Seite 2
sein Mittagsmahl gemundet, das der erbsüchtige Neffe und seine Frau spendiert hätten.
„Sehen Sie, Doktorchen!" sagte er, mit dem Glase in der Hand und einem höhnischen boshaften Blinzeln seiner un- päten Augen, „den Wein da haben sie auch mitgebracht, das scheinheilige, heuchlerische Pack, das mit Ungeduld aufs Ende wartet! Und ich versichere Sie, dem Vetter sein Wein ist besser als sein Herz!" setzte er lächelnd hinzu, trank sein Glas vollends aus, schmatzte vor Behagen und Schadenfreude.
„Nun, Nachbar, Sie befinden sich ja, wie es scheint, weit besser?" fragte Marcus erstaunt.
„Gewiß — weit besser!" stammelte der Alte angetrunken. „Die Mahlzeit hat mir königlich gemundet und ich habe mir recht gütlich getan. Hahaha! Sie machen meiner Erbschaft mit Gänsen den Hof und mit neuem Wein! . . . Und ich nehme alles an — alles. Ich mag niemanden durch eine abschlägige Antwort wehe tun . . . Und viele solcher Kuchengrüße bringt bringt mir der Anton doch nicht mehr!"
„Wie? Sie halten die Freigebigkeit Ihres Neffen für Berechnung?" fragte Marcus lächelnd.
„Gewiß, es ist eine Wurst, die sie nach der Speckseite werfen; ein Kapitälchen, das sie auf tausendfältigen Gewinn anlegen wollen. O, sie halten mich für ihren Gimpel, weil ich von ihrem Wein trinke und von der Gans esse, die die Base expreß für mich gemästet hat, wie sie sagt. Aber ich kenne sie wohl, die Beiden, und wir wollen sehen, wer zuletzt lacht! Hahaha!"
„Nun, Sie werden doch nicht die Absicht haben, den Leutchen einen Strich durch ihre Hoffnungen zu machen?" rief der Doktor.
„Und warum nicht? ... Ich kann ja doch über das bißchen Hab und Gut, was ich mein nenne, verfügen, wie ich will, — nicht wahr? Und da ich das darf, möchte ich lieber ein armes Mädchen glücklich machen . . ."
„Mamsell Emilie?" fiel ihm Marcus lebhaft ins Wort. „Ei, bester Hartmann, wenn Sie das tun, werden Sie alle wackeren Leute für sich haben und sich reichen Gotteslohn verdienen!"
Der Alte zuckte höhnisch die Achseln. „Bah, was kümmern mich die wackeren Leute und der Gotteslohn?" stammelte er. „Ich habe nun einmal meine Freude daran, dem dicken Bierbrauer und seinem Weibe, die vor lauter Neid geschwollen sind, die Hoffnungen auf mein Erbe zu Wasser zu machen. Der dicke Bursche sitzt ja ohnehin schon in der Wolle und erstickt bald im eigenen Fett vor lauter guten Bissen. Ich will ihn nicht noch dicker machen!" Dieser Einfall belustigte den Alten höchlich und er wollte laut auflachen; allein sein krampfhaftes Lachen ging in einen plötzlichen Stickanfall über, der den Greis in seine Kissen zurück- warf. Der Doktor beeilte sich, ihm alle mögliche Hilfe zu leisten, welche ein solcher Anfall erheischte. Hartmann erholte sich zwar nach einer Weile und begann wieder zu sprechen, aber bald überkam ihn ein neuer, heftigerer und noch beunruhigenderer Anfall als der erste. Die übermäßige Aufregung, der er sich ausgesetzt, hatte gewissermaßen die letzte Spannkraft seines Lebens aufgezehrt und die verhängnisvolle Krise beschleunigt. Doktor Marcus bemerkte mit Schrecken, daß die Erstickungsanfälle in immer kürzeren Pausen aufeinander folgten und sich unvermerkt in den Todeskampf umwandelten. Die Ahnung seines nahen Endes trat dem Kranken auf einmal lebhaft vor die Seele und jagte ihm gewaltigen Schreck ein.
„Ach, bester Doktor, wie ist mir so schwach und so übel zu Mute," stöhnte er mit gebrochener Stimme. „O, wie elend, wie schlecht fühle ich mich . . - Ist denn wirklich mein Ende nahe? . . . Ach, wenn Gefahr bei mir vorhanden ist, so sagen Sie mirs, bitte, doch . . . unumwunden ... bevor ich sterbe, . . . möchte ich Ihnen noch ... ein Geheimnis anvertrauen.
„Dann teilen Sie mir dasselbe schnell mit," gab Marcus ernst zur Antwort.
„O, großer Gott! So ist also keine Hoffnung mehr vorhanden?" jammerte Hartmann verzweifelnd. „Ist es wahr, Hab ich gar keine Aussicht mehr, daß ich wieder genese? . . Muß alles, alles anderen überlasten . . ."
