Amtsblatt für den Bezirk Nagold und für AlLsnstsig-Stadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagold, Calw und Zreu-enstadt
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MIsuHeig, Dienstag de« 14 . November.
Jahrgang IS»
^ Sie Umbildung de» Reichskabmetts.!
Nach dem politischen Burgfrieden, der knapp über diö Zeit der Anwesenheit der Reparationskommission eingehalten wurde, ist jetzt in Id er Reichshauptstadt wieder der innerpolitische Kamps voll im Gange, und man steht vor Entscheidungen in der Regierungsbildung, die von größter Tragweite sind: Die Notwendigkeit einer Regierungsumbildung ist längst erkannt. Schon fast ein Jahr lang redet man von der Bildung der „Großen Koalition" unter Einbeziehung der Deutschen Volkspartei. Das Reichskabinett selbst war schon lange nicht mehr voll intakt. Der Außenminister und der für den Wiederaufbau fehlten. Außerdem traten die Gegensätze im Kabinett seit Monaten schroffer in Erscheinung. Hermes hatte, solange Dr. Wirth und Rathenau in Genua weilten, in Paris Zulagen gemacht, die selbst dem Kanzler zu weit gingen. Der Reichswirtschaftsminister Schmidt faßte seine Aufgabe, wie aus den Verhandlungen über die Devisen- und Währungsfragen hervorgeht, im Sinne einer sozialdemokratischen Parteifunktionärs auf. Und dennoch gelang es immer wieder, die Krise von innen heraus zu bannen. Nun kommt sie von außen durch die Re- parationspvlitik, weil das bisherige Programm nicht „erfüllt" werden kann. Die „Franks. Zeitung" meint zu der gespannten außen- und innenpolitischen Lage: „Soll man sagen, daß das deutsche Schicksal jetzt vor eiuer Entschei- ' düng stehe? Man hat es so oft gesagt nnd geglaubt, daß l>as Wort, wie so viele, schon zum Klischee entwertet ist. Und man ist immer Lügen gestraft worden. Ist die Wirtschaft dahin zu bringen, daß sie dem Staate in seiner jetzigen Not beistehe? Das ist die große Frage. Es gilt, Kräfte für die Rettung mobil zu machen. Dazu aber gehört, daß sehr viele sich der Erkenntnis öffnen, daß es nicht mehr angeht, im bisherigen Sinne weiter zu arbeiten."
So ist der Kanzler und die Parteien zu einem Wirtschafts- und Sanierungsprogramm gekommen, und weil sich die angestrebte Große Koalition von der Volkspartei bis zur Sozialdemokratie wegen des Widerstandes der letzteren nicht erreichen läßt, zu dem Plan der Regierungsbildung durch „Konzentration der wirtschaftlichen Kräfte".
lieber die Art und Weise wie das Kabinett der Persönlichkeiten aussehen und Zusammenkommen soll, schweben noch die Verhandlungen in und zwischen den Fraktionen, wobei die Gefahr groß ist, daß die Sache ins vartei- Volitische Fahrwasser gerät. Und doch will der Kanzler, den den Reichspräsident beauftragt hat, ein Wiederaufbaukabinett, nicht nur eine Erweiterung oder eine Umbildung der Reichsregierung. Wie diese Versuche enden, muß sich in den nächsten Tagen zeigen. Die Umbildung ist schwer, ob man nicht zu einem ganz neuen Kabinett kommt, darum drehen sich die ganzen Verhandlungen.
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Berlin, 13. Nov. Die Frage der Umbildung des Reichskabinetts war am Samstag Gegenstand weiterer Besprechungen zwischen dem Reichskanzler und den Parteiführern. Zuerst empfing der Kanzler die Führer der nichtsoziasistischen Parteien mit Ausnahme des Zentrums, dann die Sozialdemokr Kn und zuletzt die Zentrumssührer. In den Besprechungen hat der Kanzler die Parteiführer ersucht, ihm Männer vorzuschlagen, die ihnen zur Besetzung der Ministerposten geeignet erscheinen, wobei er sich das Recht der Auswahl vor- s behalten will. Wie die ..Voss. Ztg." hört, haben die s Parteien der Arbeitsgemeinschaft dem Reichskanzler ein s umgekehrtes Verfahren vorgeschlagen, er soll aus eige- s "er Initiative die Ministerien besetzen und dann die k Vertrauensfrage stellen. Nach den Informationen der ? Blätter seien die beiden Hauptpunkte des Programms, i unter dem der Reichskanzler die Hinzuziehung von s Mrtschaftsleuten in das Kabinett erwägt, die Frage ; Markstabilisierung und die Produktionsvermehrung, i Nach dem Vorwärts haben die Vertreter der Sozial- ! demokratie dem Reichskanzler keinen Zweifel darüber l gelassen, daß ihrer Auffassung nach ein gemeinsames '> Programm mit der Volkspartei unmöglich sei. -
Das von den Parteien seinerzeit eingesetzte Komitee ^ Kw Beratung eines Währun^sprogramms hat am < Sonntag seine Arbeiten zu Er' ' geführt. Sämtliche, in .' vem Ausschuß vertretenen Pa len, auch die Deutsche ; 'bolkspartei und die Bayer: : Volkspartei, haben i einer Formulierung unter ! Voraussetzung Zuge- r 1-ttnmt. das, sich die Fraktiv' . derselben anschließen. ;
Mese Formulierung gon ver Regierung tevrgircy a:s Unterlage ber der Ausarbeitung von Turchführungs- ^strmmungen für die der Reparationskommission in Aussicht gestellten inneren währungspolitischen und produktionssteigernden Maßnahmen dienen. Weiter war beabsichtigt, sie als Anhaltspunkte bei der Beantwortung eventueller Rückfragen durch die Reparationsrommission von Paris aus zu benutzen.
