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Amtsblatt für den Bezirk Nagold und für Altensteig-Ltadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagold, Lalw und Freudenstadt
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I Jahrgang t923
Altensteig, Freitag den 2. Januar.
Politische Zahresschau S
ii.
Das zu Ende gegangene Jahr 1924 war das zehnte nach Äusbruch des Weltkrieges. Mannigfach gestalteten sich die Rückblicke über dieses Dezenium der deutschen Geschichte und über die Entwicklung der großen Tragödie der Völker und den Verlauf der entscheidenden ersten Kriegsmonate. Es zeigte sich eabei, daß wir in den parteipolitischen Wirren der Zeit noch zu stark befangen sind, als daß wir die , völlige Klar^'t über den Kriegsverlauf und die Möglich- ' keiten zu dessen glücklicher Beendigung gewinnen könnten. ? Nur über eines besteht unzweideutige Offenheit, über die , Kriegsscknildfrage. Die Veröffentlichung der Quellen aus ! den deutschen und russischen Archiven haben dargetan, daß Deutschland nicht zum Kriege getrieben hat und daß seine verantwortlichen Männer im Jahre 1914 bestrebt waren, i mit allen Mitteln den Frieden zu wahren. Die Verbands- - Mächte halten noch ihre Kriegsarchive verschlossen. Das , schlechte Gewissen hemmt den Schritt zur Klarheit und ' Wahrheit. Dennoch hat gerade die Veröffentlichung der s russischen Akten Poincare und den russischen Botschafter in - Paris, Jswolski, so stark als die eigentlichen Kriegsurheber ! belastet, daß beide schon in Abwehr stehen. Und just zur ' Jahreswende 1924—25 hat der Franzose Augustin Ha- ! man in der „Ere Nouvelle" einen Artikel zur Kriegsschuld- , frage geschrieben, in dem es wörtlich heißt: „Poincare ist ! einer der verantwortlichen Urheber des Weltkrieges. Diese - Tatsgche steht heute für jeden außer Zweifel, der nicht vom ; Parteigeist besessen ist Es liegen genügend Zenaniste' da- ! für vor. Das sind nach streng wissenschaftlicher Methode zu- i sammsngestollte Dokumente. Poincare bereitete den Krieg vor; er wollte den Krieg. Er war also der Mitschuldige von Jswolski und Sassonow." Unverkennbar bleibt dabei das > Bestreben der französischen Forscher, auch Deutschland einen Teil der Kriegsschuld aufzspacken. Vergebens. Bedauerlich bleibt nur, daß die von der Reichsregierung eingeleitete Akrion in der Kriegsschuldfrage durch politische Rücksichten auf das Ausland nicht zur Durchführung kam, weil dadurch der Dawesplan und dessen Durchführung gefährdet erschien. Dennoch wird der Tag der Wahrheit und Klarheit kommen, an dem die Schuldigen von aller Welt erkannt werden. Das ist eine Hoffnung, die in die deutsche Zukunft leuchtet.
