Amtsblatt für den Bezirk Nagold und für Altensteig-Htadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagold, Lalw und Freudenstaöt.

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Ur 210.

Allrnstrtg. Samstag vrn 6 September.

Jahrgang 1024

Zur Lage.

Gewiß hat die Annahme der Londoner Abmachungen am

Ende der vorigen Woche durch den Reichstag die schweren innerpolitischen Sorgen etwas zerstreut. Der Reichskanz­ler hatte damals bereits die Auflösungsorder des Reichs­präsidenten in der Tasche. Durch die geteilte Abstimmung er Deutschnationalen 48 stimmten für, 60 gegen das eine Zweidrittelmehrheit erfordernde Reichsbahngesetz ist der Bruch vermieden worden. Die Londoner Proto­kolle konnten schon tags darauf unterzeichnet werden. Da­mit wurde die monatelange Arbeit der Reichsregierung wie die Verhandlungen der Londoner Konferenz und der Sachverständigenplan gerettet. Die Deutschnationalen ha- ben nun ihre zwiespältige Haltung im innerpolitischen Kampf und in ihren eigenen Reihen bitter zu büßen. Aber -UMn sollte sich vorweg darüber freuen, daß ein Teil der stärksten Partei des Reichstags im letzten Augenblick so viel Verantwortungsgefühl aufgebracht hat, um das Zu­standekommen des Londoner Paktes nicht an ihrem Wider­spruch scheitern zu lassen. Daß das deutsche Volk mit freiem Entschluß sich zu den London Abmachungen bekannte, nicht in freudiger Zustimmung, sondern unter Zwang und Not, das müßte eigentlich die europäische politische Atmo­sphäre entgiften. Gewiß günstige Anzeichen liegen hiezu vor, und es sollte deshalb eben im innerpolitischen Kampf die Haltung der deutschnationalen Jasager nicht einer solch beschämenden und verletzenden Kritik unterzogen werden, wie dies vielfach geschieht.

Die Reichsregierung hat unter dem Drängen der Rechts­parteien sich am 30. August zu einem amtlichen Schritt iw der Kriegsschuldfrage entschlossen und das im Versailler Vertrag festgelegte erpreßte Schuldbekenntnis widerrufen. Es ist der erste- Schritt M Erschütterung des berühmte^ Paragraphen 231 des Versailler Diktats. Aber, obwohl die Reichsregierung amtlich mitteilte, daß sie den Widerruf den beteiligten ausländischen Regierungen zur Kenntnis bringen werde, hat sie dies bisher nicht getan. Gewiß mö­gen politische Gründe dafür sprechen, in einem Augenblick, wo sich so etwas wie internationale Verständigung am europäischen Himmel zeigt, die peinliche Frage für unsere Gegner nicht aufzuwerfen. Herriot hat ja in scharfer Form darauf antworten lasten und die Unschuld Frankreichs am ! Kriege beteuert, obwohl in der deutschen Erklärung keine ^ Anklage gegen Frankreich erhoben wurde. Vom deutschen » Standpunkt aus aber muß gesagt werden, daß der deutsche » Widerruf nicht eine bloße Geste sein darf.

Die Ausführung der Londoner Vereinbarungen und de, Eachverständigenplanes ist nunmehr bereits in die Weg> geleitet. Die Anleihe für Deutschland wird am 16. Okto der im Ausland aufgelegt. Man muß ihr so viel Erfoh wünschen wie der belgischen Anleihe in Amerika, die sieben fach überzeichnet wurde. Unterdessen zahlt Deutschland mo natlich 83 Millionen Mark an den Generalagenten n Brr stn, den Amerikaner Poung, für Zwecke der Reparationen Es hat also in Wirklichkeit kein Moratorium (Zahlungs aufschub) wie ursprünglich im Dawesplan vorgesehen war Die wirtschaftliche Räumung des besetzten Gebietes wir! durch Verhandlungen in Koblenz eingeleitet und hat schoi allerlei Früchte getragen. Die Zollgrenze und die Ver kehrshemmniste zwischen besetztem und unbesetztem Eebie fallen in den nächsten Tagen. Aber es ist noch ein. weite: Weg, bis alle von den Franzosen und der Rheinlandkom "Won geschaffenen Knebelungsmaßnabmen abgebaut sin! und die Regiebahn beseitigt ist. Der Endtermin soll de Dezember sein. "

