Samstag.
Zweites Blatt zu Nr. 232.
Gkt-be- 1Y15.
' ^.F. Flattich
(Geb. am 3. Oktober 1713 in Beihingen bei Ludwigsburg, gestorben am 1. Juli 1797 in Münchingen OA.
Leonberg.)
Es ist schade, daß Pfarrer Flattich, dessen 200- jähriger Geburtstag auf den 3. Oktober d. I. fällt, heute für weite Kreise höchstens noch in einigen charakteristischen Anekdoten weiterlebt. Dieses prächtige, schwäbische Original wies in mehr als einem Stück über seine Zeit hinaus und zeigt echt moderne Züge. Dazu gehört schon seine im Unterschied zur damaligen Sentimentalität oft bis zur knorrigen Härte gehende nüchterne Ausdrucksweise. Er verschmähte mit bewußter Absicht allen „Schmuck der Rede". Klar und mit unerbittlicher Herbheit, wie er seine Gedanken denkt, spricht er sie aus. Gemildert wird diese Nacktheit des Stils allerdings wesentlich durch die schwäbisch volkstümliche Anschaulichkeit seiner Redeweise, die etwas un- gemein Heimeliges hat: „Gottlob der Christian bubelet wieder," sagte er einmal von einem anfänglich übertrieben schüchternen Zögling zu seiner Frau. „In des armen Mannes Beutel verdirbt viel Witz" — und andere treffliche Redensarten finden sich in Menge in seinen Schriften. Nicht weniger modern ist seine aufs Nützliche, Gemeinnützige gerichtete Sinnesweise. So war er einer der ersten grundsätzlichen Gegner der Prügelstrafe, ein eifriger Befürworte einer besseren Mädchenbildung.
Der geistlosen Art, lateinische Verse zu schmieden, wie sie in den württ.. Klosterschulen damals Sitte war. konnte er als Klosterschüler in Denkendorf keinen Geschmack abgewinnen. Er trieb dafür lieber Mathematik, die seinem nüchternen, praktischen Sinn näher lag, obgleich diese damals noch nicht auf dem Stundenplan stand. In diesem Zug zum Praktischen ist Flattich noch als Vikar in die Lehre gegangen. Auch ist es gewiß kein Zufall, daß der Schöpfer der Feinmechanik in Württemberg, der Onstmettinger Pfarrer PH. M. Hahn, der Schwiegersohn dieses Praktikers geworden ist.
Im späteren Leben war seine aristokratische, menschenfurchtfreie Art, sich namentlich Höhergestellten gegenüber zu geben, wohl der hervorstechendste Zug in Flattichs Eigenart. So nahm er einmal dem Grafen von Leutrum gegnüber Holzdiebe in Schutz mit den Worten: „Do Han i doch — dies waren seine stehenden Einleitungsworte — darf ich Euer Gnaden sagen, was die Ursachen sein, daß diese Leute Holz stehlen? Wenn man ihnen Brot durch Arbeit gäbe, brauchten sie kein Holz zu holen,' auch könnten sie, wenn sie satt wären, eher in kalten Stuben wohnen". Das Stärkste
in dieser Hinsicht ist wohl jene Aeußerung einem Manne von Stand gegenüber, von dem er zum Essen geladen war und zu dem er ohne jedes Zugeständnis an die Sitte hinsichtlich der Kleidung gekommen war. Als ihn der Gastgeber etwas von der Seite ansah, platzte Flattich mit den Worten heraus: „Do Han i do jetzund, 's kommt bloß drauf an, wo man den Dreck hat, außen an den Kleidern, oder inwendig wie manche Edelleut'." Selbst der Herzog Karl, der seinem Gesinnungsgenossen Moser gegenüber so gar keinen Spaß verstanden hat, ließ sich von Flattich manch offenes Wort gefallen. Er mochte in diesem Mann, der so ganz auf sich selber stand, und ohne nach rechts oder links zu sehen, tat, was er für recht hielt, etwas ihm selbst Verwandtes sehen.
