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Nr. 209.

ALtrnlletg. Freitag dev 3. September.

Jahrgang 1924

Achtstundentag.

Von Reichsarbeitsminister Dr. Brauns.

I.

ImReichsarbeitsblatt" erscheint demnächst ein Aufsatz des Reichsarbeitsministers Dr. Brauns über denAchtstun­dentag", aus dem wir bereits heute folgendes veröffent­lichen:

Die gegenwärtige deutsche Arbeitszeitgesetzgebung ist Ge­genstand ausgedehnter Verhandlungen bei der letzten In­ternationalen Arbeitskonferenz in Genf gewesen. Gegen die Stellungnahme der deutschen Regierung auf dieser Kon­ferenz sind mannigfache Angriffe erhoben worden. In der Presse ist man sogar so weit gegangen, die Vorgänge in Genf mit dem vermeintlichen Verhalten Deutschlands auf der Friedenskonferenz im Haag zu vergleichen, und hat sich nicht genug tun können, die deutsche Regierungserklärung als taktisch ungeschickt zu brandmarken. Dieses Schicksal teilt unser Vorgehen in Genf mit den meisten internationalen Verhandlungen der letzten Jahre bis zu den allerletzten ? in London. Man übersieht, daß die Haltung eines an ! Machtmitteln schwachen und in der Defensive sich befind- ! lichsn Staates allzu leicht von hüben und drüben der Un­geschicklichkeit geziehen wird.

Wie ist es überhaupt zu den fraglichen Erörterungen in Genf gekommen? Auf der Tagesordnung der Konferenz stand die Frage des Achtstundentags nicht. Die Gegenstände > der Tagesordnung hatten zu diesem Punkt keinerlei Bezie­hung. Es war lediglich damit zu rechnen, daß bei Bespre­chung des schriftlichen Berichts des Direktors Thomas zu Anfang der Konferenz die Rede auch auf die Arbeitszeit kommen würde. Direktor Thomas suchte ich bediene mich seiner eigenen Wo'te nachGarantien für ein angemes­senes Gleichgewicht, Garantien, welche die Staaten unter- § einander beanspruchen können, Garantien, die sie sich ge- ! genüber unlauterer Konkurrenz gegenseitig durch den Frie- ? densvertrag schaffen wollten". Zu dem Zweck wirft er die Frage auf:

Aber was ist denn die Gewähr, die den Nachbarstaa­ten Deutschlands, seinen möglichen Konkurrenten auf dem Weltmarkt, gegeben werden kann dafür, daß der Ar­beitstag in dem Augenblick, wo die Zahlungen (für Re- parationenf ausgeführt sein werden ,pünktlichst wieder verkürzt wird? Welche Gewähr werden die Staaten ge­gen dies Dumping neuer Art haben, auf das einige Ver- öffentlichungen schon hingewiesen haben?"

Diese Frage beantwortet Direktor Thomas schließlich wie folgt:

Die Wahrheit ist, daß es für die deutsche Arbeiter­klasse, für die Konkurrenzstaaten Deutschlands und auch für Deutschland selbst nur eine Garantie eines künftigen s Gleichgewichts gibt, das i die Ratifikation und die s Anwendung internationaler Arbeitsübereinkünfte... Es » scheint unerläßlich, daß im gleichen Augenblick, wo die : europäischen Staaten nach dem Sachverständigenbericht ! mit der Aussicht auf eine endgültige Lösung des Repara- ^ tionsproblems verhandeln, dieser besondere Gesichtspunkt f klar herausgestellt wird... Vielleicht wird die Repara- ^ tionskommission noch mehr ihre Aufmerksamkeit auf die : Arbeitsbedingungen in Verbindung mit der deutschen ? Wirtschaft, deren Entwicklung sie verfolgt, lenken." ! Schon diese knappen Auszüge aus dem Jahresbericht des ! Internationalen Arbeitsamts zeigen klar, daß neben dem unverkennbaren sozialen Interesse am Achtstundentag auch oie Konkurrenzfrage sowohl bei Abfassung des Teils 13 des Versailler Vertrags wie auch bei der Frage der Ratifizie­rung des Washingtoner Abkommens eine Rolle spielt, die nicht übersehen werden darf.

