Amtsblatt für den Gberaintsbezirk Nagold u. Altenstsig Stadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagold, La!w u- Freudenstadt
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Uv. 232 j Alterrsterg, Samstag den 3. Oktober
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Zur Lage.
Reichskanzler Dr. Luther und Reichsautzsnminister Dr, Ctresemann sind auf dem Wege nach Locarno, wo am kommenden Montag die Sicherheitspaktkonferenz mit den Vertretern von Frankreich, England, Belgien und Italien eröffnet wird. Das 6000 Einwohner zählende Städtchen ist der Südschweiz trägt ganz italienischen Charakter und ist! bekannt als klimatischer Kurort. Durch die Konferenz wirst der Name des Ortes in die Annalen der Geschichte eingetragen, aber erst dann, wenn es dort gelingt, einen Vertrag abzuschließen, der dem Weltfrieden dient. An ein Landhaus in Locarno schrieb man den sinnigen Spruch: Ohne Sonne bin ich nichts! Man hat damit dem tiefblaue» Himmel, dem grünschimmernden Lago Maggiore (Langer See), den Palmen und der südlichen Pflanzenpracht der Gegend die Quelle gewiesen, von der man in Locarno lebt. Ohne die Sonne der Einsicht wird die Paktkonferenz nicht zu einer inneren llebereinstimmung gelangen und die Natur wird nur die Kontraste des Friedens aufzeigen können gegenüber der Atmosphäre des Kriegsgeistes, die unsere Gegner immer wieder an den Tag legen.
Was haben wir von Locarno zu erwarten? Nach dem Zwischenspiel dieser Woche, das sich an die Erklärungen der Reichsregierung in den Verbandshauptstädten Paris und London anschloß und nach dem eindeutigen Notenwechsel, nicht viel! Man mag diese Prophezeiung für gewagt halten, man mag sie als parteipolitische Einstellung betrachten, aber sie ist es nicht. Die Lehren, die uns gerade in den letzten Tagen durch die Noten Frankreichs und Englands gegeben wurden, beweisen zur Genüge, daß man wohl einen neuen Vertrag machen will zur Sicherung des Friedens, daß man aber die Ursachen der Friedensstörung nicht im geringsten beseitigen will. Diese liegen im Versailler Vertrage, und an ihm darf nach Briand nichts gedreht und gedeutelt werden. Und in London, wo man sich rühmt, die Anregung zu diesem Sicherheitspakt an Deutschland gegeben zu haben, — wohlverstanden nicht um Deutschlands willen, sondern aus eigenen Interessen, aus der reinen Geschäftspolitik Englands heraus, — wurde nach Berlin eine Note gerichtet, die im Tone und Inhalt noch viel schroffer ist als das Pariser Schriftstück. Und darum sagen wir zum Beginn der Konferenz von Locarno, daß nicht viel dabei herauskommen kann. Wenn man einen Friedensvertrag machen will, muß der Kriegsvertrag beseitigt, zum mindesten so geändert und gemildert werden, daß er keinerlei Handhabe bietet, das neue Abkommen zu stören. Aber in Paris und London hat man wohl hundertmal versichert: Das Versailler Diktat ist unverletzlich. Darum noch einmal: Die Aussichten auf einen Friedenspakt in Locarno find gering.
