Sanirtag,
N- Oktober
Zweites Blatt zu Nr. 238.
Die letzten Tage der Württemberger unter Napoleons Oberbefehl.
Von Professor Karl Bauderin Stuttgart.
Nach dem unheilvollen russischen Feldzuge im Jahre 1812, aus dem von 600 000 Mann nur 60 000 zurückkehrten, begann im März 1813 Napoleons Kamps ums Dasein gegen Rußland und Preußen, welchem im Mai 1813 Schweden und im August 1813 Oesterreich-Ungarn sich anschlossen. England kämpfte seit 1808 gegen die Herrschaft von Napoleons Bruder in Spanien. Das übrige Europa (mit Ausnahme der Türkei) stand teils unmittelbar unter Napoleons Herrschergewalt, teils war es durch Verträge zur Hilfeleistung verpflichtet. Drei Viertel von Deutschland entsandten auch diesmal ihre Streiter zu Napoleons Fahnen. Infolge des Festhaltens Bayerns an Napoleon und infolge des lange unentschlossenen Verhaltens Oesterreichs war Württembergs König gegen seinen und seines Volkes Willen gezwungen, das Bündnis mit dem Kaiser der Franzosen aufrecht zu halten. Der König stellte 11620 Mann mit 5760 Pferden und 4 Batterien unter dem Divisionsgeneral Franguemont, einem Württemberger, ins Feld.
Zum Verdruß des Königs Friedrich wurden die Württemberger getrennt. Die Division Fran- quemont kam zum 4. Korps, die etwa 1000 Mann starke Kavalleriebrigade Norman n mit einer reitenden Batterie zum 6. Korps. Nach blutigen Siegen und Niederlagen war es Mitte September kaum noch möglich, aus den Resten der Division Franguemont vier schwache Bataillone in einer Gesamtstärke von 2000 Mann zu bilden; Geschütze waren es noch 6; über Reiterei verfügte Franguemont fast gar nicht mehr. Darum berichtete er aus dem Lager bei Torgau an König Friedrich von Württemberg: „Eurer Königlichen Majestät kann ich nicht verbergen, daß ich mich in Verzweiflung befinde. Die Mittel zur Erhaltung der Truppen sind auch für teures Geld nicht zu haben. Die Kräfte der Leute haben so nachgelassen und die Ruhr ist so eingerissen, daß täglich an 100 Mann krank gemeldet werden. Die Soldaten haben größtenteils den besten Willen, verhehlen ihre Krankheit, bis sie Umfallen, und sehen leichenähnlich aus. Alles hat das Ansehen, wie es im russischen Feldzug gewesen war."
Solche Berichte veranlaßten König Friedrich, dem Kaiser Napoleon vorzustellen, er möge die traurigen Reste in die Heimat ziehen lassen, da sie sonst nicht einmal mehr als Stamm für ein neues Heer dienen könnten. Aber Napoleon hatte wohl das Empfinden, daß die
entlassenen Truppen in nicht zu ferner Zeit gegen ihn verwendet werden würden, und hielt deshalb die Reste der Württemberger zurück.
Noch einmal mutzten diese unter Napoleons Oberbefehl kämpfen, nämlich am 3. Oktober bei Warten- burg an der Elbe, 15 Kilometer von Wittenberg. Drei Kilometer südlich von Wartenburg liegt das Dorf Bleddin. Dieses sollten die Württemberger, 1500 Mann und 6 Geschütze stark, halten. Gerade gegen diese Stellung richtete der preußische General Pork um halb 7 Uhr in der Frühe den Hauptangriff. Fran- quemont brachte durch das Eingreifen seiner Reserven den Feind zum Weichen. Dieser verstärkte aber seine Truppen nach und nach auf sechs Bataillone Infanterie, zwei Reiterregimenter, und zwei Batterien. Franque- monts wiederholte Bitten um Unterstützung fanden kein Gehör. Er mußte sich deshalb, um nicht umgangen zu werden, nachmittags zwei Uhr nach sechsstündigem heißem Kampfe zurückziehen. Auf dem Rückzuge gingen die letzten Geschütze verloren. Nur 900 Mann Infanterie und 200 Reiter kamen davon.
