nüge, ohne dag deshalb das geringste aus der Zukunft der internationalen Politik Spaniens geopfert zu werden brauche. Der liberale Heraldo glaubt, datz, solange man nicht die gegenseitigen Verpflichtungen kenne, in die sich diese Annäherung übersetze, deren genauer Name noch unbekannt sei, es geraten scheine, die Begeisterung oder die Besorgnisse der Zukunft zu überlassen.
Toledo, 8. Okt. König Alfons hat dem Präsidenten Poincare und seinen Begleitern wertvolle Toledaner Waffen zum Geschenk gemacht. Während der Eisenbahnfahrt von Madrid nach Toledo hatten Präsident Poincare und die Minister Graf Romanones, Lopez Nanoz und Pichon, sowie General Lyautey eine lange Unterredung, an der sich zeitweise auch König Alfons beteiligte.
Stadt, Bezirk Nachbarschaft.
Calw, den 9. Oktober 1913.
Der Oktobermarkt.
Markt bedeutet für eine kleine Stadt und für ihre Vezirksbevölkerung stets ein kleines Ereignis. Alt und Jung freut sich drauf, denn auch für die, die zu Hause bleiben und sichs von denen, die „mitdurften", erzählen lassen müssen, „wie's war", fällt immer etwas ab. Die Stadtbewohner Habens auch in dem Falle leichter, als die auf dem Land. Während der Marktbesuch für sie mit größeren oder kleineren Umständlichkeiten verknüpft ist, kann der Städter auf ganz bequeme Art in dem Menschenschwarm untertauchen und seine Schau-, Etz-, Schleck- und Kauflust befriedigen. Uns dünkt, datz der gestrige Krämer- sowohl als auch der Viehmarkt nicht zu den mindest besuchten zu zählen ist. Es „wuselte" nur so von Einheimischen und Auswärtigen und es war eine Freude, zu beobachten, wie lebhaft der Verkehr auf den Straßen wogte und wie geschäftig alles ab- und zuging. An solch einem Tage mutz doch bei unsren einheimischen Geschäftsleuten insgesamt, nicht allein bei unsren Wirten, eine Steigerung des Absatzes zu verspüren sein! Um es den Käufern möglichst bequem zu machen, haben viele Ladenbesitzer vor ihren Häusern größere oder kleinere Stände ausgeschlagen und diese mit ihren Waren ausgelegt, oder man sieht vielfach Tische, appetitlich mit weißem Linnen überdeckt, und darauf Wurst- oder Backwaren u. a. und versucht auf diese Weise, den Marktbummlern sowohl als auch den Markt-Kunden recht einladenden Anlatz zum Kauf zu geben. Das keineswegs schlechte Jahr mit seinem durchschnittlich zufriedenstellenden Ernteausfall mag wohl auch manchen Bauersmann veranlaßt haben, tiefer, als unbedingt notwendig, in den Beutel zu greifen, seis, um sich selbst irgend einen ausnahmsweisen Genuß zu gönnen, seis, um der Bäuerin, die das ganze Jahr über so wacker dazugehalten hat, eine besondere Freude zu bereiten, oder seis schließlich, um den Kindern, den Knechten und Mägden, mit einer lleberraschung vom Markt ein kleines Abbild von dessen mannigfachen Herrlichkeiten heimzubringen. Er hat damit dann wieder im kleinen die Wahrheit des Worts bestätigt: „Hat der Bauer Geld, hats die ganze Welt." — Zu einem richtigen Markttag gehört auch ein richtiges Marktwetter. Aber in diesem Punkte haperte es gestern. Wer in der Frühe seinen verschlafenen Kopf zum Fenster hinausstreckte, der sah einen bleigrauen Himmel, schläfrige Wälder und nebelfeuchte Dächer. Statt des goldenen Strahlenspiels, mit dem in den verflossenen Tagen die wonnige Herbstsonne Augen und Herzen Sonnenhungriger labte, gabs nichts als ein Gesicht voll
armseligen Morgenlichts, das immer nach schien, als obs zu müde, zu gleichgültig wäre, den Tag Hereinbrechen zu lasten. Und bis über den Mittag hinüber gings noch leidlich; bald nachher rieselte, dann regnete es richtig vom Himmel herab, datz die Marktleute ungehalten wurden: so gehe kein Mensch vor die Türe hinaus, oder gar zum Markt und das sei ärgerlich. Ein bischen mürrisch und ein gut Stück zufrieden haben sie am Abend dann wohl ihre Marktüberbleibsel zusammengepackt und sind in die Herberge gezogen, das Feld dem plätschernden Regen und dem Wagen des Güterbeförderers überlastend. Und in der Herberge haben sie den Gewinn des Tages überschlagen und sich vorgenommen, am 10. Dezember sicherlich — wieder zu kommen.
