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Altrrrsteig, Montag d«n 13 November.

Jahrgang ivrr

Die Not des Mittelstandes.

Von Professor Lent-Erlangen. !

^ Die Not des Mittelstandes, ja der gesamten mittleren i Schichten unseres Volkes, liegt vor aller Augen. Huu-- derttausende von Rentnern sinken von behaglicher oder reicher, jedenfalls aber gesicherter Lebenshaltung ins bit­tere Elend hinab, ebenso zahllose Witwen und Waisen aus einst wohlhabenden Familien. Die einen halten sich noch durch den Verkauf von Hab und Gut ans besseren Tagen, > wer das nicht mehr kann, verhungert. Auch wer die dringendsten Bedürfnisse des Alltags decken kann, ist abgeschnitten von dem geistigen und künstlerischen Le­ben, an dem er früher meist Anteil nahm. Im Krankheits­fall weiß er nicht, wie er den Arzt bezahlen soll, und die Begräbniskosten berauben seinen Angehörigen der letzten Reste des Vermögens. Aber dieses Herabsinken ergreift auch zahlreiche noch Erwerbstätige; bei der Beamtenschaft hält die Gehaltserhöhung nicht Schritt mit der Geldent­wertung, schlimmer steht cs noch mit den freien Be­rufen, wie Aerzten, Anwälten, Schriftstellern, Künstlern^ chenn i.n neuen Deutschland wird geistige Arbeit oft ge­ringer bewertet als die Leistung eines jugendlichen unge­lernten Handlangers. Handwerker und Kaufleute, die nicht mehr in der Lage sind, die ungeheuer wachsenden Summen für Rohstoße oder Waren aufzubringen oder deren Kunden sich einschränken müssen, sehen Umsatz und Verdienst zurückgehen. Geht die Entwicklung so weiter wie im letzten Jahr, so ist alles zum Niedergang oder gar zum Untergang verurteilt, was in der Mitte zwi­lchen Arbeiterschaft und Großunternehmern steht.

Dieses Versinken der M i t tels chi cht ers chüt- terl Sen Bestand des Staates, denn sie bil- "deten bisher die ausgleichendcn sozialen Uebergangs- sstufen, die ihrer ganzen Gesinnung nach der Unordnung und dem Bürgerkrieg abgeneigt waren. Jetzt aber greift an ihnen Erbitterung und Verzweiflung um sich, und da der Staat die Not, wenn nicht verschuldet, so doch untätig duldet, so wächst der Haß gegen den neuen Staat; keine Bersassungsfeiern können dem entgegenwirkcn, alles Ge­rede von denErrungenschaften der Revolution" und dem sozialen Zug der Zeit klingt den Verhungernden und Versinkenden nur wie Hohn. Aber das Schicksal dieser Mittelschichten ist auch das Schicksal der deut­schen Kultur, denn sie sind seit langem die eigent­lichen Träger des geistigen Lebens in Deutschland, aus ahnen gingen die meisten Führer in Wissenschaft, Kunst und Technik hervor, sie bewahlenc die Ueberlieferungen und vererbten den Schatz deutscher Bildung von einer Generation zur anderen. Was soll in Zukunft aus unserer Literatur werden, wenn niemand aus diesen Schichten sich mehr ein Buch kaufen kann oder ins Theater gehen kann, was aus der Musik, wenn ein In­strument unerschwinglich ist und selbst Noten nicht mehr angeschafft oder Konzerte besucht werden können? Soll wirtlich nur der Snob und der neue Reiche den Ton an­geben und das Kino allein herrschen? Auch der Wissen­schaft droht unersetzliche Einbuße, wenn der Nachwuchs aus den gebildeten Schichten ausbleibt. Damit geht dann auch Technik und Wirtschaft furchtbar zurück. Und wie soll das Volk wieder zu Arbeitsamkeit und Sparsamkeit zurückgebracht werden, wenn es täglich vor Augen sieht, wie Menschen, die ihr ganzesLeben hindurch gearbeitet und gespart haben, mehr als der Durchschnitt, am Ende ihres Lebens ver­hungern, während viele das Geld vergeuden? Ist erst einmal die Genußsucht und Verantwortungslosigkeit auch! m diesen Kreisen heimisch, dann ist sie nur schwer aus­zurotten und unser Volk ist moralisch noch ärger ver­seucht.

