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Nr. 1SL.
Aliettfleig, Montag den L7 3nli
Jahrgang isrs
Europäische Fragen.
' Tie Erklärung der englischen Regierung hat im allgemeinen das gebracht, was die seriösen Blätter Englands dvrausgesagt hatten: höflich in der Form gegen Frankreich, ohne die Meinungsverschiedenheiten in der Einstellung zu der gegenwärtigen politischen Lage nicht doch deutlich erkennen zu lassen. Zum Verständnis der allgemeinen politischen Lage ist es notwendig, auf die Nolle des tschechoslowakischen Außenministers'Tr. Bene sch einzugehen, die dieser während seines Pariser und Londoner Aufenthalts gespielt haben dürfte. Schon allein deshalb, weil Benesch, der ein kluger Staatsmann ist, des öfteren in entscheidenden Stadien in die europäische Politik eingegrissen hat. Diese Untersuchung führt mit Notwendigkeit auf das allgemeine Verhältnis zwischen der Kleinen und Großen Entente.
Ter Anlaß zu den Reisen Benesch's nach Paris und London war der Abschluß eines französisch-tschechoslowakischen Handelsvertrages, und in London hatte Benesch finanzielle Geschäfte abzuwickeln. Zweifellos hat er auch die Gelegenheit benutzt, um sich über die Auffassungen Englands und Frankreichs über die europäische politische Lage zu orientieren; und wenn die Möglichkeit sich bietet, vermittelnd einzugreifen. Es dürfte aber übertrieben sein, daß Benesch mit der Aufgabe, den Vermittler zu spielen, bereits von Prag abgereist ist. Vielmehr wird die französische Regierung von sich aus bei der Anwesenheit Benesch's in Paris versucht haben, die Kleine Entente in die französische Politik cinzufpanneu. Darüber hinaus dürfte man ihm noch nahegelegt haben, daß Frankreich es begrüßen würde, wenn die Tschechoslowakei sich zur Ratifizierung des im vorigen Jahre in Marienbad abgeschlossenen Uebereinkommens zwischen der Kleinen Entente und Polen bereitsinden würde. Ferner witd man versucht haben, die Stellungnahme der Tschechoslowakei in den bevorstehenden, Mitte Juli beginnenden Verhandlungen in Sinaia zu erfahren. Diese Verhandlungen, an derem positiven Ergebnis Frankreich ungemein viel gelegen ist, bezwecken nicht mehr und nicht weniger, als die Aufrichtung einer geschlossenen Front im Fahrwasser französischer Politik schwimmender Staaten von der Ostsee bis ans Schwarze Meer. Tie Kleine Entente jedoch, die de facto nur aus der Tschechoslowakei und Südslavien besteht, wird für einen solchen Plan nicht zu haben sein. Zugoslavien und die Tschechoslowakei fühlen sich als Kinder der großen russischen Mutter, und so dürsten sie sich kaum bereit finden, die Ostgrenzen Polens und Rumäniens garantieren zu wollen. Selbst die Große Entente hatte in dem Beschluß über die polnisch-russischen Grenzen keine Garantie übernehmen wollen. Dazu steht zwischen Polen und der Tschechoslowakei immer noch, die nicht vergessene Teschener Frage, sowie die Javorina- rstage, die gerade im Augenblick akut ist. England dürfte ebenfalls sehr wenig Interesse an einem derartigen Frankreich hörigen Staarenbund haben. Besonders Polen, dem französischen Vorposten im Osten, ist England wenig zugetan wegen seiner agressiven Haltung Danzigs gegenüber, wo sich England ein Sprungbrett für seine Wirtschaftsbeziehungen nach dem Osten sichern will. Daß Benesch keine befriedigende Antwort in Paris gegeben hat, zeht schon daraus hervor, daß der französisch-tschechoslowakische Handelsvertrag nur bis zum 31. August ds. Js. verlängert worden ist.
Auf der kommenden Konferenz von Sinaia soll Wenfalls Stellung genommen werden zu der Lage im Orient, wo die französische Regierung soeben eine Niederlage erlitten hat. Es ist nicht einzusehen, daß die Oft- lind Südoststaaten sich dazu hergeben werden, die Kasta- vlen für Frankreich dort aus dem Feuer zu holen und stch dadurch in einen Gegensatz zu England zu setzen.
Genau so wie die Bemühungen Frankreichs, Ost- und Südosteuropa für seine politischen Ziele dienstbar zu machen, in Sinaia fehlschlagen dürften, ebenso hat Frankreich wenig Glück gehabt, die Randstaaten an Polen anzu- schließen und dadurch in sein politisches System einzu- ordnen. Zwischen Polen und Litauen steht nicht nur dre lwch nicht vergessene Wilna-Frage, sondern die Besrtz- wgreifung Memels durch Litauen hat gleichfalls die reundschaftlichen Gefühle Polens für Litauen nicht getagt. Ein Bündnis zwischen Polen, Estland und Lett- Md, n>ie es bereits besteht, hat dagegen keine große Bedeutung. Tie Reisen der französischen Marschall-e
Foch und Le Ronv haven schon damals zu keinem für Frankreich günstigen Ergebnis geführt. Tie Lage der Staaten, um die Frankreichs Liebeswerben geht, ist heute noch dieselbe. Es gehört deshalb keine große Voraussicht dazu, zu sagen, daß die französische Politik auch diesmal keinen Erfolg ernten wird.
