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Nr. 68

Alteusteig, Samstag de» 21. Marz.

Jahrgang 1923

Zur Lage.

Noch eine Woche und der Tag der Präsidentschafts­mahl ist da! Ernste und schwere Entscheidungen muß das deutsche Volk treffen. Zum erstenmal geht es bei dieser Wahl nicht um Partei- und Mächtfragen, wenn auch politische Momente mit hereinspislen. Der Wahlkampf ist entbrannt und je nach Mitteln und parteipolitischer Einstellung wird die Wahlreklame entfaltet. Man kann diesmal a!er eine Persönlichkeit wählen, die das Ver­trauen weitester Volkskreise genießt oder wenigstens erwerben kann.

Knapp eine Woche vor der Wahl liegt nunmehr die amtliche Kandidatenliste vor. Der amtliche Stimmzettel trägt sieben Namen. Zu den schon sechs bekannten Män­nern ist als Kandidat der Völkischen unter Hitlerscher Führung General Ludendorff als Präsidentschaftskandi­dat getreten. Seine Kandidatur ist von vornherein aus­sichtslos, und es bleibt zu bedauern, daß der General sich erneut in den politischen Tageskampf begibt, in dem seine Verdienste um das deutsche Volk während des Weltkrieges nur beeinträchtigt werden können. Außer­dem erscheint einem großen Teil des deutschen Volkes Ludendorfs durch die Vorgänge vom 9. November 1923 in München politisch nicht einwandfrei. Die Völkischen Norddeutschlands haben sich überdies für Dr. Iarres eingesetzt. Eine Sonderkandidatur der Aufwertungs- und Aufbaupartei mit Dr. Lohe brachte nicht die gesetzlichen Voraussetzungen auf und ist damit hinfällig geworden.

Wer die Wahl hat, hat die Qual ein altes und viel zitiertes Wort. Es gilt diesmal im besonderen, weil unter den Kandidaten hervorragende Persönlich­keiten sich befinden, die das Anrecht haben, das Ver­trauen des deutschen Volkes in Anspruch zu nehmen. Das gilt von dem Kandidaten des Reichsblocks, dem Duisburger Oberbürgermeister Dr. Iarres, der mit sei­ner ersten Rede in Berlin sehr starke Eindrücke im bür­gerlichen Lager machte. Daß er das Amt nicht als ,Parteimann oder Angehöriger einer Partei übernimmt, berührt besonders sympathisch. Er ist Kandidat gewor­den durch seine Gesinnungsfreunde, die mit ihm wahre Volksgemeinschaft erstreben.

Der badische Staatspräsident Sr. Hsllpach, ein Mann von staatsmännischer Begabung und tiefschürfender Phi- ksophie, hat besonders in den Reihen der deutschen Demokratie und bei den republikanischen Kreisen star­ken Anklang. Die übrigen Kandidaturen sind mehr oder weniger reine Parteifragen. Das gilt zunächst auch von Dr. Marx, der nun nach der Episode der preußischen Mlnisterpräsidentschast sich ganz als Zentrumskandidat für die Reichsprüsidentschast fühlen kann, wenn auch das bayerische Zentrum, (Bayer. Bolkspartei) in dem bayer, Ministerpräsidenten Dr. Held gesonderte Wege geht, die immerhin dazu führen können, daß der rechte -ttugel des Zentrums im Reiche sich auf diese Seite schlägt. Otto Braun ist der Kandidat der Sozialdemo­kraten, Thälmann derjenige der Kommunisten.

