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Amtsblatt für den Dberamtsbezirk Nagold u. Altensteig Stadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagold, Lalw u- Keudenstadt
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Nr. 243 j Allerrsteig» Montag de« 19. Oktober
NachMäage zur DerftSudiguug tu Locarno.
Zur Unterzeichnung des Vertrages von Locarno. l
WTV. Paris, 18. Okt. Wie Havas aus London berich- ! tet, ist das englische Außenministerium von Locarno aus s davon benachrichtigt worden, daß die offizielle Unterzeichnung des Sicherheitspaktes in London zu Beginn des Monats Dezember stattfinden würde. Die offiziellen englischen Kreise sind der Ansicht, daß wegen der Feierlichkeit dieser Handlung die alliierten und der deutschen Außenminister sich selbst nach London zur Unterzeichnung begeben würden. Diese Formalität, die im Foreign-Office vor sich gehen werde, werde eine einfache offizielle Zeremonie darstellen und in einer einzigen Sitzung erledigt werden. Gewisse Kreise behaupten zwar, daß das für den Dawesplan befolgte Verfahren wiederholt werden könne, d. h., daß dieses Dokument von den Botschaftern der in Frage kommenden Mächte unterzeichnet werden könne, jedoch bleibe die erste Vermutung die wahrscheinlichere.
Pressestimmen.
Die Stimmen der deutsche« Presse
Die „Kreuzzeitung" bemängelt vor allem, daß endgültige und bindende Abmachungen hinsichtlich der Rheinfragen nicht getrosten seien. — Die „Deutsche Tageszeitung"^ die von einer schmerzlichen Enttäuschung spricht, nennt das Ergebnis der Verhandlungen in Locarno einen Torso. Für unbefriedigend erklärt das Blatt die Vereinbarungen zu Artikel 16 des Völkerbunds- ftatuts und die Verhandlungen der sogenannten Nebenfragen.
— Der „Lokalanzeiger" hegt vorläufig Mißtrauen und will erst die Veröffentlichung der paraphierten Dokumente abwarten, bevor « endgültig dazu Stellung nimmt. — Das „Berliner Tageblatt" führt aus: Da bis zur eigentlichen Unterzeichnung des Vertrages noch eine geraume Zeit vergehen wird, so kann Deutschland von Fall zu Fall an Tatsachen prüfen, ob es Frankreich wirklich «ruft mit seiner Geste hinsichtlich der sogenannten Nebenfragen ist. die es im Konferenzsaal von Locarno gemacht hat. — Der vorwärts" erklärt, daß das Werk von Locarno vielleicht das größte weltgeschichtliche Ereignis, vielleicht eine Zeitenwende sei. Sicher aber bedeute es einen Sieg der sozialistischen Bewegung und einen Sieg des Prinzips.
Englische Pressestimme«
London, 17. Okt. Das Ergebnis der Konferenz von Locarno wird von der Presse allgemein begrübt. „Daily Mail" schreibt: Das Ergebnis der Verhandlungen in Locarno kann ein neues Kapitel der Weltgeschichte eröffnen. — Im „Daily Herold" Heißt es: Gewisse Seiten des neuen Paktes können zweifellos als Gewinn angesehen werden und dafür gebühren Lhamberlain gewiß Geburtstagglückwünsche. — „Westminister Gazette" zufolge ist die Nachricht von dem Erfolg der Konferenz in politischen und diplomatischen Kreisen mit großer Befriedigung aufgenommen worden. Eines der Ergebnisse in naher Zukunft werde, wie erwartet, die Räumung Kölns sein. — .Daily News" ^berichtet, in diplomatischen Kreisen werde als sicher angesehen, idatz die Räumung Kölns als Ergebnis von Locarno beschleunigt werde. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die britischen Truppen noch vor Weihnachten Köln verlassen. Die Verbreitung für Hie Räumung Kölns sei seit einiger Zeit in aller STstle vor sich gegangen und die gesamte Maschinerie könne jetzt in sehr kurzer iZeit in Bewegung gesetzt werden. — „Times" spricht von dem stÄr großen und befriedigenden Ergebnis, das in Locarno erzielt :wnrde, und bezeichnet den Pakt als einen Pakt wirklicher Freiheit und den Vertrag von^Locarno als^einen,wirklichen,,Fxie-
mensvertrag.
