Amtsblatt für -sn Gberamtsbezirk Nagold u. Altensteig-Stadt. Allgemeine« Anzeiger für die Bezirke Nagold, Lalw u> Freudenstadt
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Nr. 303
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Atteusteig, Montag den 88. Dezember
1923
Seftmeichr drei Wege
Deutsch-Oesterreich oder wie sich der heutige österreichische Staat auf Grund des Vertrages von St. Eermain noch nennen darf, die Republik Oesterreich, ist seit dem lungcn Bestehen ein Schmerzenskind des Völkerbundes. Nicht daß der Völkerbund ein besonderes Interesse oder eine besondere Vorliebe für das 84 000 Quadratmeter große Stück Land hätte. Aber in ängstlicher Sorge, daß durch einen evtl, deutsch-österreichischen Zusammenschluß das Deutsche Reich, wenigstens der Bodenfläche nach, seine alte Größe wieder erlangen könnte, ist durch die Verträge von Versailles und St. Eermain Oesterreich zur dauernden Unabhängigkeit und Selbständigkeit ohne Anlehnung an einen anderen Staat verurteilt worden. Und es gilt nun natürlich, der Welt zu beweisen, daß tatsächlich die österreichische Volkswirtschaft für sich allein lebensfähig ist und daß der Anschluß an Deutschland keine Lebensnotwendigkeit bedeutet. Dieser Beweis ist nicht leicht und ist auch bisher alles andere als geglückt. Weder die Völkerbundsanleihe noch der Generalkommissar Zimmermann oder der Bericht der im letzten Sommer nach Oestereich entsandten Völkerbundsexperten Rist und Layton haben darüber hinweg- täuschen können, daß, trotzdem in den Finanzen einigermaßen Ordnung geschaffen ist, die österreichische Volkswirtschaft nicht gesundet ist und auch nicht gesunden kann, solange das Land in seiner widernatürlichen Unabhängigkeit beharren muß.
Es ist also nötig, daß das österreichische Wirtschaftsgebiet «gendrvie erweitert wird. Rein theoretisch sind hier schon drei Wege erörtert worden. Es käme zunächst in Frage, daß das Land unter die drei Nachbarländer, die Tschechoslowakei, Jugoslawien und Italien aufgeteilt wird. Das würde «oar nicht dem Selbstbestimmungsrechte der Völker, sondern auch direkt dem Vertrage von St. Eermain widersprechen. Nichtsdestoweniger ist dieser Gedanke von den Nachbarländern, deren Eifersucht allerdings jedes nähere Eingehen darauf unmöglich gemacht hat, allen Ernstes erwogen worden. Und namentlich in der radikal-nationalen Ahechischen Presse wird bis in die neueste Zeit hinein darr Propaganda gemacht. Der Plan ist indessen so absurd, rß sich jedes weitere Wort darüber erübrigt.
. Daneben käme in Frage die Gründung einer „Donau- kmrföderation", d. h. der wirtschaftliche Zusammenschluß «wa der Nachfolgestaaten. Rein wirtschaftlich betrachtet mag dieser Weg auf den ersten Blick gangbar erscheinen. Es m nur fraglich, ob es bei dieser rein wirtschaftlichen Vin- Ang bleiben wird. Der Untergedanke einer solchen Kon- »«weration würde natürlich die Errichtung eines politischen locks gegen Deutschland und das Deutschtum in der ehemaligen k. und k. Monarchie sein. Bei den Nachfolgestaaten elbst hat dieser Gedanke, hinter dem Frankreich und der fchechische Außenminister Dr. Benesch als treibende Kräfte tehen, nicht allzugroße Begeisterung hervorgerufen. Man! träubt sich im allgemeinen, von der eben erst erlangten Selbständigkeit wieder etwas einzubüßen. Für Deutschösterreich ist wegen der deutsch-feindlichen Tendenz der Plan von vornherein überhaupt undiskutabel. Aber auch wenn es der Donaukonsöderation gelingen sollte, diese deutsch-feindliche Tendenz zu überwinden, so sollten doch m mindesten die Zustände in der alten Monarchie zu nken geben. All die Volksstämme, wie die Slowenen, Kroaten usw. genossen im alten Staate die weitgehendsten Rechte und die größte Selbständigkeit. Durch die staatliche