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Alteußeks. Donnerstag den L«. Angnß.

Jahrgang 1SL3

Die große Koalition.

Man hat vielfach die große Koalition als die parla­mentarische Reserve bezeichnet, die man nicht zu früh .Einsetzen dürfe, weil sie das letzte Lösungsmittel sei. Auch dann, wenn man dieser Ansicht nicht zustimmt, wird man Heute mil den Vertretern dieser Ansicht darüber einig sein, daß der Augenblick zur Einsetzung dieser Reserve gekom­men ist. Nicht eine Schwächung unserer Selbstbehaup­tung, sondern eine Stärkung soll damit durchgeführt wer­den; und nicht etwa der Ruf der Straße hat Cuno ge­stürzt, sondern die Wirren kommunistisscher Agitation haben gezeigt, daß dieser Agitation aus außenpolitischen und innerpolitischen Gründen die Autorität des Staates entgegengesetzt werden muß, die einzig und allein durch diese Mehrheitskombination zweifelsfrei zum Ausdruck «kommt. Die kommunistische Agitation, richket sich gegen die große Koalition womöglich noch schärfer als gegen das Kabinett Cuno; und so hat man mit dem Kabinetts- Wechsel nicht etwa nachgegeben, sondern geradezu den kommunistischen Aufruhrversuchen den entscheidenden Kampf angesagt. Die Wirkungen im Sinne einer Beruhi­gung werden nicht ausbleiben.

Außenpolitisch tritt das neue Kabinett, dessen Führer bei der Absendung der deutschen Angebote und auch in der vorigen Woche wieder eigentlich die Reden gehalten hatte, die von der Ministerbank aus hätten gehalten wer­den sollen, in einem Augenblick ins Leben, da England in - einem sehr beachtenswerten Dokument von besonderer Länge und Inhaltsschwere die Vertragswidrigkeit des französisch-belgischen Ruhreinbruchs juristisch nachweist. England schlägt sogar die Vorlegung dieses Streitfalles an den Schiedsgerichtshof im Haag vor, und es hat da­mit gleichzeitig erklärt, daß sämtliche von den besetzenden Mächten im Nuhrgebiet vorgenommenen Handlungen, also auch sämtliche Kriegsgerichtsurteile und Ausweisun­gen, vertragswidrige Willkürakte sind. Aus dieser Basis wird das neue Kabinett die deutsche Selbstbehauptung au­ßenpolitisch aktiver fortführen können, als es Kanzler und Außenminister der früheren Regierung vermochten, die schon mehrmals das Ohr des Auslands erst durch die Reden Stresemanns zu erreichen vermochten, der als Kom­mentator ministerieller Starrheit insbesondere in der vo­rigen Woche den rechten Ton gefunden hat.

!' Er fand ihn aber auch für die innere und finanzielle Politik, als er es aussprach, daß die Erhaltung des Vater­landes und der Nation über der Bewahrung der privat­wirtschaftlichen Substanz stunde, und im Grunde war da­mit die innerpolitische Basis der großen Koalition geschaf­fen. Bisher hatte Einigkeit darüber geherrscht, daß Opfer der Substanz zu bringen seien, sobald eine endgültige Re­parationslösung die deutsche Zukunft als gesichert er­scheinen ließe. Nun ist, durch schwere Versäumnisse der letzten Monate, der Entschluß nötig geworden, Opfer der Substanz schon vor der endgültigen Reparationslösung tzu bringen, da nur so die Reichsfinanzen und das Exi­stenzminimum der Bevölkerungsmasse gerettet werden können. Wenn sich durch einen solchen von der augen­blicklichen Not als Abwehr des Augenblicks gebotenen Rückgriff auf die Vermögenssubstanz deren Leistungs­fähigkeit für die Reparation naturgemäß verringert, dann wird es Sache Frankreichs sein, auch hieran wieder den Widersinn seiner Ruhrpolitik und seiner Gewaltpolitik zu ^kennen, wenn man dort schon für die nun auch von England nachgewiesene Rechtsverletzung, die diese Politik bedeutet, keinen Sinn mehr hat.

