteil spricht, ist typisch für die militärische Auftastung des Unterschieds zwischen Zivil und Militär in Deutschland. Aber an diesen Zuständen ist nicht unsre Junkerkaste, sondern das Bürgertum, schuld. Und dem gehört es nicht anders. Denn die Konservativen wissen, was sie wollen, und sie verstehen, es, dur^usetzen; vgl. Kanalvorlage und Zollpolitik. Hätten die Liberalen beider Schattierungen nur den