Nr. 260.
Amts- und Anzeigeblalt für den Vberarnlsbezirk (Lalw.
88. Jahrgang.
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Donnerstag, den 6. November jfyjfo.
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Die Kömgsproklamalion in Bayern.
München, 5, Nov. Kammer der Abgeordneten. Tie Abgeordneten sind nahezu vollzählig anwesend, nur die Sozialdemokraten fehlen, die Tribünen sind nur spärlich besetzt. Am Ministertisch sämtliche Minister und zahlreiche Regierungskommissare. Präsident v. Orterer eröffnet die Sitzung um ^10 Uhr. Ministerpräsident Frhr. v. Hertling übergibt dem Präsidenten ein Schriftstück mit dem Ersuchen, es sofort zur Kenntnis des hohen Hauses zu bringen. Das Haus hat sich erhoben. ES herrscht lautlose Stille. Der Präsident verliest folgendes allerhöchstes Schreiben: „S. Majestät König Otto war schon bei Anfall der Krone durch schweres Leiden gehindert, die Regierung des Landes zu übernehmen. Während der nun 27jährigen Regentschaft ist eine Besserung des Leidens nicht eingetreten. Es besteht auch keinerlei Aussicht, daß S. Majestät jemals regierungsfähig werde. Gemäß Titel 2 s 21 der Verfassnngsurkunde des Königreichs Bayern vom 26. Mai 1818 in der Fassung des Gesetzes voist 4. November 1913 erklären wir hiermit die Regentschaft sürbeendigtund denThron als erledigt. Wir beauftragen unser Gesamtstaatsministerium, dem gegenwärtig versammelten Landtag die Gründe, aus denen sich die dauernde Regierungsunfähigkeit S. Majestät des Königs ergibt, zur Zustimmung anzuzeigen. Gegeben München, 5. November 1913. Ludwig, Prinz von Bayern. (Gegengezeichnet von sämtlichen Staatsministern.) Präsident Dr. v. Orterer verliest hierauf die
Proklamation zur Thronbesteigung König Ludwigs III.
Sie lautet: Bayerns Herrscherhaus und Volk empfinden seit mehr als 27 Jahren mit tiefer Betrübnis, daß S. Majestät König Otto durch schwere Krankheit an der Regierung verhindert ist. Die Art des Leidens, von dem Unser vielgeliebter Herr Vetter seit vielen Jahren befallen ist, schließt jede Möglichkeit einer Besserung aus. Die ernste Sorge um das Wohl des Lande» hat uns zu dem schweren Entschluß bestimmt, auf Grund der Verfassung die Regentschaft für beendigt und den Thron als erledigt zu erklären. Hiemit ist die Thronfolge eröffnet und die Krone des Königreich Bayerns uns als dem Nächstberufenen nach dem Recht der Erstgeburt und der agnatischen und linealischen Erbfolge zugefallen. Wir haben daher als König die Regierung des Landes angetreten und von den Uns nach Gottes Gnade Ankommenden königlichen Rechten vollen Besitz ergriffen. Den in der Versassungsurkunde bestimmten Eid werden wir in Gegenwart der Staatsminister, der Mitglieder des Staatsrats und der Abordnungen der beiden Kammern des Landtags alsbald leisten. Von dem verfassungsmäßigen Rechte, die während der Reichsverwesung vollzogenen Besetzungen erledigter Aemter zu widerrufen, machen wir keinen Gebrauch, vielmehr verleihen wir allen Ernennungen von Beamten während der Regentschaft hiermit unsere königliche Bestätigung. Wir verordnen, daß sämtliche Stellen und Behörden im Königreich die amtlichen Bescheide von nun an in unserem königlichen Namen ausfertigen und halten uns gerne versichert, daß unsere Beamten getreulich wie bisher ihre Ausgaben wahrnehmen werden. Unserem Heere entbieten wir unseren königlichen Gruß in der festen Ueberzeugung, daß cs in unerschütterlicher Treue und erprobter Tapferkeit alle Zeit zu seinem obersten Kriegsherrn stehen werde. Zu allen Angehörigen unserer Erblande vertrauen wir, daß sie uns in unwandelbarer Treue anhängen und alle Pflichten gegen uns als ihren rechtmäßig angestammten Landesherrn und von Gott gesetzten König erfüllen, wogegen wir sie unserer huldvollen Gesinnung versichern. Das bayrische Volt hat von je her seinem Königshause, das mit ihm durch ein geheiligte? Trcuoerhältnis verbunden ist, hingebende Anhänglichkeit bewiesen. Wir erblicken darin eine sichere Gewähr, daß die Liebe des Volkes, die wir als ein kostbares Kleinod von unseren Vorfahren überkommen haben, auch fernerhin unser Wirken geleiten werde, das auf das Wohl des geliebten Vaterlandes, auf sein Blühen und Gedeihen gerichtet ist. In gläubigem Aufblick zu Gott, dessen gnädige Hilfe Bayern bisher geführt hat. erflehen wir des Allmächtigen Segen und Beistand. Gegeben in unserer Haupt- und Residenzstadt. München, am 5. November 1913. Gez. Ludwig (gegengez. von sämtlichen Staatsministern).