Zur Aufklärung und zur Beachtung besonders für Jägerkreise! Vielfach herrscht noch die Ansicht, datz die Hegezeit für Rehgeitzen vom 1. Dezember bis 14. Ok- ober. je einschließlich währe. Diese Auffassung stützt sich auf eine königl. Verordnung vom 30. Juli 1886. Diese Verordnung ist aber außer Kraft gesetzt durch eine spätere, vom 17. März 1910 datierte kgl. Verordnung, in der die Hegezeit für Rehgeitzen und weibliche Rehkitzen vom 1. Dez. bis 15. Oktober, je einschließlich, bestimmt ist. Die Jägerwelt sei darauf besonders aufmerksam gemacht.
sek. Mutmaßliches Meter. Für Freitag und Samstag ist zeitweilig bedecktes, aber meist trockenes und kühles Wetter zu erwarten.
^ Neuhengstett, 8. Okt. Auf einem hiesigen Baumgut konnte man an einem Apfelbaum noch vor wenigen Tagen ein blühendes Zweiglein sehen. Diese Seltenheit wurde von jedermann mit großem Interesse und viel Freude beobachtet.
Gültlingen OA. Nagold, 8. Okt. Im Hause der Witwe des Bauern Jakob Friedrich Eackenheimer brach Feuer aus. Dank der Hauswasserleitung konnte das Feuer durch Nachbarn gelöscht und auf seinen Herd beschränkt werden, so datz die Feuerwehr nicht mehr viel zu tun hatte. Man vermutet, datz die Haustochter unvorsichtig mit dem Licht umgegangen sei.
8t. Weil i. Dorf, 8. Okt. Der evangelische Pfarrer Weigand ist seinem Ansuchen entsprechend in den Ruhestand versetzt und ihm aus diesem Anlatz das Ritterkreuz 1. Kl. des Friedrichsordens verliehen worden.
Merklingen, OA. Leonberg, 8. Okt. lieber die gestern kurz gemeldete Schlägerei erfahren wir noch folgendes: Im Gasthaus zum Löwen gab es zwischen zwei hiss, verheirateten Bürgern und dem ledigen Schmied Schäffler von hier Händel. Der Anlaß war eine Bürgschaft über 100 -K, die Schäffler seiner verheirateten Schwester leistete. Die Schwester ist letzte Woche von hier weggezogen und hat zuvor alles, was sie hatte, spottbillig verkauft, so datz Schäffler jetzt die Bürgschaft wird bezahlen müssen. Da Sch. wußte, daß die beiden Bürger sich auch von seiner Schwester Waren zu halb geschenkten Preisen geben ließen, stellte er sie am Sonntag darob zu Rede, worauf der Streit entstand. Der Wirt wies die Gäste aus. Auf der Straße wurde dann Sch. mit einem Dachsparren so auf den Kopf geschlagen, datz er einen Schädelbruch davontrug, an dem er wird sterben müssen.
Württemberg.
Bom alten Eisenbahnerverband.
Stuttgart, 8. Okt. Im Beobachter wird mitgeteilt, datz Eugen Roth völlig aus den Geschäften des alten
Eisenbahnerverbandes ausgeschlossen sei und datz auch bereits Schritte unternommen wurden, die das Verlagsrecht Rohts an der Verbandszeitung „Schwäbischer Eisenbahner" ablösen und in den alleinigen Besitz des Verbandes überführen solle. In der gleichen Angelegenheit teilt das „Deutsche Volksblatt" mit, die finanziellen Verhältnisse im alten Verband seien derart geworden, datz in der letzten Woche Vorstandsmitglieder, wie sie selbst erklärten, es sich überlegt hätten, ob es nicht bester wäre, sofort den Konkurs anzusagen.
Das Verbrechen am Bodensee.
