Sonntagsausgabe der Schwarzwälder Tageszeitung „Aus den Tannen"
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Nr. 37
Anzeigenpreis: Me einspaltige
2V Pfg., die ReHamezeile 50
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Sonntagsgedanken.
Für die Wahrheit!
Mr wissen nicht, wie kommende Geschlechter über unsere M urteilen werden. Es sind viele Schatten da, es ist ' «bei auch Licht da, und wir sind nicht imstande, im Urteil ! über die Gegenwart in voller Gerechtigkeit eins gegen das ^ andere abzuwägen. Aber da ist doch ein sehr dunkler Punkt, i ein tiefer, tiefer Schatten, der uns fürchten läßt, daß unsere ^ Zeit nicht bloß einmal vor dem Urteil der Geschichte, son- - dein jetzt schon vor dem Urteil Gottes schlecht besteht. Lin Mann, der das öffentliche Leben mit scharfem Blick beobachtet, hat es kürzlich jo ausgedrückt: „Eine unbeschreibliche Verlogenheit beherrscht die Szene." Es läßt sich kaum leugnen, daß der allgemeine Wahrheitsfinn auf ein Mindestmaß gesunken ist. Wenn er recht hätte, wäre das nicht furchtbar?
Aber hat er denn nicht recht? Ist nicht das Wort immer mehr — im politischen Leben wie im Geschäftsleben, im Kampf der Parteien wie im Kampf der Konkurrenten — zu einem Mittel geworden, das gewissen Absichten und erstrebten Vorteilen dienen soll, aber nicht der Wahrheit? Eilt mcht der jetzt vielfach als ein Meister des Worts, der Verhüllung und Vortäuschung am besten beherrscht? Und doch sind nach Gottes Ordnung Wahrheit und Wort miteinander verbunden durch die innigsten Bande. Man könnte sagen: Das War* ist das Kind der Wahrheit. Wenn die beiden ktdernMürlich auseinandergerissen, einander entfremd»t mid verfeinde werden, so wanken die Grundlagen des menschlichen Daseins. Was können wir tun? Was kannst du tun, der einfache Staatsbürger und Zeitungsleser? Schreibe über all deine Reden als unverbrüchliche Losung, was über dem Tor einer deutschen Hochschule steht: „Für die Wahrheit!" Auch der Ungelehrte und Unpolitische, der nicht für die Allgemeinheit redet und schreibt, muß mitbauen an der
Wirderaufrichtung der zerfallenen Festung Wahrheit. P.St.
*
Bildung
Vor jedem steht ein Bild, des, das er werden soll; —
Solang er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll.
Rückert.
*
A!ii all« brauchen Menschen, an denen wir wachsen, inneroch und äußerlich. L. v. Winterfeld-Platen.
»
Suche beständig in großen Gedanken zu leben und das peinliche zu verachten: das führt, im allgemeinen gesprochen, am leichtesten über die vielen Beschwerden und Küm- Ernisse des Lebens hinweg.
1 ^ größte und zugleich allgemein faßlichste Gedanke ist Mt der Glaube an Gott in der Form des Christentums.
Hilty (1. Januar).
Herr Paul
Von Jörgen Falk-Rönne")
Was hier erzählt wird, geschah in Kvalbö auf den Färöern im Jahre 1629 an einem herrlichen Augustmorgen.
Glühend steht die Sonn,e gerade über der Fjordmün- öung, leicht verschleiert von feinen weißen Seenebeln, die aussehen, wie ein golddurchwebter Brautschleier aus Indien.
Ueber den Bergen gen Osten liegen noch schwarze ; Schatten, aber gegen Süden und Westen stehen die alten ! Serklüfteten Riesen mit ihren sonderbar geformten Eip- k sein und halb verwitterten Zinnen bis der obersten Berg- ! pitze in Gold und Purpur gekleidet da. Und,an den Berg- ! seiten längs der breiten Bucht dehnt sich das Land sma- i lagdgrün, taufrisch, so schimmernd, saftig mit Hunderten ^ von neugesetzten Heuschobern. ^
*) Mit Erlaubnis des Verlags I. F. Steinkopf in Stuttgart ! entnommen aus Jörgen Falk-Rönne „Ein fernes Völklein. Alte i und neue Geschichten von den Färöern." Berechtigte Uebersetzung ! «us dem Dänischen von Gertrud Bauer. Preis 4 Mark. Von ! scheiden Verfasser erschien soeben: Die Frau Konsul. Preis s Mark. Eine sehr frische, lebendige Erzählung. j
Vollständig still liegt der Fjord da und fängt in seinem schwarzen Spiegel mit dem Hellen Rahmen die ganze Herrlichkeit ein bis hin zur Kirche mit ihrem weißgemalten Turm und zu den niederen, rasenbedeckten Hütten, von deren Dächern der Rauch senkrecht in die Höhe steigt.