26er im ersten Wahlgang die meisten Stimmen auf ftch vereint, erscheint zweifellos als der aussichtsreichste Bewerber um die Präsidentschaft. Da beim ersten Wahl­gang zweifellos eine gewisse Wahlmüdigkeit in Rech- stellen ist, Kann über das Ergebnis der zwei­ten Wahl am 26. April kaum ein sicherer Schluß ge­zogen werden. Jedenfalls dürfte es wohl keinem der Bewerber gelingen auf den ersten Hieb die Hälfte aller stimmen auf sich zu vereinigen, es sei denn, daß die parteipolitischen Wahlparolen unbeachtet blieben und die ^selchsblockkandidatur einen gewaltigen Vorsprung er­hielte, weil sich wirtschaftliche Verbände für sie einsetzen. Dies ist aber nicht anzunehmen. Vielmehr wird im Lndkampf der Reichsblockkandidatur Dr. Iarres eine Kandidatur der Linken gegeniibergestellt werden, wobei Ilch dann immer wieder der Name Marx in den Vorder­grund drängt. Daß die bürgerlichen Parteien der De­mokratie und des Zentrums dabei sich auf eine sozial- Sammelkandidatur einigen, erscheint aus­geschlossen So stellen sich die Aussichten dieses Wahl- Kampfes bei sachlicher und nüchterner Betrachtung dar, ober aber mit Vorbehalt auf die Ergebnisse des ersten -Mahlganges hmgewiesen werden muß.

3n Preußen hat Dr. Marx seine vergeblichen Be­mühungen um das Zustandekommen einer Regierung oufgegeben und seine Ministerpräsidentschaft endgültig

- abgeleynt, nachdem der Vorstand der Reichszentrums-

- Partei hiezu die Weisung erteilt hat. Man versucht nun- ; mehr, ein politisch farbloses Beamtenkabinett unter Füh- : rung eines Parlamentariers oder emes hohen Beamten

zu bilden. Das Zentrum sträubt sich aber noch immer, die Rechte (Volkspartei und Deutschnationale) hiebei entsprechend zum Zuge kommen zu lassen. Als letzter Notbehelf würde Lgndtagsauflösung und Neuwahlen blei- , ben. Ueberraschend hat in Hessen das Zentrum wieder eingelenkt und will Ne alte Regierungskoalition mit i Sozialdemokraten und Demokraten wieder eingehen. Die Reichspolitik hat hier also zu Gevatter gestanden.

> Der deutsche Reichstag steckt noch in der Haushalts­beratung, kann sie aber bis zum 1. April nicht beendi-

' gen. Ein Notetat wurde deshalb vom Reichstag verab­schiedet und der bisherige Finanzausgleich zwischen Reich und Ländern bis zum 1. September d. Is- verlän- ^ gert. Die Beamten sollen spätestens vom Oktober d. I. f ab ihre Entlohnung wieder, wie im Frieden, viertel­jährlich zum Voraus ausgehändigt erhalten. In die Reichstagsdebatten herein spielte auch der Streik eines kleinen Teils der Arbeiterschaft der Reichsbahn. Obwohl nur zwei Prozent der gesamten Belegschaft in Streik traten, machte sich doch in Sachsen und Berlin auf den ^ großen Güterbahnhöfen der Ausstand bemerkbar. Der

; Schiedsspruch eines Schlichters, der den Lohnsorderun- : gen der Streikenden etwas entgegenkam, wurde zunächst ! abgelehnt. Das Reichsarbeitsministerium erklärte ihn abep ' doch für verbindlich. Nunmehr haben Reichsbahn und , Arbeiterschaft sich gefügt und den Streik beendet. Die j Streikenden erreichten eine kleine Lohnaufbesserung und ? eine Verkürzung der Arbeitszeit, j Die Fülle der außenpolitischen Fragen wurde mit j dem Abschluß der Genfer Völkerbundstagung am Ende

- der vorigen Woche nicht beantwortet. Chamberlains

- Besuch bei Herriot in Paris aus seiner Rückreise hat l noch weniger dazu beigetragen, die in Genf ungelösten ! Probleme zu einem befriedigenden Ausgleich zu führen.

