Amtsblatt für den Bezirk Nagold und für Akensteig-Stadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagold, Calw und jreudsnstadt.
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Nr. 10 ^ Alteusteig» Dienstag den 13 Januar. ! Jahrgang 923
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Politische Streiflichter
Vom Dezember 1923 bis zum Januar 1925 hat der Reichskanzler Marx an der Spitze der Reichsregierung gestanden. Die endgültige Ausgabe seines Versuchs, ein Reichskabinett zusammenzubringen, beendet die Aera Marx, die verhältnismäßig lange bestanden hat bei dem in Deutschland seit 1918 großen Verbrauch an Ministern Dies beruht auf der persönlichen Wertschätzung, deren sich Marx im öffentlichen und politischen Leben erfreue« durfte.
L-atz tatsächlich die Parteien heute den ausschlaggebenden Einfluß auf die Regierungsbildung haben, auch wenn sie voll in doktrinären Auffassungen über den Parlamentarismus befangen sind, ergibt die neue Situation bei der Regierungsbildung in Berlin. Reichsfinanzminister Dr. Luther hat am Samstag und Sonntag mit den maßgebenden Parteiführern Konferenzen und Besprechungen abgehalten, ohne den offiziellen Auftrag zur Regierungsbildung angenommen zu haben. Er ist dabei aber keinen Schritt weiter gekommen als Marx bei seinen Versuchen.'
Der 10. Januar hat als schwärzester Tag in der deutschen Seschichte der beiden letzten Jahre die Nichtr' umung von Köln meinen Lettern. Franzosen und Belgier haben unter Mißachtung von Vertrag und Recht die Besetzung der nördlichen Rheinlandzone auftpchterhalten und die Verbandsmächte haben dies gebilligt unter Zufügung weiteren Unrechts an Deutschland in der Entwaffnungsfrage. Der 10. Januar hat auch handelspolitisch seine Bedeutung für die Zukunft. Deutschlands Pflicht zur einseitigen Gewährung »er Meistbegünstigung an die Unterzeichner des Versailler Vertrags ist zu Ende. In London boten uns die beiden größten Gegner, England und Frankreich, einen Handelsvertrag an. Aber wirklich beendet ist nur der englische Handelsvertrag, ein Meistbegünstigungsvertrag, wie wir ihn forderten. Auch mit Italien schreiten die Verhandlungen auf ähnlicher Grundlage günstig fort und für die Zeit bis jum 31. März ist unterdessen ein Provisorium vereinbart, jo daß der Vertragsabschluß in Ruhe erwartet werden kann.
Schwieriger ist der Stand der deutsch-französischen Wirtschaftsverhandln ngen, die zur Stunde noch nicht abgebrochen find, aber doch im Zeichen des 10. Januar stehen, mit dem zwischen Deutschland und Frankreich der vertragslose Zustand angebrochen ist. Die neuerdings von Frankreich vorgelegte Erhöhung seiner Minimalzollsätze läßt an Frankreichs ernstem Willen zweifeln. Man will dort in Paris wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegenüber Deutschland auf handelspolitischem Gebiet vertraglich verankern. Ob das von Frankreich vorgeschlagene Provisorium durch Deutschland endgültig abgelehnt wird, entscheidet sich in den nächste« Tagen.
