Nr. 27^.

Amis- und Anzeigeblall für den Oberamlsbezirk Lalw.

88. Jahrgang.

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Psg-.

Leleson S.

Samrtag, den 22. November 19f3.

ve-ugLpreil: In brr Stadl mit Lrägerlohn Mk. 1.25 vierreljührltch. Post- b«ugsprei-für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20. im Fernverkehr . 1.S6. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg.. in Bayern und Reich 4L Pfg.

Die heutige Nummer umfaßt 1v Seiten.

Wettteuerung.

OjL. Dr. L. Glier stellt in derZeitschr. für Sozialwissen­schaft" in seiner eingehenden Abhandlung über diePreiskur­ven und das Teuerungsproblem" eine sehr gründliche Unter­suchung über dieses Problem an. Die Preise aller Rohstoffe und die der Lebensmittel im besonderen bewegen sich schon seit geraumer Zeit auf der ganzen Welt in aufwärtssteigender Richtung. So sind in dem Agrarlande Ungarn seit 1900 die Preise für Weizen um 50,6 Proz., für Rinder um 32,4 Proz., für Schweine um 40,9 Proz. in die Höhe gegangen. Der Preis für Eier ist in manchen ungarischen Städten um 45 Proz., für Milch um 30 Proz., für Butter um 55 Proz. gestiegen. In der Sch w e iz, der Heimat des hochwertigsten Zuchtviehes, muß für die Deckung eines Fünftels des Fleisch­bedarfs das Ausland in Anspruch genommen werden. Im Mittelpunkt der schweizerischen Viehzucht, in Bern, sucht man durch argentinisches Einfuhrfleisch der Teuerung zu begegnen. In Frankreich sind die Fleischpreise seit 10 Jahren um das Doppelte gestiegen. InEngland wurde nachgewiesen, daß 23 verschiedene Nahrungsmittel, welche für den Haushalt des'Arbeiters besonders wichtig sind, seit 1898 eine Verteue- rung"öon 20 Proz. erfahren haben. Auf die Anfrage eines Parlamentsmitgliedes, um wieviel der Einzelverkaufspreis dA^oichtigsten Lebensmittel von 1905 auf 1912 gestiegen fei, erteilte der Präsident der Board of Trade die Auskunft, Kartoffeln um 19 PrrH., Eier um 16 Proz., Butter um 15 Proz., Schinken um 22 Proz., Rindfleisch um 14 Proz., Käse um 25 Proz. usw. Von einer Verbilligung des Lebens in England kann da trotz Freihandels nicht die Rede sein. In Rußland verlangte man ein Ausfuhrverbot für Viehliefe­rungen nach Deutschland. In Amerika empfahl die Han­delskammer des Staates New-Dork im Dezember 1911 der Regicrikkig der Vereinigten Staaten, einen Ausschuß einzu- setznftlttr den Ursachen der hohen Kosten der Lebensführung nachaehen und über Maßnahmen zur Abhilfe beraten sollte; Zinmi kanadischen Regierungsberichte - zufolge stiegen dort die Kosten der Lebenshaltung in den letzten 10 Jahren um 15 Proz., und dieDeutsche Zeitung" in Sao Paulo (Brasilien) meint, daß die Lebensmittelpreise übertrieben hoch seien und trotzdem in dem viehreichsten brasilia­nischen Staate Rio grande do sul die Fleischpreise weit unter den deutschen Sätzen bleiben, so gehen sie doch auch dort in die Höhe. Auch in Argentinien, dem größten Agrar­lande Südamerikas, das eine Ausfuhr von Ackerbauproduk­ten in Höhe von 1^ Millionen Mark zu verzeichnen hat, wurde in der argentinischen Deputiertenkammer im Jahre 1912 der Finanzminister wegen der Teuerung interpelliert. Endlich hat das Statistische Amt des Australischen Bundes und das von Neuseeland in Untersuchungen über die Preise deren rapides Steigen festgestellt.

Also auf der ganzen Welt Klagen über Teuerung, in Ländern mit den verschiedensten Arten von Wirtschaftspolitik und Zollgesetzgebung! Aus dieser Tatsache ist daher wohl der Schluß zu ziehen, daß diese Preissteigerung in Ursachen be­gründet liegt, die überall gleichartig auftreten und ihre Er­klärung in dem kolossal gestiegenen Bedarf findet, dem das Angebot nicht zu folgen vermag, und zwar nicht nur in bezug auf die Lebensmittel, sondern vor allem auch mit Bezug auf wichtige Rohstoffe. So ist der Preis für Häute im Laufe der letzten 20 Jahre um 30 bis 50 Prozent gestiegen, ebenso die Preise für andre Nebenprodukte der Schlachtungen, wie für Knochen, für Gedärme und Talg. Metalle, wie Blei, Zinn, Zink, Kupfer, haben ebenfalls Erhöhungen von 385,1 auf 588,3 durchgemacht. Holz ist in der ganzen Welt teurer geworden, besonders auch in den Ländern, die als Holzliefe­ranten am meisten in Frage kommen. Die von der Textil - industrie benötigten Rohstoffe zeigen eine Verdoppelung des Preises für Baumwolle und eine namhafte Erhöhung der Preise für Wolle, Hanf, Mexikofaser und Jute. Andre Rohstoffe, wie Eisen, Kohlen usw., reihen sich der Kette an, und wenn diese Preiserhöhung auf Rohstoffe der Bevölkerung nicht so zum Bewußtsein kommen, so sind doch die Zeitungen, die Handels- und Geschäftsberichte voll von Klagen über die Teuerung auf dem Rohstoffmarkte. Die Bevölkerung inter­