Wir begegnen hier von neuem dem Widerspruch, der sich uuftut zwischen der Forderung nach hohen und höchsten Re­parationsleistungen auf der einen und der Furcht vor deut­scher Konkurrenz auf der anderen Seite. Wenn diese Furcht nun noch dazu führen soll, die Reparationskommission mit fügend einer Kontrolle unserer Arbeitsbedingungen und Mer Zweckbestimmung zu betrauen, so wird jeder Deutsche i ^7 ganz gleich, welche Stellung er zum Achtstundentag ein- r Mmmt verstehen, daß es Pflicht der deutschen Regierung j Dar, solchen Gedankengängen sofort entgegenzutreten. ;

Das war um so notwendiger, als die Gefahr bestand, daß i ure mH ungeklärte Frage der Ratifizierung durch irgend ! welche Interventionen mit den Londoner Verhandlungen i verknüpft wurde. Wir sind genötigt gewesen, davor zu war­ben, weil wir von einer solchen Verknüpfung eine Gefähr- ? ung, jedenfalls eine neue Erschwerung der Londoner Ver- , Handlungen zum Schaden Deutschlands befürchten mußten, j Aresen Umständen mußte die deutsche Erklärung in Genf '

Rechnung tragen, von diesen Gesichtspunkten allein kann st« richtig gewertet werden. Sie mußte ferner dem unberechtig­ten Vorwurf eines deutschen sozialen Dumpings entgegen­treten.

j Wir waren deshalb gezwungen, vor dem Genfer Forum nochmals die Gründe für unsere Arbeitszeitverordnung vom Dezember 1923 darzulegen. Anscheinend hat das Ausland, vielleicht auch ein Teil der deutschen Bevölkerung gar nicht erfaßt oder aber wieder vergessen, in welch außerordentli­cher Notlage sich das deutsche Volk und das Deutsche Reich im Spätherbst 1923 befanden. Viele sahen damals über­haupt keinen Ausweg mehr aus Deutschlands verzweifel­ter Lage. Die Genfer Regierungserklärung kennzeichnet sie unwiderlegt wie folgt:

Durch die Ruhrbesetzung und ihre bekannten Folgen, durch die außerordentlich hohen Frachten, durch den Zu­sammenbruch der Währung und schließlich durch die so- , genannten Micumverträge, war die deutsche Wirtschaft ^ völlig zerrüttet. Die Industrie war am Erliegen. Die : Zahl der Erwerbslosen stieg zeitweise auf 5 Millionen. Handel und Verkehr kamen fast zum Stillstand.

Unter dem Zwange und der Wucht dieser Verhältnisse Hat sich die deutsche Regierung nach eingehenden Beratun­gen zur Neuregelung der Arbeitszeit entschlossen. Diese er-i folgte also nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit de»! Reparationsverpflichtungen.

Maedonald im Völkerbund.

Genf, 4. Sept. Vor Beginn der heutigen Sitzung der Völkerbundsversammlung, worin Macdonald das Wort er­greift, wartete bereits eine große Menschenmenge vor dem Versammlungsgebäude auf die Ankunft des englischen Mi­nisterpräsidenten. Der große Saal der Völkerbundsver­sammlung war bis auf den letzten Platz gefüllt; zahlreiche Besucher mutzten sich mit Stehplätzen begnügen.

