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Amtsblatt für den Bezirk Nagold und für Altensteig-Ltadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagold, Lalw und FreudenstaSt.

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Nr. 8 , Altenlleig, Samstag den 1v. Januar. j Jahrgang t923

Zur Lage.

Während wir in der innerdeutschen Politik über Berge von Schwierigkeiten torkeln und in der Außenpolitik neue Demütigung durch den Vertragsbruch der Verbandsmächte einstecken mußten, ist die erste volle Jahreswoche zu Ende gegangen und der Schickfalstag des 10. Januar erhebt grin­send sein Haupt und fragt: Und was nun? Wir wissen zur Stunde noch nicht, ob es gelingt, bis zum Morgengrauen des 10. Januar ein regierungsfähiges Reichskabinett in Berlin zustande zu bringen, daß wenigstens im Reichstag als der Vertretung des deutschen Volkes mit einem nach­drücklichen Protest der neuen Regierung gegen den neuen Gewaltakt des Verbandes, der in der Geschichte immer mit dem 10. Januar verbunden bleiben wird, dem Schicksals­tag eine Weihe gegeben würde. Man liebt bei der Regie­rung in Berlin gerne die Pose, und so könnte das erste Auftreten dieser Schwergeburt von Regierung kaum eine Störung erfahren. Der förmliche Protest der Regierung liegt freilich schon vor. Denn auf die am 5. Januar über­reichte Note der Botschafter Frankreichs, Englands, Bel­giens, Italiens und Japans beim Reichskanzler in Berlin wurde bereits am 7. Januar eine deutsche Antwort erteilt. Nicht eine solche ohne Hörner und Zähne, wie man wohl in früheren Zeiten auf Vertragsbrüche geantwortet hätte, wohl aber eine mit ernster Verwahrung.

Der diplomatische Hergang um diesen Notenwechsel in der Räumungsfrage spielte sich folgendermaßen ab: Am Sylvesterabend hat die Botschafterkonferenz in Paris, als das Ueberwachungsorgan für das Versailler Diktat, den Beschluß gefaßt., eine Note nach Berlin zu richten, daß die nördliche Rheinlandzone, die nach Artikel 429 des Ver­sailler Vertrags zum 10. Januar 1925 geräumt werden sollte, nicht geräumt wird. Der betreffende Artikel betont die Voraussetzung, daß Deutschland getreulich die Bedingungen des Vertrags erfüllt haben müsse. Aus dieser Falle, zusam­men mit der letzten uns in London auferlegten Eeneral- inspektion, geschürt durch die französische Lügenhetze, hat man nun Deutschland einen Strick gedreht. Heber die Form der Note, die den Vertragsbruch rechtfertigen sollte, kam es zu Differenzen zwischen London und Paris, aber schließlich hat dl: englische Regierung dem französischen Militaris­mus nachgegeben. So kam die Verbandsnote zustande, die die Nichträumung von Köln mit den bekannten Hetzelügen der französischen Presse in Sachen der Entwaffnung in Deutschland unter Aufzählung von Einzelfällen zu begrün­den versuchte. Ehe also noch der abschließende Bericht der Militärkontrollkommission vorliegt, sind die Verbändler mit ihrem Urteil fertig. Eine zweite Note wird zugleich an­gekündigt. Das interimistische Reichskabinett Marx hat daraufhin am 7. Januar den Verbandsmächten eine Ant­wortnote gegeben, die eine entschiedene Sprache führt. Auf die Einzelfälle der Verfehlungen wird nicht eingegangen, vielmehr um schleunigste Üebermittlung der angekündigten zweiten Note nachgesucht, Verwahrung gegen das Vor­gehen des Verbands eingelegt und deutlich unterstrichen, daß der Versailler Vertrag und das Londoner Abkommen diesem Gewaltakt entgegenstehen, daß überhaupt nur auf der Grundlage friedlicher Verständigung das schwere Pro­blem gelöst werden könne. Das beste an dieser Antwort war, daß sie rasch gegeben wurde. In den Verbandsländern zerbricht man sich freilich nicht den Kopf über die deutsche Verwahrungsnote. Macht geht vor Recht. Nach diesem alten Grungsatz der internationalen Diplomatie verfährt man, trotz aller Sprüche über Recht und Gerechtigkeit und trotz aller Völkerbundsfanfarenklänge über Versöhnung und Frieden. Die deutsche Antwort und die zahllosen Pro­teste aus der Kölner Zone und dem unbesetzten Deutschland wären zweifellos eine Nuance schärfer ausgefallen, wenn man in Deutschland nicht das Gefühl hätte, in einer schreck­lichen, regierungslosen Zeit zu leben.

