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Nr. 26Y. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk (Lalw. 88. Jahrgang.

ErfHetnungSweise: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis : Im Oberamts- bezirr Lalw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg., Vtülamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

M-ntag, den s7 N-vember sysa.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post- LezugSpreiS für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30« Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.

Die deutsche Militärmission in der Türkei.

Die Meldungen besagen, daß der türkische Mi­nisterrat die Vorlage über die Reform der türkischen Armee durch eine deutsche Militärmission genehmigt hat und, wie es heißt, wurde Generalleutnant Li- mann von Sanders zum Chef dieser Mission ernannt, die aus 42 Offizieren bestehen soll. Die Nachrichten, welche von Konstantinopeldurchgesickert" sind, be­ruhen wahrscheinlich, besonders auch in Bezug auf den Namen des Führers, auf Richtigkeit. Doch sind die Berliner militärischen Kreise sehr verschlossen, und es läßt sich, vermutlich auf Grund einer Anordnung vonhöheren Stellen", eine Bestätigung nicht er­langen. Die Tätigkeit, welche die jetzt zu entsendende deutsche Militärmission in der Türkei ausüben soll, wird eine ganz andere sein, wie sie bisher von deut­schen Offizieren ausgellbt worden ist. Bisher hatten sie eigentlich nur an den Militärschulen zu tun, konn­ten also nur theoretische Kenntnisse übermitteln. Außerdem wurden ihnen sogenannteModellregi­menter" überwiesen, die sich beispielsweise in der Schlacht bei Kirkkilisse allein bewährt haben. Jetzt aber soll, wie wir erfahren, ein ganzes Armeekorps an allen wichtigen Stellen mit deutschen Offizieren besetzt werden. Es soll vor allen Dingen eine durch­greifende Reorganisation des Offizierkorps vorge­nommen werden. Es ist vorauszusehen, daß viele türkische Offiziere das Erscheinen der deutschen Mi­litärmission nicht mit allzu großer Freude begrüßen werden; denn schon die Person des Generalleutnants Limann von Sanders bürgt dafür, daß er mit eiser­nem Besen in die verlotterten Zustände hineinfahren wird und nicht dulden wird, daß, wie es bisher oft genug geschehen ist, türkische Offiziere ihre Stellung als eine Sinekure ansehen, für die eine besondere Tätigkeit nicht erforderlich ist. Aber auch andere Männer gibt es unter den türkischen Offizieren, mit deren Widerstand die deutsche Militärmission stark zu rechnen haben wird. Es sind dies Männer in der Art von Enver Bei, die sich erhaben dünken über alles, was von Deutschland kommt. Mag der Weg aber auch noch so dornig sein, die Berufung der deut­schen Militärmission beweist, daß man an leitender türkischer Stelle unser Heer und seine Einrichtung wohl zu schätzen weiß.

Wacker und Rebmann über die badischen Wahlen.

Der Führer des Zentrums in Baden, Geistlicher Rat Wacker, genannt derLöwe von Zähringen", hat in Freiburg in einer Versammlung des Volks­vereins für das katholische Deutschland eine Rede über den Ausfall der Wahlen und die politische Lage in Baden gehalten. Die 30 Mandate, die das Zent­rum errungen habe, seien kein Ergebnis des Glückes, sondern das Ergebnis langer, solider Arbeit im gan­zen Lande. Das Zentrum habe ganz oder teilweise Anteil an 40 Wahlsiegen, die im Lande gegen den Grotzblock erfochten wurden. Es gebe aber weder eine Mehrheit des Zentrums und der Konservativen in der neuen Kammer, noch eine Mehrheit des Eroß- blocks. Die Eroßblockära könne nun als überwunden betrachtet werden. Dem müsse nun Rechnung ge­tragen Werden, namentlich von dem gegenwärtigen Ministerium, das durch und durch liberal sei. Ge­rade den Ministern rufe das Wahlergebnis klar und deutlich zu: Die Eroßblockära ist vorüber, nach rechts geht der Zug in Baden! Was den Ministerwechsel angehe, von dem man -in letzter Zeit so oft habe hören können, so wäre das Wahlergebnis wohl dazu angetan, daß der eine oder andere der Minister sich die Frage vorlege, ob es nicht ein Ge­bot der politischen Schicklichkeit ist, seinen Platz zu räumen. Denn die schwere Niederlage des Groß­blocks sei auch für jeden Eroßblockfreund unter den Ministern eine Niederlage. Der nationalliberale