Motta eröffnete die Sitzung um 11.10 Uhr, indem er mit­teilte, daß die Debatte der Abrüstungsfrage gelte und er dem englischen Delegierten Macdonald das Wort erteilte. Unter minutenlangem stürmischen Beifall besteigt der eng­lische Ministerpräsident die Tribüne und beginnt unter fei­erlicher Stille und größter Aufmerksamkeit seine immer wieder von stürmischem Beifall unterbrochene einstündige Rede. Er spricht mit großer Lebhaftigkeit und manchmal mit beschwörender und eindringlicher Stimme, an den wich­tigsten Stellen mit den Fäusten auf das Pult schlagend, und mit oft hinreißendem rednerischen Schwung, der spontanes Händeklatschen auslöst, ab und zu unmittelbar an die fran­zösischen Delegierten gewandt, die in gespanntester Aufmerk­samkeit seinen Ausführungen folgen.

Er begann seine Ausführungen, indem er der Völker­bundsversammlung die Versicherung abgab, daß die eng­lische Regierung alles tun werde, was in ihrer Macht stehe, um den Einfluß und die Autorität des Völkerbundes zu vermehren.

In längeren Ausführungen polemisierte Macdonald ge­gen den Garantiepaktsentwurf des Völkerbundes, der nicht geeignet sei, den Frieden zu sichern. Man müsse sich dar­über klar sein, was Sicherheit und was Angriff bedeute. Durch Verträge und Pakte, die sich nur auf militärische Ga­rantien stützten und das Regime der bewaffneten Macht aufrecht erhielten, sei der Friede nicht zu sichern. Es würde dadurch vielmehr immer die ständige Gefahr neuer Kriege geschaffen. Der Friede sei nur durch ein System von Schicds- verträgen zu sichern. Er, Macdonald, schlage daher vor, daß eine Kommission damit betraut werde, genauere Vor­schläge darüber auszuarbeiten und zu prüfen, welche Kom­petenzen und welche Instanzen das Schiedsverfahren haben könnte. Er wünsche, daß dabei besonders die fakulative Klausel der Satzung des ständigen internationalen Ge­richtshofes über die obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit aufgebaut werde. Die englische Regierung sei bereit, sich einem Schiedssystem, das geeignet sei. den Frieden zu er­halten, anzuschließen. Gleichzeitig müsse die Frage der Ent­waffnung gelöst werden. Wenn die Kommission mit ihrer Arbeit fertig sei, solle eine internationale Konferenz ein- lerufen werden, deren Voraussetzung es sein müßte, daß sie in Europa stattfinde und daß alle Staaten an ihr teil­nehmen. Aus dieser Konferenz könne dann der Friede hervorgehen. Was den Völkerbund betreffe, der das große Verdienst haben würde, durch die Vorarbeiten dieser Kom­mission die wirkliche Sicherheit gefördert zu haben, so könnte er sein Ziel nicht erreichen, wenn er nicht ^alle Staaten um­schließe, auch jene Staaten, die man als die bedrohenden Staaten bezeichne. Deutschland dürfe daher nicht außerhalb

des Völkerbundes bleiben. Wir können uns nicht den Lu­xus erlauben, daß wir ohne Deutschland arbeiten. Keine einzige Frage, die wir hier behandeln, kann gelöst werden mit dem bedrohlichen leeren Sitz in der Versammlung. Ver­handlungen mit einem isolierten Berlin können keinen Er­folg haben. Die Bande, die durch die Londoner Konferenz neu geknüpft wurden, müssen verstärkt werden durch Deutschlands Mitarbeit am Völkerbund. Solange wir nicht aufgehört haben, unser- Feinde als Feinde zu betrachten und uns ihre Mitarbeit nicht sichern, ist kein Fortschritt möglich. Auch Rußland muß herangezogen werden. Ruß­land hat eine wesentliche Veränderung durchgemacht. Die Verträge, die es gegenwärtig abschließt, beweisen, daß es rasch in die allgemeine Gesellschaft der Nationen zurückkehrt und das; es auch bereit sein wird, den Platz in einem inter­nationalen System einzunehmen. Amerikas Lage ist beson­ders bevorzugt. Es kann sich erlauben, von den Problemen fernzubleiben. Auch hat die Lage in Europa in den letzten Jahren keine besondere Anziehungskraft auf die Vereinig­ten Staaten ausüben können. Trotzdem aber hat man die Amerikaner stets gefunden, wenn man ihrer bedurfte. Sie haben besonders glücklich auf die Lösung der Londons Pro­bleme eingewirkt. Macdonald wiederholte, daß nur ein« allgemeine Konferenz auf Grund der Vorarbeiten der Ko«» Mission, in der auch das Paktprojekt der amerikanische»! Gruppe berücksichtigt werden könnte, den Boden für die Si»! (Herstellung des Friedens und die ^Verhinderung künftiger Kriege vorbereiten könnte..

