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Amtsblatt für den Bezirk Nagold und für Altensteig-Stadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagold, Lalw und FreudenstaSt.

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Ur. 279.

Altensteig, Mittwoch de» 36 November.

Jahrgang i924

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'Wer kann sich noch an die schöne Zeit erinnern, da jed* Mnisterrede einenMarkstein" bedeutete und jede Zusam­menkunft leitender Staatsmänner zurSchicksalsstünde" gestempelt wurde. Lang, lang ist's her, schreiben dieLeipz. iN. N." Dann kam eine andere Zeit, während der jeder Tag nur aus Schicksalsstunden bestand, und danach wieder kam eine Zeit, da sämtlicheMarksteine" der Vergangenheit in Trümmer gingen. Seitdem wird nicht mehr von Markstei­nen gesprochen und nicht mehr von Schicksalsstunden. Seit­dem spricht das deutsche Volk vom Wiederaufbau und hofft auf ein Schicksalsjahr. Jahr um Jahr .jaben wir den Be­ginn des Wiederaufbaues verschieben müssen und Jahr um Jahr vergebens das Schicksälsjahr erwartet. Doch wenn wir .jetzt unsere Lage überschauen, so erkennen wir, daß das Echicksalsjahr angebrochen ist, denn der Wiederaufbau hat begonnen. Die Welt sieht das deutsche Volk wieder mit an­deren Augen an, die deutsche Währung ist stabil, und Ver­handlungen über Handelsverträge mit allen wichtigen Staa­ten sstcd im Gange. Das deutsche Volk ist im Laufe dieses Jahres fast unmerklich in den Zustand der Selbstbesinnung eingetreten, nachdem es jahrelang ohne Besinnung sich selbst zerfleischt hat. In diesem Zustand der beginnenden Selbst­besinnung fallen jetzt die Reichstagswahlen, durch die das Politische Gesicht Deutschlands für mehrere Jahre festgelegt werden soll, durch die vor allem die Richtlinien unserer! Außenpolitik, die uns durch das Londoner Abkommen vor­geschrieben sind, von der Mehrheit des Volkes die Billigung erlangen sollen.

Vergleichen wir unsere Lage mit der vor dem Kriege, so befand sich das deutsche Volk damals in einem unerhör­ten wirtschaftlichen Aufstieg,dem sich nirgends ernsthafter Widerstand entgegenstellte. Die Einkreisung freilich berei­tete den gemein>amen Widerstand aller Völker gegen Deutschlands Entwicklung vor. Heute dagegen sind wir in den denkbar härtesten und schwierigsten Existenzkampf ge­pellt. Nur Hindernisse, nur Hemmungen findet die deutsche Entwicklung draußen in der Welt. Soll dieser Zustand über­wunden werden, dann müssen die Tüchtigsten an die Front. Tüchtigkeit ist ein Kennzeichen deutscher Art. Darum wur­den wir ja allen Völkern lästig, weil wir tüchtiger waren als sie. Das betraf die Tüchtigkeit in der Arbeit. Dafür aber waren die anderen Völker klüger als wir. Klugheit ist ge­sammelte und richtig angewandte Erfahrung. Die anderen Völker waren zum Teil schon jahrhundertelang Weltvölker, während wir erst auf wenige Jahrzehnte Welterfahrung zu­rückblicken konnten. Kein Wunder, daß die Klugheit der an­deren größer war als die unsere, kein Wunder, daß wir ihnen ahnungslos in die Falle gingen, die sie uns gestellt satten.