essiert sich in ihrer Mehrheit nur für die Preise der Nah­rungsmittel, deren Preissteigerung aber nur ein Glied der Kette der allgemeinen Preissteigerung ist. Und wie bei den meisten der vorgenannten Rohstoffen der Zoll an der Preis­steigerung nicht beteiligt sein kann, weil die meisten Rohstoffe zollfrei eingehen, so ist auch bei den Lebensmitteln, nach der Ansicht von Dr. Glier, der Zoll nicht in dem Maße an der Teuerung beteiligt, wie man gemeinhin annimmt, und es liegen somit die wahren Ursachen der Lebensmittelteuerung nicht auf dem Gebiete der Zollpolitik, sondern müssen auf andern Gebieten gesucht werden.

Ata-t, Bezirk Nachbarschaft

Calw, den 22. November 1913.

Zur Gemeinderatswahl.

I.

Am 4. Dezember hat die Lalwer Bürgerschaft die Neuwahlen zum Eemeinderatskollegium vorzu­nehmen. Die Namen der turnusgemätz ausscheiden­den seitherigen Eemeinderatsmitglieder sind sowohl an dieser Stelle schon, als auch von amtswegen ge­nannt worden. Innerhalb der nächsten und über­nächsten Woche werden die politischen Vereine mit ihren Wahlvorschlägen hervortreten. Calw hat 6 2 2 Bürger, die bei der diesjährigen Eemeinderatswahl stimmberechtigt sind 9 weniger als bei der Bür- gerausschutzwahl von 1912 u. 1 weiter als bei der Ee­meinderatswahl im Jahre 1911. Im allgemeinen herrscht bei den Gemeinderatswahlen eine lebhaftere Wahlbeteiligung als bei den Bürgerausschutzwahlen; die erweiterte Zuständigkeit des Gemeinderats ge­genüber dem Bürgerausschutz bei der Verwaltung der Angelegenheiten einer Gemeinde rufen auch bei den Bürgern ein erweitertes Interesse hervor. Unsere Stadt hat hinsichtlich der Wahlbeteiligung aber die Eigentümlichkeit, datz die Zahl der Ab stim­menden seit 1910 sich auf ein und derselben Höhe gehalten hat: 1910, 1911, 1912 je 403 Wähler bei den kommunalen Wahlen. Das ist einerseits eine gute, andererseits wieder eine ungenügende Note für das Interesse der Bürgerschaft an den Cemeindeangelegenheiten. Gut insofern, als dieser Wählerstamm seine vornehmste Bürgerpflicht, das Wahlrecht, gleicherweise auch bei den sonst im Lande weniger frequentierten Bürgerausschutzwah- len übt; er zeigt dadurch, datz ihm dieses, vom Gesetz zur Ueberwachung der Gemeindeverwaltung bestellte Organ ebensosehr wichtig und des bürgerlichen Inter­esses würdig erscheint, wie das des verantwortungs­reichen Organs der BUrgervertretung, des Gemeinde­rats. Aber als ungenügend ist das Interesse der Bürgerschaft an kommunalen Dingen zu bezeichnen bei der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Wahl­berechtigten und Äbstimmenden. Ueber ein Drittel der zum Wählen zugelassenen Bürgerschaft in Calw begibt sich eines Rechts, das für den geschulten Par­teimann nicht nur, sondern von allen alten und jun­gen Bürgern, die für ihrer Heimat wirtschaftliches und kulturelles Wohlergehen ein Herz haben, zur selbstverständlichen sittlichen Pflicht geworden ist. Das kann gar nicht oft genug gesagt werden, datz auch die Wahlbeteiligung ein unverfälschtes Spiegelbild der geistigen Regsamkeit einer Bürgerschaft liefert. Und datz dessen sich immer mehr die Bürger, die bis­her zu den Nichtwählern zählten, erinnern, ist von Herzen zu wünschen. Sie sollten sich nicht länger von den Frauen beschämen lassen, die in unablässigem, zähem Kampf daran sind, sich mehr politische Rechte zu erringen und unter denen viele sind, die solche Bürgerrechte, wie das Wahlrecht, nicht gleichmütig ungenützt Netzen! Es ist bekannt, datz Frauen ihren Männern gegenüber wie in kirchlichen, so auch in politischen Fragen vielfach Gewissensschärfer sind und das wäre auch eine Aufgabe für die Frauen der­jenigen Calwer Bürger, die es über sich bringen können, nicht zu wählen. Aus welch dünnen Grün­den heraus oft! Obenan steht die Bequemlichkeit,