Führer Rebmann dagegen meint in der Köln. Ztg.: Die E roßblock taktikhat durchweg Stich gehalten. Den Verlusten (der National­liberalen) stehen 6 Gewinne gegenüber, je 1 von Zentrum und Konservativen, (1) vom Freisinn und 4 von der Sozialdemokratie. Die Nationalliberale Partei sieht die Zahl ihrer Mandate um 2 vermehrt, ebenso die Zahl ihrer Wähler. Dieser letzte Gewinn läßt sich ziffernmäßig nicht genau feststellen, da we­gen der Wahlabkommen in ihnen freisinnige Stim­men enthalten sind, wie übrigens auch im Gewinn an freisinnigen Stimmen nationalliberale eingeschlos­sen sind. Jedenfalls hat die Partei die ^ahl ihrer Anhänger im Land geschlossen erhalten und neue da­zu gewonnen. Und alle diese Wähler haben nch da­mit zur Politik und Taktik der Partei bekannt. An dieser Tatsache müssen aber die Versuche der Gegner und auch einzelnerFreunde" in Norddeutschland, die Bedeutung dieser Wahl umzudeuten oder zu ver­dunkeln, Schiffbruch leiden.

Stadt, Bezirk rriid Nachbarschaft.

Calw, den 17. November 1913 Von der Krankenkassenwahl.

Bei der Ausschußwahl der Arbeitnehmer für die Allgemeine Ortskrankenkasse haben zusam­men 457 Versicherte aus Stadt und Bezirk von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Eil- tige Stiminzettel wurden abgegeben für Len Wahlvorschlag 1 (Kassenvorstand) 243 St., Wahl­vorschlag 2 (Freie Gewerkschaften) 212 St. Die Ee- samtstimmenzahl, welche auf diese Zettel entfällt, beträgt für Wahlvorschlag 1: 10 935, für Wahlvor­schlag 2: 9328 zusammen 20 263. Unter Anwen­dung der für die Verhältniswahl bestehenden Grund­sätze fallen dem Wahlvorschlag 1 9, dem Wahlvorschlag 2 7Sitze zu, (zus. 16). In demselben Stärkeverhältnis werden wohl später auch die Stellen im Kassenvorstand besetzt. (Die Namen der Gewählten sind aus dem Inseratenteil ersichtlich.) Diejenigen Gewählten, welche bei der durch den Ausschuß vorzunehmenden Wahl des Kas­senvorstands zu Mitgliedern des letzteren bestellt werden, scheiden aus dem Ausschuß aus und es rücken hiefür die vorhandenen Ersatzmänner in der bestimm­ten Reihenfolge und in entsprechender Zahl als or­dentliche Ausschußmitglieder vor. Die endgiltige Zu­sammensetzung des Ausschusses dürste sich durch die Vorstandswahl also noch etwas ändern, und zwar sowohl in der Gruppe der Arbeitgeber als in der der Versicherten.

Konzert Haas.

Das mit allseitiger Spannung erwartete Kon­zert des Konzertsängers Fritz Haas, der von seinem früheren Auftreten in Calw her noch in bester Er­innerung lebte, fand am Samstagabend unter der Anteilnahme einer großen, den Saal und die Galerie des Bad. Hofes nahezu füllenden Besucherzahl statt. Es mag dem Sänger und Lehrer Haas, der sich nunmehr ganz in unsrer sangeskundigen Stadt nie­derlassen wird, ein gutes Zeichen für sein künftiges Schaffen bedeuten, daß er zu Beginn seiner hiesigen Tätigkeit von der Bevölkerung, soweit sie für seine Kunst in Betracht kommt, gleich warm und herzlich ausgenommen wurde. Das mag ihm auch ein opti­mistisches Omen für seine Pläne sein, mit denen er für die Zukunft an das Calwer musikalische Leben herantreten will und deren gutes Gelingen wir vor­weg schon wünschen.