i Das bedeutsamste Ereignis dieser Woche liegt jedoch ir «er Ecnfer BLlkcrbundstagung. die durch die Teilnahm, nr Ministerpräsidenten von Frankreich, England uni Belgien zu einer Art Fortsetzung der Londoner Konferenz geworden ist. Man verhandelt dort über die allgemeiner Aufgaben des Völkerbundes und den Sicherheitsvertrags- Entwurf des Völkerbundes, der künftige Kriege verhindern soll. Macdonald sprach am Donnerstag für den Friede» Mf Grund von Schiedsverträgen und für die Aufnahm« Deutschlands in den Völkerbund. Seine Worte zeigen de« starken Willen zum Frieden und zu Maßnahmen, die de« Völkerbund wirklich zu einem Werkzeug der europäische« -Politik machen können. Amerika hält sich bisher zurück und Frankreich verhüllt mit schönen Morten seine besonde­ren weltpolitischen Ziele. Die zu erwartende Rede Her, Nots wird darüber manches bringen. Vor Abschluß de:

^usor Tagung läßt sich kein volles Urteil über die Pläm und Aussichten des neuen Völkerbundprogramms abgeben

» Draußen in der Welt sieht es nicht sehr friedlich aus. Ir ! Aegypten und im Sudan stoßen die englischen Pläne au! j harte Tatsachen. Das seit wenig Jahrmz^elbständig gewor- j dene Aegypten erstrebt auch die Herrschaft über den Sudan.

^ ^>er bisher noch der englischen Verwaltung untersteht. Aust! i stände und Verhaftungen sind an der Tagesordnung. Un!> ! weiter am Nordrand Afrikas, in Marokko, stehen aufstän- s dische Stämme in bitterstem Kampfe gegen die Spanier hie in den letzten Wochen Niederlagen erlitten. In Ita­lien gärt es seit der Ermordung des Sozialistenführers Matteotti bedenklich. Das dieser Tage auf Mussolini ver­übte Attentat legt Zeugnis ab von den innerpolitischen Zuständen. Und im fernen China bekriegen sich zwei Pro­vinzen im Kampfe um Schanghai, so daß die Weltmächte Einspruch erhoben und den Schutz der Europäer übe« nahmen.

som Tage.

Die Milstärkontrolle beginnt:

Berlin, 5. Sept. (Amtlich.)- Am Montag beginnt dis von der deutschen Negierung mit ihrer Note vom 30. Zuni zugestandene sogenannte Eeneralinspektion des deutschen Nüstungsstandes. Die Generalinspektion ist als abschlie­ßender Akt der interalliierten Kontrolle gedacht. Nach den bindenden Erklärungen der Gegenseite, insbesondere der Ministerpräsidenten von Frankreich und England, kann da­mit gerechnet werden, daß .das Basstem der interalliierten Kontrolle mit seinen in zahlreichen Städten Deutschlands revidierenden Ucberwachungskommisstonen verschwindet, wenn die Eeneralinspektion zufriedenstellend und rei­bungslos verläuft. Die Reicheregierung erwartet hiernach von der gesamten Bevölkerung, daß sie alles unterläßt, was irgendwie als Obstruktion oder als feindselige Haltung ge­genüber den Kontrollkommisionen oder ihren Mitglieder« gedeutet werden könnte. Jede Handlung dieser Art be­schwört die Gefahr herauf, daß sich der jetzige Zustand mit all seinen demütigenden Begleiterscheinungen verewigt. Jedermann muß jetzt, wie er auch immer auf die Vorgänge des Augenblicks gefühlsmäßig reagieren mag, sein Tun ulld Lassen ausschließlich darnach einrichten, daß das Ziel erreicht, h. h. daß die Eeneralinspekt^n wirklich zum Schlußakt der interalliierten Kontrolle wird.