Französische Pressestimme«
Paris, 17. Okt. Zum Abschluß der Konferem mm Locarm» ßchreibt Senior Robert de Jouvenel im „Matin": Zum ersten» male seit dem Abschluß des Friedensvertrages von Versailles atmen wir auf. Es wird sich nicht um einen Waffenstillstand, londern um den wirklichen Frieden, um den allgemeinen endlich geschaffenen Frieden handeln. — Das „Oeuvre" schreibt, die Unterzeichnung des Friedenspaktes, eines Paktes des wahre« Friedens ist der Abschluß einer Politik der Anstrengungen, auf die das republikanische Frankreich das Recht bat, stolz zu sein. — „Gaulois" schreibt, die Rede Stresemanns werde ohne Zweifel «r dem fortgestzt beunruhigten Europa große pazifistische Hoffnungen erwecken. Frankreich selbst wird durch diese neue Sprache von Seiten eines deutschen Ministers beeinflußt werden. Wir wünschen, daß die Fortsetzung der Ereignisse die Worte und Eindrücke von gestern bestätigt.
Glückwünsche an die Neichsregierung
Berlin, 17. Okt. Der britische und französische Botschafter haben der Reichsregierung anläßlich des Abschlusses der Konferenz von Locarno ihre Glückwünsche ausgesprochen. Der Gesandte von Norwegen ist beauftragt worden, der Reichsregierung dre wärmsten Glückwünsche der Kgl. norwegischen Regierung zu u verb ringen aus dem Anlaß, daß die Arbeiten der Locarnokon- ke«m zu einem glücklichen Ergebnis gebracht wurden, und mit- mterlen, daß die Meldung über die erreichte Verständigung in »corwegen lebhaft begrüßt wird. Die norwegische Regierung »egt die rnnige Hoffnung, daß die durch die Konferenz gewiesenen Wege grundlegende Bedeutung für den Weltfrieden haben werden.
Huldigung von Kinder«
Locarno, 17. Okt. Samstag mittag um 12 Uhr fanden sich auf der in der prächtig Mittagsonne gelegenen Terasse des Hotels Esplanade 38 wiirttembergische und badische Kinder ein, die sich in der Pflege der Ursulinerinnen in der Nachbarschaft von Locarno befinden, um den deutschen Delegierten ein Ständchen zu bringen. Sie sangen in Gegenwart der ganzen deutschen Delegation einen Choral und dann ein schwäbisches und ein badisches Heimatlied und ernteten damit reichen Beifall. Die beiden Minister, sichtlich erfreut über diese gemütvolle Kundgebung, plauderten längere Zeit mit den Kleinen und ihren Pflegerinnen.
Abreise und letzte Festlichkeiten
Locarno, 17. Okt. Die Abreise sämtlicher Delegationen vollzog » sich in der Hauptsache im Laufe des Nachmittags. Lhamberlain ! kubr gegen S llbr mit dem fahrplanmäßigen Zuge über Paris, k die französische Delegation mit dem letzten Abendzuge, da Bri- » and für eine letzte Fahrt in der historisch gewordenen Nacht ..Orangenblüte" Gäste gebeten hatte. Die Delegationen waren s von der Stadt Locarno auf 1 Uhr zu einem Abschiedsessen ein- s geladen worden, an dem alle Delegationen mit Ausnahme der > italienischen und der belgischen, die bereits abgereist sind, mit t etwa 60 Personen teilnahmen. darunter von der deutschen Delegation Reichskanzler Dr. Luther, Reichsaußenminister Dr. Stre- semann und der Reichsvressechef Kiep. Die Journalisten waren von der Stadt Locarno für Samstag abend zum landesüblichen Lhrysanthemenfest und am Sonntag von der Stadt Lugano zum Besuche des Luganer Sees eingeladen.