Verbindung mit den Deutschen sind sie kulturell sehr gefördert worden. Nichtsdestoweniger sehnten sie sich stets aus dem Staate heraus und zu einer Vereinigung mit des stammesverwandten Serben. Und so konnten die Serbe« mit ihrer großserbischen Propaganda die ganze Grundlage der Monarchie erschüttern und schließlich den unmittelbaren Anstoß zum Weltkriege geben. Durch die Vereinigung mit Serbien kamen sie wirtschaftlich und kulturell herunter. Aber man nahm das freudig in Kauf, denn es bedeutete Vereinigung mit den eigentlichen Stammesgenossen, Schaffung eines Staates auf einer nationalen Grundlage. Im alten Staate hatte man sich nie zu Hause gefühlt. Wie viel mehr müßte aber das Nationalempfinden der Deutsch-Oesterreicher gekränkt werden, wenn man sie gegen ihren Willen zu einer Vereinigung mit rassefremden Völkern zwingen wollte, die kulturell tief unter ihnen stehen. Man mag es machen wie man will, aus jeder noch so gut organisierten Donaukonföderation werden sich die Oesterreicher heraus und ins alte Deutsche Reich sehnen. Die tragische Geschichte des alten Oesterreichs zeigt wie kaum eins zweiten Landes, daß die einzig richtige und mögliche Staatspolitik eben eine bewußt nationale Politik sein muß, d. h., daß sie bestrebt sein muß, die Mitglieder einer Nation auch staatlich zusammenzufassen. Eine Nation bildet eine gemeinsame Blut-, Schicksals- und Arbeitsgemeinschaft. Jede Politik, die eine solche Gemeinschaft auseinanderreißen will, oder gar die Mitglieder verschiedener solcher Gemeinschaften gegen ihren Willen in einem stets Unfrieden und Zündstoff zu neuen Kriegen in sich Staate künstlich zusammenpressen will, ist schlecht und wird bersten.
Für Oesterreich könnte also eine Donaukonföderation keinen Rettungsanker bedeuten, für den europäischen Frieden aber würde sie eine dauernde Gefahr darstellen. Es bleibt also nur der letzte und einzig gangbare Weg übrig, ein Aufgehen Deutsch-Oesterreichs im alten Deutschen Reiche. Reichsdeutsche und Ausländsdeutsche müssen hier wieder eine gemeinsame Bluts-, Schicksals- und Arbeitsgemeinschaft bilden. Eine Bluts- und Schicksalsgemeinschaft bilden sie schon lange, zum mindesten seit dem 2. August 1914. Bleibt also nur noch die Arbeitsgemeinschaft durch Aufnahme der „Republik Oesterreich" ins deutsche Wirtschaftsgebiet übrig.
Re Verjährung am ZI. Dezember
Am 31. Dezember jedes Jahres konzentriert sich die Verjährung einer groben Zahl der wichtigsten Ansprüche des täglichen Lebens. Zwar bestimmt Paragraph 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BEB.), daß die regelmäßige Verjährungsfrist 30 Jahre beträgt. Praktisch wird diese lange Frist aber zur Ausnahme, da fast für alle wichtigen und häufigen Ansprüche in den Paragraphen 196 und 197 BEB. eine zwei- oder vierjährige Verjährungsfrist angeordnet ist
So verjähren in zwei Jahren vor allem die Ansprüche der Kaufleute, Fabrikanten, Handwerker und Kunstgewerbetreibenden für Lieferung von Waren, Ausführung von Arbeiten und Besorgung fremder Geschäfte mit Einschluß der Auslagen. Eine Verlängerung dieser Frist auf vier Jahre tritt jedoch dann ein, wenn die Leistung für den Gewerbebetrieb des Schuldners erfolgt ist. Ferner verjähren in zwei Jahren die Ansprüche derjenigen, die Land- oder Forstwirtschaft betreiben, für Lieferung von länd- und forstwirtschaftlichen Erzeugnissen, sofern die Lieferung für den Haushalt des Schuldners erfolgt. Ist dies nicht der Fall, so tritt auch hier an Stelle der zweijährigen die vierjährige Verjährungsfrist. Weiter verjähren in der kurzen Frist von zwei Jahren die Ansprüche der Gastwirte, der Angestellten und Arbeiter auf Gehalt und Lohn, der Aerzte für ihre Dienstleistungen, kurz, alle wichtigen Ansprüche des täglichen Lebens.