Die große Koalition ist heute aufgerichtet als das Kennzeichen des Lebenswillens des deutschen Staates, svie er heute ist, und diese Bekundung des staatlichen Lebenswillens gilt ebenso für das Ausland wie im In­land, wo Kommunisten und andere Agitatoren vergeblich darauf lauern, daß ihr Weizen blühe, je mehr die Schwäche Reichs und der Reichseinheit parlamentarisch zur Erscheinung kamen. Damit möge es nun vorbei sein: das Reich lebt und will leben, und es muß möglich sein, dem Feinde draußen und den Agitatoren drinnen diese Tat­sache so beizubringen, daß auch der einfache Mann er­kennt, wo der solide Rückhalt ist, auf den er sich verlasse» k^nn, wenn die einfachen und doch so verwirrenden Schlagmorte reichsz.rstörender Agitation herumschwirre».

Und es ist auch möglich: wir haben eine gute Ernte, knd wir können mit der Finanzreform den Verfall unse­rer Währung, wenn auch an einem vorgeschrittenen Punk­te, immer noch aufhalten. Damit aber wird ein geregel­ter wirtschaftlicher Blutumlauf ermöglicht, der den Gegen­

satz von Stadl unv rmno mnverr, aus Dem Heute'die kommunistische Agitation sich aufbaut. Schon ist der letzte Wahnsinnssprung des Dollars rückgängig; und hätten wir die großstädüsche Unruhe überwunden, hätten wir die heute getroffenen Aenderungen etwas früher geschaffen, so daß dre Unruhe nicht hätte beginnen können, dann würde man noch deutlicher sehen, wie man im Ausland den Lebenswillen des Reichstags und des Reiches auffaßt. Diese Auffassung und diese Erkenntnis wird sich nicht nur an der Dollarnotiz, sondern auch in der Beurtei­lung unserer Widerstandskraft und unserer politischen Ver'handlungcfähigkeit zeigen müssen.

Die neuen Männer.

Unter den neuen Reichsministern befinden sich drei Männer auf deren Lebenslauf wir kurz eingehen möch- ?

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Tr. Rudolf Hilferding, der neue Rerchsfinanz- k minister, wurde 1879 in Wien geboren. Er studierte ! Medizin und war bis 1907 in Wien als Arzt tätig. Wr wurde dann an die sozialdemokratische Partei- r schule nach Berlin berufen, da er sich als Volkswirt- i schaftlicher Schriftsteller hervorgetan hatte, aber die r kaiserliche Regierung unterband sehr bald seine Lehr- s tätigkeit. Er kam nun in die Redaktion desVor- r wärts", wo er rasch an leitende Stelle gelangte. Er r machte später die Sezession der Unabhängigen mit und « «vernahm die Leitung ihres Hauptorgans, derFrei- r heit". Nach der Revolution erwarb er das deutsche , .Staarsbürgerrecht. Bei der'Gründung des Reichswirt- c schaftsrates wurde er von seiner Partei in diesen ent- ? sandt. 1921 trat er in die Sozialisierungskommission. Er wirkte für die Wiedervereinigung der beiden sozial­demokratischen Parteien.

Wilhelm Sollmann, der Reichsminister des In­nern, 1881 in Sachsen-Meiningen geboren, trat von seinem dreißigsten Jahre an stärker hervor als sozialdemokratischer Redakteur, in der Angestelltenbe­wegung und auf seinem Sondergebiet, der sozialisti­schen Jugendbewegung. 1919 kam er zum erstenmal ins Parlament als Vertreter des Wahlkreises Köln- Aachen.

