Amtsblatt für den Gb-raintsbezirk Nagold und Altenstsig-Stadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagold, Lalw u jreudenstadt
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Nr. 227 j Attentteig, Mittwoch de« 29. September j 1926
Gernlershkiill M PMemmde
Am es gleich vorweg zu nehmen, wir wollen keineswegs behaupten, -aß die neue Aera Poincare in Frankreich oder gar die Rede des französischen Ministerpräsidenten in einem direkten Zusammenhang mit den grauenvollen Morden in Hermersheim steht. Wer wollte aber leugnen, daß mittelbar eine Verbindung besteht zwischen den Delikten des französischen Soldaten in Germersheim und den politischen Entgleisungen und Lügen des französischen Ministerpräsidenten? Für den aufmerksamen Beobachter und den Kenner der Verhältnisse im besetzten Gebiet kommt die Nachricht von dem furchtbaren Verbrechen zwar auch noch einigermaßen überraschend, aber sie trifft ihn nicht unvorbereitet. Zn gut «nierrrichteten Kreisen hat man seit Wochen bereits die Feststellung gemacht, daß mit der Wiederkehr Poincares die Verhältnisse im Rheinland besonders aber in der Rheinpfalz von Tag zu Tag wieder schlechter wurden. Die Erklärung dafür liegt auf der Hand. Man mußte damit rechnen, daß die Berufung Poincares in den Soldaten der französischen Rheinarmee die Erinnerug an jene Zeiten wieder wachrufen würde, die unter stiller Duldung höchster amtlicher französischer Stellen oder sogar auf deren Befehl mit den Exzessen einer an sich schon zu Ausschreitungen neigenden Soldateska gegenüber wehrloser deutscher Zivilbevölkerung für immer ihr Merkmal erhalten haben. Seitdem Poincare den Sessel des französischen Ministerpräsidenten von neuem ziert, fühlten sich die französischen Offiziere und auch ihre Soldaten wieder mehr und mehr als die ausgesprochenen Herren, die tun und lassen können, was jeweils in ihrem Belieben steht. So erklärt sich für uns die Blurtat von Germersheim als die unmittelbare Auswirkung des Kurses Poincare, der, wie die Sonntags- und Montagsrede zeigen, im alten Wahn befangen geblieben ist und es darauf anlegt, die Verständigungspolitik von Thoiry zum mindesten p» erschweren und zu gefährden. Der Erfolg wird ihm ja nicht beschieden sein. Dafür ist die Entwicklung schon viel in weit vorwärts geschritten und zwar über den Kopf des ehemaligen Führers des nationalen Blocks hinweg. Gerade weil es aber zur Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich kommen muß und auch kommen wird, find die Opfer von Eermersheim, ganz gleich unter welchen Voraussetzungen es zu den Schüssen der französischen Offiziere kam, auf das Tiefste zu bedauern. Vielleicht steht Herr Briand jetzt noch mehr ein, wie notwendig die Zurückziehung der französischen Truppen auch aus der zweiten und dritten rheinischen Zone ist. Für diesen Fall wäre das Blut dieser Deutschen nicht vergeblich geflossen.
Poincare hat keinen versöhnlichen Ton gefunden, und es ist aus seinen Reden nur herauszulesen, daß es auf dem Wege der Verständigung, der in Thoiry angebahnt wurde, »och viele Hindernisse geben wird. Der Mensch kann nicht aus seiner Haut fahren. Poincare zweimal nicht. Er ist der Hauptschuldige am Kriege und deshalb sucht er persönlich sich zu verteidigen, indem er Deutschland als den Kriegsschuldigen bezeichnet. Zwar nicht das deutsche Volk von heute, sondern das „kaiserliche Deutschland". Diesen Unterschied müssen wir ablehnen. Das kaiserliche Deutschland hat den Krieg nicht gewollt. Nach Lloyd Georges Zeugnis sind die Regierungen, Staatsmänner und Völker Europas in den Krieg hineingetorkelt. Wenn man aber in Paris so an den Ketten von Versailles hängen bleibt, dann wird der putsch-französische Ausgleich nicht das werden, was die
Völker erhoffen: die dauernde Verständigung.
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Der Zustand der Opfer von Germersheim
kermersheim, 28. Sept. Der bei dem Zwischenfall verletzte Schuhmacher Holzmann konnte gestern aus dem Kran- lenhaus nach seiner Wohnung übergeführt werden. Der schwerverletzte, Fuhrmann Mathes, liegt immer noch schwer bedenklich darnieder. Der Arzt hofft, den Schwer- Prletzten am Leben zu erhalten. Heute vormittag fand die Lektion der Leiche des getöteten Arbeiters Müller statt, die von französischen Aerzten vorgenommen wurde.