In vier Jahren verjähren alle Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen, insbesondere also rückständige Zinsen, und zwar einschließlich der als Zuschlag zu den Zinsen zum Zwecke allmählicher Tilgung des Kapitals zu zahlenden Beträge. Auch die Ansprüche der Vermieter und Verpächter auf rückständige Miet- und Pachtzinsen gehören hierher. Die Verjährung ist gehemmt, solange die Leistung gestundet ist. Das hat zur Folge, dab dieser Zeitraum in die Verjährung nicht eingerechnet wird.
Grundsätzlich beginnt nun die Verjährung mit der Entstehung des Anspruchs. Für die kurze zwei- und vierjährige Verjährungsfrist ist jedoch zur Vereinheitlichung und gröbere« Rechtssicherheit bestimmt, dab sie erst mit dem Ablauf des 31. Dezember des Fälligkeitsiahres beginnt, mithin auch grundsätzlich zwei bezw. vier Jahre darauf am 31. Dezember endigt. Hierdurch wird dem Gläubiger der Nachweis erspart, am welchem bestimmten Tage sein Anspruch entstanden ist. Es genügt vielmehr die Feststellung des Jahres, so dab ein im Januar eines Jahres entstandener Anspruch erst zu derselben Zeit verjährt, wie ein im Dezember desselben Jahres entstandener. Am 31. Dezember dieses Jahres verjähren mithin alle Ansprüche des täglichen Lebens, die im Jahre 1923 entstanden sind und ebenso Ansprüche auf Zinsen oder sonstige wiederkehrende Leistungen, die im Laufe des Jahres 1921 fällig geworden sind.
Es ist also von größter Wichtigkeit, dab der Gläubiger noch vor Ablauf dieser Frist Schritte unternimmt, um den Eintritt der Verjährung zu verhindern. Zwar ist auch bei einem bereits verjährten Anspruch weder die Klageerhebung noch auch die spätere Vollstreckung eines daraufhin erlangten Urteils unzulässig, da der Richter die Verjährung nicht von Amts wegen zu beachten hat, ja nicht einmal darf, wenn sie ihm auch bekannt ist. Auch kann der Schuldner, selbst wenn er in Unkenntnis der schon eingetretenen Verjährung an den Gläubiger geleistet hat, diese Leistung nicht mehr zurückfordern. Aber das Gesetz gibt dem Schuldner bei Erhebung der Klage durch den Gläubiger gemäß Paragraph 222 Abs. 1 BEB. die Einrede der Verjährung, und auch so hat er das Recht, die Leistung zu verweigern. Bringt er also diese Verjährungseinrede im Prozeb vor, so mub die Klage vom Richter kostenpflichtig abgewiesen werden. Eventuell kann jedoch der VerjäLrungseinrede des Schuldners vom Gläubiger die Gegeneinrede der Arglist «itgegengesetzt werden, nämlich dann wenn der Schuldner durch Verhandlungen die Klage- erheb'ung bis zur Vollendung der Verjährung hinzuzögern verstanden bat.
Der Gläubiger bat aber verschiedene Möglichkeiten, die Verjährung zu unterbrechen und damit die durch sie drohenden Nachteile abzuwenden. Die „Unterbrechung" hat zur Folge, daß die laufende Verjährungsfrist beendet wird mit Beseitigung des Unterbrechungsgrundes — diesmal nicht erst mit dem Schluss« des Jahres — eine neue zwei- bezw. vierjährige Frist beginnt. Der vom Gesetzgeber gewählte Ausdruck „Unterbrechung" ist also äuberst unzutreffend. Gerade nicht eine bloße Unterbrechung, sondern eine völlige Beendigung, eine Zerstörung des bereits abgelaufenen Teils der Verjährungsfrist und anjchliebend ein völlis neuer Besinn der vollen Verjährungsfrist ist die Folge,
Line Unterbrechung, um diesen gesetztechnischen Ausdruck hie, i beizubehalten, läßt sich nun auf verschiedene Weise erreichen. So durch Anerkenntnis der Forderung auf Seiten des Beruflich« j teten mittels Abschlagszahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung ? oder auch durch formlose Erklärungen. Ferner durch Klage» erbebung seitens des Gläubigers. Hierbei ist jedoch darauf zu achten, daß nach Paragraph 253 der Zivilprozeßordnung di« Klage erst dann erhoben ist, wenn sie dem Beklagten zugestellt ist. Wichtig ist noch, daß am 31. Dezember d. Js. die Anmeldung zur Aufwertung auf Hypothekengelder vollzogen sein muß.