Ter Oberpräsident Hans Fuchs, der das neu ge­schaffene Amt eines Reichsministers für die besetzten Gebiete übernimmt, wurde 1874 zu Bickendorf als Sohn eines Landwirts geboren. Er studierte die Rechts­wissenschaften und fand Verwendung bei der General­kommission in Düsseldorf. Er wurde später ins preu­ßische Landwirtschaftsministerium berufen. Er nahm am Kriege teil, erlitt eine schwere Verschüttung und war dann wieder im Landwirtschaftsministerium tätig bis er 1919 zum Regierungspräsidenten in Trier er­nannt wurde. Im Juli 1922 wurde er zum kommissa­rischen Oberpräsidenten der Rheinprovinz ernannt, im Februar 1923 wurde er von den Franzosen ausgewie­sen. Fuchs gehört dem Zentrum an.

Das britische Blaubuch.

Das britische Blaubnch und vor allem die Antwort an Frankreich und Belgien dürften überall größtes Auf­sehen erregen, und zwar ein Aufsehen, das jedenfalls in Paris nicht sehr erfreulicher Natur sein wird. Man wird sich dort sagen müssen, daß Poincare doch etwas übereilt handelte, als er letzte Woche durch seine Pressetrabanten auf beiden Seiten des Kanals mit größter Bestimmtheit erklären ließ, der Skalp Baldwins sei ihm bereits sicher! Vielleicht wird die Art dieses Aufsehens am besten durch die Wut von Poincares Londoner Presseagenten, dem Lord Rothermere, charakterisiert, der die britische Antwort durch eines seiner Sonntagsblätter als Baldwinserovc- nin§ blrmätzr", den Schnitzer, der allem die Krone aus­setzt, veralbern läßt, einen Schnitzer, der darin besteht, daß Baldwin sich weigert, die Weisung für seine Politik nicht wie Rothermere von Poincare entgegenzunehmcn, sondern es wagt, als Erster Minister Brrtanniens briti­sche Politik zu treiben. Rothermeres großem Gegenspieler, dem Kanadier Beaverbrook, erscheint Baldwins Idiosyn­krasie nicht weniger erstaunlich, und die Sonntagsausgabe seinesDaily Expreß" ergeht sich in der dunkeln Dro­hung, die britische Note,welche auf die Behauptung hin­auslaufe, Frankreich habe Britanniens Rechte als eines Verbündeten und Mitunterzeichners des Versailler Ver­trags verletzt, schaffe eine neue Lage von beinahe unbe­rechenbaren Möglichkeiten in der innern Politik". Wenn das bedeutet, daß die Diehards und Beaverbrooks Freunde, die Englands Heil in einem Davonlaufen aus Eurvpa erblicken, Baldwin nun stürzen werden, so kann mau

nur sagen, daß sie sich einen solchen Schritt zweimal über­legen werden.

Das schlimmste Verbrechen der britischen Note in den Augen der Französlinge ist natürlich, daß sie es wagt, die Frag e, o'b die Besetzung des Ruhrgeb ie- tes auf Grund des Vertrags von Versailles gerecht- fert igt ist, zu verneinen, und zwar mit denselben Beweisgründen, welche die deutschen Juristen von An­fang an gebrauchten, und die in der Tat für jeden Unpar­teiischen auf der Hand liegen. Dieses Verbrechen wird noch schlimmer gemacht durch den Vorschlag, diese Streit­frage an den Internationalen Gerichtshof rm Haag oder an ein anderes Schiedsgericht zu verweisen, j So vorsichtig und schonend in der Form dieser Vorschlag gehalten ist, er stellt Poincare doch vor eine sehr pein­liche Entscheidung. Die einschlägige Stelle. (Z 32) lautet:, Tre höchsten juristischen Autoritäten in Groß-! britannien haben Seiner Majestät in einem Gut-! achten erklärt, daß die Auffassung der deutschen Re-! gierung wohlbegründet ist, und Seiner Majestät! Regierung machte nie ein Geheimnis aus der Ansicht, ? daß die französisch-belgische Ruhrbesetzung, ganz ab-, gesehen von der Frage der Zweckmäßigkeit» keine! Sanktion ist, zu der der Vertrag selbst! ermächtigt. Sie würde aber gern zustimmen, daß diese oder irgend eine andere Meinungsverschieden-, heit über die legale Auslegung vitaler Bestimmungen ^ des Vertrags, insofern sie nicht durch eine einstim­mige Entscheidung des Wiederherstellungsausschusses unter Paragraph 12, Anhang 2, beseitigt werden; können, automatisch an den Internationalen Ge-j richtshof im Haag oder ein anderes passendes! Schiedsgericht verwiesen würden.