Zwischen den Mächten der Pariser Finanzministerkonfe- renz ist eine Einigung über die Hauptstreitpunkte erzielt worden, die sicher zum Beschluß der Konferenz erhoben wird. Die von den vertraulichen Beratungen ausgeschlossenen Staaten haben, soweit es sich um europäische handelt, nichts ;u sagen. Leidtragend sind außer dem Kleinverband, den Polen und Griechen d'- Belgier, die von ihrem Vorrecht auf Dorausbefriedigung ihrer Schadensforderungen etwas Nachlassen und sich Herabsetzung ihres Gesamtanteils an den deutschen Entschädigungen auf die Hälfte (von acht aus vier Prozent) gefallen lassen muffen. Ein Pflaster auf diese Wunde wird sein, daß man ihnen 150 Millionen Eoldmark, die sie von der Ruhrbeute zu viel erhalten haben, anscheinend lassen will. Man hat sich nämlich darüber geeinigt, über das heillose Durcheinander in der Buchführung der Ruhrräuber gnädig den Vorhang fallen zu lassen. Daraus ergibt sich schon, daß auch Deutschland zu de« Kosten der Einigung beitragen soll. Denn wenn uns nur das auf die noch festzusetzende Eesamtentschädigung angerechnet werden soll, was die Räuber selbst in offenkundig betrügerischer Buchführung uns anrechnen wolle«, so gehen uns schon beträchtliche Summen verloren. Die Rechnung, die man in Paris aufgemacht hat, die aber nach Feststellung der belgischen Mehreinnahmen sehr falsch ist, lautet nach dem „Temps": Der Ertrag der zwanzigmonatigen Ruhrbesetzung ist insgesamt 982 Millionen Eoldmark, nämlich 492 Millionen Sachleistungen, 490 Millionen Bargeldeinnahmen. Rach Abzug von 1L4 Millionen allgemeiner Besetzungs- kosten verbleibt ein Nettobetrag von 798 Millionen. Von den 492 Millionen Sachleistungen hat Frankreich 318 Millionen, Belgien 114 Millionen und Italien 100 Millionen erhalten. — Die Engländer standen bisher auf dem zweifellos rechtlich einwandfreien Standpunkte, daß von den Ein-
' nahmen die rein militärischen Unkosten des Ruhrabenteuers nicht abzuziehen seien, daß vielmehr Frankreich und Belgien die durch ihren Vertragsbruch Entstandenen Kosten selbst tragen müßten. Davon hat sich Churchill abdrängen lassen. Wieder auf Deutschlands Rechnung gehen also die 100 Goldmillionen, die der militärische Spaziergang mit seinen Ausschreitungen gekostet hat.
Dagegen werden die amerikanischen Besetzungskosten auf die Dawes-Erträge übernommen.
Der kranke Kohlenbergbau
W.W. Es gibt viele, die dem Kohlenbergbau ein baldiges Ende prophezeien. Der Grund hierfür soll weniger in einer baldigen Erschöpfung der in erreichbarer Tiefe lagernden Kohlenschätze als vielmehr in technischen Fortschritten liegen. Das fließende Wasser, der Wind sowie Ebbe und Flut sind allerdins unversiegliche Energiequellen, die zur Kraft- , und Wärmegewinnung ausgenutzt werden können. Die i Durchführung großer Projekte scheitert allerdings vorläufig ! noch an den gewaltigen Kapitalbeträgen, die aufgebracht , werden müßten, um ein Kraftreservoir zu schaffen, welches die Verwendung von Kohle entbehrlich machen könnte. Besonders das kapitalarme Deutschland wird die ihm verblie- ^ denen Kohlenschätze möglichst vollständig auszunutzen suchen, um nicht wirtschaftlich und politisch hoffnungslos ins s Hintertreffen zu geraten.