Der Geizhals rang voll Grimm und Verzweiflung die Hände und Marcus versuchte ihn zu beruhigen und erinnerte ihn an Emilie, die gerade ausgegangen war, aber jeden Augenblick nach Hause zurückkehren mußte; er fragte ihn, ob er sein Pate nicht noch sprechen wollte.
„Ja, ich will sie sehen", röchelte Hartmann, der sich wie Sterbende noch an die ihn Ueberlebenden anklammern wollte, als könnte er sich durch sie am Leben erhalten. „Das arme Kind! . . . Der dicke Bierbrauer und sein Weib werden sie berauben wollen; aber ich habe Emilie ihr Teil schon hergerichtet ... sie braucht nur zu suchen!" ... Die Stimme versagte.
„Wo soll sie suchen?" fragte der junge Arzt und beugte sich gespannt über den Sterbenden.
„Ach ... 's ist nur . . . eine Ohnmacht! Ich gebe nicht alle Hoffnung auf," stöhnte Härtmann.
„Wo muß Ihre Pate suchen?" wiederholte der Doktor, der die Augen des Sterbenden schon verglasen sah.
„O . . . öffnen Sie das Fenster! Luft! Luft . . ." röchelte der Alte. „Ich will . . . den Tag sehen! Gehen Sie in den Garten! . . . Drunten — hinter dem Brunnen ... die Säule . . . das Kapitäl!" . . .
Die Stimme erstarb. Der junge Arzt sah die Lippen noch einige Augenblicke sich bewegen, als wollten sie noch Worte bilden, die man nicht mehr hören konnte; ein krampfhaftes Zucken lief über das Gesicht hin, — dann ward alles ruhig, unbeweglich. Der Vetter Hartmann war tot.
Kurz darauf kam Emilie nach Hause. Ihr Schmerz war stumm, als sie den Tod ihres Paten und Wohltäters er-
„Schwarzwalder Sonntagsblatt"
fuhr. War er ja doch der einzige Mensch gewesen, der sich ihrer angenommen hatte, und da sie die menschliche Nächstenliebe und Barmherzigkeit nur durch diesen harten Wohltäter kannte, so hing ihr ganzes Herz, in Ermangelung eines besseren Gegenstandes, mit voller Dankbarkeit an ihm.
Fortsetzung folgt.
Der Zwerenberger „Stab".
Von K. Müller.
Im Partiezimmer des Rathauses zu Zwerenberg hängt ein wunderlich Ding aus alter Zeit: ein kunstvoll geschnitzter Stab, etwa 70 Zentimeter lang, am Ende mit einer zum Schwur erhobenen Hand versehen. Es ist, wie wenn ein geheimnisvoller Schauer von diesem altehrwürdigen Gegenstand ausginge. Erfährt man aber, was die mündliche Ueberlieserung zu berichten weiß, so ist man fast ein wenig enttäuscht. Der Stab sei bei der Rekrutenvereidigung verwendet worden — mehr weiß die heutige Generation nicht mehr zu erzählen. Und doch scheint der Stab in eine viel fernere Vergangenheit zurückzureichen.
Und siehe da, diese Ahnung wurde mir bestätigt, durch alte Bücher, die mir bei der Durchsicht der Rathausakten in die Hände fielen. Darunter befanden sich auch zwei hochinteressante Protokollbücher über Gerichtssitzungen, die in den Jahren 1818—36 auf dem Zwerenberger Rathaus abgehalten worden sind.
Lasten wir einmal diese alten Bücher reden! In einem Protokoll über eine Gerichtsverhandlung vor dem „Gemeinschaftlichen Gericht Zwerenberg und Hornberg" heißt j es u. a.: '
„Ferner kämt Klagend für Zimmermann E, von Oberweiler und bringt für, daß der Jakob H. Wagner von Breitenberg sein Weib geschlagen habe.
Frag (Frage des Schultheißen) warum.
Er wisse es nicht.
Das Weib wird verhört, und gibt an sie habe wollen ^ Kochen u. der Wagner weil er daß Hauß des E. im öffentlich aufstreich gekauft habe u. als Hausbesizer gegenwärtig geweßen seye habe sie nicht wollen Kochen laßen u. habe ihre (statt „ihr") ihre Pfanne wollen vom Feuer Reißen u. sie habe sich um die Pfanne gewert auf diß habe sie der Wagner umgeschlagenstsamt ihrem Kinde welches IV- Jahr alt geweßen.