Am 16. Oktober, beim Beginn der dreitägigen Völkerschlacht, standen die Württemberger unter Franguemont unmittelbar vor dem Eerbertor der Stadt Leipzig, um einen französischen Artilleriepark zu decken; sie richteten sich zu hartnäckiger Verteidigung ein. Am 18. Oktober nach Mitternacht traten sie das Gerbertor zur weiteren Verteidigung an polnische Truppen ab und vereinigten sich wieder mit dem 4. Korps, das für den Fall einer Niederlage Napoleons die Aufgabe bekommen hatte, die Rückzugslinie nach Frankfurt am Main zu sichern. So war das 4. Korps schon mit der Sicherung des Rückzugs beschäftigt, als in der Ebene östlich und südlich von Leipzig der heftigste Kampf entbrannte.
Die w ü r t t e m b e r g i s ch e Brigade des Generalmajors Graf Nor mann stand noch beim 6. Korps. Sie hatte sich stets ruhmvoll geschlagen. Unter dem 7. Oktober hatte König Friedrich dem Grafen Nor- mann die Weisung zugehen lassen, daß er die Truppen äußerst zu schonen, sie platterdings nicht zu opfern, sich mit Franguemont in Verbindung zu setzen und dessen Befehle aufs genaueste zu befolgen habe. Am 16. Oktober teilte Franguemont dem Grafen Normann mit, daß der König festgesetzt habe, die Württemberger sollen beim allgemeinen Rückzuge der Heere Napoleons nicht über den Rhein gehen, sondern nach Württemberg zurückkehren. Truppenteile der Könige von Sachsen und Westfalen hatten sich schon den Preußen angeschlossen; der König von Bayern hatte
am 8. Oktober die Sache Napoleons verlassen; einzelne Württemberger, Offiziere und Mannschaften, waren schon zu den Feinden Napoleons übergegangen, besonders Nichtwürttemberger hatten ihre Entlassung aus dem württembergischen Militärdienst genommen und waren in den preußischen übergetreten. Der König selbst hatte unter verschiedenen Vorwänden nach und nach über 3000 Mann und 400 Pferde aus dem Felde zurückgezogen.
Schon am 16. Oktober, dem ersten Tage der Völkerschlacht, wurde das 6. Korps bei Möckern durch Blücher vollständig zersprengt. Fünf Geschütze der württembergischen reitenden Batterie mußten während der Schlacht demontiert werden und in Leipzig stehen bleiben. Am 17. Oktober, einem Sonntag, war Waffenruhe bei den Hauptheeren um Leipzig. Am 18. Oktober in der Frühe wurde die Brigade Normann weit vor die erste Linie der Infanterie vorgeschoben. Immer größere Massen überlegener Feinde entwickelten sich vor der schwachen Truppe. In dieser schwierigen Lage ließ Normann dem Divisionsgeneral Franguemont melden, die Brigade, welche bis jetzt in einem guten Zustande erhalten sei, werde von dem Angriffe eines weit überlegenen Feindes bedroht und habe keine hinreichende Unterstützung zu erwarten, es sei daher zu befürchten, die Brigade werde größtenteils vernichtet werden, wenn sie das Gefecht anehme; Graf Normann lasse um Verhaltungsmaßregeln bitten. Franquemonts Antwort lautete dahin, daß er mit Normanns Lage unbekannt sei und deshalb auf drei Stunden Entfernung keine Einzelvorschriften über sein operatives Verhalten geben könne, Normann habe diese allein von seinem französischen Korpskommandanten einzuholen, im allgemeinen aber empfehle er ihm zwei Dinge gleich dringend, nämlich den bisherigen Ruhm der Brigade zu erhalten, dabei aber auch seine Truppen nicht ohne Not aufzuopfern.
Unter den obwaltenden Umständen standen Fran- guemonts Ratschläge miteinander in Widerspruch. Sie erreichten übrigens den Grafen Normann nicht mehr. Das Vorrücken des Feindes trieb ihn zur raschen, selbständigen Entscheidung. Die Ehre ließ es der Brigade nicht zu, daß sie floh oder sich gefangen nehmen ließ. Durch ruhmvolle, aber zwecklose Aufopferung der Brigade hätte Normann erfahrungsgemäß aufs neue des Königs Unwillen erregt wie infolge der schweren Verluste in dem Gefecht bei Kamen; am 11. September. Die Offiziere und die Mannschaft wurde unzufrieden und wünschte, nicht länger einer Sache aufgeopfert zu werden, die sie doch dieser Tage verlassen würden und
Das Ilnglucksharrs.
12.) Roman von Georg Tüik.
Hans Ringer sagte halblaut: „Sie meinen wohl, ich laste Sie draußen stehen? Wenn ich Ihnen Vorspielen soll, müssen Sie hereinkommen!"
