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LmtsblsLt für den Nezirk NagolL ml- für Altenstsig-LLa-t. Allgemeine Anzeiger für die Bezirke Nagold, Lalw und Freudenstadt.

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Jahrgang lütt

Ein Pyrrhussieg.

In London hat Poincare mit der wirtschaftlichen Vernunft gerungen und ist Sieger geblieben. ce Kon­ferenz wurde abgebrochen, die Verhandlungen af 2. Ja­nuar nach Paris vertagt. Und in der französischen Kammer hat Poincare am Freitag ) Samstag wie­derum mit der erwachenden wirtschaftlichen Vernunft der französischen Parlamentarier gerungen und wiederum gesiegt. Mit 512 gegen 76 Stimmen erhielt er ein Ver­trauensvotum, wenn es auch zuerst schien, daß es anders gehen sollte. Das Parlament nahm nämlich nicht, wie es Poincare wünschte, die Erklärungen Poincares wortlos hin, sondern lehnte den Antrag auf Vertagung der De­batte mit 288 gegen 236 Stimmen ab. Dadurch hat die französische Kammer gezeigt, daß sie mindestens Poincare gegenüber skeptisch ist und ihre Mtionsfreiheit wahrt. Sie kann also nach dem Vertrauensvotum, das bloß als ein Kredit für die Pause bis zu den neuen Verhandlungen aufzufassen ist, Poincare ruhig angesichts der ungeklär­ten Lage weiterwirken lassen, ihn jederzeit abberufen und morgen schon, wie es beliebt, die Besetzung des Ruhrgebiets fordern. Poincare zeigte in seiner Rede über die Londoner Konferenz und die Reparationsfrage eine entschiedene Wandlung. Er sagte wörtlich:Im Namen Frau kreichs lehne ich jeden Gedanken einer territorialen Beschlagnahme oder einer militärischen Unternehmung ab, weil so etwas niemals in unserer Abs-i cht lag. Bonar Law bat mich, bis zum 15. Januar nichts zu unternehmen. Ich bin gewiß, daß, was auch geschehen möge, die Entente zwischen den Alliierte- keinerlei An­griffe durch die Maßnahmen erleiden werde, die wir er­greifen müßten. Ich würde mich in dieser Hinsicht mit allen meinen Kräften und mit meinem ganzen Patriotis­mus bemühen."

Angesichts dieser Erklärung weiß man nicht, was man mehr bewundern soll, die Keckheit Poincares, die Wahr­heit nicht zu sagen, oder die Zumutung, seine Worte glauben zu sollen.

Lloyd George, der auf 12 Konferenzen mit den Fran­zosen und Poincare vergeblich die Reparationsfrage zu lösen versuchte, kennt die Franzosen besser. Er schreib: in einem zweiten Artikel imDaily Telegraph" als Antwort an Poincare:

Der Abbruch der Londoner Konferenz und insbesondere die Ursache dieses Abbruches beweise, daß die War­nung, die er in seinem letzten Artikel erteilte, notwendig war und daß es Zeit war, diese Warnung zu erlassen. Poincare forderte die Besetzung des einzigen rei­chen Kohlengebietes, das Deutschland noch geblie­ben ist, als Garantie für die Durchführung unmöglicher Bedingungen. Weil ich tief davon überzeugt bin, daß die Politik, die durch dieses Projekt dargestellt wird, die Ursache der größten Schwierigkeiten für Europa und die Welt wäre, stieß ich einen Warnungsruf aus, Lloyd George wiederholt dann, daß in Frankreich zahl­reiche Anhänger einer Annexion des linken Rheinufers vorhanden wären, und sagt, daß dieses tatsächlich von ' allen jenen gekannt wurde, die an den Arbeiten der Friedenskonferenz teilnahmen. Der Rhein staat war der' Hintergedanke der allen Manövern während, vieler Wochen und Monate. Ob man sich nun um den Völkerbund, die deutsche Flotte oder das Statut von Fiume kümmerte, immer entspann sich der eigentliche Kampf um den Rhein. Einerseits mutße man sich fragen, was Frankreich fordern würde, andererseits wie weit die Alliierten nachgeben wollten. Der Konflikt wegen des Rheins dauerte während zahlreicher Debatten fort, wie sehr auch das jeweils erörterte Thema abseits vom Rhein lag.

