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Amtsblatt für den Bezirk Nagold und für Altensteig-Stadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagold, Calw und Zreudenstadt.
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Ur. 9
Altensteig. Montag den 12. Januar.
Jahrgang r92S
Noch keine Negierung!
Die politische Atmosphäre ist im Augenblick von der Selbstsucht und Leidenschaft der Parteien in einem Matze vergiftet, das sachliches Denken und sachliche Maßnahmen erschwert. Wenn der Frevel der Parteien gegen das Wesen und den Geist des Parlamentarismus nur noch einige Tags länger dauert, wird er dem deutschen Volk nicht nur Ekel, sondern a-.-ch Elend bringen, da die gießen innerund außenpolitischen Probleme, an denen das Schickml des Kelches und der Wirtschaft hängt, liegen blieben. Das sonderbare Unternehmen, das sich mit der Errichtung einer sogenannten Reichsregierung beschäftigt, hatte also während der letzten Wochen keinen Erfolg aufzuweisen. Die Ueberraschung kam am Freitag spül abends. Der Reichskanzler Marx hat sich zum Reichspräsidenten begeben, um ihm auf allgemeinen Wunsch nun zum letzten Male de« Auftrag zur Kabinettsbildung zurückzugeben, und am Horizont steht nach wie vor die überparteiliche Kombination Dr. Luther. Man muß auch heute wiederholen: Aenderun- gen Vorbehalten.
Der Reichskanzler Marx hat sich offenbar gegen seine bessere Ueberzeugung, von seiner Fraktion am Freitag zu einem nochmaligen Versuch der Regierungsbildung überreden lassen, in der Hoffnung, daß die Minister Dr. Luther und Graf Kanitz doch noch in einem Kabinett aus Zentrum und Demokraten in Verbindung mit Staatssekretären bleiben würden. Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Die Minister find von Dr. Marx erneut befragt worden. Sie haben sich ihre Antwort Vorbehalten, bis sie von der Deutschen Volkspartei eine Auskunft hätten, ob sich diese, wenn auch nicht mit dem Demokratenführer Koch als Reichsminister des Innern, so doch mit einem Demokraten weniger scharfer Abstempelung insoweit einverstanden erklären würde, daß sie einem derartig zusammengesetzten Kabinett keine Schwierigkeiten machen würde. Der Vorstand der Deutschen Volkspartei hat, wie zu erwarten war, erklärt, daß ein Kabinett des Zentrums mit Demokraten irgend- velcher Art ein politisches Minderheitskabinett bleibe und deshalb von der Volksvartei nickt toleriert werden könne.
Nach dieser Auskunft der Deutschen Volkspartei haben nicht nur Dr. Luther und Graf Kanitz, sondern auch der Reichswehrminister Dr. Eetzler und der Reichsarbeitsminister Dr. Brauns ihre Beteiligung an einem Kabinett mit Demokraten abgelehnt. Der neue Versuch des Reichskanzlers war gescheitert. Dann fand eine neue Besprechung des Reichskanzlers mit den Ministern Dr. Stresemann, Dr. Eeßler, Dr. Brauns und Dr. Luther im Reichstag statt, !in der die Minister dem Reichskanzler dringend nahelegten, schon mit Rücksicht auf das Ansehen seiner Person, die von ihnen hochgeschätzt werde, nunmehr den Auftrag zur Kabinettsbildung endgültig dem Reichspräsidenten zurückzugeben. Der Kanzler hat sich diesen Vorstellungen nicht verschlossen und sofort nach der Unterredung seinen Auftrag dem Reichspräsidenten zurückgegeben.