Das Betrübende ist, daß Reichskanzler Marx, obwohl er seit 4 Wochen den Auftrag zur Regierungsbildung hat, ja erst am 8. Jan. vom Reichspräsidenten diesen neu bestätigt erhielt, immer noch seinen Rundgang durch die Fraktionen des Reichstags nicht beendet hat, um eine lebensfähige Re­gierung zu errichten. Die Schuld daran liegt zunächst bei den Parteien, die sich zur Mehrheitsbildung nicht entschlie­ßen konnten. Vor allem bei der Partei des Reichskanzlers selbst, beim Zentrum. Der Gedanke der Volksgemeinschaft wurde dabei immer betont und eine Regierung von der Sozialdemokratie bis zu den Deutschnationalen gefordert. Aber davon konnte im Ernste wirklich niemand reden. So ist denn Marx, als er endlich diese Unmöglichkeit erkannte, auf den Gedanken einesüberparteilichen Kabinetts" ver»

! fallen. Auch hier mußte er viele Bittgänge mit dem Hute

> in der Hand machen, aber wenn nicht alles trügt, wird bis ! zum 10. Januar ein neues Reichskabinett Marx dastehen ! und vor dem Reichstag eine Regierungserklärung abgeben, i Das Wesentliche der Neubildung ist, daß die Deutsche Volks- ^ Partei nicht mehr daran beteiligt sein wird, daß sich das ^ neue Kabinett vielmehr nur auf Zentrum, Bayerische : Volkspartei und Demokraten stützt und einige Beamte als

> R^ssortverwalter mitführt. Man spricht immer davon, daß

i der Kurs der Mitte weitergeführt werden müsse. Die bür-' ! gerliche Rechtsregierung ist am Zentrum gescheitert, die ' Weimarer Koalition aus Sozialdemokraten, Demokraten ! und Zentrum eben wieder an letzterem. Wenn nun das l Minderheitskabinett aus Zentrum und Demokraten gebil- s det ist, was bis zum 10. Januar sicher vorausgesagt wird,

! so haben wir zunächst wohl eine handlungsfähige Regie- ! rung. Wie lange? Bis der Zentrumskanzler in offener j Schlacht im Parlament fällt, meint die Zentrumspresse.

' Die beiden Parteien verfügen knapp über 100 Sitze der ! 491 Abgeordneten im Reichstag. Aber es ist nachgerade des ! widerlichen Spieles um die Regierungsbildung genug.

Hereingespielt hat dabei noch die Frage der Neubildung ! der preußischen Regierung. Die beiden volksparteilichen j Minister sind gegangen, wie es nach Neuwahlen die Regel i ist. Die Entscheidung über den Weiterbestand der Regierung i Braun (Soz.) liegt beim Landtag. Sie wird in kommender r Woche fallen. ^ ^ -- -W

! Politische und wirtschaftliche Krisen erfordern eine Re-

> gierung zum Handeln. In den Wirtschaftsverhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich in Paris ist nun der

! Kriegsfall unvermeidlich. Da bis 10. Januar die Verhand- ! langen nicht zum Abschluß kamen wegen der Halsstarrig- ! keit und Profitsucht der Franzosen, haben diese ein Provi- s sorium vorgeschlagen für drei Monate, das für Deutschland l ^unannehmbar ist. Der deutsche Deleagtionssührer Dr. Tren- ! sdelenburg reiste nach Berlin und erstattete dem Reichskabi- ? inett Bericht und dieses soll das von Frankreich vorgeschla- f !gene Handelsabkommen abgelehnt haben. Trendelenburg ! !wird wohl am Schicksalstag des 10. Januar in Paris die j ^Mitteilung machen, daß nunmehr eben der vertragslose Zu- sstand eintrete. Der deutsch-französische Zollkrieg ist somit ! unvermeidlich.