Die Note erklärt weiter, wenn die britische Regierung. bisher die Rechtmäßigkeit der französisch-belgischen Be­setzung nicht formell bestritten habe, so- sei das nur ge­schehen im Geist der bon Bonar Law abgegebenen Er- ? klärung, die britische Regierung wünsche ihren Verbün-' deten keine unnötigen 'Schwierigkeiten zu machen, und sie hätte weiter geschwiegen, wenn Poincare eine Aeuherung nicht herausgesordert hätte. Sie weist dann die Bchaup- > tung zurück, daß es, wenn England mitgetan hätte, keinen passiven Widerstand und einen reichen Zufluß von Lei­stungen gegeben hätte, und fährt fort (Z 37):

Tie französische Regierung hat nun erklärt, das Ziel, mit dem sie in das Ruhrgebiet gegangen sei,; sei nicht die schnelle oder vollständige Bezahlung der Wiederherstellungen gewesen, sondern die Bre­chung des deutschen Widerstandes und die Schaffung eines deutschen Willens, zu zahlen. Aber der Wille, zu zahlen, ist nutzlos ohne die Fähigkeit, und Deutsch- . lands Fähigkeit zu zahlen, dürfte sich nach Ansicht, Seiner Majestät Regierung rapid vermindern und; schließlich ganz erlöschen, wenn die Besetzung fort­gesetzt wird mit ihrem Erdrosfalungsgriff, gelegt «m , das wichtigste Zentrum der Produktionen uno der am höchsten und feinsten organisierten deutschen In­dustrien.

' Die Note weist außerdem den französischen Versuch, eme Parallele zwischen der Ruhraktion und der deutschen Ak.ion im Jahre 1871 zu ziehen, als ganz unhaltbar nach.

Folgendes sind die Schlußsätze des meisterhaften diplo­matischen Dokuments, in dem die Geschichte vielleicht der- ei 'st einen Wendepunkt der europäischen Geschichte sehen wi d:

S M. Regierung ist von dem Gefühl beherrscht, daä die sich aus der Ruhrbesetzung ergebende Lage eine große und wachsende Gefahr für den friedlichenHandel der Welt und nicht zum wenigstens ihres eigenen Landes bedeutet. S. M. Negierung hält eine Fortsetzung der heutigen Lage voll von den schwersten wirtschaftlichen und politi­schen Gefahren. Sie erblickt in der unparteiischen ? Festsetzung der deutschen Verpflichtung zu einem Betrag, der nicht unvereinbar ist mit seiner prak­tischen Zahlungsfähigkeit, eine Sache von großer . Dringlichkeit, und sie hat zu diesem Zweck ein nach'

' ihrer Ansicht passendes Mittel vorgeschlagen. Nach­dem so Schritte getroffen worden sind, um den wahren Wert des Aktivums festzustellen, das deutsche Wiederherstellungen bilden, und seine Realisierung ohne weitere Entwertung zu sichern, wäre S. M. Regierung bereit, sich mit den Schulden, die ihre Verbündeten bei Großbritannien haben, so groß­mütig, als die Umstände es erlauben, zu befassen und im Lichte ihrer Zahlungsfähigkeit. Angesichts der schweren materiellen Verluste ihres Landes so­wohl während des Krieges als seit dem Krieg und angesichts der künftigen Steuerbelastung seines Han­dels kann sie aber niöbt -maeben, daß andere Länder