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Ur. 121.
Altenstttg, Freitag den 23. Mai.
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Gescheiterte Parteiverhandlungen zur Regierungsbildung.
Berlin, 22. Mai. lieber das Ergebnis der Besprechungen der Deutschnatkonalen mit den Parteien der Mitte gibt die Deutschnationale Pressestelle folgenden amtlichen Bericht aus: Die Deutschnationale Volkspartei hat in der Besprechung mit den Vertretern der Mittelpartemn den Vorschlag gemacht, die Lösung für die bei der Regierungsbildung bestehenden Schwierigkeiten in einer Voranstellung der Personenfrage zu suchen. Eine nach Ansicht der Deutschnationalen Volkspartei zur Führung hervorragend geeignete und überparteiliche Persönlichkeit ist den anderen Fraktionen genannt worden. Der Verhandlungen darüber haben eine Wendung genommen, auf Erund deren die Deutschnationale Volkspartei ihre Initiative in dieser Richtung zunächst eingestellt hat.
In Ergänzung des von der Deutschnationalen Volkspartei veröffentlichen parteilichen Berichts teilen die Blät- ter mit, daß die Fraktion der Deutschnationalen Volkspariei beschlossen habe, die an die Mittelparteien gerichtete Einladung zu neuen Verhandlungen, die am Donnerstag vormittag stattfinden sollten, zurückzuziehen. Wie die Blätter bemerken, wird es nunmehr Sache der Mittelparteie« sein, in den Parteibesprechungen über die Regierungsbildung wieder die Initiative zu ergreifen.
Ueber den Verlauf der Besprechungen Wischen den Deutschnationalen und den Mittelparteien gibt, das „Berliner Tageblatt" folgende Darstellung: Die Deutschnationalen stellten den Antrag, eine gemeinsame Entschließung dahin zu fassen, daß als voraussichtlicher Reichskanzler der Eroßadmiral v. Tirpitz in Betracht komme. Dieser Antrag der Deutschnationalen wurde von den Mittelparteien ab- grlehut und zwar teils aus persönlichen Bedenken gegen den vorgeschlagenen Kanzlerkandidaten, teils mit der Begründung, man würde durch dieses Verfahren der Entscheidung des Reichspräsidenten vorgreifen, dem verfassungsgemäß allein die Ernennung des Kanzlers obliege. Ueber die Haltung des Zentrums teilt die „Germania" mit, daß es für das Zentrum ausgeschloffen sei, die deutschnationale Taktik, bestimmte Persönlichkeiten in den Vordergrund zu schieden, mitzumachen.
Die „Frankfurter Zeitung" bemerkt dazu: Es hat sich gezeigt, daß die Deutschnationalen auf der einen, die Mittelparteien auf' der anderen Seite von durchaus verschiedenen Gesichtspunkten aus an die Beratungen herange- gangen waren. Die Mittelparteien wollten den Versuch unternehmen, sestzustellen, ob mit den Deutschnationalen eme gemeinsame Basis vor allem auf dem Felde der auswärtigen Politik gefunden werden könne, in der Richtung, daß die von der Regierung Marx vollzogene Annahme der Expertenberichte mit ihren Konsequenzen auch von den Deutschnationalen anerkannt und zur Grundlage der weiteren Politik gemacht würde, lieber diese Frage ist jedoch rn der Sitzung gar nicht gesprochen worden, da die Deutsch- ttationalen sofort mit dem Vorschlag hervortraten, daß die »überparteiliche Persönlichkeit" von den anderen Parteien als künftiger Kanzler akzeptiert und ihm überlaffen werde, ln weiteren Verhandlungen ein Kabinett zustande zu bringen. Diese überparteiliche Persönlichkeit ist der Großadmiral v. Tirpitz» der in München in den Reichstag gewählt worden ist, also eine Persönlichkeit, die selbst dann nicht als überparteilich bezeichnet werden könnte, wenn sie nicht der dentschnationalen Fraktion als Mitglied angehörte. Ueber sachliche Dinge ist in der Sitzung gar nicht verhandelt worden, auch nicht über die Umbildung der Regierung in Preußen. Ob die Deutschnationalen von der Kan- mdatur Tirpitz einen Erfolg bei den Mittelparteien er- haben, steht dahin. Erzielt habe« sie Um jedenfalls
nicht. Von demokratischer Teile wurde ihnen sofort erklärt, daß eine Verhandlung auf dieser Basis unmöglich sei, daß zunächst einmal festgestellt werden muffe, ob man sachlich Zusammengehen könne. Zn ähnlichem Sinne sprachen sich dann die Vertreter des Zentrums und der Deutschen Volkspartei aus. Die Zentrumsfraktion unterstrich die Unmöglichkeit des deutschnationalen Vorschlags noch ausdrüMch durch einen späteren Fraktionsbeschluß.