! In Paris tagt feit 7. Januar die Finanzministerkonfe- ! renz der Alliierten, die die Beut« aus der französischen i 'Ruhraktion und die Eeldergebnisse aus dem Dawesplan

- !verteilen soll. Die Hauptrolle spielen dabei die Besatzungs- ! kosten. England und Italien wollen die französisch-belgi- ! scheu Vesatzungskosten nicht in voller Höhe anerkennen; auch

- Amerika fordert Entschädigung für seinen Befatzungsauf- ! wand bis zum Jahre 1921 und hat in aller Stille sich mit

^England verständigt, daß es vom Dawesplan sein Teil er- !hält. Deutschland ist in der ganzen Sache der Leidtragende, denn alles, was die Herrschaften beschließen, geht auf deut­sche Rechnung.

Krisen politischer Art verdunkeln auch den sonnigen »Himmel Italiens. Mussolinis politische Gegner rüsteten zu s einem Schlag gegen den Faszismus, aber der Meister ist s ihnen zuvorgekommen und hat durch scharfe Ordnungs- ! Maßnahmen und eine Art Belagerungszustand das Regie- ! rungsszepter stärker denn je in der Hand. Mit seiner par- ! lamentarischen Mehrheit wird er in kommender Woche ein neues Wahlgesetz verabschieden und dann Neuwahlen aus- ! schreiben, um der Volksstimmung Rechnung zu tragen. Da- j bei kommt das Pluralwahlrecht zur Geltung. Auch in ; Frankreich haben sich die Gegensätze zwischen Senat und i Kammer verschärft, so daß die Gerüchte über einen baldi-

- gen Rücktritt des immer noch leidenden Herriot nicht ver- i stummen wollen.

! Heinrich Heine, der Spötter und Verächter deutschen We- f Wesens, hat von Paris aus einst gesungen: j Deutschland hat ewigen Bestand

? Es ist ein kerngesundes Land!

j Ob ihm diese Erkenntnis erst recht innerhalb der Fäulnis- ! atmosphäre von Paris gekommen ist? Wenn man aber ! heute in die deutsche Reichshauptstadt blickt, so stinkt der , Finanzskandal der Kutisker und Gebrüder Barmat zum r Himmel. Diese kleinen Russen brachte die Revolution nach ' Deutschland und mit Unterstützung amtlicher Stellen und i staatlicher Bankgelder konnten diese Eroß-Schieber nicht b nur die besten Geschäfte in Deutschland machen und sich un­menschlich bereichern, auch Amtspersonen aller Art wurden . in die schmierigen Geschäfte verwickelt bis in die hohen und höchsten Reichs- und Parteistellen hinauf, so daß die nnn-

> mehr angebahnte Reinigung noch ein übles Nachspiel ha- ' ben wird. Für die Zustände Deutschlands in der Nachkriegs­

zeit wird das kommende Urteil ein Charakteristikum bil­den. Doch bleibt der Gang der Untersuchung abzuwarten, ehe über Personen eine Wertung abgegeben werden kann. Auch zwei Reichstagsabgeordnete des Zentrums scheinen in die Angelegenheit verwickelt zu sein, obwohl Reichspostminister Dr. Höfle die Niederlegung seines Abgeordnetenmandatsl !zu, ' dementiert.

Deutscher Reichstag

Berlin, S. Jan.

Auf Vorschlag des Präsidenten Loebe wurden in der Frei­tagsitzung zunächst die Ausschüsse für die Aufwertungs- und , die Kriegsbeschädigtens.agen sowie für das besetzte Gebiet ^ wieder eingesetzt.