Als Beweis für diese Haltung Frankreichs zitiert Lloyd George zunächst Foch. Er schreibt: Es bestand eine Partei, die den Rhein als die einzige natürliche Grenze Frankreichs betrachtete. Es war eine mächtige Partei, deren Wortführer ein mächtiger Mann war, der mächtigste in Frankreich, Marschall Foch: Immer wieder erklärte er, die Sicherheit und die Bestimmung Frank­reichs forderten den Rhein als natürliche Grenze. Lloyd George zitiert dann aus dem bekannten Buche Tar- dieus über den Frieden eine Denkschrift vom 12. März 1919, die folgende Vorschläge enthält:

Im allgemeinen Friedensrntereße und um die Bestim­mungen über den Völkerbund ins Leven zu rufen, wird die die deutsche Westgrenze an den Rhein gelegt. Daher

verzicyrer -LrcurMmiui uni urre Souveränität über das Gebiet des einstigen Deutschen Reiches am linken Rhein­ufer und auf jeden Zollvertrag mit dem Gebiete. Lloyd George fährt fort:

Es liegt ein sardonischer Humor in den Wortenim allgemeinen Interesse des Friedens" undum die Be­stimmungen über den Völkerbund zu schützen", wenn man gleichzeitig das linke Rheinufer beschlagnahmen will. Aber diese Denkschrift beweist, daß Clemeuceau und sein Minister Tardieu sich zu der Lehre bekannten, welche den Rhein als die natürliche Grenze Deutschlands be­trachtete. Durch Amerika und England wurde Clemen- ceau später veranlaßt, aus diese Stellung zu verzichten, aber die rheinische Partei in Frankreich verzieh iAn das nie und feine Stellung kostete ihm den Präsidentenstuhl.

Man hat eiugewendet, daß die Grenze zwar am Rhein fein solle, daß aber das Gebiet am linken Rhein­ufernicht annektiert", sondern in eineunabhängige Republik" umgewandelt werden solle.

Welche Unabhängigkeit und welche Republik wären ge­schaffen worden? Alle deutschen Offiziere hätten aus­gewiesen werden müssen, das Land hätte vom wirtschaft­lichen Leben Deutschlands abgetrennt werden sollen, es. hätte keine Beziehungen mit dem deutschen Vater­land unterhalten dürfen, den Rhein hätte haupt­sächlich von französischen Truppen besetzt werden sollen,

oas Gebiet der unabhängigen rheinischen Republik wäre oon auswärtigen Soldaten besetzt worden, und die jun- zen Leute der Rheiulande wären in die auswärtigen Ar­meen eiugereiht worden, damit sie sich gegen ihre eige­nen Landsleute am anderen Rheinufer schlügen. Und das alles sollte keine Annexion bedeuten?"

Damit ist von einem Teilhaber* der Ausbeuter Deutsch­lands die ganze Gesinnung Poincares enthüllt. Und man bewundert die Frechheit, mit der er in der franzö­sischen Kammer erklärt, daßer jeden Gedanken einer territorialen Beschlagnahme ablehnt, weil so etwas ni-e- mals in unserer Absicht lag". Sein Sieg in London und in der französischen Kammer ist ein Pyrrhussieg, d. h. ein teuer erkaufter Sieg, über den er über kurz oder laitg stolpert: wird.

Die amerikanische Aktion.

Wie schon berichtet, sollen die Vereinigten Staaten von Amerika die Absicht haben, Deutschland eine An­leihe von IP 2 Milliarden Dollar zu gewähren. Dieser Plan geht voit einer Baukiergruppe aus unter Führung von Morgan, die mit dem Präsidenten Harding und dem Staatssekretär Hughes Besprechungen hatten. Die An­leihe hängt nun davon ab, ob die amerikanische Regierung mittut, sich an einer Bürgschaftsleistung für die amerika­nischen Finanzleute zu beteiligen. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß dann die französische Reparations­politik andere Wege geht als bisher.

In diesen Gedankengängeu liegen sofort die größten Schwierigkeiten und zahlreiche Probleme, die noch zu lösen sind. Bis jetzt bestehen also nur Pläne und Beratungen zwischen Finanzleuten und dem deutschen Botschafter in Amerika, Dr. Wiedfeld, einerseits und der amerikanischen Regierung andererseits. Eine sichere Klarheit be­steht weder über die Pläne noch über das Eingreifen der Regierung. Im Gegenteil, in amtlichen amerikanischen Kreisen hüllt man sich in Schweigen und Unklarheit. Die ganze Sache basiert bisher auf Vermutungen. Da aber der Sturz des Dollars und das Steigen der Mark von Neuyork ausging, nimmt man in Deutschland an, daß die amerikanische Aktion ernsthaft zu nehmen ist. Bis zur eigentlichen Hilfe für Deutschland dürfte aber noch geraume Zeit vergehen. Dies wird durch fol­gende amerikanische Pressestimmen beleuchtet:

Neuyork, 18. Dez. DerNew York Herald" meldet: Das Staatsdepartement in Washington stellte entschie­den in Abrede, daß die Absicht bestehe, eine inter­nationale Bankierkonferenz einzuberufen. Die Regie­rung würde es als reinen Wahnsinn für die Ber­einigten Staaten betrachten, wenn sie sich in die euro­päische Politik stürzen, ohne, die Versicherung erhalten zu haben, daß die Verbündeten, namentlich Frankreich, nächgeben. Nichtamtlich werde in Washington die Bildung eines Ausschusses vorgeschlagen, be­stehend beispielsweise aus verbündeten und amerika­nischen Sachverständigen, die in Deutschland die Be­steuerung untersuchen und die deutsche Zahlungs­fähigkeit abswätzen soll.