' Diese Erwägungen müssen den Wirtschaftskriiiker und i auch den praktischen Politiker veranlassen, die zurzeit im ! deutschen Kohlenbergbau herrschende Krise nicht durch Drosselung der Produktion, sondern vielmehr durch Erweiterung j der Absatzmöglichkeiten zu lösen. Der Ruhrkohlenbergbau hat kürzlich interessante Zahlen über die Selbstkosten errechnet, die durchschnittlich bei der Förderung einer Tonne Kohle entstehen. Fast die Hälfte der gesamten Selbstkosten entfällt auf Arbeiterlöhne und Angestelltengehälter, näm- ! lich 8,10 von einem Gesamtbetrag der Selbstkosten in Höhe ! von 16,65. Zu dem Aufwand an Löhnen und Gehältern j kommen dann noch Versicherungsbeiträge in Höhe von 1,12 ; Mark, die auch als ein Teil des Entgeltes für Arbeitslei- i stung anzusehen sind. In den letzten Monate« des Jahres s 1924 haben die westdeutschen Steinkohlenzechen an der j Tonne Kohle durchschnittlich 1,30 Mk. zugesetzt. Diese Last i war nur tragbar, da in diesen Monaten die Reichsregie- ! rung 120 Millionen Eoldmark als Entgelt für einen Teil ! der seinerzeit gratis durchgeführten Micum-Lieferungen l auszahlte. Nicht nur die Interessenten des Bergbaus, son- ! dein alle, die für eine nationale Wirtschaftspolitik eintre- j ten, haben die Pflicht, den deutschen Kohlenbergbau vor der erschreckend fortschreitenden inneren Auszehrung zu bewahren.
? In großen Teilen Deutschlands — ja man kann sagen, i nahezu in der Hälfte des deutschen Reichsgebiets — kann ? die deutsche Ruhrkohle mit britischer Kohle nicht konkurrie-
> re«. Im deutschen Kohlenpreis stecken 1,20 Mk. Steuern und weitere 1 Mk. Unkosten darin, welch letztere zum erheblichen Teil aus Zi«s- und Tilgungsraten für Leihkapital bestehen. Dazu kommt noch, daß die Eisenbahnfrachten in Deutschland sehr viel höher sind als in anderen Ländern. Die genannten Selbstkostenfaktoreu lassen sich natürlich
z nicht ohne weiteres Herabdrücken. Um so notwendiger ist es
> aber, daß alles vermieden wird, wodurch die Unkosten abso- s lut und relativ erhöht werden. Hierzu gehören eine aber- ! malige, nicht durch erhöhte Lebenshaltungskosten bedingte E Erhöhung der Löhne und Gehälter, übertriebene, mit un- s serer traurigen Wirtschaftslage unvereinbare soziale Ansprüche und in erster Linie die von radikalen Eewerkschafts- kreisen geforderte Abschaffung der achten Schichtstunde. Gewiß haben die Arbeitnehmer im Bergbau das Recht, von den Zechenbesitzern einen reichlichen Aufwand maschineller Hilfsmittel zu fordern. Im Vergleich zur Vorkriegszeit sind auch unleugbare Fortschritte erzielt worden; so ist allein
- die Zahl der verwendeten Bohrhämmer auf mehr als das
- Dreifache des Standes vom Jahre 1914 gestiegen. Verstärkter technischer Ausbau ist aber in erster Linie eine Eeld-
. frage und damit abhängig von der Möglichkeit der Kapital- ' beschaffung. Würden jetzt die Bergarbeiter ihre unerfüll-
> ten und leider in hohem Grade unerfüllbaren Wünsche in
> Bezug auf den technischen Ausbau der Gruben zum Vor.
^ wand nehmen, um ihre erwähnten Forderungen mit Gewalt ' durchzusetzen, so würden sie dem kranken deutschen Berg--
> bau den Todeskeim einimpfen.
Kundgebung des Rheinland es
Am Sonntag fanden in Berlin wie im Rheinland machtvolle Kundgehungen gegen die Verweigerung der vertragsmäßigen Räumung der Kölner Zone statt. Unter Führung des Kölner Oberbürgermeisters Dr. Adenauer waren beim Reichskanzler führende Persönlichkeiten aus dem besetzten Gebiete erschienen, um sich bei der Regierung zu erkundigen, was sie gegenüber dem vertragswidrigen und erbitternden Vorgehen der Alliierten zu tun gedenke.
Reichskanzler Di. Marx führte in längerer Aussprache aus, daß die Reichsregierung bemüht sei, so rasch als möglich auf dem Wege von Verhandlungen eine Lösung zu finden.