Die innerpolitische Lao- Deutschlands im Jahr 1824 rvc wie in den letzten fünf Jahren bedingt durch den Druck ln außenpolitischen Ereignisse. Auch Wirtschaft und Finnin zen waren dadurch beeinflußt. Dies wird deutlich, wenn man > die amtliche Mitteilung vergleicht, daß bis 31. Dezember 1923 di inneren Besetzungskosten 1329 Millionen Goldmark betrugen, die äußeren sogar 3748 Millionen. Daß dabei die Ruhrbesetzung eine Hauptrolle spielte, ergab sich aus der Eeiamtlace. Erst das Londoner Abkommen vom August schuf der Eesamtwirtschaft Deutschlands eine Entlastung; denn nach diesem fallen die Besatzungskosten künftig den besetzenden Mächten selbst zur Last. Dennoch hat gerade der Dawesplan der deutschen Wirtschaft Wunden geschlagen, die i sich erst im Laufe des neuen Jahres zeigen werden. Wohl r find die Micumlasten in Wegfall gekommen, aber Deutschland verpflichtete sich über den Friedensvertrag hinaus, also über das Jahr 1930 hinüber, an Frankreich gegen Bezahlung Kohlen, Koks und Farbstoffe zu liefern. Die Reichseisenbahn wurde einer Gesellschaft übertragen, Eigentümerin bleibt jedoch das Reich. Die 11 Milliarden Eisenbahn- ! St uldverschreibungen werden mit 5 Prozent verzinst und ! mit 1 Prozent getilgt. Die Industrie wird mit 6 Milliarden j belastet, wozu die Schwerindustrie 20 Prozent, die Maschinen- und elektrische Industrie 17 Prozent, die chemische Industrie 8 Prozent, die Webindustrie 7 Prozent aufzubringen und zu verzinsen hat. Das Reich hat 1924—25 800 Millionen zu zahlen, zu welchem Zweck die Ausländsanleihe zustande kam; dann aber steigen die Zahlungen auf Reparationskonto und Dawesplan 1926 auf 1200, 1927 auf 1750 ! und ab 1928 auf 2500 Millionen Eoldmark. Die Wirtschaft- j liche Auswirkung dieser Lasten ist abzuwarten. Der Vorteil j dieses Abkommens liegt für Deutschland in der Bestimmung, ! daß bis 15. August 1925 das Ruhrgebiet geräumt wird. > Teilräumungen wurden alsbald vollzogen. Da aber die vertragsrechtliche Räumung der Kölner Zone zum 10. Januar 1925 nunmehr verzögert wird, so ist nur mit schweren . Bedenken der weiteren Abwicklung der Verträge entgegen- r Ansehen. Es ist am Anfang des neuen Jahres die politische ^ Atmosphäre so vergiftet wie zuvor. Die neue Sanktion-;- i polit" in der Räumungsfrage ist ein trüber und ernster - Auftakt M,1925 ' -
In der französischen Presse finden sich bereits deutliche < Fingerzeige, daß zum mindestens von Frankreich a^.s r m sucht werden soll, um die Politik der berüchtigten fünf Punkte wieder aufzugreifen, die man seil dem Amtsantritt Herriots begraben glaubte. In der Note der verbündeten Regierungen vom 23. September 1922 sind diese fünf Punkte zum erstenmal der deutschen Regierung zur Kenntnis gebracht worden. Sie betreffen:
1. Die Umgestaltung der Polizei.
2. Die Umstellung der Fabriken.
3. Die Auslieferung des Restes des nicht zugelassenen Materials.
'4. Die Auslieferung der Schriftstücke, die sich auf die Bestände von Kriegsmaterial zur Zeit des Waffenstillstandes und auf die Tätigkeit der Fabriken während des Krieges und nach dem Waffenstillstand beziehen.
5. Die Veröffentlichung von gesetzlichen Bestimmunger i über das Verbot der Ein- und Ausfuhr von Kriegsmate- ; rial, und über die Rekrutierung und Organisation des Heeres, besonders Maßnahmen, die sich auf die Mobilmachunx ^ beziehen. j
Es würde zu weit führen, wollte man in diesem Augen- , blick nochmals eine umfastende Erwiderung auf die in dev i fünf Punkten versteckten Anklagen geben. Die verbündeter ' Mächte benutzen diese Sache, um eine sich ständig erneuernd» - Politik der Konflikte mit Deutschland zu betreiben. ,