Das aber macht nicht allein unser Unglück aus. Daran war außer dem Mangel an Welterfahrung auch eine cha­rakteristische deutsche Eigenart schuld, die schwer auf uns lastet, die deutsche Gutmütigkeit. Eine Eigenheit, die im persönlichen Verkehr gern gesehen wird. Aber auch in der Politik hat die Relativität ihre Geltung. So schön die deut­sche Gutmütigkeit im engeren Verkehr sein mag, so ver­hängnisvoll wird sie im Verkehr mit fremden Völkern. Nassebiologisch ist Gutmütigkeit eine Dummheit, und poli­tisch gewertet ist eine Dummheit ein Verbrechen. Unsere Kolonialdeutschen wißen ein Lied davon zu singen. Wäh­rend die Ententestaaten den Ring der Einkreisung um Deutschland enger und enger zogen, um den entscheidenden Schlag gegen uns vorzubereiten, tat das Deutsche Reich richts, um seine Kolonien und Niederlassungen gegen Heber­olle zu schützen. Die Kolonialdeutschen und die Ausländs­deutschen wußten, welchen Gang die Ereignisse nehmen wer­den. Aber wenn sie ihre warnende Stimme erhoben, dann trat sine neue deutsche Eigenart in Erscheinung. Der Beamte ist nur in Deutschland ein Wesen höherer Ordnung. Was ach da alsKoofmich" in der Welt herumtreibt, was hat das für eine Ahnung? Nur der Diplomatweiß" alles. Es Dar eine Gnade, wenn er die Ergüsse eines besorgten Aus­ländsdeutschen anhörte, dann aber hatte erdem Manne" wirklich genug Entgegenkommen gezeigt. So verlor das deutsche Volk seine Weltstellung. Was auf der einen Seite deutsche Gutmütigkeit, aus der anderen deutscher Dünkel an unserem Volke gesündigt haben, das ist ungeheuerlich.

Wir brauchen nur noch danebenzustellen die dritte deut­sche Eigenart, die innere Zerrissenheit, den Parteihader und die Sucht, auch außenpolitische Fragen vom Kleinpartei- -ftanlpunkt aus zu beurteilen, dann haben wir eine Muster- ^arte der deutschen Eigenarten, deren Gewicht den Wert der putschen Art, der deutschen Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit vwder aufhebt

> Wir stehen vor Reichstagswahlen. Der Ausgang dieser Wahlen bestimmt die Zusammensetzung der neuen Regie­rung, die Deutschland Politik gegenüber den anderen Völ­kern zu vertreten hat. Wollen wir, daß der Kleinpartei­standpunkt ausschlaggebend sein soll bei den künftigen Han­delsvertragsverhandlungen? Wollen wir, daß Parteischlag­worte das Schicksal unserer Brüder im besetzten Gebiet ent­scheiden sollen? Wollen wir, daß deutsche Harmlosigkeit und deutscher Hochmut im trauten Verein unseren Ausländs­deutschen das Leben verbittern? Gerade das Auslands­deutschtum gewinnt jetzt für unser Volk besondere Bedeu­tung. Die Ausländsdeutschen sind die einzigen Keimzellen der neuen deutschen Entwicklung in der Welt. Wir müssen deshalb danach streben, diese Keimzellen nach Möglichkeit zu vermehren. Wir müssen für unsere Jugend Existenz­möglichkeiten im Ausland schaffen. Hier liegt eine schwierige Aufgabe der deutschen Regierung, eine Aufgabe, die ganz unabhängig vom Parteistandpunkt in Angriff genommen werden muß, und wobei nur der deutsche Standpunkt mit­sprechen darf. Was unserem Volk fehlt,das sind Ausländs­erfahrungen. Wir sollten deshalb zu erreichen suchen, daß möglichst viele unserer herangereiften Männer ihre Lehr- und Wanderjahre im Ausland verbringen. Je mehr Deut­sche wir nach draußen schicken, Kausleute, Techniker, Juri­sten, Wissenschaftler, Farmer, Handwerker, Qualitätsarbei- rer. je mehr ebnen wir den Weg für die Ausfuhr deutscher Waren und je mehr tiichtigb und erfahrene Männer ziehen^ wir uns für die Zukunft heran. Daß ein Teil dieser Pioft niere dauernd draußen bleibt, wird sich nicht ändern las­sen, daß aber auch- viele-in die Heimat- zurückkehrenr-üst ebenso sicher. Diese Leute aber bringen- den Geist und. die Erfahrung mit, die unserem Volke noch so bitter notwendig fehlen, denn sie haben den Blick über den. Kirchturmhorizont 'hinaus. Die deutsche Regierung hat jetzt bei den laufenden Handelsvertragsverhandlungen die beste Möglichkeit den Deutschen in den fremden Ländern wieder eine geachtete und gesicherte Stellung zu erwirken. i t