Auf dem weißen Strande, wo kleine Wellen sachte über den Sand laufen, stehen große Seemöven ganz still, ohne sich zu rühren, und im Wasser liegen Scharen von Eidervögeln; nirgends ein Laut, nirgends eine Bewegung; alle diese Köpfe wenden sich in stummer Andacht dem strahlenden Licht entgegen.
Von dem alten Pfarrhaus an der Südseite der Bucht kommt der Pfarrer, Herr Paul Rasmussen hergegangen mit seinem Söhnlein an der Hand.
Jeden Morgen gehen diese beiden, der große dunkle Mann und der kleine Junge mit den goldenen Locken und den blauen Augen denselben Gang: vom Pfarrhaus längs dem Fjord zur Kirche hinüber, in deren Chor Herr Paul vor einem Jahre seine Frau begraben hat. An ihrem Grabe halten die beiden jeden Tag ihre Morgenandacht.
Wie ein Lämmchen hüpft der Junge in dem taunassen Gras umher; hundert Dinge hat er zu fragen, auf hundert Dinge hat er aufmerksam zu machen.
Drunten bei der Kirche pflückt er große gelbe Kuhblumen für das Grab seiner Mutter, so viel seine Händchen zu halten vermögen; und der Pfarrer schaut ihn an, wie nur der sein Kind ansieht, der nur diesen einen Schatz auf Erden hat.
Da ertönt plötzlich ein gellender Schrei über den Fjord hin, von dem die Berge rundum widerhallen. Die Möven breiten die weißen Flügel aus, und die Eidervögel drehen neugierig den Kopf — wieder ein Schrei, schneidend, durchdringend, angstvoll.
An der Landspitze werden drei schwarze Schiffe sichtbar.
Alle wissen, was das zu bedeuten hat: Flucht von Heim und Haus, Bedrängnis und Angst, Hungersnot im kommenden Winter.
Es war zum zweitenmal in diesem Jahr, daß Seeräuber das wehrlose Dorf plünderten — schwarze Seeräuber, denen nichts heilig war, ungläubige Türken, jedenfalls glaubte man das.
Die Leute hatten ihre Schlupflöcher, sichere Zufluchtsstätten in den Bergen, und dorthin eilte alles. Der Kessel mußte ungewartet über dem Feuer hängen bleiben, kleine Kinder wurden aus den Betten gerissen, alte Leute wurden auf die Rücken der Pferde geschnallt — überall Eile, Weinen und Verwirrung.
In die Berge flüchtete auch der Pfarrer mit seinem Söhnlein vor sich auf dem Pferd. Die beiden kamen ein Stückchen hinter den andern, und das Pferd vermochte auf dem steilen Felspfad nur langsam zu klettern. Herr Paul hatte gehofft, die Verfolger würden droben im Pfarrhaus bleiben, jetzt sah er mit Schrecken, daß eine Schar davon ihm in die Berge nachsetzte.
Das Pferd konnte nicht weiter; er stieg ab und faßte den Jungen an der Hand. Die Verfolger kamen ihm jeden Augenblick näher, und es war schon deutlich zu hören, wie hinter ihnen Steine und Geröll den Berg hinunterpolterten. Schweißtriefend und atemlos hasteten Vater und Sohn den Berg hinauf. Herr Paul warf seinen Rock ab und eilte weiter zwischen die großen Felsblöcke hinein, die hier auf der Hochfläche zerstreut lagen, denn er sah wohl ein, daß er den rettenden Pfad nicht mehr erreichen könne, ohne ihn den Feinden zu verraten.
„Kriech da hinein, mein Augapfel, hier ist Platz für dich, und halt dich mäuschenstill, bis Vater kommt und dich holt. Gott der Vater halte seine schützende Hand über dir, mein Kind!" — Und Herr Paul küßte die goldenen Locken und lief weiter, bis er nicht weit davon ebenfalls ein Versteck fand. Gleich darauf erschienen auch die dunklen Männer oben und sahen sich nach allen Seiten um. Sie fanden den Priesterrock, und einer von ihnen zog ihn unter dem Gelächter der andern an.