Die Ankunft der deutschen Delegation.
WTV. Berlin, 18. Okt. Die deutsche Delegation ist heute nachmittag wieder in Berlin eingetroffen. Da sowohl Zeit, wie der Bahnhof sorglich geheimgehalten waren, vollzog sich die Ankunft von der großen Öffentlichkeit völlig unbemerkt. Um 1,20 Uhr fuhr der Sonderzug von Locarno in der Halle des Anhalter Bahnhofs ein. Zum Empfang waren erschienen: Reichsminister Brauns, die Botschafter Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, der belgische Gesandte, der tschechoslowakische Geschäftsträger, der Uditore der Nunzia- tur und andere Mitglieder des diplomatischen Korps, ferner Vertreter der Reichskanzlei des auswärtigen Amtes, sowie Frau Stresemann mit ihren Söhnen. Der englische Botschafter, Lord d'Abernon, richtete im Aufträge Cham- berlains einige Begrüßungsworte an Dr. Luther und Dr. z Stresemann, für die der Kanzler herzlich dankte. tz
Ansprache des englischen Botschafters beim Empfang ! der deutschen Delegation in Berlin. r
WTB. Berlin, 18. Okt. Die Ansprache, die der großbri- k tannische Botschafter Lord d'Abernon beim Eintreffen der ! Delegation an den Reichskanzler und den Reichsminister des Auswärtigen richtete, hatte folgenden Wortlaut: „Ich ? bin ausdrücklich von Herrn Lhamberlain beauftragt, Sie ! zum Erfolg der Konferenz von Locarno zu beglückwünschen i und zum Ausdruck zu bringen, daß Herr Chamberlain im- ^ mer mit Freude an das erste Zusammentreffen in Locarno > und an den Geist der Aufrichtigkeit und Offenheit zurück- s denken wird, den die deutsche Delegierten den Erörterungen H aufgeprägt haben. Der deutschen Regierung wird immer S die Ehre bleiben, die Initiative ergriffen zu haben , welche r zum Vertrag von Locarno geführt hat. Lord d'Abernon r fügte hinzu, daß Chamberlain überzeugt sei, daß die in Locarno paraphierten Abmachungen einen Wendepunkt der europäischen Geschichte bilden werden. Er gab der Zuversicht Ausdruck, daß die persönlichen freundschaftlichen Beziehungen, die zwischen der britischen und der deutschen Delegation entstanden sind, sichere Zeichen neuer Beziehungen ^ zwischen den beiden Nationen seien. Der Reichskanzler und der Außenminister sprachen dem Botschafter ihren Dank für die freundlichen Worte aus und baten ihn, diesen Dank auch Chamberlain zu übermitteln.
Bericht Dr. Luthers an Hindenburg.
Berlin, 18. Okt. Der Reichskanzler erstattete heute nachmittag dem Reichspräsidenten einen ersten Bericht über die Verhandlungen in Locarno und über das Ergebnis der ! Konferenz.
Der amerikanische Botschafter bei Stresemann. ?
Berlin, 18. Okt. Der amerikanische Botschafter erschien ! heute am späten Nachmittag beim Reichsminister des Auswärtigen, um ihm persönlich den Glückwunsch zum Ergeb- k nis der Konferenz von Locarno auszusprechen. i
1925
Chamberlain über Locarno.