Die Sache steht also jetzt wieder so, wie vor der deutschnationalen Einladung an die Mittelparteien. Die für morgen in Aussicht genommene Sitzung wird nicht stattfinden. Was nun geschehen wird, ist zunächst noch nicht ab- zusehen. Nachmittags haben die Deutschnationalen sich auch mit den Völkischen in Verbindung gesetzt. Di? Herren Westarp, Wallraf und Schiele konferierten mit den völkischen Vertretern Hennigs, Wulle und Graf Reventlow. Man hört, daß diese Besprechung fortgesetzt werden soll, wenn am Samstag die völkische Fraktion zusammengetreten ist.
Die deutschnationals Erklärung spricht nur davon, daß die Initiative „in dieser Richtung" eingestellt sei. Sie wird also vielleicht nicht mehr gegenüber den Mittelparteien zusammen, sondern gegenüber einzelnen von diesen Parteien, etwa der Deutschen Volkspartei und dem Zentrum, wieder llufgeuommen
Wetterzeichen.
Unter dieser lleberschrist schreibt die „D. A. Z." u.a. folgendes:
Die Ernte, zumal die in Brotgetreide, versprich« Nichts Gutes. Und — was in unserer geldlichen Lage besonders betrübend ist — sie wird diesmal zeitlich verspätet in die Scheuern kommen. Das bedeutet für die nächsten Monate vermehrten Einfuhr- und Devisenbedarf. Wir haben zwar nicht, wie der amerikanische Markt an den Ziffern der Lagerhaus-Vorräte, einen statistischen Ueberblick über die noch vorhandenen Bestände alter Ernte. Nur wissen wir, daß auch gerade Nnsere Landwirtschaft seit Monaten über schlimmste Geldnot klagt; sie wird daher ihre Vorräte Diesmal! schneller als sonst diesmal zu Markt gebracht haben, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Getreide ist genügend in der Welt vorhanden, nur muß man Geld Haben, um es zu bezahlen, und daran fehlt es uns. Unsere angespannte Handels- und Zahlungsbilanz wird also von dieser Seite her in den kommenden Monaten keine Entlastung, sondern eher eine Verschlechterung erfahren. Tie schlimmen Zahlen der Bilanz des Außenhandels, mit denen unsere amtliche Statistik in den letzten Monaten aufwarten mutzte, sind bekannt. Tie Ziffern sind wegen der Besetzung des Westens unvollständig, und Optimisten konnten hoffen, daß sie nach der schlechten Seite hin übertrieben. Nun kamen aber in den letzten Tagen nach Ländern geordnete Außenhandels-Nachweise des Auslandes, welche den unerhört verstärkten Einsuhrbedarf unseres Landes nur allzu sehr bestätigten. Tie Einfuhr Hollands, die sich naturgemäß besonders in das Rheinland ergießt, lhat sich im ersten Quartal 1924 gegenüber der gleichen Zeit des Vorjahres mehr als vervierfacht! Wir bezogen ^aus diesem kleinen Lande in drei Monaten für 280 Millionen Goldmark Ware und führten nur für 220 Ällillionen Mark nach dorthin aus. Tie Einfuhr aus den Bereinigten Staaten hat sich um 50 Prozent erhöht. Von Englartd beziehen wir neuerdings fast doppelt so viel Ware als wir nach dort exportieren^ während' bekanntlich im Frieden die Tinge umgekehrt lagen. Weiter: ein böser Termin steht unserem Geldmärkte in» nächster Sicht noch bevor. Tie Deutsche Bank gab am 20. Mai einen Mirtschaftsbericht heraus, in dem es hieß: „Ter Mai-Ultimo bedeutet wegen der Frankenverpflichtu-rg. n eine schwere Belastung der Börsenlage. Es werden, ist einmal der Zeitpunkt des Zählens gekommen, weitere Exekutionen an Effekten und Waren sich noch als notwendig erweisen, und als Resultat wird ein Kapitalverlust herauskommen, den ein in einer deratigen Kapital- und Kreditnot befindliches Land wie Deutschland nur sehr schwer verschmerzen wird." Tas sagte das größte Bankinstitut, das doch sicher nicht durch Unkenrufe die an sich schon gefährliche Situation verschärfen will. — Weiter: im Bericht des Rcichsarbeitsblattes, des Amtsblattes des Reichsarbeitsministeriurns, war am 16. Mai zu lesen: „Ter Besserung des Arbeitsmarkets lag nicht eine entsprechende günstigere Gestaltung der wirtschaftlichen Lage zugrunde Tie Zahlungseingänge sind schlechter geworden. Für die Reichsbank wurde oie Einschränkung der Kreditgewährung unabweisbar, und die Einschränkungsmaßnahmen vom 7. April wirkten sich in einer weiteren drängenden Nachfrage nach Lredit a» die «rtvaie» Getvqeber «ms, welcher Ecke
Jahrgang 1924
Banken in noch geringerem Grade als zuvor zu genügen in der Lage waren. Infolgedessen steigerten sich auch weiter die Kreditsätze. Ten allgemeinen Kapitalmangel nicht beseitigen können natürlich die Kredites welche die neu zu errichtete Golddiskontbank den ein-! , zelnen Unternehmungen gewährt." j