In der Frage der Regierungsbildung sind am Samstag vormittag weitere Fortschritte nicht zu verzeichnen. Nachdem am Freitag der Reichspräsident Ebert mit den Führern der einzelnen Fraktionen noch einmal Rücksprache genommen hat» hat im Laufe des Tages der bisherige Reichsfinanzminister Dr. Luther Sondierungen mit den in Betracht kommenden Persönlichkeiten vorgenommen. Offiziell hat Dr. Luther jedoch den Auftrag zur Regierungsbildung »och nicht erhalten. Diese Sondierungen haben den ganzen Samstag in Anspruch genommen. Sollten sie zu einem Erfolg führen, so ist damit zu rechnen, daß der Reichspräsident den Finanzminister Dr. Luther mit der Regierungsbildung beauftragen wird.
Deutscher Reichstag
Berlin, 10. Jan.
Am Freitag abend wurde die erste Lesung der Amnestie- Vorlagen der Deutschnationalen, der Sozialdemokraten und der Kommunisten beraten.
Abg. Geschke (Komm.) begründete ausführlich den kommunistischen Antr,^. Abg. Rosenfeld (Soz.) weist die kommunistischen Angriffe gegen seine Partei zurück. In Hochverratsprozessen wurde ganz einseitig geurteilt. Das beweisen die Fälle Ludendorff und Eraese auf der einen und Höllein auf der anderen Seite. (Thaelmann (Komm.) wird im weiteren Verlauf der Rede Rosenselds vom Vizepräsidenten Eraese wegen des Zurufes: „Gemeiner Schieber" zur Ordnung gerufen.)
Abg. Lohmann (D.natl.) beantragt Ueberweisung sämtlicher Anträge an den Rechtsausschuß. Er fordert Amnestierung der Teilnehmer am Kapp-Putsch. am Küstriner Putsch und der Mitglieder der Organisation Consul. — Die Anträge gehen an den Rechtsausschuß. Abg. Eraese (Nat.-soz.) widerspricht entrüstet dieser Vertagung.
Abg. Fehrenbach (Zentr.) erklärt sich mit einer gründlichen Aufklärung der Affäre Dr. Hoefle durchaus einverstanden. Er wendet sich aber gegen agitatorische Reden zu diesem Falle. (Widerspruch rechts.) Der parlamentarische Untersuchungsausschuß werde sehr eingehend verfahren, aber in wenigen Stunden könne die Angelegenheit nicht aufgeklärt werden. (Aharufe! rechts.) Der Redner erklärt: Gegenüber Ausführungen einer mir so wohlgesinnten Presse stelle ich fest: es existiert in Freiburg ein junger Rechtsanwalt Fehrenbach, der Syndikus der Holzfirma Himmelsbach ist. Dieser steht mit mir weder in verwandtichaftlichen, noch in gesellschaftlichen Beziehungen.
Abg. Schultz-Bromberg (D.natl.) erkennt an, daß eine politische Aussprache ohne eine verantwortliche Regierung nicht geführt werden könne.
Es wird darauf einstimmig ein devtschnationaler Antrag »«genommen, einen Untersuchungsausschuß einzasetzen, der die gegen Parlamentarier in der Barmat-Affäre erhobe- »e« Vorwürfe nachprüfen soll. Der Untersuchungsausschuß wird sofort eingesetzt. Er besteht aus 18 Mitgliedern.
Der Präsident wird darauf ermächtigt, die nächste Sit» tung nach erfolgter Regierungsbildung einzuberufen, jM» testens zum Mittwoch. Auf der Tagesordnung wird dre Entgegennahme einer Regierungserklärung stehen.
Der Barmatskandal
Zu den Zentrumsabgeordneten Hoefle und Lange-Heger- mann, die durch den Barmat-Skandal in schwerster Weise kompromittiert sind, gesellt sich nun auch der Berliner Polizeipräsident Richter. Der „Berliner Lokalanzeiger" teili mit:
„Die mit der Untersuchung in Sachen des Varmat-Konzerns beschäftigte Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen auf die Person des Postminister Dr. Hoefle, auf den Zentrumsabgeordneten Lange-Hegermann, den Ministerialdirektor Abegg, den Polizeipräsidenten Richter und dessen Privatsekretär Stöcker sowie auf eine Reihe anderer Persönlichkeiten ausgedehnt."