Das Konzert Haas führt die Gedanken zunächst auf das musikalische Leben Calws überhaupt. Herr Haas, der Sänger in vollendeter Kunst, tritt in eine Bevölkerung, innerhalb welcher eine ganze Reihe be­achtenswerter musikalischer, gesanglicher Kräfte, die über dem Durchschnitt stehen, sich vorfindet. Da bleibt

nun nicht aus, daß Messungen und Vergleiche zwi­schen den einheimischen Sangesbeflissenen und dem Künstler Haas vorgenommen werden die selbst­verständlich ohne Ausnahme zugunsten des Letz­teren ausfallen müssen. Für die lokale, berufsmäßi­ge Kritik bleibt unter diesen Umständen die Aufgabe, über diesen Wertungen und Einschätzungen zu stehen. Ihr liegt die Pflicht ob, das Gute zu preisen und Können anzuerkennen auch da, wo es sich nicht in der restlosen Ausprägung zeigt, wie beim Berufs­musiker, beim Künstler. Sie wird dort, wo sie ferti­ger Kunst begegnet, rückhaltlos sich darüber freuen dürfen und bei Gelegenheit ohne Bedenken für die einzutreten haben, die ohne die künstlerische Bildgng des fertigen Musikers, aber aus Freude an der Kunst und nach eigener objektiver Beurteilung ihrer per­sönlichen Fähigkeiten (die tatsächlich natürlich vor­handen sein müssen) der öffentlichen Kritik sich glau­ben wohl aussetzen zu können. Das gilt für die sämtlichen Arten Musik, nicht nur für Gesang. Und von Liesen zwischen Durchschnitt u. Künstlern stehen­den, musiktreibenden Leuten muß so viel Selbstzucht, so viel Erkenntnis und Bescheidenheit verlangt wer­den, daß sie dem Künstler seine Ueberlegenheit über sie selbst bedingungslos zugestehen sie vergeben sich nichts dadurch, bekennen sich aber als eingebildet und anmaßend, wenn sie sich neben den tatsächlich Großen stellen. --

Der Verlauf des Konzerts war ein würdiger, ein erhebender. Die meisten Lieder, die Haas sang, sind hier wohl bekannt und werden fleißig gesungen. Aber es war interessant, zu beobachten und zu hören, wie dieser Sänger sich an Schumann, Schubert, Brahms und Löwe heranmachte. Sein Vortrag wirkte wie eine Offenbarung verschlossen liegender Schönheiten und ließ einem bewußt werden, welche Wunder an Klang, welche Tiefe an Empfindung, welcher Reichtum an Gemüt und Innerlichkeit in den Liedern dieser begnadeten Männer liegt. Aus­geglichen, rein, rund und in sattem, außerordentlich angenehm klingendem Ton quellen die Melodieen aus dem Herzen und vom Mund des Sängers, der selbst ganz und gar hinter seine Gesänge zurücktritt und nur die Musik wirken läßt. Er verzichtet auf den Klangschmiß als Verblllffungsmittel und bleibt derselbe sachliche, vornehme Tonbildner im duftge­hauchten pp, wie im schmetternden t't. Mit beson­derer Vorliebe pflegt Haas Liede r-Cyklen zu singen. Für sein Konzert am Samstag hatte er neben andern den Heine - Schumannschen Cyklus Dichterliebe" gewählt. Und mit ihm ersang er sich die Herzen. Der Perlen edelste in diesem Liederge­schmeide warIch Hab im Traum geweinet . und um nur einiges noch Herauszugreisen: sein originellerChristoph, Rupprecht, Nikolaus" von v. Hausegger, SchubertsWanderer" und die beiden Strauß:Morgen" undCäcilie" hinterließen tiefen Eindruck. Aber es war noch einer da, der den Lor­beerkranz mitverdient hatte, der Haas von Karls­ruher Verehrern am Schluß des stürmisch bedankten Konzerts überreicht wurde. Der Direktor des Pforz- heimer Konservatoriums: Röhmeyer. Der saß (ein ausgeschnittenes Mörikeprofil den im Saal Sitzenden zugekehrt), nicht am Klavier, um nur zu begleiten", sondern der lebte mit und in den Melo­dieen, indem er mit ganzer Seele den Gehalt der Schöpfungen heraushob und auf dem (plötzlich einmal sogar heimtückisch gewordenen) Flügel erklingen ließ. So erlebten die Zuhörer das Zusammenwirken zweier durch langjährige Zusammenarbeit aufein­ander eingestellten Musiker einen glanzvollen, edlen Wochenschluß, dessen sie sich in freundlichem Gedenken erinnern werden u. der die Konzertgeber sowohl als auch diejenigen, die mit die Vorbereitungen für die Veranstaltung trafen, in allen Stücken befriedigt haben dürfte.