Generaldirektor Cuno hat auf den Antrag, das Auswärtige Amt zu übernehmen, auf dessen Neubesetzung auch der Reichspräsident besteht, geantwortet, daß er die Frage von neuem erwägen wolle unter der Voraussetzung, daß eine Wirtschaftspolitik getrieben wird, die seine Billigung findet.
Entscheidende Wendung in -er Regierungskrise.
Berlin, 13. Nov. Tie in der bürgerlichen Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen Parteien haben der Sozialdemokratie soeben im Reichstag durch den Reichskanzler Mitteilen lassen, daß sie den Eintritt der Deutschen Volkspartei in die Reichsregierung verlangten. Sie ersuchen die Sozialdemokratische Partei um entsprechende Entscheidung bis Montag abend 8 Uhr. Der Reichskanzler hat llch dem Ersuchen der bürgerlichen Arbeitsgemeinschaft angeschlossen.
Der bekannte Großindustrielle Hugo Stinneshat bei vertraulichen Verhandlungen des wirtschaftlichen und ^finanzpolitischen Ausschusses des Reichswirtschaftsrates leine Rede gehalten, die deutlich die Stellung der Industrie Hur Währungsfrage beleuchtet, leider aber noch nicht die Frage beantwortet, zu welchen Opfern die Industrie sich bereit erklärt. Stinncs führte u. a. aus:
Es ist richtig, es kann kein Zweifel sein: daß jeder in der Industrie Stehende den dringenden Wunsch haben muß, daß die jetzigen Jnflationszustände aufhören und es zu einer Stabilisierung der Mark kommt. Worin die Meinungen verschieden sind, das ist, wie und unter welchen Umständen stabilisiert werden kann. Darüber besteht sim Reichsverband der deutschen Industrie wohl keine Meinungsverschiedenheit. Man muß sich über die volkswirtschaftliche Lage des Deutschen Reiches klar werden. ^Deutschland ist sehr stark Passiv, weil es unproduktiv W; ich schätze Deutschlands Unproduktivität auf minde- Wens 200 Millionen Goldmark monatlich. Deutschland Mutz 200 Milliarden Goldmark nicht nur produzieren, sondern nach Abzug der Selbstkosten produzieren, um überhaupt damit leben zu können. Damit erst tritt die Möglichkeit ein, daß irgend etwas für Reparationszwecke geleistet werden kann. Wenn die Einsicht chus der französischen und Ententeseite überhaupt da Märe, daß man dem deutschen Volk unter der Beidingung wesentlicher Ueberarbeit und wesentlicher Mehrleistung die Freiheit wiedergäbe !und die Okkupation aufhörte, würde das deutsche Volk sehr bald arbeiten und nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder ein glückliches Volk werden.
Wir müssen Absatz in der Welt erzielen können. Wir können die Volkswirtschaft nur in Ordnung bringen, wenn wir in der Welt wieder Meistbegünstigung bekommen; diese erreichen wir aber nur dann, wenn in Deutschland wieder Zustände herbeigeführt werden, daß das Ausland weiß, daß wir demnächst wieder in Mold löhnen müssen.
' Zusammengefaßt stehe ich auf dem Standpunkt, daß dieVoraussetzungdesLebensinDeutschland vanz große Ueberarbeit ist. Das deutsche Volk wird eine Reihe von Jahren, vielleicht 10 bis 15, zwei Stunden pro Tag mehr arbeiten müssen, um die Produktion so hoch zu bringen, daß! es leben und noch etwas für Repaationren erübrigen kann. Es muß auch von Grund aus alles revidiert werden, was sich in Deutsch- Ilainid im Krieg und nach dem Krieg unproduktiv gestaltete. Ich halte es für vollkommen ausgeschlossen, daß Deutschland auf dem Weltmarkt wieder zur Geltung kommt, ohne daß es in Gold löhnt. Das ist selbstverständlich etwas, was nicht vorgeleistet, sondern nur nach- Igeleiftet werden kann. Wenn Sie sich jetzt von irgend jemaird 500 Millionen Goldmart leihen lassen, so werden diese in 21 / 2 —3 Monaten restlos verpulvert und werden Ihnen fehlen, wenn Sie sie notwendig haben. England und die anderen Staaten dürften Sie nie zur Meistbegün- -iliauna bekommen, wenn wir nickt unter Parität arbei
ten; die Vorausietzung der erfolgreichen Stabilisierung jist, daß aus lange Zeit Lohnkä mpse und Streiks jausaeschlossen bleiben. Bei einem zweimonatigen Streik ist die Stabilisierung der Valuta verloren. Deswegen muß man in Deutschland den Mut Haben, einerseits der Bevölkerung zu sagen: Ihr müßt Aen Achtstundentag behalten, aber in absehbarer Zeit lohne Ueberbezahlung der Mehrstunden mehr arbeiten, bis wir eine aktive Zahlungsbilanz haben und außerdem soviel erübrigen, wie nun einmal zum Leben und zur Verzinsung und Amortisation der Anleihen notwendig ist.