Flattich war zeitlebens was man gemeinhin einen armen Schlucker heißt. Dabei ist es rührend, wie er trotz seiner Armut immer etwas für Bedürftige gehabt hat. Wie er einmal bei seinem Heimerdinger Kollegen, der offenbar nicht so sehr „von Eebersheim" war, einen Besuch machte, kam ein Handwerksbursche und bettelte. Der Pfarrer von Heimerdingen hielt eine lange Prüfung mit dem Burschen ab, ob er auch gewiß einer Gabe würdig sei. „Do Han i do, sagte Flattich trocken, aber ich bin froh, daß in meiner Bibel nur steht: Gib dem, der dich bittet, — und daß nicht, wie in der des Herrn Kollega hinzugesetzt ist: und examiniere ihn vorher, ob ers auch wert ist." Diesen Zug würde man heute vielleicht mit dem Schlagwort „sozial" bezeichnen, oder würde man darin ähnlich wie in den vorhin angeführten Aeußerungen eine demokratische Richtung seiner Gesinnung finden. Jedenfalls ist diese Seite an Flattichs Wesen eine eigenartige, wertvolle Ergänzung zu gewissen aristokratischen Eigenschaften.
Am bekanntesten ist wohl Flattich als Erzieher. Jedermann kennt das Eeschichtchen, wie er den Münchin- ger Bauernburschen, der ihm durch sein Knallen lästig war, in seinen Pfarrhof kommen und so lange sort- knallen ließ, bis ihm der Arm müde heruntersank, oder wie er seinen Zöglingen das Kartenspiel dadurch ent- leidete, daß er sie eines Abends zu einem Spiel aufforderte und die geschlagene Nacht damit fortmachte, bis ihnen die Augen zufielen. Weniger allgemein bekannt dürfte aber sein, daß er eine Reihe von erzieherischen Gedanken fand, die von der offiziellen Pädagogik eben erst geahnt wurden. Gewonnen sind bei ihm diese neuen Erkenntnisse lediglich durch die Beobachtung der Natur, und aus dem neuen Testament! letzteres verwertet er durchaus eigenartig. Nebep den bereits genannten Punkten, an denen er pädagogisch anregend ge
wirkt hat, sei besonders noch genannt die Forderung der sog. Mutterschule, des Erteilens des ersten Unterrichts durch die Mutter selbst.
Es mag manches Einzelne von dem, was Flattich gesagt hat, recht hausbacken klingen. Aber Flattich hat nicht gesprochen und geschrieben, um von den Leuten gesehen zu werden; sondern was er sagte und tat, kam aus einem inneren unmittelbaren Drang heraus. Und gerade das ist nicht seine schlechteste Seite; es macht vielmehr das aus, wodurch Flattich ganz abgesehen von einzelnen gescheiten Gedanken es verdient, daß man ihn immer wieder und wieder hervorzieht. l)r. K.
Aus Höhen und Tiefen.
Ich denke oft ans blaue Meer.
Ich denke oft ans blaue Meer Und Hab es nie geschaut,
Und Hab ihm doch so lange schon Mein kleines Lied vertraut.
Das macht: ich kenn es besser,
Als mancher Seemann wohl Wie man in seine Tiefen In Andacht schauen soll.
Und fern mir, wie die Meeresflut,
Geht deines Herzens Schlag,
Dem innerlich in stiller Nacht Ich lauschend hören mag.
Es ist dein Herz ein Spiegel Von Erdduft überhaucht,
Darein Gott oft beschaulich Und tief sein Auge taucht.
Gottfried Keller.
Herbst.
Weißgraue Nebel verhüllen in der Frühe das Land, sie stehen hoch und schweigsam wie undurchdringliche Wände, sie wandern wie Wolken, steigen und fallen, und ruhen wieder. Das Gewohnte ist unseren Blicken entzogen und schimmert bleich und unbestimmt wie aus einer ungewissen Ferne her. Ab und zu löst sich ein müdes, welkes Blatt vom nächsten Baum und fällt langsam kreisend zur Erde. Es ist feucht und kühl und auf die Straßen schlägt sich dichter Tau nieder. Dann steht ein mattgelber Kreis über den Bergen im Osten, klein und kaum sichtbar. Es ist die Sonne. Man sollte ihr nicht Zutrauen, daß sie den dicken Nebel aus den Boden zwingt. Aber es geht dennoch eine starke Kraft von ihr aus und ihre Strahlen reißen blitzende Lücken in die weißen Wände: Der Bann ist gebrochen; zögernd, nach
Das Angtückshaus.
6.) Roman von Georg Türk.
Der Erzähler seufzte.