Die innerpolitischen Verhältnisse liegen gleichfalls in tief- ; stem Dunkel. Bei den Maiwahlen gingen die Deutschnatio- ! nalen als stärkste Fraktion des Reichstags mit 106 Sitzen z (bisher GH «ecoor. D-'»noch zog man m Berlin nicht di» ; parlamentarischen Folgerungen und etablierte die Regie- j rung Marr-Stresemann am 6. Juni. Aber eine schleichend» < Regierungskrise begleitete das ganze Jahr über alle Re- ? gierungshandlungen, zumal seit am 28. August die Deutsch» i Volks"-.rtei der deutschnationalen Fraktion die Einbeziehung in die Regierunq zugestchert hatte. Die Reichstags- auflösung im Oktober ohne jeglichen Anlaß, weil die Parteien sich eben nicht zur Regierungsbildung nach dem parlamentarischen Spstem zusammenfanden infolge des erster Regiefeblers nach den Maiwablen, wurde von Marx-Eberi i damit begründet, klare Mehrheitsverhältniste zu schaffen j Man hoffte auf Schwächung der stark gewordenen Deutsch ^ nationalen. Aber die Dezemberwahlen zeigten die Jrr- tümer dieser Wahlpolitik. Stärkste Fraktion wurden di» Sozialdemokraten auf Kosten der Kommunisten, aber auch dis Rechtsopposttion der Deutschnationalen ist verstärkt wiedergekehrt. Und nun stehen in Deutschland die innere Kris» und die außenpolitische Entscheidung in der Räumungsfrage in Paralelle. Dem Rücktritt des Reichskabinetts ani ! 11. Dezember folgten»vergebliche Verhandlungen des Reichs- i kanzlers Marx über die Regierungsbildung. Der bürger- - lichen Mehrheit (ohne Demokraten, die sich zum Linksbloö z stellen) stünden im Reichstag 267 von 493 Stimmen zui j Verfügung, dem Linksblock nur 232 einschließlich des Zen- - trums obwohl dieses bisher keinerlei klare Haltung zeigte, : nach welcher Seite es sich entscheidet. Die von ihm beru- : fene Neg-erung der Mitte hat keinerlei praktische Mehrheit - hinter sich. ;
Die ersten Wochen des neuen Jahres müssen Klarheit ' bringen, welcher Kurs in Deutschland gesteuert werde« ! soll. Dies ist um der inneren wie um der äußeren Lag» ! willen dringendes Gebot der Stunde. Das neue Jahr stellt i der Aufgaben viele. Es bringt auch endlich die Wahl des . Reichspräsidenten, der nach der Verfassung durch das Volk - zu wählen ist. Eberts Amtszeit läuft zum 1. Juli 1925 ab. i Der Magdeburger Prozeß, den der Reichspräsident selbst , angestrengt hatte, hat nach dem Wortlaut des Gerichtsurteils nicht den Reichspräsidenten, wohl aber den früheren Parteifübrer formal belastet, insofern als in der Begründung klar steht, daß juristisch Ebert beim Munitionsstreik 1918 Landesverrat begangen habe. Die Vertrauenserklärungen der Reichsregierung und zahlreicher ihm nahestehen- i ber Organisationen und Behörden ändern zunächst daran i nichts und haben nur den vorzeitigen Rücktritt des Reichspräsidenten in kritischen Stunden verhindert. An der na- : tionalen Zuverlässigkeit des Reichspräsidenten bestehen keinerlei Zweifel. Bis zur Revision des Magdeburger Urteils mag geraume Zeit vergehen, aber dem Ansehen des Reiches im Ausland dient es nicht, wie auch nicht dem inneren Frieden, wenn das Oberhaupt des Reiches mit parteipolitischen Belastungen aus einer gärenden Zeit behaftet ist. . Darum wird 1925 die Entscheidung in der Reichspräsidenten- wahl bringen mästen, die nur nach deutschen Gesichtspunkten und nicht mit Rücksicht auf das Ausland -u, k-ille« ill.
Stresemann zur Räumungsfrage.
Berlin» 31. Dez. Dr. Stresemann empfing die Vertreter der gesamten ausländischen Presse und gab ihnen den Standpunkt der Regierung zur Räumungsfrage bekannt.