Vom Bodensee, 8. Okt. Wie die gerichtliche Sektion des Stuttgarter Kaufmanns Leo Schweyer ergab, ist er von seinem Nachbarn, dem Elektroingenieur Mackley in der Notwehr durch zwei Kugeln getroffen worden, die beide tödlich waren. Die Leiche ist nach Vornahme der Obduktion der Familie Schweyer freigegeben und zur Beisetzung nach Stuttgart geschafft worden. — Die Mitteilung, datz der Tote auch mit dem großen Bootshallenbrand in lleberlingen in Verbindung zu bringen sei, stimmt mit den Tatsachen nicht überein. Die Witwe des Verstorbenen, Frau Marie Schweyer, sein Neffe in Stuttgart, sowie verschiedene andere Persönlichkeiten, sind in der Lage, einwandfrei nachzuweisen, datz Schweyer weder am Tage vor, noch in der Nacht des Brandes von Stuttgart abwesend war, und die erste Nachricht erst durch einen lleberlinger Bürger telephonisch erhielt.
Balingen, 9. Okt. Wagner Sämann im benachbarten Ostdorf, der, wie bekannt, am Tage der Völkerschlacht bei Leipzig geboren wurde, wird nun doch, nachdem sich sein Gesundheitszustand wesentlich gebessert hat, an der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals am 18. Oktober teilnehmen. Dem Hundertjährigen wurde der beste und bevorzugteste Platz zur Verfügung gestellt, ebenso wird das Denkmalkomitee, an dessen Spitze der König von Sachsen steht, ihn bewirten. Sämann freut sich auf seine Teilnahme an dem Leipziger Fest und wird aus diesem Anlaß den deutschen Bundesfürsten seine Photographie dedizieren.
Miinsingen, 8. Okt. Fünf Deserteure. Im Staatsanzeiger veröffentlicht Generalmajor z. D. von Dinkelacker im Namen des Gerichts der Kommandantur des Truppenübungsplatzes 5 Steckbriefe gegen Landwehrmänner wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe. Die Schwäbische Tagwacht vermutet, datz es sich um Landwehrmänner und Reservisten handelt, denen der nachgesuchte Urlaub verweigert worden sei und die sich dann in „wilden Urlaub" begeben hätten.
A«» wett rind Zeit.
Vom verschollenen „L 1".
Helgoland, 8. Okt. Das Wrack des Luftschiffes L 1 ist von der Unfallstelle vertrieben worden. Der Ver- gungsdampfer „Kraft" hat längere Zeit verschiedene Versuche gemacht, die Lage desselben festzustellen. Die Bergung ist als aussichtslos aufgegeben worden. Die Leuchtboje wurde eingezogen. — Einer Meldung aus Geestemünde zufolge wurde von dem Dampfer Juno 16 Meilen von Helgoland eine Leiche in Marineuniform, das Hemd mit dem Namen „Balke" gezeichnet, aufgefischt. Die Leiche wurde nach Seemannsbrauch im Meere versenkt. Ferner fischte der Dampfer eine jedenfalls von dem L 1 stammende kleine Ledertasche und eine Marinemütze, in der der Name „Adam" steht, aus, die dem Bande nach ebenfalls von einem Angehörigen der Besatzung des L 1 stammt.
Das Angkückshaus.
10.) Roman von Georg Türk
Das Mädchen atmete erleichtert auf: nun brauchte sie doch nicht weiter mit ihm zu reden.
Er begann aus dem Kopf eine Sonate von Beethoven.
Das Instrument war zwar alt, hatte aber noch einen guten, vollen Klang.
Hans Ringer war schon längere Zeit nicht mehr an einem Klavier gesessen, das letztemal in Elisabeths Wohnung! Und darum spielte er mit ganzer Hingebung. Mit mächtigem Akkord schloß er den ersten Satz.
„Nun, wie gefällt Ihnen das?" wollte er fragen. Aber er kam nicht dazu.
Er fuhr jäh von seinem Platze empor.
Der Backfisch war verschwunden.
Hinter einem Stuhl, auf die Lehne gebeugt, stand ein anderes junges Mädchen und lächelte ihn an.