„Ich habe das auch spüren müssen. — Von jener heimlichen Stunde, da ich zum ersten Male merkte, daß sie meine Liebe erwiderte, will ich schweigen. Es würde dich doch nur langweilen, davon zu hören. Ich will zum Schluß kommen. Es wurde August. Meine Zeit in Hohenburg war abgelaufen. Der Abschied von Elisabeth rückte näher. Ich hatte vor, noch mit ihrem Vater zu reden. Es war am zwölften August. Am dreizehnten/sollte ich abreisen. Ich kam zu ihr. Der Vater wavmicht daheim. Elisabeth kam mir mit einem Brief imDer/Hand entgegen. „Herrlich! Wundervoll!" rief sie-mir zu. „Was ist herrlich, was ist wundervoll?" „Da in dem Brief steht: Die Wartezeit ist aus. Heute kam er zurück. Er hat die Treue gehalten und ich auch! Nun haben wir Verlobung gefeiert und du darfst mir Glück wünschen." Ich erklärte ihr, daß ich das alles leider nicht recht verstehen könne. Und nun erzählte sie mir eine abenteuerliche Geschichte von einem Studenten und einem Mädchen, ihrer Freundin, die einander liebten. Um sich aber gegenseitig zu prüfen, ob die Liebe auch echt sei, hätten sie ausgemacht, einander keine Silbe zu schreiben, nie zusammenzukommen, bis die Universitätszeit aus sei. Beide hätten die Probe bestanden. Eben sei von der Freundin die Nachricht gekommen. „Ist das nicht wunderbar?" Ich wollte ant
worten, daß ich solche Proben für höchst überflüssig hielte, da packte sie mich am Arm, zog die Stirne hoch, öffnete den Mund ein wenig, als sei ihr plötzlich eine neue Idee gekommen. „Höre!" sagte sie, „wir wollen es ebenso machen! Du gehst morgen fort: Ein Jahr lang sollst du mir nicht schreiben, nicht zu mir kommen! Ist das Jahr vorüber, dann erscheine wieder! Und willst du mich noch haben, gut, so mag es sein! — Kommst du nicht wieder, übers Jahr am dreizehnten August — dann weiß ich es, daß du eine andere gefunden, die dir besser gefällt als ich!" Ich erklärte ihr, daß ich zu solchen Geschichten nicht die geringste Lust hätte, daß ich hier sei, um mit ihrem Vater offen zu reden. „Tue das nicht!" antwortete sie fast erschrocken, „der Vater hat gemerkt, wie's zwischen uns beiden steht. Er hat nichts dagegen; aber er sagt, die Juristen müßten oft schrecklich lange warten. Wenn du deine feste Anstellung hast, dann magst du kommen!" Sie kam auf ihren Plan zurück, eine Weile stritten wir, es gab sogar Tränen. Ich mußte nachgeben und ihr hoch und teuer versprechen, keine Silbe an sie zu schreiben, nie nach Hohenburg zu kommen bis zum dreizehnten August übers Jahr! Wie oft es mich schon gereut hat, daß ich nachgegeben habe, kannst du mir glauben! „Ich halte dir die Treue!" sagte sie beim Abschied. „Will sehen, ob du wiederkommst!" — Ich verließ Hohenburg, war noch ein gutes halbes Jahr wo anders Praktikant und nun bin ich Assessor geworden und darf es ihr nicht schreiben!" -
„Sie wird es wahrscheinlich in der Zeitung gelesen haben," meinte der Pfarrer- „und außerdem wäre das doch ein Ereignis, um eine Ausnahme zu machen. Eine kurze Postkarte —"
Hans Ringer schüttelte best Kops: „Es geht nicht! Sie hat mir das Ehrenwort angenommen, vor Ablauf der Frist unter keinen Umständen zu schreiben!"
„ Hm — entschuldige Freund! Die Weiber haben seltsame Schrullen im Kops und deine Elisabeth ganz besonders!"
Gewaltig blies er die Rauchwolken von sich.
Hans Ringer seufzte, zog eine Photographie aus der Brusttasche und reichte sie dem Pfarrer.
„Hier ihr Bild!"
Der Pfarrer betrachtete es und man merkte ihm an, daß er überrascht war.
„Ei, du — du —"
Er fand aber nicht den rechten Ausdruck. Darum fuhr er fort, immer das Bild betrachtend: „Daß du einem Menschen den Kopf verdrehen kannst und daß man dir obendrein die dümmsten Streiche verzeihen muß, muß ich zugeben! — Freund, du hast keinen schlechten Geschmack — was Mädchenköpfe anlangt!"
Er gab das Bild zurück, Hans Ringer sah es lange an, steckte es ein und sagte leise: „Was meinst du? Wird sie mir wohl die Treue halten?"
Der Pfarrer sah den Fragenden an: „Du sagtest doch selber, sie habe dir versichert, auf dich warten zu wollen. Zweifelst du daran?" (Forts, f.)