Die Bluttat in Germersheim in französischer Darstellung
Paris, 28. Sept. Havas gibt in einem Telegramm aus Mainz über die blutigen Vorfälle in Eermersheim folgende Schilderung: Nach den in Mainz eingegangenen Erkundigungen über den zwischen einem französischen Offizier und Mehreren Deutschen in Eermersheim entstandenen Streit ergibt sich, daß im Laufe des Sonntags französische Soldaten mehrfach von diesen Deutschen provoziert wurden. Am September gegen 1 Uhr früh hätten 6 Deutsche einen Wzier am Stadttor angegriffen. Der bedrohte und ge-
§ schlagene Offizier habe in der Notwehr einen seiner Angrei- . fer verwundet, nachdem er vorher einen Schreckschuß abge-
- geben habe. Auf dem Heimwege sei er erneut angegriffen worden und habe sich ein zweites Mal verteidigen müssen, wobei ein Deutscher getötet und ein anderer verwundet wurde. Vom französischen Militärgericht sei eine Untersuchung eingeleitet worden.
- Anmerkung des WTB.: Daß die französische Telegraphenagentur in ihrer Darstellung des Vorfalls versuchen würde, den Deutschen die Schuld zuzuschieben, kann nicht überraschen. Die im Gang befindliche Untersuchung, an der deutsche Stellen beteiligt sind, wird Klarheit über den tatsächlichen Sachverhalt bringen.
! Berlin, 28. Sept. Der „Vossischen Zeitung" zufolge soll ? von deutschnationaler und von kommunistischer Seite die Ansicht bestehen, in der am 7. Oktober stattfindenden Sitz- ! ung des auswärtigen Ausschusses den Zwischenfall in Eer- ^ mersheim zur Sprache zu bringen.
: Deutscher Einspruch wegen der Germersheimer Vorfälle ' Berlin, 28. Sept. Wie man aus Karlsruhe meldet, hat s der Vertreter des Reichskommissars für die besetzten Ge- ! biete Graf Adelmann heute bei der Interalliierten Rhein- ! landkommission Vorstellungen wegen des Vorfalles in Eer- ' mersheim erhoben.
Wie steht es in Hannover aus?
Keine Stadt in Deutschland beschäftigt zurzeit die Presse im Reiche so wie Hannover. Es gibt ein ganzes Heer von Journalisten und Auch-Journalisten, die nur noch von s Hannover leben, oftmals Leute, die Hannover bis dahin s nie gesehen hatten und nun — meistens des schnöden Mam-
- mons wegen — täglich das tollste Zeug in die Welt hinaus- j jagen, sodaß selbst englische, amerikanische und französische j Zeitungen in letzter Zeit Hannover und den hiesigen Vorkommnissen Viertel- und halbe Seiten widmeten für Mel-
I düngen, die einem Münchhausen Ehre gemacht hätten. Wie ! übertrieben und aufgebauscht diese Meldungen sind, das ! kann man daraus schließen, daß einige Berliner Straßen- s blätter nach den Meldungen über den Förstermord im Dei- s ster, über das Leiferder Eisenbahnattentat und jetzt wieder s über die Typhusepidemie in ein bis zwei Stunden total ? ausverkauft waren, eine Sache, die sonst selten vorkommt, t Auch kleine sonstige Zeitungen leisteten, veranlaßt durch ? sehr oft gewissenlose Uebermittler, in Uebertreibungen und r Unwahrheiten Großes. Das Leben flutet in Hannover r wie bisher. Straßenbahnwagen verkehren und sind be- s setzt wie früher, die Schulen sind nicht geschloffen und alle ^ besucht, ebenso die Theater und Lichtbildtheater, die Kaffee-
- Häuser und Wirtschaften. Gewiß, die Kinos und Theater s sind oft nur schwach besucht, aber daran ist nicht der Typhus ; sondern das blendende Sommerwetter schuld. Eine erhöhte s Ansteckungsgefahr besteht weder in den Kinos, noch in den i Theatern, da der Typhusbazillus nicht durch die Luft ein- ? geatmet wird, sondern durch Uebertragung durch den i Mund, also beim essen, oder durch unsaubere Hände bei ! der Benutzung von Klosetts und dergl.
; Zm Tiergarten waren am Sonntag ca. 7000 Menschen zusammen bei Kaffee und Kuchen, im Stadthallengartsn war ebenfalls ein riesiger Verkehr; alle Waldwirtschaften ^ hatten starken Besuch, also Menschenansammlungen im
- stärksten Maße, dazu eine tatsächlich vorhandene merkliche s Abnahme der Erkrankungen. Es liegt wirklich kein Grund : vor, unsere Stadt zu meiden. Irgendwelche Verkehrs-
- schwierigkeiten existieren nicht.
! Der Stand der Typhuserkrankungen!« Hannover i Hannover, 28. Sept. Seit Montag morgen find 40 Perkonen aus den Krankenhäusern als gesund entlasten worden, 33 Erkrankte wurden neu ausgenommen, während drei Personen gestorben sind. Die Gesamtzahl der Erkrankten . und Typhusverdächtigen betrug am Dienstag vormittag i 1732 gegen 1742 am Montag morgen, die der Gestorbenen s 13K gegen 133 am Montag vormittag, i Die Ursachen der Typhusepidemie in Hannover
Berlin» 29. Sept. Wie das Presseamt der Stadt Han- ^ nover mitteilt, hat die Stadtverwaltung SO Brunnen in den verschiedenen Stadtgegenden durch das chemische Untersuchungsamt untersuchen lassen. Die Untersuchung hat ergeben, daß das Wasser von 13 Brunnen zur Benutzung als Trinkwaffer nicht geeignet ist und 21 weitere Brunnen als verdächtig angesprochen werden mußten.
