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88 . Jahrgang.
Amts- und Anzeigeblatt für den Gberamtsbezirk Lalw.
Nr. 277.
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Mittwoch, -sn 26. Novembsv 1913«
Bezugspreis! In der Stadt mit Trägerlohn Mk. I.2S vierteljährlich, V°st- bezugsprets für den Orts- und Nachbarvrtsverkehr Mk. 1.20, im Fernrerkehr Mk. I.SO. Bestellgeld in Württemberg W Psg., in Bayer^z»nd Reich L2 Djg-
Deutscher Reichstag.
Berlin, 25. Nov. 1913.
Der Reichstag trat heute um 2 Uhr zusammen. Präsident Dr. Kämpf eröffnet die Sitzung um 2.18 Uhr und begrüßt die Abgeordneten. Er gedenkt der inzwischen verstorbenen 5 Mitglieder des Reichstages, Kohl, Klose, Lender, Graf Kanitz und Bebel und erinnert an ihre umfangreiche und eingreifende parlamentarische Tätigkeit. Der Präsident erinnert weiter an den Untergang der beiden Marineluftschiffe „L. 1" und „L. 2". Der Reichstag werde allen diesen Männern, die dort umgekommen seien, ein ehrendes Andenken bewahren. — Das Haus hat sich von den Sitzen erhoben. — Darauf teilt der Präsident die Namen der neueingetretenen Abgeordneten mit und verliest die eingegangenen Interpellationen. — Das Haus tritt darauf in die Tagesordnung ein. Auf ihr stehen Petitionen.
Der Präsident stellt unter anderen auch eine solche über die Besteuerung der Konsumvereine und das Verbot an Lehrer, Beamte, einem Konsumverein anzugehören, zur Debatte. Schulenburg (natl.): Der Mittelstand leidet Not und wenn man auch die Konsumvereine nicht verbieten darf, so darf man sie doch auch nicht steuerlich bevorzugen. Sachs (S.): Die Aktion würde auf weiter nichts hinaus- sühren, als auf eine abermalige Verteuerung der Lebensmittel. Wir bitten, zur Tagesordnung überzugehen. Irl (Z.): Ich bitte, es bei dem Kommissionsantrag zu belassen. Meyer (Herford) (N.): Ein Verbot für Beamte und Lehrer, den Konsumvereinen anzugehören, würde einen Eingriff in deren staatsbürgerlichen Rechte bedeuten. Sie sollten es aber als eine Ehrenpflicht ansehen, den Mittelstand nicht zu schädigen. Gunßer (Fort. Vpt.): Wir sind für Ueber- gang zur Tagesordnung. Dr. Burkhardt (W. Vgg.): Wir wollen Mißstände bekämpfen. W e r n er-Hersfeld (Ref. Pt.): Die Konsumvereine besorgen Parteigeschäfte und auch die Warenhäuser kann ich nicht als Kulturträger anerkennen. Feuerstein (S.): In den Konsumvereinen ist das Wirtschaftsinteresse von 2 Millionen Familien, darunter 1^ Millionen Arbeiterfamilien zu erblicken. Nach weiterer Erörterung wird die Petition und mit ihr eine solche, die Maßnahmen gegen das Ueberhandnehmen von Warenhäusern, Filialen, Konsumvereinen usw. verlangt, der Regierung als Material überwiesen. — Bei der Petition betr. Erteilung dauernderDispensevonderVäckereiordnug beantragt die Kommission Ueberweisung zur Erwägung, während die Sozialdemokraten Uebergang zur Tagesordnung beantragen. Frerker (Z.): Die Härten der Bäckereiordnung müssen beseitigt werden. Wir stimmen dem Kommissionsantrag zu. Luetzel (Nat): Wollte man gerecht verfahren, so müßte man auch für die sonstigen Gewerbe eine derartige Verordnung schaffen. Dr. Neumann - Hofer (Fort.) Wir stimmen dem Kommissionsantrag zu. Chrysani (Z.): Mit der Sauberkeit und Unsauberkeit hat die Bäckereiverordnung gar nichts zu tun. Ich muß gegen diesen Ausdruck des Abg. Wurm im Namen der deutschen Bäckermeister protestieren. Nach weiterer unerheblicher Debatte wird die Petition zur Erwägung überwiesen. — Darauf vertagt sich das Haus auf morgen 1 Uhr: Interpellation wegen Arbeitslosigkeit und betr. Za- bern, Gesetz betr. Verrat militärischer Geheimnisse und betr. Gebührenordnung für Sachverständige. Schluß nach einviertel 7 Uhr.
Interpellationen.