Die Angabe
8. Kann nicht Schreiben mit Handzeichen.
Der Wagner wird verhört und gibt an
Er seye ihm Sant geweßen u. wie er nach Haußs gekommen vom Feld habe die E., seiner Tochter Kind ganz allein in die Stuben hinein gesperrt gehabt, welches Kind erst 2. Jahre alt geweßen u. erbärmlich geschrien habe, so seye er gleich der Stuben zu gelofen um zu sehen was dem Kinde fehle;
wie er nun gesehen habe, daß diß Kind eingespert gewoben so habe er die Kuchethiere aufgemacht u. zu der E. gesagt, siekönne gehen wo sie wolle, über diß seye die E. auf ihn zugesprungen u. sey ihm ins gesicht Gefahren auch habe sie ihn nicht Schlecht verkrazt u. umgerißen, biß er solche ermächtig habe u. dan über ihn hinunter geschmißen wo sie auf diß Feurio gerufen wo Michel Kern, u. Martin Klink beyde noch ledig, gekommen seyen, auch Jakob Klink, u. dan habe er solche nur noch auf dem Boden gehebt u. auf Jakob Klinken Zuxeden habe er solche gehen laßen.
Die Angabe
8. Jacob H(er).
Die E., u. Jakob H(er) werden gegeneinander gestelt, u. gefragt welches von beyden mit Gutem Eewißen bezeugen könne, welches daß andere Angegrisen habe.
Jacob H(er) gibt an er könne solches mit gutem Gewitzen behaubten, daß die E. ihn zu erst angegrisen habe,
8. Jacob Her.
Die E. gibt an, sie könne solches auch mit Gutem Gewitzen behaubten daß Sie der H(er) zu erst Angegrisen habe.
8. Kann nicht Schreiben.
Die E. gibt noch ferner an er habe sie auf dem Boden an den Haaren gehebt u. den Kopf auf den Boden gestoßen, u. seye ihre auf die Seite geknüet welches ihre heutiges Tags noch Schmerzen Verursache, der Barbierer Conz von Simmersfeld seye über sie gegangen, u. habe ihren Pflaster aufgelegt, auch habe sie Tränker von dem Conz gehabt, welcher ein Conto v. 5 !1. 34 Kr. gekost habe, der Schuldheiß von Hornberg habe den Conto in Empfang, sie Wünschte daß wenigstens die Curkösten möchten an den Wagner ver- wießen werden, sie habe — 14 Tage nicht aus dem Bett gehen können, u. Zimmermann E. Fordert noch Vergüttung — AI. 30 Kr., welche er zum Theil noch als Auslage rechnen dürfe.
Wagner wird nochmahl verhört, u. ernstlich ermahnt ob er an Äwesstab (Schwurstab) Anloben (angeloben) könne daß er die E. nicht zuerst Angegrisen habe, welcher aber angibt er könne solches,
Nach der Ansicht des Eemeinderaths solle H(er) Anloben,
da nun Jacob H(er) der Sache noch einmahl Ernstlich er- inert wurde, u. ihme der Stab gereicht wird zum Anloben, gibt solcher an er Lobe nicht an, nicht um Zimmermanns Ganzes Eüttle.
8. Die Angabe Jacob H(er).
___ Nr. 18
Nach der Ansicht des Eemeinderats hat der Jacob H(erf i von Breitenberg die Curkösten dem Barbier Cunz von f Simmersfeld zu bezahlen mit 3 fl. 34 Kr.
I 2. Die Vergüttung welche Zimmermann E. nach seiner s Ansicht mit 5 fl. 30 Kr.
^ durch Rupfen und Stoßen gestraft um 3 fl. 15 Kr.
beruhen als Schuldiger Teil der E. auf ihr selbst
3. Wird Jacob H(er), welcher die E. Mißhandelt hat durch Rupfen und Stoßen gestraft um 3sl. 15 Kr.
! 4. Die E. welche auch als Schuldiger Theil anzusehen
^ ist wird mit 4 Stund Zuchthäußle (Ortsärrest) abgestrast, l welche aber wegen kürze der Zeit ihre Strafe in Hornberg ! auszustehen hat.
^ Wenn also Eines oder daß andere sich verlegt (zu lln- ; recht verurteilt) glaubt, kann sich innerhalb 15 Tage eir ' Abschrifts Protokoll ausbitten und bey höerer Stelle Klag- ! führen muß aber inerhalb 8 Tagen dem Schuldheißen Ami ! Anzeige davon brachen.
Die Richtige Verhandlung unter Anfangs eingeführtem > Tatum bezeugen
j Schuldheiß und Gemeinderäthe.
! ^ (Unterschriften)
! Soweit unser Protokoll.