ihr folgt die Grundsatzlosigkeit, mit welcher Gleich­gültigkeit ja enge verschwistert ist. Aber im Schimp­fen auf dieStadträte", die Jahr um Jahr dem Steuerzähler neue Abgaben aufhalsen, im fleißigen Nörgeln an dem, was sie zur gedeihlichen Entwick­lung der Stadtbeschließen" undbewilligen" darin läßt sich gerade auch der Teil der Nichtwähler nicht lumpen. Alles würde da ganz anders gemacht, alles viel billiger, alles weit besser verstanden. Wür­den zwar die partei-politischen Verhältnisse in unsrer Stadt schärfer zugespitzte sein, dann wäre eine Be­teiligung an den Kommunalwahlen von selbst auch eine lebhaftere. Aber der Umstand, datz eine po­litische Richtung das absolute Uebergewicht im Stadt- parlament Calws besitzt, trägt zweifellos dazu bei, daß der oder jener aus einer gewissen Resignation heraus der Wahlurne fernbleibt. 200 ihr Abseits­stehende aber, welche Zahl, wie oben gesagt, für Calw in Betracht kommt, könnten, wenn sie aus ihrer Zurückhaltung heraustreten würden, das Er­gebnis einer Wahl ganz entWeden beeinflussen.

8t. Dienstprüsung für Zeichenlehrer und Zeichen­lehrerinnen. Auf Grund der in letzter Zeit abge­haltenen Prüfung zur Anstellung auf Zeichenlehrer­oder Zeichenlehrerinnenstellen ist für befähigt erklärt worden: Gottfried Rieger von Deckenpfronn, OA. Calw.

Vorsicht bei Veranstaltung von Vereinslotterien.

Der Turnverein Sp. im Oberen Schwarzwaldgau hat, wie in den Blättern zu lesen ist, am Kirchweih­sonntag in der Turnhalle eine Herbstfeier veranstal­tet mit turnerischen und sonstigen Aufführungen und einer Früchteverlosung. Zu der Feier war jedermann eingeladen. Die mit sogenannten Röllchenlosen vor­genommene Lotterie war 4 Tage vor der Veranstal­tung beim zuständigen Kameralamt angezeigt wor­den, das seinerseits festsetzte, datz 3 Prozent von den Gesamteinnahmen als Sportel zu bezahlen seien. Die Lose wurden nur in der Turnhalle, allerdings an alle Anwesenden verkauft. Kurze Zeit nach der Feier verfügte die K. Staatsanwaltschaft R., bei der An­zeige erstattet worden war, die Verlosung sei, da die Lose auch an Nichtmitglieder abgegeben wurden, als eine öffentliche zu betrachten, und es seien somit dem Reichsstempelgesetz zufolge 20 Prozent der Gesamt­einnahmen als Steuer zu entrichten. Dazu schreibt das Turnblatt aus Schwaben: Nach dem Reichs­stempelgesetz vom 15. Juli 1909 beträgt die im vor­aus zu erhebende Lotteriesteuer bei Veranstaltung von öffentlichen Lotterien oder Ausspielungen 20 bis 25 Proz. des Preises sämtlicher Lose. Im vorliegen­den Falle fragt es sich somit lediglich zunächst darum, ob die betr. Verlosung unter den Charakter einer öffentlichen Lotterie fällt oder nicht. Für die Be­antwortung dieser Frage ist ausschlaggebend eine Entscheidungdes Reichsgerichts vom 5. Mai 1896, die bestimmt:Der nicht öffentliche, private Charakter der Veranstaltung ist in der Regel gegeben, wenn das Anerbieten zur Teilnahme sich auf einen durch Jndividualbeziehungen des Berufs, durch persönliche Bekanntschaft, gemeinsame Interessenvertretung und ähnliche Begrenzung festabgeschlossenen Kreis be­schränkt." Dieser Entscheidung zufolge ist der Um­stand, datz die Lose nur in der Turnhalle verkauft wurden, nicht von ausschlaggebender Bedeutung, da­gegen um so mehr der andere, datz sie an jeder­mann, der zur Feier kam, abgesetzt wurden. Es ist wohl anzunehmen, datz unter den vorliegenden Ver­hältnissen eine Beschwerde aussichtslos wäre, viel­mehr nur neue Sporteln und weitere Kosten verur­sachen würde, und deshalb den Vereinsleitungen dringend zu raten, bei den bevorstehenden Weih­nachtslotterien Lose nur an Mitglieder zu verkaufen.

8t. Nagold, 21. Nov. Amtsrichter Groß hier ist auf sein Ansuchen hin nach Ravensburg versetzt worden.