Stresemann wies einleitend darauf hin, daß es die Pflicht der Verbündeten gewesen wäre, schon einige Zeit vor dem 18. Januar die Frage der Räumung eingehend z» prüfen, damit bis zu diesem Tag eine endgültige Klärung hätte erfolgen können. Nach den Bestimmungen des Ver« sailler Vertrages könne eine Verlängerung der Besetzung der Kölner Zone nur dann in Betracht gezogen werden, wenn ernstliche Verstöße Deutschlands gegen den Friedens- Vertrag vorgekommen wären. „Nun hat man," so erklärte Stresemann weiter, „die angeblichen Verfehlungen Deutschlands in der Entwaffnung zum Vorwand genommen, unreine Hinauszögerung der Räumung der Kölner Zone be» gründen zu können. Deutschland ist aber im großen und ganzen vollständig entwaffnet, selbst dann, wenn da und dort einzelne kleinere Verstöße gegen die Entwaffnungsbestimmungen, die bei einem Sechzigmillionenvolk doch Vorkommen können, gefunden worden sind. Von französischer Seite ist gegen eine Verquickung der Räumnngsfrage mit der Ausführung des Dawes-Eutachtcns Einspruch erhoben worden. Dies ist nach meiner Auffassung völlig unrichtig, denn, wenn London nur eine finanzielle und wirtschaftlich« VerstäniMung gewesen wäre, so hätte auch die Ruhrräumung nichts mit diesen Verhandlungen zu tun haben dürfen. Die deutsche Abordnung hat aber von vornherein gefordert, daß di: Frag: der Ruhrraurnur^' we:L>„
Ebenso hängt auch die Räumung der Kölner Zone eng mit der Ausführung dieses Gutachtens zusammen. GhMeht einfach nicht an, daß die wenigen Rechte, die Deutschland aus dem Friedensvertrag noch übrig geblieben sind, durch eine Politik, wie sie jetzt in Paris begonnen werden soll, zunichte gemacht werden und für Deutschlands nichts mehr übrig bleibt als Pflichten. Heute muß ich zu meinem großen Bedauern sagen, daß, wenn die Kölner Zone nicht geräumt wird, diejenigen Unrecht hatten, die für das Dawes-Eut« achten stimmten und es verteidigt haben, in der Hoffnung, daß endlich die Sanktionspolitik zu Ende sei. Eine Politik, wie sie jetzt in der Frage der Räumung der Kölner Zone begonnen wird, bedeut:t aber für das deutsche Volk eins unerwartete und grenzenlose Enttäuschung und schafft eins ernste politische Lage in Deutschland. Die vernünftigen Leute in Deutschland verlieren damit den Boden unter den Füßen und die Extremen gewinnen wieder Oberwasser. Wenn die uns bezüglich der Entwaffnung gemachten Vorwürfe bewiesen wären, was ja durch den Reichswehrminister durch seine Erklärung widerlegt worden ist: was ändern dann 20- oder gar 100 000 Gewehre an der Tatsache, daß Deutschland tatsächlich entwaffnet ist?
Deutschland kann ja nicht einmal die im Friedensvertrag zugestandene Heeresftiirke von 18« 888 Mann auffüllen, weil sich niemand mehr fand, der sich für zwölf Jahre verpflichten wollte. Deutschland mit seinen sechzig Millionen ist so entwaffnet, daß es sich nicht einmal gegen einen Einmarsch von Polen oder 1er Tschechoslowakei ernstlich wehren könnte. Wenn trotzdem diese angeblichen Verfehlungen zum Vorwand genommen werden, die Kölner Zone nicht zu räumen, dann kann man sich hier des Eindrucks nicht erwehren, daß wir uns vor dem Wiederbeginn einer Sanktionspolitik der Verbündeten gegen Deutschland befinden. Vor einer solchen Politik kann nicht eindringlich genug ge«^ warnt werden, denn die Vergangenheit hat doch gezeigt, daß nur auf dem Wege der Verhandlungen, niemals aber durch eine Gewaltpolitik eine Einigung erzielt werden konnte. Das Material, das der deutschen Regierung über die angeblichen Verschlungen bis jetzt zugegangen ist, ist außerordentlich gering. Anstatt des offenes Konflikts, de» wir durch eine solche Politik nunmehr zusteuern und der auch die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Verbandsländern auf anderen Gebieten gefährden könnt«, fordern wir Verhandlungen über alle Meinungsverschiedenheiten, Belege über die Ergebnisse der 1800 Kontrollbesucke, damit wir die Vorwürfe unsererseits prüfen können. Es ist notwendig, daß die angeblichen Verfehlungen Deutschlands von beiden Seiten einer Prüfung unterzogen werden, damit Deutschland etwaige tatsächliche Verfehlungen abzustetten in der Lage ist. Wir sin', der Auffassung, daß die Meinungsverschiedenheiten, die sich aus den Entwaffnungsparagra- phen ergeben haben sollen, viel zu gering sind, um eine Grundlage zu bilden zur Abweichung von der seit London begonnenen Politik und dafür, daß deutsches Land länger als im Friedensvertrag vorgesehen, besetzt gehalten wird/