Zu dieser Stellungnahme berechtigen die Vorgänge dieser Woche, das sogenannte Zwischenspiel im besonderen. Es handelt sich dabei um die Stellungnahme Deutschlands zur Kriegssch-.pfrage und der Räumung. In einer Kundgebung an das deutsche Volk vom 29. August 1924, nach dem Abschluß der Londoner Konferenz, hatte damals die Regiere Marx die Kriegsschuldlüge zurückgewiesen. Sie hatte es aoer versäumt, diesen Widerruf der alleinigen Schuld Deutschlands am Kriege, wie diese im Versailler Diktat verewigt ist, auch den Verbandsmächten amtlich zur Kenntnis zu bringen. Damals unterblieb es aus Rücksicht auf das eben geschlossene Abkommen in London. Nun wurde dies mit der Zustimmung Deutschlands zur Konferenz von Locarno nachgeholt und die Reichsregierung betonte, daß der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund, der ja mit dem Sicherheitspakt unlösbar verbunden sein soll, nicht so aufgefaßt werden dürfe, daß es seine Alleinschuld am Kriege anerkenne. Man hat leider aus dieser Ehrenfrage des deut- ichen Volkes wiederum im Innern parteipolitischen Hader gemacht. Erst die amtliche Bemerkung, daß dieser Schritt vom Kabinett einstimmig gefaßt wurde, also unter Zustimmung des Zentrums und der Volkspartei, hat das parteipolitische Lügengewebe zerrissen. Der zweite Punkt betraf die deutsche Feststellung, daß erst die Durchführung der längst fälligen Räumung der nördlichen Rheinlandzone, eine Teilnahme am Sicherheitspakt für Deutschland möglich mache. M Paris und London hat man gewünscht, daß diese Erörterungen vor Annahme der Einladung an Deutschland geheim gehalten würden. Die Reichsregierung ist aber fest geblieben und hat es durchgesetzt, daß nun die Oeffentlich- kert von einem diplomatischen Notenwechsel Kenntnis erhielt, der bezeichnend ist. Frankreich und England lehnen diese deutschen Auffassungen über Kriegsschuld und Räumung ab, England sogar noch schroffer als Frankreich. So wird man deutscherseits nur mit unbegrenztem Mißtrauen steten^ ^^Edtungen mit den Verbandsmächten heran-
Ein kleines Intermezzo zu der Konferenz von Locarno Ipielten auch die Russen. Sie entsandten den Volkskom- des Auswärtigen, also den russischen Außenminister, Tschrtscherin, nach Warschau und dann nach Berlin, um ^cinen gegen den Sicherheitspakt zu legen. Der Sowjetherr nahm für seinen Berliner Besuch zwar den Vorwand, in Berlin sich nur ärztlich behandeln zu lassen. Ln Waricbau
hatte er zuvor eine Annäherung von Missen und Polen erreicht mit einer Spitze gegen Deutschland. Denn den Russen patzt es gar nicht, daß Deutschland in den Völkerbund treten und einen Sicherheitsvertrag abschließen will. Rußland befürchtet die Isolierung und das Zusammengehen Deutschlands mit Frankreich und Englands. Diese Befürchtung ist natürlich ungerechtfertigt, denn Deutschland hat nach wie vor die stärksten Bedenken gegen Artikel 16 des Völkerbundes, und es wird sich niemals zu einem Ring gegen Rußland hergeben. Das wird man Tschitscherin auf seiner politischen Badereise auch gesagt haben, als er mit Dr. Luther und Dr. Stresemann zusammen war. Man hat auch über die Handelsbeziehungen und den immer noch nicht fertigen Handelsvertrag gesprochen. Es darf wohl gehofft werden, daß der Vertrag nun soweit fertiggestellt ist, daß er endlich in Kraft gesetzt werden kann. Von Paris aus hat man dieses russische Theater in Berlin mit besonderem Mißtrauen verfolgt.
Die Reichsminister der Länder sind in Berlin zusammengetreten, um über Polizeifragen zu verhandeln. Diese stehe» in Verbindung mit der Entwaffnungsnote, deren Erledigung mit dem Konferenzbeginn in Locarno unsererseits fällig wird.
Der französische Finanzminister Caillaux, der in Washington über die Schulden Frankreichs an Amerika verhandelt hat, kommt ohne endgültiges Ergebnis nach Hause. Nur ein Provisorium wurde vereinbart, das aber in Amerika nicht sehr befriedigt. Der französische Vorschlag der Schuldentilgung wurde glatt abgelehnt. Dies ist der Inhalt der langen Pariser Depeschen, die das Fiasko zu verbergen suchen. ä
Die von der Regierung eingeleitete Aktion zur Senkung der Preise hat bisher noch wenig Früchte und greifbare Ergebnisse getragen. Es ist dies wahrlich nicht Schuld der Regierung, denn sie hat ernstlich und lange verhandelt mit allen möglichen Organisationen. Ob die Herabsetzung der Umsatzsteuer auf 1 Prozent sich in Preisermäßigungen auswirkt, muß noch abgewartet werden. Die Ablehnung der Erhöhung der Veamtenbezüge, die dieser Tage bekannt wurde, schließt namentlich für die gering besoldeten unteren Beamtenklaffen Härten in sich. Die Schematisierung und Zentralisierung der Gehaltsordnung für das ganze Reich und die Ileberorganisierung der Verbände rächt sich nunmehr.