Die Reichstagswahlen stehen wie noch keine vorher unter außenpolitischen Gesichtspunkten. Die einzelnen Parteien müssen sich deshalb klar werden, wie sie es mit der Vertre­tung des deutschen Standpunktes fremden Staaten gegen­über halten wollen. Dem Ausland gegenüber muß jeder Deutsche in erster Linie Deutscher sein, ganz unabhängig von seiner innerpolitischen Stellung. Das deutsche Volk muß dem Ausland gegenüber eins geschlossene Familie bilden und stets mit gewissem Mißtrauen den Fremden gegenüber­treten. Vertrauensseligkeit dem Auslande gegenüber ist Schwäche und kann nur schaden. Zusammenhalt aller Deut­schen verbunden mit Mißtrauen und Wachsamkeit dem Aus­lande gegenüber, das muß unsere Losung sein!

Eine Abart der deutschen Gutmütigkeit ist der Inter­nationalismus. Auch für unsere Arbeiterschaft würden Aus­ländserfahrungen von großem Werte sein. Aber leider ver­fügt gerade die Arbeiterschaft über wenig Männer, die sich im Ausland eine Existenz gesucht und Erfahrungen gesam­melt haben. Auf diese wenigen sollten die deutschen Arbeiter hören und nicht auf die Leute, die alsDelegierte" einmal auf einem Kongreß in Paris, in Genf, in Amsterdam oder Moskau waren, sondern bei denen, die als Arbeiter im Aus­land gearbeitet und die ausländischen Verhältnisse im Exi­stenzkampf kennen gelernt haben. Von ihnen können die deutschen Arbeiter erfahren, was der Internationalismus in Wirklichkeit wert ist. Aber die Ausländsdeutschen unter den Arbeitern dringen mit ihrer Meinung auch nicht durch, denn der Parteifunktionärweiß" es besser, ebenso wie der Diplomat. Sie zeigen beide dieselbe deutsche Eigenart.

Die deutsch» Art ist in Gefahr, an den stark entwickelten deutschen Eigenarten zugrunde gehen. Aber es hat nicht viel Zweck, die ausgewachsenen Deutschen ändern zu wol­len. Besserung ist nur möglich, wenn wir der Jugend die Augen öffnen. Darum sollten vorurteilsfreie und eigenart­freie Männer in den Reichstag und in die Regierung kom­men, die sich die Aufgabe stellen, den Heranwachsenden Deut­schen die Gefahren ihrer Eigenarten klarzumachen. Dazu gehört es, so viele junge Deutsche auf ein paar Jahre ins Ausland zu schicken, als überhaupt möglich ist, auf daß wir später gereifte Männer mit Ausländserfahrung zur Verfü­gung haben. Jetzt treten sie noch zu vereinzelt auf, jetzt ha­ben sie infolge desmaßgebenden" Dünkels, der alles besser zu wissen meint, auch kaum die Möglichkeit, ihre Ansicht durchzusetzen. Ob dieser Dünkel nun bei einem beamteten Staatssekretär oder bei eifern bekannten Parteifunktionär sitzt, ist gleich, sie wissen es beide besser, als die Leute, dis von draußen Erfahrungen mitbringen.

England und Aegypten.

Londons 28. Nov. Am Montag hat eine weitere Kabi­nettssitzung über die ägyptische Frage stattgefunden. An Lord Allenby find neue Weisungen und Vollmachten ge­sandt worden. Er verfügt gegenwärtig über eine diktato­rische Gewalt. Aus Kairo wird gemeldet, daß Ziwar Pascha mit der Bildung des neuen Kabinetts nahezu fertig ist. Ob sich aber die Hoffnung auf ein Nachgeben Aegyptens erfül­len wird, steht noch in Frage. Englischerseits trifft man alle Vorkehrungen, um im schlimmsten Falle sofort gerüstet zu sein. Die englift,e Garnison in Aegypten beträgt 15 000 Mann, im Sudan stehen zwei Bataillone. Die ägyptischen Truppen zählen nur 67000 Mann und etwa zwei Batail­lone, die im Sudan standen.