Die dem Reichstag zugegangenen Interpellationen sind folgende: Interpellation Roser (Fortschr. Vpt.) und Genossen: „Ist der Herr Reichskanzler bereit, Auskunft zu geben über die durch die Presse bekannt gewordenen Aeußerungen eines Offiziers in Zabern und die dadurch veranlagten weiteren Vorgänge?" — Albrecht (Soz.) und Genossen: „Welche Maßnahmen gedenkt der Herr Reichskanzler zu ergreifen, um den schlimmen Folgen der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, die durch immer wiederkehrende geschäftliche Krisen verschärft werden? Ist er insbesondere bereit, eine alle Arbeiter und Angestellten umfassende reichsgesetzliche Arbeitslosenversicherung in die Wege zu leiten, sowie zur Bekämpfung der zur Zeit besonders sich geltend machen
den nachteiligen Folgen der Arbeitslosigkeit geeignete Abhilfsmittel zu ergreifen?" — Dem Reichstag ist über die Vorgänge in Zabern eine Interpellation der elsaß-lothringischen Reichstagsabgeordneten zugegangen, die lautet: „Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, daß in dem Infanterieregiment Nr. 99 in Zabern ein Offizier gegenüber elsaß-lothringischen Soldaten höchst beleidigende und das Gefühl der gesamten Bevölkerung auf das schwerste verletzende Ausdrücke sich hat zu schulden kommen lassen, ohne daß die Militärbehörde für genügende Sühne gesorgt hat? Was gedenkt der Herr Reichskanzler zu tun, um die elsaß-lothringischen Soldaten vor solchen Insulten und die gesamte Bevölkerung Elsaß-Lothringens vor derartigen Herausforderungen zu schützen?"
Die vom Reichstag seinerzeit gestrichenen drei Kommandantenstellen in Karlsruhe, Darmstadt und Königsstein werden in dem neuen Militäretat für 1914 wieder aufgefordert mit der Begründung, daß diese Posten aus militärischen Gründen und zur Erfüllung der in den Militärkonventionen übernommenen Verpflichtungen nötig seien.
Lta-t, Bezirk r»»d Nachbarschaft.
Calw, den 26. November 1913. Die Freundinnen der jungen Mädchen aus Calw und Umg. versammelten sich am Montag nachmittag im Kaffeehaus zu einer Besprechung über ihre Tätigkeit und sonstiger Vereinsangelegenheiten. Im Lauf der Verhandlungen wurde wiederholt das Bedauern ausgesprochen, daß von der Hilfe der „Freundinnen" noch viel zu wenig Gebrauch gemacht werde, trotzdem in der Presse, (auch in diesen Blättern) immer wieder darauf hingewiesen werde. Es ist im Interesse unsrer weiblichen Jugend dringend zu wünschen, daß besonders auch die Elternsich auf diesen Verein aufmerksam machen lassen, der es als erste Aufgabe betrachtet, jedes junge Mädchen, das die Heimat verläßt, zu schützen und zu bewahren. Unsere Jugend in ihrem Freiheitsdrange glaubt ja vielfach dieses Schutzes entbehren zu können, aber erfahrungsgemäß geraten viele dieser Freiheitsuchenden in eine oft recht schlimme Knechtschaft. Auch vor zweifelhaften Stellenangeboten und Vermittlungen kann nicht genug gewarnt werden, in solchen Fällen sind die „Freundinnen" jederzeit bereit, vermöge ihrer vielseitigen Verbindungen, auch mit dem Ausland, Erkundigungen einzuziehen. Alle Pfarrer und Lehrer möchten doch ihre Konfirmanden und Fortbildungsschülerinnen immer wieder auf diesen Verein Hinweisen, auch die Ortsvorsteher bei der Abmeldung die Betreffenden darauf aufmerksam machen, alle Eltern sich Rat und Auskunft bei der „Freundin" ihres Ortes holen. Vielleicht darf Einsenderin dieses den Wunsch aussprechen, daß sich mit der Zeit noch viele Freundinnen dem Verein anschließen und insbesondere auch die Frauen der Ortsvorsteher eintreten möchten.
Freundinnen der jungen Mädchen die zu Rat und Auskunft bereit sind: InCalw: Fr. Dekan Roos, Fr. Stadtschultheiß Conz, Fr. Dekan Eidenbenz, Witwe, Fr. Oberamtsrichter Hölder. Im Bezirk: Fr. Pfarrer Bayha, Teinach, Fr. Pfarrer Zeller, Ostelsheim, Fr. Pfarrer Jung, Stammheim, Fr. Pfarrer Jlg, Unterreichenbach, Fr. Pfarrer Eidenbenz, Altburg, Frau Stadtpfarrer Sandberger, Liebenzell, Fr. Dekan Wunderlich, Althengstett.
Haus- und Grundstück-Weiterverkauf. Wir berichteten gestern von deni Kauf des Beck'schen Anwesens durch Oeko- nom Dirigier. Herr Dirigier verkaufte das Haus an der Stuttg. Straße an Frau Eugen Walz, Wwe., Baugeschäft um 15 000. Die 5 Morgen Wiesen an der Steinrinne an Carl Reichert Kaufmann um 6000.
st. Von der Post. Vom 1. Dezember d. I. an wird zwischen Neubulach und Teinach ein werktäglicher Postbotengang mit den nachstehenden Kurszeiten eingerichtet: Neubulach ab 2.40, Teinach Bhf. an 3.30 Uhr. Teinach Bahnhof ab 3.45, Neubulach an 4.45 Uhr. — Die Kurszeiten der Postbotenfahrten bleiben unverändert.