Von den Kriegsschauplätzen in Marokko und Syrien werden nur Erfolge der Spanier und Franzosen bekannt. Da man die andere Seite nicht hört, gibt das ein höchst einseitiges Bild. Auf Winterfeldzüge ist nunmehr bestimmt zu rechnen.
Die Beratungen der Ministerpräsidenten
Berlin, 2. Okt. Die Reichsregierung hatte die Minister Präsidenten, sowie die Finanz- und Innenminister der Läid der eingeladen» um mit ihnen die allgemeine Finanzlag des Reiches, der Lander und Gemeinden, sowie die Zweck Mäßigkeit der Aufnahme von Ausländsanleihen durchzu spreche^. Der Reichsminister der Finanzen wies nach, da! die Gesamteingängs im ganzen Rechnungsjahre den Vor anschlag kaum erreichen werden. Zn den in den kommen den Monaten anfallenden Beträgen werde sich eine wesent liche Entlastung der Wirtschaft gegenüber den vergangener Monaten bemerkbar machen. Der Reichsbankprästdent wie» vor allem auf die Gefahren hin, die aus einer unnötigem Inanspruchnahme des Anleihemarktes auf die Dauer M die Gestaltung der Zahlungsbilanz drohen. Die Beratungen, die sich auf die Grundlinien der Preissenkung erstreck ten, ergaben vollste sEinverständnis zwischen den Regie, rungen des Reiches und der Länder insbesondere auch hinsichtlich der in der Aufwertung bestehenden Möglichkeiten und der Notwendigkeit, auf stärkste Zurückhaltung der Gemeinden in der Aufnahme von Ausländsanleihen hinzuwirken. Von allen Seiten wurde auch auf die Schwierig, leiten hingewiesen, die im gegenwärtigen Augenblick einer Wirtschaftlichen Besserstellung der Beamten entgegenstehe.
Zustimmung des Reichskabinetts zum deutsch-russischen Handelsvertrag
Berlin, 2. Okt. Zur Unterzeichnung des deutsch-russischen Dertragswerkes hat das Reichskabinett die grundsätzlich« Zustimmung erteilt. Zur endgültigen Feststellung der Vertragstexte, sowie zur Verständigung über einige noch offen gebliebene Punkte begibt sich eine engere deutsche Delegation unverzüglich nach Moskau zurück. Mit der Erleb» gung dieser Aufgabe, sowie mit der Unterzeichnung ist in kürzester Frist zu rechnen. Wenn auch einige Teile des gesamten Vertragswerkes noch keine auf die Dauer befriedigende Lösung der bestehende» Schwierigkeiten bringen, !s
stellt die auf breiter Rechtsgrundlage geschaffene umfassende Regelung der beiderseitigen Beziehungen doch gegenüber den bisher ungeregelten Zuständen einen unverkennbaren Fortschritt dar. Darüber hinaus kann der Vertragsentwurf als wertvoller Ausgangspunkt für weitere wirtschaftliche Abmachungen betrachtet werden, sobald genügend Erfahrungen über seine praktische Auswirkung vorliegen. Die Tragweite des Vertragswerkes ist umso größer, als Deutschland das erste Land ist, das eine so umfassende Regelung mit der Sowjetregierung trifft. Das Vertragswerk wird ein Mittel sein, die freundschaftlichen Beziehungen beider Länder auszugestalten und in gemein- schaftücher Arbeit den beiderseitigen Wiederaufbau zu fördern.
Wiederbeginn der deutsch-polnischen Handelsvertragsver» Handlungen
Warschau, 2. Okt. Am Donnerstag abend ist die polnische Delegation für die deutsch-polnischen Handelsver- lragsverhandlungen nach Berlin abgereist. Die Delegation erhielt den Auftrag, die Verhandlungen auf der Erurckc läge der deutschen Vorschläge durchzuführen.