Daß aber gegen den Reichspostminister Dr. Hoefle, den Ministerialdirektor Abegg, den Berliner Polizeipräsidenten Richter und dessen Privatsekretär Stöcker von der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei, trifft aber einer Mitteilung des amtlichen Preußischen Pressedienstes zufolge nicht zu.. Polizeipräsident Richter läßt erkennen, daß er allerdings mit Julius Barmat befreundet sei, daß er aber nie amtlich mit ihm zu tun gehabt habe. 1924 habe er von der zum Barmatkonzern gehörenden Merkurbank zur Anschaffung eines Siedlungsgrundstücks 5000 Mk. geliehen, die ihm bei entsprechender Verzinsung in Rechnung gestelL worden seien. Die Behauptung, daß er Herrn Barmat als seinem persönlichen Freunde die Niederlassung in Berlin unter Umgehung der bestehenden Vorschriften ermöglicht habe, sei unzutreffend. Seinen Privatsekretär Stöcker habe er bereits vor längerer Zeit angewiesen, seine Tätigkeit in den Geschäften Julius Barmats einzustellen, was dieser auch im März vorigen Jahres getan habe. Stöcker bezog sein Gehalt, das dem eines Beamten in der Eehaltsklasse 7 entsprach, aus der Staatskasse. Nun darf ein Angestellter oder Beamter einer Behörde nur unter gewissen Bedingungen einen Nebenberuf ausüben. Bei der Personalabteilung des Polizeipräsidiums liegt ein Antrag auf Erlaubnis zur Nebenarbeit durch den Sekretär nicht vor. Er hat aber im Amexima-Konzeru, der Zentrale des Varmat-Konzerns, gearbeitet.
Die vorteilhaften Beziehungen der Barmats zn amtlichen Stellen beleuchtet nachstehendes Schreiben:
Der Minister des Innern.
Berlin, den 24. Noo. 1920.
Die Familie des der holländischen Gesandtschaft ungehörigen Herrn Barmat, bestehend aus vier Erwachsenen und drei Kindern, reist von Rußland über deutsches Gebiet nach Holland. In der Voraussetzung, daß die betreffenden Personen sich im Besitz ordnungsmäßiger Ausweispapiere befinden, stehen ihrer Durchreise durch Preußen keine Bedenken entgegen. Ich ersuche ergebenst, die Grenzübergangsstellen gefälligst sofort entsprechend zu verständigen und dafür zu sorgen, daß der Familie unter der be- zeichneten Voraussetzung beim Erenzübertritt keine Schwierigkeiten bereitet werden. Im Auftrag: (gez.) Abegg.
Der amtliche Preußische Pressedienst teilt dazu mit: Am 23. November 1920 sei Severing von einem hervorragenden Mitglied des früheren Reichskabinetts gebeten worden, sich dafür zu interessieren, daß der Familie eines Herrn Barmat von der holländischen Gesandtschaft bei der Durchreise von Rußland durch Deutschland nach Holland keinerlei Schwierigkeiten bereitet würden. In gleichem Sinne sei bereits mit dem Leiter der zuständigen Abteilung des Auswärtigen Amts Verbindung ausgenommen worden. Dieser habe seine Zustimmung zur Durchreise erteilt und gleichzeitig gebeten, dies auch von Preußen aus zu veranlassen. Dieser Bitte sei nun, wie in solchen Fällen üblich, stattgegeben worden in der selbstverständlichen Annahme, daß die dazu gemachten Angaben den Tatsachen entsprechen. Irgend eine weitere Beziehung des Ministers zn den Varmats bestand in keiner Weise.