Die neuen Einreisebestimmungen.

Düsseldorf, 5. Sept. Der kommandierende General De- goutte erließ eine Verfügung, die u. a. besagt: Alle über sechzehn Jahre alten Personen, die ihren Wohnsitz in den besetzten Gebieten haben, müssen einen Personalausweis mit Lichtbild haben, der die Worte:besetztes Gebiet" trägt. Jede mit diesem Ausweis versehene Person kan» ungehindert zwischen dem besetzten und unbesetzten Gebiet verkehren. Deutsche, die aus dem unbesetzten Deutschland ins besetzte Gebiet reisen, brauchen einen Ausweis mit Lichtbild von ihrer Heimatbehördc. Die bisher nötige Ein­reiseerlaubnis der verbündeten Besatzungsbehörden fällt weg. Deutsche Staatsangehörige, die aus einem anderen Lande als Deutschland kommen und Angehörige der Staa­ten, deren Truppen an der Besetzung beteiligt sind, müssen mit einem von ihren Landssbehörden ausgestellten visier­ten Paß versehen sein und haben die Bestimmungen des deutschen Gesetzes zu befolgen. Personen, die sich dauernd I im besetzten Gebiet niederlassen wollen, müssen bei der j deutschen Behörde des Ortes, an dem sie sich Niederlagen j wollen, ein schriftliches Gesuch einreichen, ebenso muß jede ! über sechzehn Jahre alte Person, die ihren gewöhnlichen ! Wohnsitz in den besetzten Gebieten hat, ihn aber in das s unbesetzte Gebiet. verlegen will, die deutsche Behörde da- ! von benachrichtigen. Aktive Angehörige der deutschen Mehr- > macht ""nnen die besetzten Gebiete nicht betreten ohne eine ! besondere Ermächtigung, die ihnen von dem kommandie- : renden General der Infanterie der Division desjenigen : Gebiets ausgestellt wird, wohin sie sich begeben wollen. ^ Die deutsche Militär- und Polizeiuniform darf nur mit be- : sonderer Genehmigung des Armeekommandanten im be- ! setzten Gebiet getragen werden. Jede Person, deren An- ! Wesenheit in den besetzten Gebieten nach Meinung des s kommandierenden Generals de Sicherheit der verbündeten - Besatzungstruppen oder die öffentliche Sicherheit gefährdet, j kann aus dem besetzten Gebiet ausgewiesen werden. Vor- i sätzli^: oder fahrlässige Zuwiderbandlungen gegen diese ! Verordnung werden bestraft. Diese Verordnung tritt so- fort in Kraft.

Amnestie für Zollvergehen.

, Berlin, 5. Sept. Durch die Unterzeichnung des Londoner; kchlußprotokolls verbesserte sich die Rechtsposition der deut­schen Firmen, die während des passiven Widerstandes mit den französischen oder belgischen Zollorganen wegen Zmf Widerhandlungen gegen die Zollvorschriften der Einbruchs­mächte in Konflikt gerieten, wesentlich. Nach Artikel 7 An­lage 3 wird die allgemeine Amnestie für alle Vergehen, di» rus politischen Gründen erfolgten, gewährt, soweit es sich nicht um Verbrechen handelt, die einen Tod herbsiführten.

Herriot im Völkerbund.