Neuyork, 18. Dez. Die amerikanische Presse be­grüßt im allgemeinen den Vorscklaa Lmrdinas. einen

rrusweg aus oen ureparanonsschwrerigkeiten' zu su­chen, mit großer Genugtuung. Die offiziellen Kreise hüllen sich nach wie vor in Stillschweigen und verweigern jede Auskunft. Indessen kann man be­stimmt annehmen, daß amerikanische Sachverständige sich an einer Enquete beteiligen werden, um sich über diefinanzielleLeistungsfähigkeitDeutsch- lands mit Rücksicht auf die Reparationen schlüssig zu werden. Man weiß noch nicht, ob die Konfe­renz einberufen wird, oder ob die amerika­nischen Sachverständigen sich nach Europa begeben werden. Harding hat mehrere Senatoren zu sich kommen lassen und sie über ihre Ansicht be­fragt. Sie äußerten ,iu.- mit Rücksicht auf die neue Konferenz dahin, daß es vorteilhaft wäre, daß etwa 4 oder 5 Großmächte, darunter auch Deutschland, an einer solchen Konferenz teilnehmen. Der deutsche Bot­schafter Wiedfeld ist wieder in Neuyork eingetroffen und hatte in Washington auch eine Unterredung mit mehreren maßgebenden amerikanischen Bankiers.

London, 18. Dez. Nach einer Meldung aus Paris hat Poincare eine offizielle Mitteklung erhalten, daß die Vereinigten Staaten gewillt seien^ einen Plan zur Regulierung der Repa­rationsfrage in Erwägung zu ziehen.

Zur Ermordung des polnischen Staatspräsidenten.

Erst am 9. Dezember d. I. wurde als Nachfolger Pil- fudskis Narutormcz' zum Oberhaupt der polnischen Re­publik mit 289 Stimmen der Linken gegen 227 Stimmen der Rechten gewählt. Seine Wahl rief in den nationalen Kreisen Helle Empörung hervor. General Halle r rief die Bevölkerung Warschaus zum heftigen Kampf gegen Parutowicz auf und wies auf das Recht der Bevölkerung zum Waffengebrauch und zur Selbsthilfe hin. Es kam dann am Montag und Dienstag zu blutigen Straßende- monstratiouen, um Narutowicz zur Abdankung zu zwin­gen. Wiederholt fanden Schießereien statt. Barikaden wurden errichtet und der Straßenbahnverkehr ruhte. Die erste Tat der neuen Regierung war die Verabschie- ^ düng des populären nationalistischen Generals Hal­ler, was die Wut in den nationalen Kreisen Polens noch vermehrte. Der Aufruhr mißlang. Aus Rache darüber erfolgte die Tat eines politischen Fanatikers. Der Mörder spielte bei der sofort vorgeirommenen Untersuchung denwilden Mann". Er antwortete auf die Frage, warum er den Präsidenten erschossen habe:

A atuvowicz war Präsident der Minderheiten. Er wollte Polen vergewaltigen." Der Mörder war Professor der Aesthetik an verschiedenen Warschauer Lehranstalten und Beamter des Kultusministeriums, wurde cch"?" unter dem Ministerium Porowski entlassen.

Der ermordete Staatspräsident war Litauer, der jahr^ lang in Zürich Professor am Polytechnikum war und ersr 1920 als Minister der öffentlichen Arbeiten nach War- schau berufen wurde. Er galt als ein Anhänger der mil­deren Richtung, der einen Ausgleich der Gegensätze der ver- fchiedensprachlichen Bevölkerung anstrebte. Dabei ist aber diese Minderhntenpolitik noch lange nicht frei von Deut­schenhaß gewesen. Der neue Staatspräsident wird wohl Pilsudski sein, der bereits ein Ministerium gebildet hat. Es besteht hauptsächlich aus den Mitgliedern des alte« Kabinetts. Von den neu berufenen Ministern übernahm General Sikorski das Präsidium und das Innere. Der polnische Gesandte in Bukarest, Alexander Skrzvnskr übernahm das Außenministerium und Marschall Prl- sudski den Posten des Generalstabschefs.

Das deutsche Beileid.

Berlin, 18. Dez. Der deutsche Außenminister von Rosenberg hat dem polnischen Gesandten in Berlin das Beileid Deutschlands zu der Ermordung des polnischen Staatspräsidenten ausgesprochen.

Neues vom Tage.

Beilegung des Streiks in der Anilinsabrik.

Mannheim, 18. Dez. Am Samstag konnte in später Abendstunde eine Verständigung in den Verhandlungen der Betriebsleitung der Badischen Anilin- und Soda­fabrik in Ludwigshasen mit den Vertretern "der Ge­werkschaften gefunden und das Protokoll unterzeichnet werden. Die Bedingungen zur Aufnahme der Arbeit gehen dahin, daß nach wie vor der Reichstarif für die chemische Industrie und das aus diesem Tarir sieb

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