London, 25. Novc. Lord Allenby, dem außerordentliche Vollmachten erteilt wurden, ließ eine Anzahl von Regie- rungsgebiiuden in Kairo, darunter die Post und das Tele­graphenamt von englischen Truppen besetzen.

London, 25. Nov. Die britische Admiralität teilt mit, daß die SchlachtschiffeJron Duke" undMalay", die im Hafen bon Malta liegen, Befehl erhalten haben, das eine nach Alexandria und das andere nach Port Said aufzubrechen. Ein leichter Kreuzer und zwei Zerstörer haben Befehl er­halten, sich nach dem Suezkanal zu begeben.

Französische Stellungnahme?

Paris, 25. Nov. Havas veröffentlicht - eine ErkläruM halbamtlichen Ursprungs, worin es heißt: Die französischen divlomatischen Kreise folgen mit großer ^Aufmerksamkeit der englisch-ägyptischen Krise und hegen die Hoffnung, daß der Konflikt dem Schiedsspruch des Völkerbundes unterbrei­tet werden kann. Obglei h Aegypten noch nicht Mitglied des Völkerbundes ist, so könnte dieses Verfahren doch vorteil­hafter Weise eingeschlagen werden, wie dies auch in dem Konflikt von Wilna geschehen ist, womit sich der Völker­bund befaßte, obwohl Litauen damals noch nicht zugelassen gewesen ist. Was die französische Regierung betrifft, so ist sie durch den Vertrag von 1904 hinsichtlich der Aufrecht­lerhaltung des englischen Protektorats über Aegypten ge­bunden. Sie mutz sich also vollkommen außerhalb des Kon­flikts halten.

Paris, 25. Nov. DieFranks. Ztg." meldet: Die Bespre­chungen der französischen Presse über den englisch-ägypti­schen Streit machen kein Hehl darau, daß die französische öffentliche Meinung nicht auf Seiten Englands steht, und dem Kabinett Baldwin wird selbst in gemäßigten Blättern vorgeworfen, daß es den Streit verschärft und durch die Uebertreibung seiner Forderungen und die Schroffheit sei­nes Vorgehens eine Lage herbeigefllhrt habe, die Aehnlich- keit mit der von Oesterreich im Jahre 1914 geschaffen habe. Der linksstehendeParis Soir" stellt fest, daß drei Wochen Konservativer Regierung in England genügten, um die euro- Päische Lage erneut zu verdüstern. Statt des Friedens, den man in den letzte» Monaten gefestigt habe, seien Zeichen eines neuen Krieges erkennbar. Die berechtigte Ablehnung der über das zulässige Maß hinausgehenden englischen For­derungen durch die ägyptische Regierung habe eine außer­ordentlich ernste Lage geschaffen, für die einzig und allein Der Machthunger des englischen Imperialismus die Ver­antwortung trage. Aehnliche Auffassungen, wenn auch ge- mäßigter, vertritt derTemps", der die ägyptische Antwort äls einen ausreichenden Beweis für den Verständigungs­willen der Regierung von Kairo ansieht.

Neues vom Taae.

Reichsrat und Beamtenbesoldungsfrage.

Berlin, 25. Nov. Die Reichsratsausschllsse stimmten der Auszahlung der vom Reichsfinanzministerium bewilliglen- Grhaltserhöhung für die Beamten zu. Seitens der Länder waren verschiedene Anregungen zugunsten der unteren Be­amten gemacht worden. Mit Rücksicht auf die starke Rück­wirkung der Gehaltserhöhung auf die Reichsbahn- und die Privatangestellten (!!) wurden diese Anregungen zurück- gestellt.

Der deutsch-englische Luftverkehr. ^

Berlin, 25. Nov. Der Vizemarschall des englischen Luft» fahrtministeri,ums, General Vrancker, stattete der Luftab­teilung des Reichsverkehrsministeriums einen längeren Be­such »ab. Bei dieser Gelegenheit wurde hauptsächlich die deutsch-englische Luftverkehrsmöglichkeit des nächsten Jah­res besprochen. Zu einem endgültigen Abschluß konnten die Besprechungen nicht gebracht werden, da u. a. die Frage der Deutschland aufgezwungeneu Baubeschränkungen durch die