Neues vom Tage.

^ Aufwertung der Lebensversicherungen. '/

: Berlin^ 4. Sept. Wie dieVoss. Ztg." berichtet, beschäf-j tigte sich die Reichsregierung, nachdem sie durch Verordnung^ vom 18. August die Aufwertung der Pfandbriefe regelte/ in der neuen Durchführungsverordnung vom 28. August mit der Aufwertung der Ansprüche aus Lebensversiche­rungsverträgen. Die dritte Steuernotverordnung besagte nur, diese Ansprüche würden in der Weise aufgewertet, daß das aufgewertete Vermögen der Versicherungsunterneh­mungen nach den näheren Bestimmungen der Reichsregie­rung einem Treuhänder überwiesen werde. Diese näheren Bestimmungen liegen nunmehr in einer Verordnung vor.

Der Autoverkehr im besetzten Gebiet freigegebcn.

Paris, 4. Sept. Wie Havas aus Düsseldorf meldet, hat General Degoutte in der Absicht seinen Wunsch zu zeigen, Haß die wirtschaftliche Einheit Deutschlands so frühzeitig wie möglich wiederhergestellt wird, am 3. September einen Erlaß veröffentlicht, wodurch der Antomobiloerkchr voll» Kommen freiqegebcn ist und das Eeleitscheinsqstem für Per­sonen, die sich aus dem unbesetzten Gebiet in das besetzte begeben, beseitigt wird. Die Aufhebung der Zollinie zwi­schen dem besetzten und unbesetzten Gebiet soll angeordnet sein, aber erst Mitternachts vom 9. zum 10. September in Kraft treten.

Zurückgenommene Ausweisungen.

Berlin, 4. Sept. Die Rheinlandkommission hat die gegen Herr Oberpräsidenten der Rheinprovinz. Fuchs, erlassene Ausweisungsverfügung mit sofortiger Wirkung zurückgezo­gen. Ferner ist die Ausweisung des Regierungspräsidenten 4>er Pfalz, Mattheus, von dem Vorsitzenden der Interalli­ierten Rheinlandkommission, Tirard, aufgehoben worden. Regierungspräsident Mattheus wird voraussichtlich in den nächsten Tagen seinen Dienst in Speyer wieder aufnchmen.

Die Kämpfe in China.

Schanghai, 4. Sept. Wie Reuter meldet, sollen bei den Kämpfen, die heute morgen unweit Schanghai begannen, die Tschekiang-Truppen zwei Meilen vorgedrungen sein. Die Kiangsu-Truppen sollen sich im vollen Rückzuge befin­den, von den Gegnern hart bedrängt sein und erhebliche Verluste erlitten haben.

^nacdonald und die Dawesplan-Eegner. !

London, 4. Sept. Wegen der Behauptung, daß die Aus­führung des Dawesplanes einen nachteiligen Einfluß aus die britische Industrie ausüben werde, beschloß Macdonald» demDaily Herald" zufolge, eine Kommission bestehend aus ' je einem Arbeitgeber und einem Mitglied der Gewerk- schaftsvereinigung für jeden der wichtigsten Industriezweige ^ zu ernennen, um den Einfluß feststellen zu lassen, welchen, die Ausführung des Dawesplanes auf die britische Jndu- ' strie haben würde.