Rechtsanwalt Dr. Alsberg-Berlin hat in Beantwortung der Veröffentlichung der „Deutschen Zeitung" folgendes Schreiben an dieses Blatt gerichtet: „Im Auftrag des Reichspostministers Dr. Hoefle haben wir Ihnen folgendes mitzuteilen: Sie berichten in Ihrer Abendausgabe vom 9. Januar, daß Herr Dr, Hoefle aus den Postgeldern, die dem wirtschaftlichen Wiederaufbau des Rhein- und Ruhrgebiets dienen sollten, seinem Fraktionsgenossen Lange- Hegermann einen Kredit in Höhe von 2 Millionen Eold- mark eingeräumt habe. Diese Mitteilungen sind unwahr. Der Kredit ist von der Abteilung München der Reichspostverwaltung, die in der Verwaltung ihrer Gelder völlig selbständig ist, unter Einschaltung von zugelassenen Staatsbanken gewährt worden. Die Behauptung, daß Herr Dr. Hoefle irgend eine Vergütung direkt oder indirekt für sich persönlich bezogen habe, stellt eine Verleumdung dar. Wir sind beauftragt, gegen die Urheber und Verbreiter dieser Nachrichten die notwendigen strafrechtlichen Schritte einzuleiten."
Genossenschaftliche Erovemmgerl
Friedrich der Große hat, wie erinnerlich, sich für die höchst bedeutsame Urbarmachung des Oderbruchs selbst das verdiente Lob ausgestellt, daß er hier im Frieden eine Provinz erobert habe. Solche Eroberungen sind im letzten Jahre in aller Stille in Deutschland verschiedentlich gemacht worden, indem öffentlich-rechtliche Genossenschaften private Moor- und Oedländereien unter den Dampfpslug nahmen, urbar machten und aus diese Weise ein Versäumnis des wirtschaftlich so viel stärkeren Vorkriegsdeutschland nachholten. Es ist bezeichnend und gereicht dem Genossenschaftswesen zur besonderen Freude, daß diese Maßnahme, wenn auch im wesentlichen auf staatliche Initiative zurückgehend, in der Form von Genossenschaften erfolgte. Auf diese Weise wird in aller Stille ein großer Teil deutschen Bodens aus unfruchtbarer Heide und totem Moor in fruchtbringendes Ackerland verwandelt und es ist nur zu hoffen, daß weitere Mittel aufgebracht werden können, damit der Plan, jährlich 28 000—30 000 Morgen urbar zu machen, durchgeführt werden kann. Es zeigt sich, daß auch private Initiative günstig angeregt wird. Wenn jährlich nur 50 000 bis 60 000 Morgen H'eide in Kultur genommen werdeiy könnten, so würde das die Ansiedelung von 1200 bäuerli-? chen Siedelungen jährlich ermöglichen. Die Siedlungsergeb- nrsse der letzten 8 Jahre sind außerordentlich günstig und stellen einen Lichtpunkt in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unseres Volkes dar. Heber die Entwicklung der letzten 8 Jahre berichtet der amtliche Preußische Pressedienst:
Kalenderjahr: Neusiedlungen: Anliegersiedlungen:
Anzahl Fläche Anzahl Fläche
1919 822 9 801 Hektar 12 806 10 741 Hektar
1920 1 743 14 909 Hektar 19 089 20 338 Hektar
1921 2147 19 420 Hektar 23 480 22 734 Hektar
1922 2 633 19 943 Hektar 19 619 20 747 Hektar
1923 2 789 32 449 Hektar 18186 22 997 Hektar
zusammen: 10183 96 824 Hektar 92 830 97 394 Hektar
Von den auf Grund des Gesetzes vom 11. August 1919 für die Ansiedler, Pächter und Angestellten von Landliefe- rungsverbänden aus den abgetretenen deutschen Gebieten zur Verfügung gestellten 40 000 Hektar entfallen auf Preußen 34 300 Hektar, die durch die preußische Ausführungs- rrnweisung vom 15. Juni 1923 auf die landlieferungspflich- iigen Provinzen verteilt worden sind. Diese Fläche ist ,'um größten Teil im Wege der Enteignung und durch irei- svilliae Bereitstellung der lieserungspflichtigen Eigenu er