Hinweis. Der freiwillige Unterricht der Unteroffiziere des Veurlaubtenstandes findet erstmals am 29. November d. I., 7^4 Uhr abends im Hinteren
Zimmer des Restaurants z. „Scharfen Eck" in Calw statt. — Erwünscht Mitbringen der Karte von Calw.
G Bad Liebenzell, 25.-.Nov. Eines recht zahlreichen Besuchs, ganz besonders auch von auswärts, erfreute sich die am 23. und 24. Nov. statgefundene 1. Lokalausstellung des hiesigen Geflügel- und Kaninchenzüchtervereins. Dieselbe durfte sich aber auch sehen lassen. Jeder Besucher war erstaunt über ihre Reichhaltigkeit. Die Ausstellung nahm einen Aussteller und Besucher gleichermaßen befriedigenden Verlauf.
Weilderstadt, 26. Nov. Wir berichteten unterm 16. Nov., daß Stadtpfarrer Trufsner hier bei einem Leichenbegräbnis vom Schlage getroffen wurde. Leider sollte sich der beliebte Geistliche davon nicht mehr erholen. Wie uns mitgeteilt wird, ist er heute nacht gestorben. Stadtpfarrer Truffner stand im Alter von 56 Jahren.
Neuenbürg, 26. Nov. Gerüchtweise verlautet, daß der un- getreue Kassier des Tarlehensvereins Schwann namens Gentner in Newyork bei seinen Verwandten verhaftet worden sei.
Pforzheim, 26. Nov. Im Krankenhaus starb heute früh der 16jährige Goldarbeiter Rudolf Kunzmann von Eutingen, der am Montag bei einer Schlägerei auf der Landstraße von seinen: Kameraden Oskar Kunzmann eine Revolverkugel in den Bauch geschossen erhielt.
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Das Geständnis der Kindsräuberin — Kindsmord und Kindsraub.
Stuttgart, 25. Nov. Im Laufe des heute vormittag vor- genommenen Verhörs hat die Kindsräuberin Anna Grein endlich ein Geständnis abgelegt. Anna Grein hatte am 4. Juni ein uneheliches Kind bekommen und verbrachte die Wochenbettzeit bei einer Hebamme in Fürth. Nach neuntägigem Aufenthalt daselbst wollte sie sich zu ihren Eltern begeben, die sie jedoch angeblich nicht ausnahmen, indem sie ihr schrieben, sie dürfe nicht nach Hause kommen. Sie will sich das so zu Herzen genommen haben, daß sie, nachdem sie einen Vormittag und einen Nachmittag lang mit dem Kinde in Fürth umhergeirrt war, in angeblicher Verzweiflung ihr eigenes uneheliches Kind auf einer Wiese in der Nähe von Fürth erstickte, indem sie dem Kind ein wollenes Tuch auf die Nase und den Mund drückte, bis es nicht mehr lebte. Sie begab sich dann nach Fürth zurück und warf das erstickte Kind in den Abort des Ludwigsbahnhofs. Am 7. Juli fand dann Anna Grein eine Stellung als Dienstmädchen in Stuttgart. Das Kind war von der Hebamme, in deren Haus sie es zur Welt gebracht hatte, vorschriftsmäßig beim Standesamt und dem Vormundschaftsgericht angemeldet worden. Im August und September wurde dann bei ihr wiederholt amtlich angefragt, wo das uneheliche Kind sei. Um ihre Schuld zu verheimlichen und sich dem Vormundschaftsgericht gegenüber ausweisen zu können, raubte sie dann am 11. Oktober in Stuttgart das Kind, brachte es nach Fürth und meldete es dort an. Um von ihrer hiesigen Dienstherrschaft wegzukommen, schickte sie sich selbst am 10. Oktober von hier aus ein Telegramm mit den Worten: „Vater krank, komme sofort". Dieses Telegramm zeigte sie dann ihrer Dienstherrschaft vor, die hierauf die Erlaubnis zu der Reise nach Fürth gab.
lieber den Fall berichten wir noch weiter: Am 13. Oktober, zwei Tage nach dem Kindsraub, wurde von einer unbekannten Person in dem Säuglingsheim „Krautheimer Krippe" in Fürth ein Kind unbekannter Herkunft abgegeben. Die Vorsteherin der Krippe, die sich anfangs weigerte, das Kind auch gegen Bezahlung aufzunehmen, nahm es schließlich in vorläufige Pflege, ohne aber nach dem Namen des Kindes zu fragen. Da aber die fremde Person sich nicht mehr blicken ließ, wurde man aufmerksam, daß in der Sache etwas nicht stimmte und verständigte die dortige Kriminalpolizei, da cs sich vermutlich um eine Kindsaussetzung handeln könnte. Von diesem Gedanken kam man jedoch wieder ab, da am 15. Oktober eine Frau in der Krippe erschien, ihren Namen angab und sich bereit erklärte, das Kind in Obhut zu nehmen. Ein Kriminalwachtmeister brachte nun den Aufenthaltsort des Kindes bei einer Kutscherssrau in Erfahrung. An der Hand der oorgelegten Kleidungsstücke, die das Kind damals getragen hat, stellte der Beamte fest, daß es das von der Stutt-