So hat der Staat kein dringenderes Interesse, als den Untergang von den Mittelschichten abzuwenden, er schützt damit seine festesten Grundlagen und die Kultur unseres Volkes. Er erfüllt aber auch eine sittliche Pflicht, denn er selber hat zu dem Niedergang beigetragen. Durchs den Begriff der mündelsicheren Papiere hat er viele veranlaßt, ja gezwungen, ihr Vermögen so anzulegen, daß es jetzt von der Geldentwertung besonders getroffen wird. Vor allem aber hat er die Zeichnung der Kriegsanleihe zur vaterländischen Pflicht gemacht, kann dann aber auch nicht die, welche sie erfüllt und ihr Vermö m ganz oder zu großen Teilen in ihr angelegt haben, im Stiche lassen, während er denen, die das Vater­land im Stich gelassen, täglich höhere Belohnungen für

izurückgehaü nesSVow verMtcyr.' Heute fleht bereits der, ^welcher 10 Goldstücke bewahrt hat, besser als^der Be­isitzer von l Million Kriegsanleihe. Das ist geradezu «ine Prämie für. Landesverrat. ?-SS ,

S Man sollte erwarten, daß ein Staat, der sich sozial Rennt durchgreifende Maßnahmen ergriffen hätte. Aber RichtS davon. Milliarden sind gegeben für die Arbeits­losenversicherung, mit Recht, obwohl sicherlich viele dar­unter" waren und erst recht sein werden, die auch etwas Vorsorgen konnten für die Zeit der Not. Dann müssen aber auch Milliarden vorhanden sein für die Erhaltung solcher, die alles in ihren-Kräften stechende getan haben, UM sich einen Sparpfennig zurückzulegen und den Staat ,zu, entlasten^ Statt ; dessen hat man sich mit geringen Steuerermäßigungen^begMgt, nimmt vielen aber auch Mochzsdie KapitalrentenstäNr ab, und will jetzt nrit pri­vater Wohltätigkeit chelfen.HWohl öffnet sich auch dieser ein weites Feld, aber, ansreichen kann sie nicht entfernt !und der Staat kann sich von seiner Pflicht zu eigenem -Eingreifen nicht befreien. Nicht Almosen fordert der Mittelstand, sondern staatliche Dilfe, genau -wie einst der Jndustriearbeiterschaft mit Ser großen so­zialen Gesetzgebung geholfen wurde.^DäsESchwergewicht cher sozialen..Frage hat-fich-^cheute nach der Seite des MitteIAandes verschooen.

An Maßnahmen kommen in Betracht staatliche Zusatzrenten sür erwerbsunfähige, die vom Ertrage ihres Vermögens nicht'mehr bescheiden leben könnm; hier­bei werden durch Abstufung der Renten die Zeichner von "Kriegsanleihe besonders zu bevorzugen sein. Auch .staatliche Zuschüsse zu freiwilliger Versicherung für den-Kr - nkchei-t's-fall und für Sterbekassen sind zu erwälgen, "denn-es ist ein ungesunder Zustand, daß ein Arbeiter mit 300000 Mark Verdienst die Wohltaten der Versicherung genießt, ein Angehöriger des Mittelstan­des mit 30 000 Marll dagegen nicht. 'Wenn auch die Not des Mitetlstandes mit - dem.. NiedergangDeutsch­lands in untrennbarem Zusammenhang steht, so ist sie doch zu Mildern und cs skann verhütet werden, daß er die ganzen Lasten trägt.

Die Mittel für eine durchgreifende Hilfe sind zu be­schaffen, wenn man nur sich entschließt, eine Sonder- , besteuerung der Jugendlichen einzuführen. Stets ^ wird beobachtet und darauf hingewiesen, daß die ledigen Jugendlichen dank ihres nahezu gleichen Verdienstes sehr viel besser gestellt sind als die älteren Familienväter und vergeuden können, während diese nicht wissen, wie sie Klei­dung und Nahrung beschaffen sollen. Von dem über­mäßigen, für unsere Wirtschaft schädlichen Verbrauch ent­fällt ein Hauptanteil auf die Jugendlichen. Es ist daher ein Gebot sozialer Gerechtigkeit, sie stärker zur Steuer heranzuziehen, etwa durch einen Zuschlag von mindestens 10 v. H. des Einkommens. Große steuertech­nische «Schwierigkeiten sind auch nicht vorhanden, bei den meisten Jugendlichen würde ja nur der Lohnabzug zu ver­doppeln sein, wenn auch natürlich nicht nur die Lohn­empfänger der Steuer zu unterwerfen wären. Nimmt man nun als Jugendliche die erwerbsfähigen von 14 ins 25 Jahren, so kommt mau auf ungefähr 2 Millionen in Handel und Gewerbe tätigen, wozu dann noch die in der Landwirtschaft beschäftigten, die Selbständigen und die Beamten kämen, alles in allem an die 3 Millionen, von denen sicher 2/3 unverheiratet sind. Da der Jahresver­dienst sich meist auf über 100000 Mk. belaufen wird, so ist ein Ertrag einer lOprozentigen Steuer auf 20 Milliarden zu veranschlgagen. Hiermit ist etwas Durch­greifendes für den Mittelstand zu erreichen, wie die Wohltätigkeit nie annähernd leisten kann. Auch die Fnvalidenr entner und Kriegsopfer können bedacht werden. Da die Steuer alle Klassen treffen würde und großen Schichten des Volkes zu gute käme, müßten die Partüen sich darüber einigen können. Jedenfalls eröffnet sich den bürgerlichen Parteien, die den Schutz des Mittelstandes wollen, ein großes Feld der Betätigung.