Wir sehen daraus, in welch wirkungsvoller Weise der j Stab bei dem gerichtlichen Verhör verwendet wurde. Wenn ! der Angeklagte oder Zeuge seine Hand an den Stab mit
^ der Schwurhand legte oder legen sollte, so kam ihm das
! Feierliche dieses Vorgangs wohl mehr zum Bewußtsein,
! als wenn heute einer vor dem Schwurgericht seinen Eid
! ablegt. Tatsächlich ist das angeführte Beispiel nicht das
! einzige, wo der Angeklagte davor zurückschreckt „an Eides- ! stab anzuloben".
Merkwürdig ist an dem oben wiedergegebenen Protokoll noch der Umstand, daß auch der Eemeinderat beim Urteilsspruch mitwirkt. In der Regel heißt es am Ende des Protokolls nur: Schultheißenamtlicher Spruch. Es fehlt dann auch die Unterschrift des Eemeinderats.
Wie kommt es nun, daß der Zwerenberger Schultheiß im Besitz solch weitgehender Rechte war; daß er befugt war, den Schwurstab zu gebrauchen und daß er auch über Gerichtsfälle von Oberweiler zu urteilen hatte?
Zwerenberg war in alter Zeit — bis zum Jahr 1603 — zwei Herrschaften zugeteilt: zwei Drittel des Dorfes gehörten (wie Altensteig, ein Drittel von Hornberg und dessen Filialort Oberweiler) zu Baden und nur ein Drittel war württembergisch. Zu jener Zeit saßen in Zwerenberg zwei „Stabsschultheißen", von denen der eine dem würt- tembergischen Vogt zu Calw, der andere dem badischen in l Altensteig unterstellt war. Ihre Aufgabe war, einmal ! bei der Steuerveranlagung und -Einziehung mitzuwirken ! und dann ferner über kleinere Vergehen und Streitigkei- ! ten zu Gericht zu sitzen. Das Zeichen ihrer richterlichen ! Würde und Vollmacht war eben jener „Stab" mit der l Schwurhand. (Mit dem Stab schlug er dreimal auf Tisch bei Beginn der Verhandlung; den Stab hielt er m der Hand während der ganzen Verhandlung. fNagolder Heimatbuch S. 273)). Daher „Stabsschultheitz". Im übertragenen Sinn wandte man aber auch den Namen „Stab" s auf den ganzen Gerichts- und Steuerbezirk. an. Zum j „Zwerenberg Stab" gehörten nämlich außer Zwerenberg auch noch Hornberg und dessen damaliges Filial Oberweiler. Solange sich nun Baden und Württemberg in di Herrschaft dieser Orte teilten, wechselten die beiden Zwerenberger Schultheißen mit der Haltung des Eerichtsstabes ab.
Als dann im Jahr 1603 Baden seinen Anteil an Würt- . temberg abtrat, versuchte man es eine zeitlang mit einem ! Schultheißen. Aber merkwürdigerweise sah man sich später wieder genötigt, zwei Schultheißen einzusetzen, wohl deshalb, weil die Steuergrenze immer noch wie bisher die Gemeinde in zwei Teile zerriß: ein Drittel der „Lehengüter" (Bauernhöfe) zahlte die Steuern und Abgaben an die „Hochfürstl. Vogt und Kellerey Callw", zwei Drittel ebenso nach Altensteig. Ja es gab Taglöhnerhäuschen, die, weil auf der Allemand (Gemeindeland) erbaut, zu ein Drittel nach Calw und zu zwei Drittel nach Altensteig steuerpflichtig waren.
Als Gerichtsbezirk war dagegen Zwerenberg mit Hornberg-Oberweiler ungeteilt. Die beiden Stabsschultheißen wechselten daher alljährlich auf den Bartholomäustag mit der Haltung des Eerichtsstabs ab und waren auch den beiden Vögten zu Calw und Altensteig gleich verpflichtet.
! Erst im Jahr 1811 endete dieser unnatürliche Zustand, r als auf Grund der neuen Oberamtseinteilung Zweren- ! berg ganz zu Calw kam. Der „Stab" aber verblieb zu- ? nächst noch dem Schultheißen als Zeichen seiner richterlichen
- Würde.
§ So hat also Zwerenberg seit alters unter den Orten ! der Umgebung nicht bloß kirchlich sondern auch politisch
- eine führende Stellung gehabt. Es hat aber auch sozusa- i gen am eigenen Leibe etwas verspürt von jener unselige« s Zersplitterung Deutschlands in kleine und kleinste Teilchen, ! der erst durch das rücksichtslose Dreinfahren des allgewaltigen Napoleon ein Ende bereitet wurde.
: lleber Bücher.
s Bücher sind Lichter, an denen wir uns selber immer ! mehr erhellen, Fahnen, unter denen wir uns mit Wahlverwandten und Freunden sammeln.
Friedrich der Große. Für deine Seele kommt Besuch:
' Helene Christaller.
! Ein schönes wohlgewachsenes Buch!
Die Dichtung ist der Atem der Sehnsucht.
Franz Karl Einzkey.