Was nun das europäische Zentralproblem, die Repa- cationsfrage, angeht, so ist selbstverständlich, daß die erwähnten Ost- und Südoststaaten nur ein Interesse daran haben können, daß diese Frage sobald wie möglich gelöst wird, damit in Mitteleuropa Ruhe herrscht. Frankreich hoffte wohl im Stillen, daß Polen sich zu irgend einem Gewaltakt gegen deutsches Gebiet Hinreißen lassen würde, um so den Truck vom Westen durch einen solchen, von Osten her zu verstärken. Polen, das für eine solche Maßnahme nicht einmal den Schein einer Berechtigung hätte beibringen können, da es Deutschland gegenüber nicht Reparationsgläubiger ist, hat sich auf ein solches Spiel nicht eingelassen. Ebensowenig hat die Tschechoslowakei ein Kohlenausfuhrverbot erlassen, und dadurch der französischen Regierung deutlich zu erkennen gegeben, daß sie nicht gewillt ist, durch dick und dünn mit der französischen Politik zu gehen.
Man sieht, daß die Kleine Entente und die anderen Frankreich freundlich gesinnten Ost- und Südoststaaten ganz und gar nicht einverstanden sind, sich von Pvincare, utr seine Zwecke, mißbrauchen zu lassen. Es wird sich zeigen, wie Poincare sowohl die Warnungen aus dem i)sten und Südosten, sowie die in freundschaftlicher Form von London aus an ihn gerichteten Mäßigungswünsche geurteilt und gewillt ist, in seiner Praktischen Politik auf sie Rücksicht zu nehmen.
öckllll hckD lll 2 neu Warenaattunacn das Weltmarktpreisniveau erreicht oder gar überschritten: Betriebseinschränkung, Stillegung der Betriebe, Vermehrung der Kurzarbeiter und Arbeitslosen wären die Folgen. Zweitens ist eine starre Anpassung an einen Index nicht möglich, sie läßt die unterschiedliche Lage der Gewerbe und die Konjunkturen unberücksichtigt. Ein einheitlicher Reichsindex (Durchschnitt aus ganz Deutschland) ist ungerecht für die Bewohner eines relativ teuren Landesteils, während er andererseits den relativ billigen Distrikten zu hohe Löhne zubilligt.
Man wird sich also auf einer mittleren Linie einigen müssen: Einteilung des gesamten Gebietes in Te'ue- rungsregionen, ähnlich wie bei den Ortszuschlagsklassen für die Beamtengehälter, Zugrundelegung dieser Jndices bei den Verhandlungen in den einzelnen Gewerben.
In Zeiten so heftig schwankender Währungsverhält- nisse gibt es keine Wert„beständigkeit". Es kann keine wertbeständigen Anleihen, Löhne, Gehälter und Steuern geben, wenn das Erheben der Hand eines amerikanischen Börsenbcsuchers die Mark steigen oder fallen lassen kann. Das ist eine Tatsache, und von hier aus ist bei dem Problem der Wertbeständigkcit auszugehen. Das bedeutet ab^r nichts anderes, als daß nur der Versuch der Anpassung der Löhne und Steuern an die Geldentwertung unternommen werden kann, daß sie aber nie vollkommen erreicht werden wird. Das. liegt in der Natur der Sache, daran wird auch kein Streik oder sonstwie geartetes Aufbegehren etwas ändern.
Ueber das Prinzip, daß die Löhne und Gehälter der Geldentwertung angepaßt werden müssen, ist man sich in Arbeitnehmer- und Arbeitgcberkreisen völlig einib- Beide wollen dem Sinken des Reallohnes Vorbeugen. Die Frage lautet nur, wie es geschehen soll; das ist die Frage nach der Methode. Wer auch hier ist schon insofern eine Einigung erzielt worden: Grundlohn durch Tarifverträge, Zuschläge nach einem Index. Dieser Index nun ist das Streitobjekt. Tie Arbeitgeber wollen einen Goldindex (Devisenkurse oder Goldaufzollgeld), weil dieser ihren Kalkulationen zugrunde liegt; die Arbeitnehmer wollen den Lcbenshaltungsindex (Kombination zwischen Groß-und Kleinhandelspreisen). Beide Parteien verteidigen ihren Standpunkt mit ernstzunehmenden Argumenten, so daß man in der Zentralarbeitsgemeinschaft bisher keinen Ausweg finden konnte. Ter von den Arbeitgebern vorgeschlagene Index ist für die Arbeitnehmer günstiger bei steigenden Devisenkursen; bei geringfügiger Preiserhöhung für ausländische Zahlungsmittel oder gar bei ihrem Preisstillstand ist der Arbeitnehmer- Index für die Lohn- und Gehaltsempfänger reallohnerhaltender. Bon hier aus versteht man auch, warum die Parteien gerade im gegenwärtigen Augenblick, wo die Jndexverhandlungen laufen, die oben wiedergcgebe- nen Jndices sich zu eigen machen. Hätten wir rapide steigende Devisenkurse, so wären vermutlich die Rollen vertauscht.