Kongreß der interparlamentarischen Union
Washington, 2. Okt. Bei der Eröffnung des Kongresses der interparlamentarischen Union begrüßte Staatssekretär Kellogg die 400 Delegierten von 38 verschiedenen Staate« im Namen der amerikanischen Regierung und erklärte, die Anwesenheit so vieler Vertreter von sich selbstregierenden Völkern beweise, mit welcher Aufmerksamkeit sich die Welt mit den Fragen der Selbstregierung beschäftige. Nichts könne für die Förderung der freiheitlichen Ideale anregender sein und dem Frieden mehr dienen, als daß die Mitglieder der verschiedenen Parlamente zusammenkämen und ihre Ansichten über die Frage des Weltfriedens auszutauschen. Man müsse die Völker lehren, sich in friedlichen Gedankengängen zu bewegen und sie möchten einsehen, daß es zur Erledigung internationaler Streitigkeiten bessere Mittel gibt, als die Zufallsentscheidungen des Krieges. Kellog führte weiter aus: Ich bin kein Schwarzseher und habe unbedingtes Vertrauen und die Einsicht und die Vaterlandsliebe aller derjenigen Völker, die ihre bewundernswerten Einrichtungen bis ins 20. Jahrhundert bewahrt haben. Aber ich kann nicht blind sein gegenüber den Kräften, die in vielen sich selbst regierenden Ländern am Werke sind, um das ordnungsmäßige, auf der Wahl durch das Volk beruhenden Systeme zu zersetzen und eine Klaffentyrannei zu errichten. In der Eröffnungssitzung sprach als einer der ersten Diskussionsredner Reichstagspräsident Löbe. Er führte u. a. aus: Deutschland hat bereits abgerüstet. Das von dem Präsidenten Coolidge aufgestellte Abrüstungsprogramm muß erweitert werden, damit der Friede in ganz Europa einzieht. Während in Europa seit 1914 nur Ritk- schritte zu verzeichnen sind, haben sich die Vereinigten Staaten von Amerika mit einer Schnelligkeit entwickelt, die erstaunlich ist. Es erscheint mir zweifelhaft, ob Europa jemals zu dem Entwicklungsgrad, den die Vereinigten Staaten schon erreicht haben, gelangen wird.
Türkische Truppenkonzentratton km Irak
London, 2. Okt. Der diplomatische Berichterstatter des ^Daily Telegraph" schreibt: Die in der letzten Woche gebrachte Nachricht, daß vier türkische Divisionen nach dem Irak beordert seien, bestätige sich durch die Meldung, daß vier Iahresklaffen von Reservisten einberufen wurden. Ebenso interessant sei die Nachricht, daß starke türkische Truppenzusammenziehungen bei El Eestra, einem der Zugänge zum Irak, stattfinden. Unter diesen Umständen sei es nicht überraschend, daß, wie verlautet, die britische Mittel» meerflotte Weisung erhalten habe, sich in den GewässerW des nahen Ostens zu sammeln.
Sa Hiudeubmg» 78. Geburtstag
Berlin, 2. Okt. Zum 78. Geburtstage des Reichspräsidenten on Hindenburg schreibt das „Berliner Tageblatt": Hindenburg at in der Zeit seit der Reichsprästdentenwahl loyal und gerecht die von ihm freimütig und ehrlich beschworene republikanische Verfassung gewahrt und bewiesen, dab er nur auf dem Boden dieser Verfassung und über den Parteien stehen will.
Der „Berliner Lokalanzeiger" sagt: Das Opfer, das Sindenburg mit der Annahme der Kandidatur für die Reichsvräsideutenwahl gebracht habe, sei nicht vergebens gewesen, und fügt hinzu: Vor der machtvollen Würde seiner Persönlichkeit, vor der Reinheit seines Wollens und der unbestechlichen Geradlinigkeit seines Charakters hat selbst der deutsche Parteihab so etwas wie Regelt gelernt. Es ist doch ein ander Ding um das Aussehen des