zwei Friedensbotschaften
Abd el Krim will Frieden
Paris, 24. Dez. Der sich in Paris aufhaltende englisch« Hauptmanu Cunning, der Vertreter Abd el Krims in London, hatte gestern an einem Festmahl der englisch-amerikanischen Presse in Paris unter Gegenwart des amerika» Nischen Botschafters in Madrid teilgenommen. Cunniyg betonte in einer Tischrede, daß Abd el Krim bereit sei, di« früher von Paialeve bekanntgegebene» Friedenbedingungea anzunehmen und sich mit der Selbstverwaltung des Rifgebiets zu begnügen. Wenn die französische und spanische Regierung ihm dies« Friedensbedingungen bestätigen würden, werde der Friedensunterhändler Abd el Krims in ungefähr zwei Woche« in Tanger eintreffen können. Cunning hat ferner Besprechungen mit Malvy gehabt» der bekanntlich in besonder« guten Beziehungen mit der spanische« Regierung steht.
Waffenstillstand in Syrien
Paris, 24. Dez. Nach den ans London kommende« Meldungen hat der französische Oberkommissar für Syrien, de Jouveuel, mit den Druse« einen Waffenstillstand abgeschlossen. Es sei gelungen, den Sultan Atrasch von der Nutzlosigkeit weiteren Kampfes zu überzeugen. Jouveuel habe alle politischen Gefangene» in Freiheit gesetzt. Der Posten des Präsidenten der syrischen Regierung ist dem Scheich Jajadian, dem Sohn des Kadi von Damaskus, angeboten worden. Der Scheich soll den soeben zurückgetretenen Präsidenten ersetzen, der türkischer Herkunft und angeblich bei der syrischen Regierung unbeliebt war.
Re Wirre» i» China
' Die Eroberung von Tientsin
k Peking, 27. Dez. Fengyuhfiangs Truppen find am Donnerstag in Tientsin eingezogen. Die vorangehenden schweren Gefechte haben mehrere Tage gedauert, und die Verluste betrugen auf beiden Seiten mehrere tausend Mann. Litschinglins Truppen haben sich aufgelöst und fliehen. Im Eingeborenenviertel von Tientsin plündern die geschlagenen Truppen. Der Eingang zum Fremdenviertel, zu dessen Schutz Freiwilligentruppeu gebildet wurden, ist durch Bar- E rikaden gesperrt.
I Knosnngki» unterwirft sich
j London, 26. Dez. Reuter meldet aus Tokio: Der japa- s Nische Generalkonsul in Mukden. überbrachte Tschangtsoli» ! eine Mitteilung von Kuosüngling, nach der dieser bereit ' sein soll, sich zu ergeben, wenn ihm die Sicherheit seine» j Lebens und Besitzes verbürgt wird. Psschangtsolin hat die» ! ses Angebot, dessen Aufrichtigkeit er bezweifelt, noch nicht angenommen.
Tokio» 26. Dez. Rach Berichten ans Mukden ist General Kuosungli« hiugerichtet worden. Nach einer Meldung der Zeitung „Asahi" wurde auch seine Gattin erschossen. Das japanische Kriegsamt bestäftgt zwar Kuosunglins Gefangennahme, aber nicht feine Hinrichtung. Weiteren Nachrichten aus Mukden zufolge haben sich sämtliche Generäle Kuosunglins Tschangtsolin ergeben.
s Intervention der Großmächte in China?
Paris, 27. Dez. Einem Telegramm der „Chicago-Tribüne" aus Peking zufolge sollen dort Funksprüche aufge- ^ fangen worden sein, aus denen hervorgehe, daß die Kabinette von Washington, Paris. Rom und Tokio sich zu einer Intervention in China noch vor Ende des Jahres entschlossen hätten.
Crreguug in der Türkei
Angora, 26. Dez. Nach Drahtmeldungen aus den Provinzen finden überall Protestversammlungen gegen di« Entscheidung des Völkerbundsrates in der Mossuffrage statt. Die Konstantinopeler Studenten sandten aus eirxer von ihnen in der Universität abgehaltenen Versammlung ein Telegramm an die Regierung, in dem sie sich zu allen l Opfern bereit erklärten, zu denen die Jugend des Landes i verpflichtet sei.