In seiner Antwort auf die Ansprache des Kanzlers kam Dr. Adenauer auch auf das „traurige Schauspiel" der gegenwärtigen Regierungskrise zu sprechen. Mit tiefer Bekümmernis habe man besonders im Rheinland gesehen, daß es in Deutschland nicht möglich war, in den wichtigsten Wochen eine verhandlungsfähige Regierung zu bilden.
Am Sonntag fand beim Reichspräsidenten ein Empfang des Arbeitsausschusses deutscher Verbände und des Reichsverbands der Rheinländer statt, der eine Protesterklärung gegen die verweigerte Räumung übergab.
In Köln hatten sämtliche politischen Parteien Versammlungen veranstaltet, in denen gegen die Nichträumung der Kölner Zone entscheidender Protest eingelegt wurde. In allen Versammlungen wurden Entschließungen gegen die Nichträumung angenommen.
Die deirtsch.französischen Wirtschkfts- 1 Verhandlungen ^
Paris, 12. Jan. Staatssekretär Dr. Trendelenburg hatte mit dem Handelsminister Raynaldy eine Unterredung, die annähernd drei Stunden dauerte. Nach deren Beendigung ist folgendes von der deutschen und französischen Wirtschaftsdelegation verabredete gemeinsame Communique veröffentlicht werden:
Staatssekretär Dr. Trendelenburg hat heute dem französischen Handelsminister Raynaldy die Stellungnahme der deutschen Regierung sowohl über den von Frankreich vor» geschlagenen modus vivendi wie über das Eesamtproblem der Handelsvertragsverhandlungen bekannt gegeben. Eine nochmalige Zusammenkunft der beiden Delegationsvorsitzenden ist für Montag vereinbart, um die von dem Vorsitzenden der deutschen Delegation abgegebenen Erklärungen weiter zu prüfen und zu erörtern.
In der Nacht auf den Spnntag um 12 Uhr ist in den Handelsbeziehungen zwischen Frankreich und Deutschland der vertragslose Zustand eingetreten. Es wird — daran ist nicht zu zweifeln — wegen der elsässischen Kontingente für Frankreich ungemein peinlich zu tragen sein. Sonst dürfte zunächst Frankreich nicht viel unter ihm leiden, weil unser reichlich Lberalteter autonomer Tarif kein sehr geeignetes Mittel zur Führung von Zollkriegen darstellt. In diesen Zeitläuften braucht man einen Zolltarif mit Maximalsätzen; der aber ist auf dem Wege parlamentarischer Verhandlungen im Augenblick nicht zu schaffen. Es wird deshalb angenommen, daß dem Reichstag in allernächster Zeit ein Ermächtigungsgesetz zugehen wird, auf Grund dessen dann ein Maximaltarif festgesetzt werden dürfte.
Neues vom Tage.
Um die Regierungsbildung
Berlin, 12. Jan. Wie aus parlamentarischen Kreisen verlautet, verhandelte Reichsfinanzminister Dr. Luther um die Mittagsstunde mit den Vertretern der Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei. Bei den Verhandlungen Dr. Luthers mit dem Zentrum am heutigen Vormittag gaben die Zentrumsvertreter ihrer. Meinung dahin Ausdruck, daß im gegenwärtigen Augenblick ein Kabinett mit fraktioneller Bindung nicht möglich sei. Es komme nur ein sogenanntes überparteiliches Uebergangskabinett in Frage.
Dr. Luther noch auf der Suche Berlin, 12. Jan. Finanzminister Dr. Luther hat bei seinen Besprechungen am Montag mit den einzelnen Parteiführern alle Möglichkeiten einer Kabinettsbildung durch« beraten.' Es ist jedoch kaum zu erwarten, daß die Verhandlungen schon so weit gedeihen werden, daß Dr. Luther den Auftrag zur Kabinettsbildung sich formell geben läßt. Von der Deutschen Volkspartei war allein der Fraktionsvorsit-