Präsident Dr. o. Orterer teilt weiterhin mit, daß an das Kammerpräsidium unterm 5. November folgende Vorlage des Gesamtstaatsministeriums gerichtet wurde: S. Maj. der König haben geruht, das Gesamtstaatsministerium zu beauftragen, dem Landtag die Gründe, aus denen sich die dauernde Regierungsunfähigkeit S. Maj. des Königs Otto ergibt, zur Zustimmung anzuzeigen. Wir beehren uns daher, dem Landtag und zwar zunächst der Kammer der Abgeordneten, 3 ärztliche Gutachten vom 25. Okt. 1886, vom 25. Okt. und vom 1. Nov. 1913 in Urschrift mitzuteilen, und den Antrag zu stellen, der Landtag wolle anerkennen, daß am 4. November die verfassungsmäßige Voraussetzung für die Beendigung der Regentschaft bestanden hat. Präsident Dr. v. Orterer wandte sich dann in einer Ansprache an das Haus und brachte ein Hoch auf König Ludwig III. aus. Laut und getragen von freudiger Begeisterung erscholl das Hoch durch den Saal. Präsident Tr. v. Orterer fügte hinzu: Es entspricht dem denkwürdigen Moment, in dem wir stehen, daß wir die Sitzung aufheben. Ich bitte aber die Herren noch einen Augenblick zu verweilen, um die ärztlichen Gutachten cntgegenzunehmen. Die Beratung darüber schlage ich Ihnen vor, morgen nachmittags 4 Uhr vorzunehmen. Das Haus ist damit einverstanden. Es folgte darauf eine kurze geheime Sitzung. Gleich darauf wurde im Ständehaus die bayrische Flagge aufgezogen und überall in den Straßen die Proklamation angeschlagen, um die sich zahlreiche Gruppen drängten.
An sämtliche Abgeordneten ist noch in der heutigen Sitzung der Kammer das ärztliche Gutachten über den Gesundheitszustand des Königs Otto verteilt worden. Das Gutachten kommt nach einer eingehenden Schilderung des körperlichen und geistigen Zustandes des Königs Otto zu dem Schluß, daß dieser Zustand seit dem letzten Gutachten vom November 1912 keine Aenderung erfahren hat und daß die geistige Erkrankung des Königs Otto als unheilbar anzusehen und der König somit für seine ganze Lebenszeit an der Ausübung der Regierung verhindert ist.
München, 5. Nov. König Ludwig III. hat aus Anlaß seiner Thronbesteigung dem 10. Infanterieregiment und dem 1. Jägerbataillon den Namen „König" verliehen und ferner bestimmt, daß die Offiziere und Mannschaften des 1. Infanterieregiments auf den Epauletts bezw. Achselklappen den Namenszug des Königs tragen. Kronprinz Rupprecht von Bayern wird von der Jnhaberschaft des 20. Infanterieregiments enthoben und Prinz Franz zum Inhaber des Regiments ernannt, das nunmehr seinen Namen führt. — Tie beiden städtischen Kollegien haben heute abend in einer Festsitzung König Ludwig gehuldigt. Die Festrede, die stehend angehört wurde, hielt Oberbürgermeister Ritter v. Borscht.
Stadt, Bezirk rrn- Nachbarschaft.
Calw, den 6. November 1913.
Heimat.