Genf, 5. Sept. Die Freitagsitzung der Völkerb"ndsver- sammlung wurde um 10.40 Uhr eröffnet. Der Andrang zum Saal und zu den Tribünen war sehr stark. Präsident Motta erteilte Herriot das Wort. Als er die Rednertribüne bestieg, brachen Versammlung und Tribunen in nicht en­denwollende Ovationen aus. Herriot stimmte im erste« Teil seine» Rede dem Schiedsgedanken zu, den gestern Mac­donald vorgetragen hatte. Die Völker müßten sich darauf einigen, als angreifenden Staat denjenigen zu betrachten, der das Schiedsverfahren bei einem Konflikt nicht an­nimmt. Wenn Frankreich auch bereit sei, den Schiedsge­danken in den Mittelpunkt des nationalen Lebens zu stel­len, so verlangen doch Offenheit und Aufrichtigkeit fest­zustellen, daß das Schiedsverfahren notwendig, aber nicht ausreichend sei. Das Schiedsverfahren dürfe keine Falle für gutgläubige Völker ;cin und die Loyalität aller Staa­ten auch dex kleinsten müsse durch Sicherheiten geschützt werden.' Nur in der Verbindrkng von Macht und Gerechtig­keit, erklärte Herriot unter dem Beifall der Versammlung, liege die Lösung. Er erinnerte an das Beispiel Belgiens und erklärte, es dürfe nicht wieder Vorkommen, daß Bür­ger von Staaten, die nur den Frieden wollen, vier Jahre lang auf die Rückkehr in ihre Heimstätten harren müssen. Mit dem Plan einer allgemeinen Abrüstungskonferenz er­klärte er sich einverstanden. Aber diese Konferenz dürfe nicht ohn. oder gegen den Völkerbund arbeiten. Was Deutschland betreffe, erklärte Herriot, daß er aufrichtig zu sprechen wünsche. Frankreich habe den zerstörenden Mili­tarismus bekämpf , der in einer öffentlichen Parlaments­sitzung mit dem Wort:Not kennt kein Gebot" proklamiert wurde. Frankreich wolle aber nicht das Elend Deutsch­lands. Es kenne keinen Haf. und lebe nickst von Haß. Es habe Beweise seines Bersöhnungswillens gegeben. Inzwi­schen habe Deutschland mit dem Frankreich in London in direkte Verhandlungen trat, frei seine Bereitwilligkeit er­klärt. seine Verpflichtungen inne zu halten. Was die Frage des Eintritt in de. Völkerbund angeht, so gebe ss keine Ausnahme und Vorzugsbchandlung. Maßgebend seien die Artikel 1 und 8 des Völkerbundspaktes. Die Regeln des Paktes sind ewiges Gesetz, dem wir folgen müssen. Herriot faßte seine Vorschläge zur Abrüstungs- und Sicherheits­frage in folgenden Worten zusammen: Schiedsverfahren, Sicherheit und Entwaffnung bilden ein zusammengehöri­ges Ganze. In Äebereinstimmung mit Karnebeek sieht auch Herriot im Pakt die Grundlage der zu verwirklichenden Aufgabe. Auf den drei Säulen, Sicherheit Schiedsverfah­ren und Abrüstung müsse, so schloß Herriot, nachdem er noch einmal in begeisterten Worten dem unentwegten Friedenswillen Frankreichs Ausdruck verliehen hatte, der künftige Tempel aufgebaut werden, an dem wir im Völ­kerbund arbeiten.

Die Rede Herriots wurde mit stürmischem Beifall aus­genommen.

Nach Herricck ergriff der Füherer der italienischen Dele­gation, Salandra, das Wort, um zunächst den englischen und französischen Regierungshäuptern die Sympathie der italienischen Delegation auszusprechen. Italien habe kei­nen anderen Wunsch, als seinen Vlatz innerhalb seiner natürlichen Grenzen zu behaupten und die friedliche Aus­dehnung seiner arbeitsamen Bevölkerung zu sichern. Sa­landra erklärte die Bereitwilligkeit Italiens, an den im Völkerbund sanktionierten Grundsätzen zur friedlichen Lö­sung der Konflikte mitzuwirken. Dieser Pakt sei selbst ein Vertrag zur gegenseitigen Hilfeleistung.

Lord Parmoor. mit großem Beifall begrüßt, glaubt an las Rechl und den Sieg der christlichen Liebe. Herriots Grundsätze stimmen im allgemeinen mit den seinigen über­ein. Die kleinste und die größte Nation müsse ihr Recht finden. Die Militärische Macht müsse ansgeichaltet wer­den. Tie Herrschaft de? internationalen Rechtes und ein internationaler Gerichtshof müssen errichtet werden