Ich glaube, daß in Frankreich und Belgien die Erkenntnis wächst, daß die Kredithöhe tatsächlich sehr mäßig sein wird. Wir müssen auch den Mut haben, zum Volk sagen: „Man kann keinen Krieg verlieren und dabei zwei Stunden weniger arbeiten wollen! Ihr müßt arbeiten, arbeiten und immer wieder arbeiten!" Ich habe mit der Reparaftonskommission nicht gesprochen, kann also auch nicht zu den Leuten gehören, die die Kommission irgendwie über einen Jnduftrieplan unterrichtet haben. Wenn ich das Reich als ein geschäftliches Unternehmen ansähe, würde ich ermitteln: Wie muß es geleitet und wie muß die Sache eingerichtet werden? Wenn die Fragen so gestellt würden, unter welchen Voraussetzungen das Land wieder kreditfhäig sei, würden wir uns mit dem Ausland sehr rasch verständigen. Man würde sagen: Nachdem du wieder kreditfähig bist und eine aktive Wirtschaft führen kannst, will ich dir einen Ankauss-
kredit geben-das ist der Stabilisierungskredit —
und daneben noch soviel Geld, damit du die übrigen Gläubiger (Reparationslasten) abfinden kannst!" So ist die Sache aber noch nie aufgefaßt und geprüft worden.
Wenn die Sache als Pumpgeschäft ohne wirkliche Behebung der Fehler, ohne Sanierung unserer Verhältnisse versucht wird, kommen wir nicht zum Schluß. Was die Arbeitsfrage angeht, so ist das keine spezielle Arbeiterfrage, sondern überhaupt die Frage der Produktivität. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß wir die Frage des Achtstundentags als eine Frage ansehen, die wir nicht diskutieren wollen, denn es gibt Fragen, die man zweckmäßigerweise nicht erörtert, aber nachdem die ganzen Instrumente der Wirtschaft in unserer verzweifelten Lage den Achtstundentag, so, wie er heute ausgeübt wird, nicht eingestellt sind, ist es eine Frage von Leben und Sterben, daß man diese Instrumente so ausnützt, daß damit genügend Güter erzeugt werden und daß wir leben können.
Neues vom Tage.
Ankunft der türkischen Abordnung in Lausanne.
Paris, 13. Nov. Aus Lausanne wird gemeldet: Diel türkische Abordnung für die Friedenskonferenz ist vollzählig in Lausanne angekommen. Bei ihrer Ankunft hörte die Delegation, daß die Konferenz auf den 20. November verschoben worden ist. Wir haben alles getan, so erklärte Jsmet Pascha, um den vorgeschriebenen Eröffnungstermin einzuhalten und sind über die Verzögerung sebr enttäuscht.
England gegen die Teilnahme Rußlands.
Paris, 13. Nov. Tie Reuteragentur verbreitet die Meldung, daß die englische Regierung das russische Verlangen nach der Zulassung von russischen Vertretern in Lausanne abschlägig beantworten wird.
Tie Lage in Konstantinopel.
London, 13. Nov. Die Lage in Konstantinopel spitzt sich immer mehr zu. Ausländer sind in den letzten Tagen wiederholt Angriffen ausgesetzt gewesen. Tie Paris an den französischen General Pelle gegebene Anweisung, nur bedingterweise der Proklamation des Belagerungszustandes in Konstantinopel zuzustimmen, hat in englischen Regierungskreisen große Beunruhigung hervorgerusen.
Ter 11. November bei den Feinden.
Paris, 13. Nov. Ter 4. Jahrestag des Abschlusses des Waffenstillstands wurde in Paris festlich — d. h. militärisch gefeiert und zwar unter dem Triumphbogen Bei Compiegne, wo seinerzeit die Unterzeichnung des Waffenstillstands stattfand, wurden zwei Gedenksteine enthüllt Poincare hielt seine übliche Sonntagsrede gegen Deutschland. In Brüssel wurde im Beisein der Minister und des Königs usw. am Unabhängigkeitsdenkmal der „unbekannte Soldat" beigesetzt. Auch in der Londoner Whitehall wurde der Tag festlich begangen in Anwesenheit des Königs.