Als erster Punkt steht auf der Tagesordnung der Bericht des Eeschästsordnungsausschusses über die Anträge auf Haftentlassung der kommunistischen Abgeordneten Rosen» bäum und Höllein. Der Ausschuß, über dessen Verhandlun­gen der Abg. Dr. Spahn (Zentrum) berichtet, hat einstim­mig die Haftentlassung des Abg. Rosenbaum und die Ein­stellung des Verfahrens gegen ihn beschlossen. Im Fall« Höllein ist zwar die Haftentlassung, nicht aber die Einstel­lung des Verfahrens beschlossen worden. Der Ausschuß rich­tet an die Regierung anläßlich des Vorgehens des Unter­suchungsrichters Vogt gegen den Abgeordneten Höllein die Aufforderung, dafür zu sorgen, daß Briefe, die von ' ordneten aus der Untersuchungshaft an den Reichstag ge­richtet werden, nicht zurückgehalten werden.

Abg. Dr. v. Freytag-Loringhoven (Dtnl.) betont, die deutschnationale Fraktion lehne es grundsätzlich ab, die Ab­geordneten als eine privilegierte Menschenklasse zu behan­deln und der Strafrechtspflege in den Arm zu fallen, wenn es sich um Abgeordnete handelt. Im Falle Höllein handle es sich um eine tendenziöse Verfolgung und die Deutsch­nationalen würden deshalb für die Haftentlassung stimmen.

Abg. Stetter (Komm.) bezeichnet die Fälle Rosenbaum und Höllein typisch für die Methode, mit der die Reichs- anwaltschaft ohne tatsächliche Unterlagen kommunistische Ab­geordnete in Haft setze, um sie nicht am Wahlkampf teil­nehmen zu lassen.

Abg. Dittmann (Soz.) erklärt, seine Freunde würden in beiden Fällen für Haftentlassung und Einstellung des Ver­fahrens stimmen. Der Redner wendet sich dann gegen die von dem deutschnationalen Redner vorgetragenen Grund­sätze in der Jmmunitätsfrage.

Abg. Dr. Bell (Zentrum) wendet sich gleichfalls gegen den Abgeordneten v. Freytag-Loringhoven. Es müsse in jedem Falle geprüft werden, ob das Interesse an der Strafverfol­gung überwiegt oder das Interesse des Reichstages an der Arbeitsmöglichkeit seiner Mitglieder.

Abg. v. Freytag-Loringhoven (Dtnl.) verweist darauf, daß der frühere sozialdemokratische Justizminister Dr. Rad­bruch selbst den politischen Charakter des Staatsgerichts­hofes betont habe, der sich gegen bestimmte politische Par­teien richte.

Der Antrag auf Einstellung des Verfahrens gegen Höllein wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Kom­munisten abgelehnt. Der Ausschußantrag auf Haftentlassung der Abgeordneten Rosenbaum und Höllein und auf Ein­stellung des Verfahrens gegen Rosenbaum wird einstimmig angenommen.

Es folgt di: di -atung der Novelle zum Postgesetz.

Abg. Henning (Ra^oz.): Wir beantragen, den Post­minister herbeizurufen oder, wenn er inzwischen zurückgetre­ten ist, seinen Vertreter. (Staatssekretär Sauter vom Reichsxostmini,. verbeugt sich lächelnd.)

Präsident Le:b": ^)ie Rechtslage ist so, daß Minister Dr. Höfle sei lmt niedergelegt hat, ebenso wie die übrigen Mitglieder des Kabinetts. Er ist vom Reichspräsidenten mi. der Fortführung des Amtes beauftragt worden und führt diesen Auftrag gegenwärtig nicht aus.

Henning (Nat.Soz.): Wir beantragen dennoch die Herbeirufung des Herrn Höfle. Wenn er auch jetzt sein Amt ni , 'gt hat, so wissen wir doch nicht, ob er nicht als Stehau, Männchen bald wieder auftaucht. Das wäre ange­sichts der Beteiligung dieses Herrn am Barmat-Skandal un­erträglich.

De: Antrag auf Herbeirufung des Ministers Dr. Höfle wird gegen die Stimmen der Deutschnationalen, Konunu- istcn, Nationalsozialisten und einigen Sozialdemokraten ab­gelehnt.

Abg. Henning (Nat.Soz.): Wir beantragen nunmehr Ab­setzung des Gegenstandes von der Tagesordnung. W-r kön­nen nicht für die Post etwas bewilligen, solange die Gefahr