Nun ist eines sicher, die zeit- .und nervenraubenden Lohnverhandluugen müssen zwecks Erhaltung der Arbeitsfähigkeit und -freude auf ein Minimum beschränkt werden, sie erzeugen auch nicht selten eine Erbitterung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Müssen gar Schlichtungsinstanzen angerufen werden, so wird die Sachlage noch komplizierter. Was ist also zu tun? Zweierlei nicht. Erstens ist die Einführung der Goldrechnung im gegenwärtigen Augenblick indiskutabel, wir hätte»
Neues vom Tage.
Frankreichs „günstiger Eindruck".
Berlin, 15. Juli. Ter Ministerrat, der unter dem Vorsitz Poincares in Paris zusammentrat, soll sich mit der Erklärung Baldwins, ohne daß ihr voller Wortlaut vorlag, beschäftigt und seine Befriedigung darüber geäußert haben. Doch hat es bestimmt den Anschein, daß diese Befriedigung weniger aus der Rede Baldwins entsprang, als vielmehr daraus, daß die Angelegenheit der Beantwortung des englischen Fragebogens glücklich überwunden war, ohne daß Pvincare genötigt war, Farbe zu bekennen. Ans dieser peinlichen Lage ist Poincare glücklich befreit, weil England diese Mißachtung ruhig hin- hingenommen hat, aus welchem Grunde, mag vorläufig dahingestellt bleiben. Auf alle Fälle wendet man in Paris seine Aufmerksamkeit jetzt ganz auf die Antwortnote Englands an Deutschland, die man für die nächsten Tage in Paris erwartet. ,
Gegen die belgische Schreckensherrschaft.
Berlin, 14. Juli. Wie der „Vorwärts" aus Duisburg meldet, hat die sozialdemokratische Partei Duisburgs an die sozialistsche Kammerfraktion in Brüssel folgendes Telegramm gerichtet: Tie Not der arbeitenden Bevölkerung im hiesigen Bezirk ist aufs äußerste gestiegen Berzweiflungsausbriiche schlimmster Art sind zu erwarte», wenn die unerhörten Bedrückungen, die schlimmer sind als im Kriege, andauern. Wir richten die dringende Bitte an euch und alle Sozialisten, allen Einfluß aufzubieten, damit die unerträglichen Leiden der schuldlosen Bevölkerung beendet werden. Helft, bevor es zu spät ist!
Um die wertbeständigen Löhne.
Berlin, 14. Juli. Zwischen dem Reichsarbeitsminister und Vertretern der Vereinigung deutscher Arbeitgeberverbände fanden Besprechungen über die Einführung wertbeständiger Löhne statt mit dem Ergebnis, daß die Arbeitgebervertreter der Entschließung des Rcichswirtschaftsrates über wertbeständige Löhne zn- stimmten. Das Reichsarbeitsministerium wird nun die Zustimmung der Gewerkschaften zu der Entschließung herbeizuführen suchen, um so eine Grundlage für den Abschluß von Tarifverträgen zu schaffen.
Freigabe einer Eisenbahnstrccke.
Gclscnkirchen, 14. Juli. Auf den Truck holländischer und englischer Handelskreise ist nunmehr die Eisenbahn- strecke Geljennrchen—Btsmark—Buer—Torsten von der Besavungsbehörde wieder srcigegeben worden. Auf der Strecke werden wieder die Holland-Kohlen gefahren. Auch für den deutschen Güter- und Personenverkehr ist die Strecke, sreigcgcben und der erste Lebensmittel- Transport ist bereits eingetroffen.
Tie Begründung für die Besetzung Barmens.
Paris, 15. Juli. Tie vorübergehende Besetzung der Stadt Barmen wird in einem amtlichen Communique mit der jüngst erfolgten Verhaftung einer auf unbesetztes Geoiec vorgedrungenen französischen Patrouille durch Schupobeamte begründet.
Optimistische Stimmung in Belgien.
. Paris, 14. Juli. Ter erste Optimismus, den die BalLwin-Erkkärungen am Donnerstag abend in Brüssel hervorrief, hat sich einer Meldung des Oeuvre zufolge, nachträglich bestätigt. Man betont in politischen Kreisen, daß Baldwin keineswegs von einer internationalen Kommission, sondern einem unparteiischen Ausschuß gesprochen habe, was für eine Verständigung große Möglichkeiten biete.
Frankreich gibt nicht nach.
Paris, 14. Juli. Ter politische Redakteur des New York Herald hatte mit einer hohen französischen Persönlichkeit eine Unterredung über Frankrcicks Politik