Dem Pfarrer hämmerte das Herz in der Brust, daß er beinahe erstickte — Gott sei Dank, sie kehren um! Sie sehen ihn nicht, er ist gerettet!-
Da streckt sich ein Heller Kinderkopf zwischen den schwarzen Klippen hervor, und ein zartes Stimmlein jubelt: „Vater!" Es war der Priesterrock, der den Kleinen getäuscht hatte.
Entsetzt springt der Pfarrer auf, vor seinen Augen ergreifen wilde Männer seinen lieben Sohn, der ihm die Händchen entgegenstreckt. Schon sind sie im Begriff, auch ihn zu fassen — schon haben sie ihn an den Kleidern gepackt, da reißt er sich los, und sinnlos stürzt er an dis Felskante vor und wagt den wilden Sprung hinunter auf den Vorsprung, wo die andern Flüchtlinge Rettung gesucht hatten.
Jetzt ist es Nacht.
Die drei schwarzen Schiffe sind fort, und in den ausgeplünderten Hütten sitzen die Leute und weinen.
Der Mond ist hervorgekommen hinter den Bergen im Osten, deren gewaltige Häupter auf dem Hellen Hintergrund aussehen wie große, gewaltige Trolle. Es hat angefangen zu winden, und eine Wolke nach der anderen zieht vor dem Mond hin, und die Wolkenschatten jagen einander droben auf dem weiten Oedland, wo jeder Stein und jeder Felsblock in dem wechselnden Mondlicht lebendig zu werden scheint, wo sich das Grausen aus den finstern Schründen und Tälern hervorschleicht, wo Riesen und Trolle ihre langen Arme nach den Wohnungen der Menschen ausstrecken; und unten am Meer fängt die Brandung an zu donnern und die Täler mit ihrem schwermütigen dumpfen Dröhnen zu erfüllen.
Drunten am Strand steht Herr Paul groß und finster, und die Haare flattern ihm um den bloßen Kopf.
Wie sonderbar ist, was er tut!
Bald preßt er die gefalteten Hände an seine Brust und schaut nach oben, bald faßt er sich am Kopf und ballt die Fäuste gegen das Meer hinaus, bald geht er rastlos auf und ab wie einer, der in großer Bedrängnis ist.
Drei Muschelschalen liest er zusammen; lange steht er da mit diesen in der Hand und schaut sie an, dann wirft er sie weg und zertritt sie! aber bald darauf sucht er sich drei andere.
Nun kniet er in den Sand nieder und fängt an zu murmelt Sein Angesicht ist blaß, und seine Eesichtszüge verzerren sich, es ist, als ob jedes Wort, das er spricht, ihn selbst durchbohre. Mit bebender Hand setzt er die Muschelschalen ins Wasser und seine Lippen murmeln weiter. Und die kleinen Schalen schwanken auf und ab, immer weiter hinaus in dem Streifen Mondlicht, der auf dem Wasser liegt-dann füllt sich die eine und versinkt.
Und der Pfarrer bricht zusammen, und stöhnend ringen sich die Worte aus seiner Brust: „Mein Gott, was habe ich getan!"
Und der Wind wird zum Sturm; heulend und sausend kommen die Windstöße daher, und die Kanonade der Brandung ist so stark, daß die Insel erzittert.
Das alte Pfarrhaus knarrt in allen Fugen, der Laden vor dem einzigen kleinen Fenster der Stube klappert und rüttelt in seinen Angeln, und der Sturm fängt sich dröhnend in dem offenen Schornstein.
Die armselige Stube mit dem Tisch, dem Bett und Len drei Strohstühlen wird von einem flackernden Talglicht erhellt, das der Zugwind jeden Augenblick auszulöschen droht. Am Feuer sitzen zwei alte Frauen und ein Knecht, der eine Hornlaterne auf dem Schoß hält. Sie flüstern leise, und von Zeit zu Zeit geht eine von den Frauen hin und taucht ein Tuch ins Wasser, um dem Pfarrer damit die Stirn zu kühlen.
Vollständig angekleidet liegt er auf dem großen Bett, dessen Vorhänge zurückgezogen sind, totenblaß mit geschlossenen Augen und zusammengekniffenen Lippen.
Mit einem Male richtet er sich auf.
Seine Augen starren ins Weite mit einem Blick, als wollten sie brechen.