Sie stand eine Weile unentschlossen.
„Das geht wohl nicht! Ich mit Ihnen allein im Zimmer . . ."
Dann aber hob sie rasch den Kopf und sagte entschieden: „Trotzdem! — Ich komme mit herein! Warum auch nicht? Es ist nichts Unrechtes!" Sie lachte leise beim Eintreten: „Wenn das die Leute wüßten!"
Er schloß die Türe.
Sie sah sich in der Stube um.
„Ich will Ihnen etwas verraten, Herr Assessor! Dies Zimmer, das Sie jetzt bewohnen, war vorher meines. Mit Anna hauste ich hier. — Dann kamen Sie und wir mußten weichen. Mutter meinte, wenn wir das Zimmer vermieteten, wäre das ein guter Verdienst." .
Sie stockte, als habe sie etwas gesagt, was sie nicht sagten wollte und fuhr dann rasch fort: „Noch etwas muß ich Ihnen gestehen: Wenn Sie im Bureau sind, gehe ich manchmal heimlich in dies Zimmer. Ich habe auch Ihre Bibliothek ein wenig betrachtet und — dies Bild da."
Sie war zum Schreibtisch getreten und hätte Elisabeths Bild in die Hand genommen.
„Darf ich fragen, wer das ist? Eine Schwester? Eine Verwandte?"
„Nein! — Keine Schwester und keine Verwandte. Eine Dame, die . . . ich gut kenne . . ."
„Ah!" sagte sie und drohte lächelnd mit dem Finger. „Ein schönes Mädchen!" setzte sie hinzu und stellte das Bild wieder auf den Schreibtisch.
„Und nun — spielen Sie mir vor! Ich setze mich hier ans Fenster. Das war immer mein Lieblingsplatz! Na, meine Mutter und Hedwig würden mich tüchtig schelten, wenn sie wüßten, daß ich noch hier sitze. Anna, die mein Zimmer hinten im Gang teilt, verrät mich nicht, sie ist meine Vertraute!"
Sie schwieg.
Hans Ringer setzte den Bogen an und begann . . . Begann mit einer leisen, weichen Melodie, die allmählich stärker, voller wurde. Seine Hand suchte nach klingenden Akkorden. Seltsam tönten dazwischen grelle Disharmonien. Er fühlte es: es war kein rechter Zusammenhang, keine rechte Einheit in seinem Spiel. Er wollte doch diesem Mädchen gegenüber nicht seinen eigenen bitteren Empfindungen Ausdruck geben. Aber immer klang sein Selbst, seine Eigenart aus seinem Spiel heraus. Trotz und Eigenwille, Unrast des Herzens und heimliches Sehnen nach Frieden! In einer Dur-Tonart hatte er begonnen, aber immer wieder gewann ein düsteres Moll die Oberhand. Da blieb er dabei, gab es auf, die Melodie nach Dur hinüberzuleiten, und endlich schloß er mit einem Moll-Akkord, der nach einer
wohllautenden Auflösung verlangte. Aber diese Auflösung unterblieb!
Er setzte den Bogen ab und legte die Geige weg.
Eine Weile herrschte Schweigen.
Es war inzwischen finster geworden im Zimmer. Er sah von seinem Platze aus die feine dunkle Silhouette ihres Kopfes. Dann bemerkte er, wie sie sich ihm zuwandte und vernahm, wie sie leise sagte:
„Ich kenne Sie nicht näher und weiß nichts weiter von Ihnen! Aber Ihr Spielen scheint mir zu verraten, daß Sie — wie soll ich sagen? — daß Sie — nicht ganz zufrieden sind."
Hans Ringer war überrascht. Sie mußte ein feines Empfindungsvermögen haben, eine Fähigkeit, Musik wirklich zu hören.
„Sie mögen wohl recht haben!" antwortete er gedrückt.
Da erhob sich Maria von ihrem Stuhl.
„Es ist Zeit, daß ich gehe!" sagte sie. Sie ging auf ihn zu, gab ihm ohne Ziererei die Hand und bedankte sich dafür, daß er ihr vorgespielt hatte.
Er aber bat: „Bleiben Sie noch ein wenig! — Sie müssen noch ein wenig bleiben! Sehen Sie: ich habe sonst kein allzu großes Verlangen nach Verkehr mit anderen Menschen! Ich komme kaum mit jemandem hier zusammen, außer mit Pfarrer Meinhart!"
„Pfarrer Meinhart? — Ich kenne ihn von der Kirche her!"
(Fortsetzung folg:.)