! Diese Taten genügen, um die Lage zu kennzeichnen.! j Richtig und wichtig ist die Bekundung der Tatsache,
> daß die Golddiskontbank, die einzige Errungenschaft j Schachts aus seinen Auslandsbemühungen, uns nicht z über den schweren Berg von Sorgen bringen kann, der sich jedem klar blickenden Auge dartut. In den Sand stecken wollen und dürfen wir den Kopf nicht. : Und aus eigener Geldkrast werden wir der uns umdrängenden Not nicht Herr. Wir brauchen starke Hilfe» des Auslandes, brauchen sie schon für die nach-
- sten Wochen. Wir haben die 800-Millionen-Goldmark- Auslands-Anleihe bitter nötig, von denen in dem Sach-
? verständigenurteil die Rede ist. Schon zehren wir ! bekanntlich von dieser Summe durch die Erfüllung der Micum-Verträge, die in etwa drei Wochen ab- f laufen, ohne daß man weiß, welchen werteren Leiden und ! Lasten unsere rheinische Wirtschaft ausgesetzt sein wird,
- wenn es nicht gelingt, mit der Entente endlich an den Verhandlungstisch zu kommen. Tas ist die Situa-
- tion, über die kein Messetrubel 'hinwegtäuschen sollte,
' eine Situation, die häuslichen Streit in der Industrie ; nicht zuläßt, eine Situation, die nicht nur Wirtschafts- ! leute interessiert, sondern die auch politisch bitter ernst
genommen Wdrden sollte.
Vor dem Rücktritt Poineares.
Der seit mehrere» Tagen eingetretene neue Rückgan des Frankens hat den Ministerpräsidenten Poincare in di Zwangslage versetzt, dem Präsidenten der Republik ein> außergewöhnlichen Vorschlag zu machen, nämlich die rufung der beiden Führer der bürgerlichen Parteien des! Blocks der Linken, Hsrriot und Painleve, zu einer Konferenz über die zur Eindämmung dieser neuen Währungskrise nötigen Maßnahmen. In der Tat erfordert ein der»! artiges Eingreifen der Regierung die Inanspruchnahme^ des Staatskredits, wozu das Ministerium Poincare, das; nur noch mit der Erledigung der laufenden Geschäfte be-! traut ist, keinerlei Autorität besitzt; denn jede Verfügung; über den Staatskredit setzt die Zustimmung des Parla-j ments voraus. Man konnte im Zweifel sein, ob die Führer; der neuen Mehrheft, die erst nach dem 1. Juni zur Regie», rung berufen werden sollen, dieser Einladung der Herren; Millerand und Poincare überhaupt entsprechen würden;! denn sie dürften wenig Neigung besitzen, der künftigen Mehrheit gegenüber die Verantwortung für finanzielle! Entscheidungen zu tragen, die noch von dem jetzigen Kabi-! rett durchgesührt werden sollen. Herriot und Painleve ha» -en angesichts der ernsten Lage die Einladung jedoch augenommen, offenbar, um sich zunächst über den tatsächlichen Stand der finanziellen Verhältnisse zu informieren. Sie haben aber allem Anschein nach die von ihnen verlangte Mitarbeit bei der Lösung der Währungskrise vorläufig abgelehnt. Das über die Besprechungausgegebene Com- munique lautet nämlich wörtlich:
Auf Veranlassung des Ministerpräsidenten hat im Kabinett des Präsidenten der Republik eine Sitzung stattgefunden. Ministerpräsident Poincare und der Finanz» minister Francois Marsal haben den Abgeordneten Herriot! und Painleve im einzelnen die französische Finanzlage auseinandergesetzt. Painleve und Herriot haben die Ueber- zeugung ausgesprochen, daß ein strenger Ausgleich des französischen Budgets für jede Regierung, wie sie sich auch zusammensetzen möge, geboten sei.
Dieser Wortlaut stellt es wohl außer Zweifel, daß die beiden Führer der Linken die Verantwortung für neue finanzielle Notmaßnahmen außerhalb der »egelmäßigen Budgetfestsetzung durch das Parlament abgelehnt und darauf hingewiesen haben, daß eine staatliche Aktion zur Sanierung des Staatskredits nur durchführbar tst im Zusammenhang mit der Wiederherstellung des Gleichgenmchts im Budget, daß diese Aktion also der künftigen Regierung und ihrer Mehrheit Vorbehalten bleiben muffe. NKck diesem negativen Ausgang der Konferenz muß man wö'hl oa- mit rechnen, daß die Absicht Millerands und Poiffcares, den Rücktritt der jetzigen Regierung bis zum 1. Zuiii hinauszuschieben. nicht länger aufrechterhalten werden stkamr. Denn mit der Anrufung der Führer der neue r Mehrheit hat Poincare eingestanden, daß er selbst nicht mehr! en Anfordeurngen der volitischen und Wirtschaftliche'' j s gewachsen ist. ^