Neues vom Tage
Hindenburgs 79. Geburtstag
Berlin, 28. Sept. Der Reichspräsident hat, der „B. Z." zufolge, gestern Berlin verlassen, um einige Tage auf dem Lande zu verbringen und seinen 79. Geburtstag am 2. Okt. in aller Stille zu feiern.
Reichsminister Dr. Stresemann nach Köln abgereist Berlin, 28. Sept. Reichsminister Dr. Stresemann hat sich gestern abend zur Teilnahme an dem Parteitag der Deutschen Volkspartei in Köln, der eine interne Veranstaltung der Partei in Rüdesheim vorangeht, nach dem Rheinland begeben und wird von dort nächsten Montag zurückerwartet.
Streikbeschluß der Hamburger Hafenarbeiter Berlin, 28. Sept. Das „Berliner Tageblatt" meldet aus Hamburg, daß vom Reichsarbeitsministerium ein letzter Versuch gemacht werden soll, den Ausbruch des von der Hafenarbeiterschaft gestern beschlossenen Streik zu verhindern. Sollte diese Vermittlung versagen, so ist am 1. Oktober mit dem Beginn des Streiks zu rechnen, an dem etwH 10 000 Arbeiter beteiligt sein dürften.
Vom Ausschuß für die Abrüstungskonferenz Genf, 28. Sept. Der vorbereitende Ausschuß für die Abrüstungskonferenz, in dem Deutschland durch den Grafen Bernstorff vertreten ist, hat sein« kurze Zwischentagung abgeschlossen. Auf Vorschlag des Redaktionskomitees beschloß er die Wiederaufnahme des von Eibson in der vorigen Woche gestellten Antrags, der den Wunsch ausdrückt, daß die Arbeiten des Unterausschusses in kürzester Frist abgeschlossen werden und das Ergebnis der Arbeiten in einem Schlutz- bericht niedergelegt wird. Paul Boncour erklärte, wenn die Abrüstungskonferenz nicht zu einem allgemeinen Abkommen gelangen sollte, dann müßte Frankreich den Abschluß von regionalen Abrüstungsverträgen vorziehen. Frankreich erwarte aber, daß man zu einer allgemeinen Abrüstung kommen werde.
„World" über die Schuldfrage und Locarnopolitik Newyork, 29. Sept. Zn einem Artikel über die Frage der Schuld am Kriege sagt „World", nichts könne für Europa verhängnisvoller sein, als eine solche Auseinandersetzung gerade in dem Augenblick, wo es endlich beginnt, sich von dem Krieg abzuwenden und nach dem Frieden zu streben. Liegt es doch im Wesen solcher Unternehmen, wie die Verträge von Locarno oder des neuen in Thoiry besprochenen wirtschaftlichen Programms, daß sie nicht rückwärts sondern vorwärts schauen, daß sie weder Schuld noch Unschuld wägen, weder Sieger noch Besiegte kennen, sondern daß sie einfach und so klug wie Menschen tun können, für die Ueberlebenden der europäischen Katastrophe zu sorgen.
Lord Parmoor über Deutschlands Eintritt in den Völkerbund
London, 28. Sept. Lord Parmoor hielt eine Rede unerklärte u. a.: Der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund als vollberechtigtes ständiges Ratsmitglied ist ohne Zweifel ein großer Fortschritt für die Festigung des Völkerbundes. Deutschland nahm den Platz ein, der ihm als einem der Pioniere auf kulturellem und industriellem Gebiet zukommt. Es scheint, daß der Locarnogeist die Versöhnung im deutschen und im französischen Volk, dessen Fehlen so lange ein Hindernis für die friedliche europäische Zusammenarbeit war, stärkte.
'"" Das Budgetgesetz im polnischen Senat abgelehnt Warschau» 28. Sept. Die Oppositionsparteien haben heute das Budgetgesetz für das vierte Quartal im Senat zu Fall gebracht, indem sie den Eesamtetat von 484 Millionen auf 450 Millionen herabsetzten. Dieser gegen die Regierung gerichtete Antrag wurde im Senat mit 40 gegen 37 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen angenommen. Ein Antrag der Nationaldemokraten, das Budget überhaupt zu verweigern, wurde vorher mit 44 gegen 36 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen abgelehnt. Alle Abstimmungen waren namentlich. Die Folge der Abstimmung ist, daß die Vorlage noch einmal an den Sejm zurllckgeht, was von der Senatsopposition offenbar beabsichtigt war, um auf diese Weise noch eine Sejmsitzung herbeizuführen und so den Sejm zu zwingen, zu der Wiederernennung der Regierung Bartel in völlig unveränderter Zusammensetzung nach dem Mißtrauensvotum gegen den Innen- und llnterrichtsmini- ster Stellung zu nehmen.