Es gibt kaum ein anderes Wort, es sei denn das Wort Mutter, das so traut und innig, jo ruhrend und sanft und doch so stark zum Herzen spricht wie Heimat. Die Heimat hat unserm Gemüt seinen ursprünglichen Inhalt gegeben. Eie bildet den unverwüstlichen Grundstock unserer Erinnerungen. Unsere Kindheit, unsere Jugend und oft unser ganzes Lebensschicksal wurzeln in der Heimaischolle. Ohne Heimat keine Liebe, ohne Heimat keine Treue, ohne Heimat keine Sehnsucht. So tief, so wohlig oder so weh wird das Herz nicht bewegt als bei Heimatklängen, von Heimatgrüßen, durch Heimätschmerzen. Welche Stimmungen beschleichen uns, wenn wir Stimmen der Heimat vernehmen, wenn die Heimat uns willkommen heißt, wenn wir fern von der Heimat ihrer gedenken, wenn wir nach langen Jahren die Heimat Wiedersehen! Im Gedanken Heimat, hat ein deutscher Dichter gesagt, umarmen sich all unsre guten Engel. Heimatlos zu sein, das bedeutet so viel wie verlassen, verloren, verödet, verstoßen. Eine Heimat haben wir, wie eine Mutter, nur einmal, und auf dem weiten Erdenrund suchen wir vergeblich nach einer neuen, ist uns die alte, die eine und einzige entrissen. Wer keine Heimat mehr hat, auch nicht im Herzen mehr, ist bettelarm und geböte
er auch über Schätze von Gold. Von Heimweh spre
chen wir Deutschen. Das Heimweh ergreift alles Empfinden und Wollen, das uns mit der Heimat verknüpft, das von dem Zauberwort Heimat ausgelöst wird. Heimweh ist das Sehnen nach der Seligkeit der Heimat, das Bewußtsein des unersetzbaren Wertes der Heimat. Wer Heimweh fühlt, braucht deshalb nicht wehleidig zu sein. Des Heimwehs braucht sich keiner zu schämen. Wer Heimweh fühlt, deß Herz schlägt gesund, -der bezeugt, daß er sich immerdar mit der Heimat verbunden weiß, daß am Heimatherd allein Glück, Freude und Frieden wohnen und er all dies nur dort zu finden vermag. Des schlesischen Heimatdichters Karl von Holter bestes und darum auch bekanntestes Gedicht in der heimischen Mundart trägt die Ueberschrift: „Suste nischt, ock heem!" Sonst nichts, nur heim! Da wird erzählt, wie ein Dorfjunge einem Prinzen das Leben rettet, wie er dafür ins Schloß genommen und ihm dort alles angetan wird, was sich ihm nur irgend an den Augen absehen läßt. Aber der Junge freut sich nicht. Er denkt nur an seine Hütte, an Kuh und Ziegen und die kleinen Ferkel daheim, an seine Eltern, an die Ofenbank. Er grämt sich und magert zusehends ab. Da fragt ihn die Fürstin, was ihm fehle, und er antwortet: „Heem möcht' ihch; suste weiter nischt, ack heem!" Heim möchte ich, sonst weiter nichts, nur heim! Er hat ein Herz im Leibe, sagt die Fürstin und schickt den Jungen zurück. Sonst nichts, nur heim! Das ist ein gutes Leitwort, das wir in unsrer Zeit weltbürgerlichen Sinnens und Trachtens beherzigen sollen. Beherzigen vor allem in der Erziehungsarbeit im Hause und in der Schule. Dieser Arbeit sollen wir die heilsame Wahrheit zu Grunde legen, daß die Hiemat der Jungbrunnen der edelsten Lebenssäfte und Lebenskräfte bleibt, daß aus dem Heimatboden der rechte dauernde Frohsinn und der gedeihliche Lebenswille sprießen. Darum gilt es, Heimatsinn, Heimatluft, Heimatliebe zu hegen und zu pflegen als Quellen eines Segens, der nie versagt. Heimatkunde und Heimatkunst sind bewährte Mittel hierfür. Wem für die Heimat immer das Herz warm schlägt, der ist allezeit geborgen, der steht fest auf dem Boden des Vaterlandes. Wer die irdische Heimat unverlierbar im Gemüt trägt, dem bleibt der Weg auch zur ewigen Heimat offen.
Großes Feuer in Hirsau.
Heute früh kurz nach 7 Uhr brach in der früheren Bandweberei, der jetzigen Celluloid- (Kamm-) Fabrik Feuer aus. Wie man hört, soll es beim Fräsen eines Stücks Celluloid ausgekommen sein. In ganz kurzer Zeit stand das Fabrikgebäude, an welches das Wohnhaus angebaut ist, lichterloh in Flammen. Nichts mehr war zu retten. Infolge Vornahme der Wegverbesserungsarbeiten am Hirsau— Calwer Weg war die Wasserleitung abgestellt. Mit einer einzigen Spritze konnte das Feuer bekämpft werden und so konnte, trotzdem der Betrieb der Fabrik schon im Gange war, von den Fabrikinsassen nicht gelöscht werden. Unverbindlich geschätzt, beträgt der Schaden an Gebäuden 30 000 M, wozu noch ein außerordentlich großer Materialschaden kommt. Menschenleben kamen nicht in Gefahr. Die Bewohner des Wohngebäudes sowohl, als auch die in der Fabrik sich aufhaltenden Leute konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen.
Weitere Mitteilungen lauten:
In dem abgebrannten Gebäude betrieb die Sa- nitas-Compagnie G. m. b. H. die Herstellung von Celluloidwaren, desgleichen befand sich darin die Kammfabrik von Theodor Gasjenmaier. In letzterem Gebäudeteil waren auch die Familienwohnungen. Um 10 Uhr brannte das Feuer noch und die Feuerwehr war um diese Zeit noch mit allen Kräften tätig. Die angebauten Lagerräume für Celluloidwaren brannten ebenfalls ab. Die Abgebrannten find versichert.