„Seh ich so schrecklich aus?" begann sie mit einer weichen, sanften Stimme, „datz Sie so erschrocken sind über den Wechsel, der sich vollzogen hat? Vorhin war meine Schwester Anna da. Die drückt sich immer gern, wenn Besuch kommt. Ich heiße Maria und bin auch eine Tochter des Hauses. Ich hatte Sie vom Fenster aus schon öfter gesehen. Als ich spielen hörte, merkte ich gleich, datz das nicht Anna sein könne. Nun bin ich hier und lausche. Wollen Sie nicht weiter spielen? Ich bitte sehr darum."
Sofort setzte sich Hans Ringer wieder an das Instrument und spielte weiter, die ganze Sonate durch. Noch den Schlutzakkord, und er erhob sich.
Maria seufzte tief auf. Es war, als ob ein Zauber, der sie ergriffen, sich langsam wieder löse.
„Ich danke Ihnen!" sagte sie einfach und gab ihm die Hand. „Ich liebe die Musik leidenschaftlich, wenn ich auch selber kaum spielen kann. Freilich, wenn meine Schwester anfängt: Eins, zwei, drei! Eins, zwei, drei! — möcht' ich davonlaufen! Aber wie Sie spielen! Spielen Sie sonst noch ein Instrument?
„Gewiß! Violine!"
„Violine?" Das ist ja herrlich!"
Sie lehnte sich zurück und sah wie verträumt zum Fenster hinaus, indem sie sagte: „Violine! — Da steht er vor mir. — Ganz deutlich sehe ich ihn, meinen lieben, alten Großvater mit den weißen langen Haaren. Wie oft saß er, wenn der Abend kam, vor unserm stillen Hause, das mitten im Wald lag, auf der Bank. Der Mond stieg hinter den Bäumen auf. Dann spielte der Großvater auf seiner Geige. Das waren meine liebsten Stunden. Und eines Tages führte mich die Mutter in eine Stube. Da lag der Großvater, ganz bleich und ganz still. — Seitdem hat mir niemand mehr auf der Geige vorgespielt." —
Hans Ringer betrachtete sie, während sie so redete. Er sah ihre großen, braunen, verträumt dreinschauenden Augen, ihre feine Nase, ihren frischen, roten Mund und ihr volles blondes Haar, das in einen dicken Zopf geflochten zu einem Knoten verschlungen war.
Eine Weile herrschte Schweigen. Ihre Gedanken schienen noch immer in den Tagen der Kindheit zu weilen. Plötzlich sagte sie: „Sie müssen mir einmal Vorspielen!"
„Gewiß! Sehr gerne!" beeilte er sich zu sagen.
Da nahten sich Schritte. Die Mutter trat herein mit der brennenden Lampe. Es war schon ziemlich dunkel geworden. Die Mutter stellte die Lampe auf den Tisch und der Helle Schein fiel auf ihr Gesicht.
Wer in ihre Nähe kam, hatte das Gefühl, als ob ein kalter, frostiger Hauch von ihr ausginge.
Hans Ringers Erutz erwiderte sie kurz. »
Maria blieb ohne jegliche Verlegenheit sitzen.
Der Assessor, der viel allein war und sich gern von den Menschen abschlotz, spürte in der Nähe dieses Mädchens ein überaus wohliges Gefühl. Er empfand ein starkes Verlangen, noch länger in ihrer Nähe weilen zu dürfen. Darum sagte er, einen gezwungenen scherzhaften Ton anschlagend: „Frau Hellmuth! Wie wäre es, wenn Sie mir heute mein Abendesten ausnahmsweise hier servieren würden? Ja— vielleicht darf ich mit Ihnen und Ihren Angehörigen zusammen essen?"
„Wenn Sie Lust dazu haben — warum nicht?" erwiderte Frau Hellmuth und verließ das Zimmer.
Hans Ringer dachte erstaunt darüber nach, wie eine solche Frau eine solche Tochter haben könne.
Von ungefähr streifte sein Blick das Bild des Mannes an der Wand. Er glaubte eine Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Mädchen zu entdecken.
Sie merkte, datz er das Bild ansah.
„Ihr verstorbener Vater?" fragte er.
Sie nickte, sagte aber nichts weiter.
Nach einer Weile lenkte er das Gespräch auf das verlassene Thema zurück und fragte: „Wann darf ich Ihnen Vorspielen? Morgen abend vielleicht?"
(Fortsetzung folgt.) .