WTB. Paris» 18. Okt. Einem Sonderberichterstatter des Petit Journal erklärte Chamberlain gestern in einer Unterredung u. a., es habe im Verlaufe der Verhandlungen schwierige Stunden gegeben, aber keine einzige Minute voll Bitterkeit und Schärfe. Wenn irgendein aus fernem Lande oder vom Marsch gekommener Beobachter unseren Beratung bejgewohnt hätte, würde er nur schwer haben glauben können, vor sich Vertreter von Nationen zu haben, die sich vor wenigen Jahren unerbittlich bekämpften. Er würde vielmehr gesagt haben, daß Geschäftsleute ein wenig heikle Fragen erörterten in voller Offenheit u. mit dem Wunsche, sich zu verständigen. Er würde gesehen haben, daß zwischen diesen Männern eine Interessengemeinschaft nicht erst geschaffen, sondern fortgesetzt würde. Diese gewaltige Aen- derung der politischen Atmosphäre sei durch einen realistischen und zugleich versöhnlichen Geist sämtlicher Verhandlungsteilnehmer möglich gemacht worden. Chamberlain fuhr fort: In allen Ländern gibt es noch viele Leute, die skeptisch sind und zögernd, an das beachtenswerte Ergebnis der Verhandlungen von Locarno zu glauben. Auch sie werden allmählich die Macht der Logik verspüren. Es hat nicht den Anschein, daß man jemals in der zeitgenössischen Geschichte eine Konferenz verlassen hat, von der sämtliche Mitglieder sich befriedigt fühlten, indem ein jeder das Gefühl hatte, irgend etwas gewonnen zu haben. Es ist sicher nicht die Konferenz des ewigen Friedens gewesen und niemand denkt daran, sich einschläfern zu lassen, aber es ist die Konferenz, die den Krieg schwierig gestalten will und das ist schon viel.
Lord Cecil über Locarno.
WTV. London, 18. Okt. Lord Cecil erklärte einem Vertreter der „Sunday Times", der Abschluß des Vertrages von Locarno bedeute den ersten wirklichen Schritt, der die Hauptgegner des letzten Krieges zusammenbringe. Es sei eine bemerkenswerte und erfreuliche Vorstellung, daß der Reichspräsident von Hindenburg, dessen Name stets mit kriegerischen Operationen in Verbindung gebracht worden sei, seine Ermächtigung und Zustimmung zu dem Pakt erteilt habe.
Das Weiße Haus über Locarno Washington, 17. Okt. Obwohl Präsident Coolidge noch keine offiziellen Mitteilungen über das Sicherheitsabkommen von Locarno erhielt, glaubt er auf Grund der veröffentlichten Berichte, daß das Abkommen eine der wichtigsten Errungenschaften Europas seit der Annahme des Da- Lvesplanes sei. Coolidge erblickt in dem Abkommen einen weiteren Schritt zum Weltfrieden und eine neue Verhei» tzung der Erleichterung für die Nationen, die jetzt ausgedehnte militärische Rüstungen unterhalten. In dieser Verbindung erwartet Coolidge, daß das Abkommen sine endgültige Wirkung zu Gunsten des Vorschlages haben werde, daß eine zweite Abrüstungskonferenz tu Amerika abgehal- ten werde.
Neues vom Tage.
Vom europäischen Rationalitätenkongreß
' Genf, 17. Okt. Der erste Kongreß der nationalen Minderheiten Europas, der am Freitag seine Beratungen beendigte, nahm folgende Resolution an: Da ein Friede in Europa nur unter der Voraussetzung möglich ist, daß der Völkerbund entsprechend seinen klar formulierten Aufgaben in .seiner Erklärung vom 21.12.1922 sich besonders mit der Lösung des Problems auf dem Wege der Durchsetzung der ia den anderen Resolutionen formulierten Rechte der Minori» , täten zu befassen haben wird, ist es der feste Wille der nationalen Minoritäten, Europa im Bereich ihrer Kräfte dazu anzuregen, daß der Völkerbund seine Ziele erreiche. Der Kongreß beschloß, wenn möglich, bereits im nächsten Jahre tzu einer zweiten Tagung zusammenzutreten.
Botschafter Hösch auf der Reife nach Berlin
Paris, 17. Okt. Der deutsche Botschafter, Herr von Hösch hat heute vormittag Paris verlassen, um sich nach Basel zu begeben, wo er mit der von Locarno zurückkehrenden deutschen Delegation zusammentrifft. Er wird sie nach Berlin begleiten.