Ein Abschluß der Erörterung steht also in weiter Sicht, j England lehnt das Genfer Sicherheitsprotokoll ab. f Chamberlains Grabrede in Genf wird aber in Paris s nicht so ernst genommen, und man hofft auf neue Dele- j bungsversuche bis zur Völkerbundstagung im September. E Die deutschen Garantiepläne sind zurzeit in den Vor- j dergrund geschoben. Die Franzosen wenden dabei ihr ! altes Mittel der Verhetzung an, das aber nicht mehr recht ziehen will. Sie behaupten immer wieder, Deutsch­land wolle die Verbündeten des großen Krieges aus­einander bringen. Chamberlain hat allerdings erklärt, daß er von Deutschland eine präzisere Form seiner Ga­rantievorschläge erwarte, erst dann werde der diploma­tische Meinungsaustausch beginnen. 3n Paris hat man sich wegen der Polen und Tschechen, die beide Minister dorthin entsandt hatten, erheblich aufgeregt. Die Ostfra- .gen sind nachgerade so dringend wie die westlichen Pro­bleme, hat doch selbst ein englischer Staatsmann aner­kannt, daß durch den Versailler Vertrag die Ostgrenze Deutschlands ungeschützt sei, und daß die Genfer Ent­scheidung über Oberschlesien ein Unrecht bedeute. Als Voraussetzung fordert Frankreich für die Behandlung der Garantie- und Sicherheitsfrage die Ausnahme Deutschlands in den Völkerbund. Die Einladung dazu wurde ja von Genf aus noch nach Berlin übersandt. In dieser Bedingung sehen die Franzosen eine Art Aus-

> gleich für das Scheitern des Genfer Protokolls. Gleich­zeitig werden von Paris aus ernsthafte Versuche ge­macht, daß man den Sicherheitspakt in Verbindung bringt mit der Lösung der Kölner Frage. Es muß deutscherseits gelingen, die Räumung Kölns aus dieser Verwicklung herauszuheben, ja es ist höchste Zeit dazu, daß der Vertragsbruch vom 10. 3anuar durch eine diplo­matische Aktion wieder zur Debatte gestellt wird. Nach

! gesundem deutschem Empfinden kann Deutschland in- ! solange nicht dem Völkerbund beitreten, als dieser Ver- ^ tragsbruch nicht gut gemacht und Köln geräumt ist.

Der Geheimbericht der Kontrollkommission zur Entwaff- ! nungsfrage soll dauernd der Welt vorenthalten bleiben, r Das geht deutlich aus Aeußerungen englischer wie fran- ! zösischer Staatsmänner hervor. Es ist also zu erwarten, j daß man einfach an Deutschland Forderungen stellt, ein ! Verfahren, das dem Militarismus der Franzosen alle Ehre macht und schlimmsten Bruch jeden Völkerrechts ! darstellt Daß der amerikanische Präsident Coolidge s gleichzeitig zur zweiten Abrüstungskonferenz nach Was­

hington elnlad en will, um die See- und Lustrüstung der Mächte abzubauen Deutschland soll wohl nicht geladen werden verwickelt nur die internationalen Probleme. Keine einzige Großmacht denkt nämlich an Abrüstung, Frankreich knüpft jetzt schon als Hauptbe­dingung für die Beteiligung an der Abrüstungskonferenz den Abschluß eines Sicherheitsvertrages. So spielen in den nächsten Wochen und Monaten, ja vielleicht auf Jahre hinaus, eine Fülle von Fragen zwischen den Völkern, wobei nur zu bedauern bleibt, daß diese Pro­bleme alle mit unserem eigenen Schicksal verknüpft sind.

Der Wirbelsturm in Amerika.

Der Wirbelsturm nahm seinen Ausgangspunkt bei Anna­polis im Staate Missouri hundert Meilen südlich von St. Louis, wo er am frühen Nachmittag des Mittwoch die ersten Verwüstungen anrichtete. Dann fegte er über den Missis- j sippi nach Illinois, erreichte gegen drei Uhr Murphysboro k und Desoto, abends Carmi und Princetown, wo er an j Kraft verlor. Galatin und Tennessee wurden ebenfalls von ? einem Wirbelsturm heimgesucht. Auf einer Strecke von gut ) 400 Kilometern von Südwesten nach Nordosten hat der j Wirbelsturm einen 75 Kilometer breiten Strich furchtbarer i Verwüstung gezogen.

! Die Zahl der Opfer der Sturmkatastrophe ist bis jetzt z noch nicht endgültig festgelegt. Nach bisherigen amtlichen

! Berichten sind in den Staaten Illinois, Missouri, Indiana, ! Kentucky, Tennessee und Alabama über 900 Tote gezählt , worden. Viele liegen noch unter brennenden Trümmern, f Eine spätere Meldung aus Carbondale besagt, daß im Um- s kreis der Stadt über 1000 Tote und 300 Verwundete gebor« j gen worden sind. Nach Schätzungen amtlicher Personen be- i tragen die Verluste im Stadtgebiet von Murphysboro über j 300 Tote und 700 Verletzte. 1200 Häuser sind vernichtet und ! 600 Familien obdachlos. Zn Westfrankfort sind bisher 108 j Leichen und 220 Verwundete geborgen worden. Im ganzen ^ sind von dem Unwetter 33 Städte betroffen worden. Ueber j 200 000 Personen sind obdachlos. Der Sachschaden wird auf ^ 50 Millionen Dollars geschätzt.

Augenzeugen in Irontown berichteten, daß bei einer schwülen und drückenden Atmosphäre plötzlich eine unge­heure schwarze Wolke den Horizont verfinsterte, die sich über die westlichen Höhenzüge des Staates Missouri mit äußerster Schnelligkeit heranbewegte. Plötzlich senkte sich die Wolke herab. Es wurde ganz dunkel und mit unermeß­licher Gewalt fegte der Sturm über das Land, alles, was an Häusern und Bauten ihm Widerstand bot, vor sich nie­derwerfend und zermalmend. Die Augenzeugen wurden zu Boden geworfen und blieben etwa fünf Minuten lang be­wußtlos. Als sie wieder zu sich kamen, sahen sie Trümmer und Schutt vor sich; wo vorher 400 Häuser gestanden hatten, , standen nur noch drei. Eine Reihe kleinerer Ortschaften ^ ist förmlich vom Erdboden weggerissen worden, f In den vernichteten Stadtteilen spielten sich erschütternde ; Szenen ab. Da irren vor Schreck halb wahnsinnig gewor- ^ dene Menschen zwischen den Haufen von Steinen und ver- i kohlent Balken umher oder graben in den Trümmern nach » vermißten Angehörigen oder verlorener Habe. Dort finden Z die Rettungsmannschaften in einer Straße ein kleines Kind, i das sich ängstlich an die Leiche seiner Mutter klammert. In ! den meisten Städten wurden die Angestellten und Arbeiter f in den Büros und Fabriken, die Kinder in der Schule von j dem furchtbaren Ereignis betroffen. Viele Menschen sind s über weite Strecken fortgewirbelt worden. Auf den Land- z straßen um Murphysboro wurden sechzig Kraftwagen em- j porgehoben und fortgeweht.

! Die nicht zerstörten Kirchen und Schulen sind in Lazaretts und Leichenhäuser verwandelt. Das Washingtoner Rot« Kreuz hat eine großzügige Hilfstätigkeit eingeleitet. De, Gouverneur von Illinois mobilisierte drei Regimenter zur Hilfeleistung, außerdem wurden viele Aerzte in das zer- i störte Gebiet abgeschickt. Die Rettungsarbeiten wurden ! aber durch die Zerstörung der Eisenbahnlinien, der Tele- ; graphen- und Lichtleitungen außerordentlich erschwert.

Berlin. 20. März. Wie dieVosstsche Zeitung" mitteitt, hat Reichskanzler Dr. Luther in einem Telegramm an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika die j Teilnahme des deutschen Volkes an der großen Naturkata- i Prophe ausgedrückt, der so viele Menschen zum Opfer gefal- ? len ieien.