Bor einer Regierumrnmbildung.

Berlin, 12. Nov. Ter Reichskanzler empfing die Parteiführer der Koalitionsparteien sowie der Deut­schen- und Bayerischen Volkspartei, um sich mit ihnen über die Arbeiten des zweiten Ausschusses zur Auf­stellung eines Wirtschaftsprogrammes zu un­terhalten. Hauptgegenstand der Aussprache bildete e- doch die Frage der Re g i e r u n r S u m b i ld u u

An der Besprechung nahmen fast sämtliche Mir in-r der Reichsregierung teil. Ter Reichskanzler eröffnete die Sitzung mit längeren Ausführungen, wobei er er­klärte, daß der Reichspräsident ihn mit der Umbildung der Reichsregierung beauf­tragt habe. Es sei seine, des Reichskanzlers Absicht, deshalb sofort jenes Problem in Angriff zu nehmen und zu diesem Zweck mit den ihm geeignet er­scheinenden Männern der Wirtschaft in Verhandlungen einzutreten.

Ter Reichskanzler hat also nicht die Absicht, die ! Deutsche Volkspartei in die Regierung offiziell einzu- . beziehen, sondern statt eines Koalitionskabinetts ein l Kabinett des wirtschaftlichen Wiederau f- ! baues zu bilden. Ter Reichskanzler will bereits mit den einzelnen Parteien und Persönlichkeiten Fühlung nehmen. Es sei seine Absicht, die Frage der Regie­rungsumbildung, wenn irgend möglich, im Laufe der neuen Woche zu klären. In Betracht kommen dabet nicht nur die freien Posten des Auswärtigen Am­tes. des Wiederaufbauministeriums und ei» Ministerposten ohne Portefeuille, sondern auch eine Neubesetzung der Wirtschafts- und Ver­kehrsministerien. Es dürfte sich dabei in erster Linie um das Reichspostministerium und um das' Reichswirtschaftsministerium handeln. Ueber die Per­sonenfrage läßt sich im allgemeinen noch nichts Be­stimmtes sagen. Nur soviel sei bemerkt, daß sür das Auswärtige Amt Geheimrat Cuno, der General­direktor der Hamburg-Amerika-Linie in Aussicht ge­nommen ist. Nach dem Verlauf der bisherigen Unter­haltungen, die der Reichskanzler mit ihm hatte, nimmt man an, daß Herr Cuno, wenn ihm der Posten offiziell angeboten werden sollte, sich diesmal nicht ablehnend verhalten dürfte.

Wie derLokalanzeiger" erfährt, erschienen die Ver­treter der demokratischen Fraktion beim Reichskanzler, um ihm mitzuteilen, daß die Fraktion den Eintritt der Deutschen Volkspartei in die Regierung für erforderlich halte. Sozialdemokraten und Zentrum werden dieser Frage in den nächsten Tagen näher treten. Bestimmte Entschließungen werden dann Wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Wie dasBerliner TageSatt" wissen will, hat dag Abg. Hermann Müller als Sprecher der Sozial»; demokraten erklärt, daß seine Partei gegen de»; Eintritt von Männern der Wirtschaft in die Reichs­regierung niemals etwas cinzuwenden gehabt habe. Tagegen sei die Sozialdemokratie nach wie vor gegen eine offizielle Zusammenarbeit mit der Deutschen Bolkspartei.

Tie Umbildung des Reichskabinetts.

Berlin, 12. Nov. TieDeutsche allg. Ztg." schreibt zu dev Frage dev Regierungsumbildung: Die Frag? der Ausgestaltung des Reichskabinetts scheint sich aus innerpolitisch-parlamentarischen Gedanken mehr und mehr hervorzuheben. Es ist aber überall die Lage jetzt soweit geklärt, als daß es nicht wahrscheinlich ist, daß die Mitteilungen in allen Formen über die Um­bildung oder Neubesetzung verschiedener Ministerien bereits im Stadium der Verhandlungen ist. Wirklich ernsthafte und offizielle Verhandlungen zwischen dem Reichskanzler und den Parteien können auch zurzeit noch nicht stattgefunden haben, da mehrere führende Persön i' ketten von Berlin abwesend sind und da die Fraktionsführer bis jetzt von seiten ihrer Parteien noch nicht zu Verhandlungen mit der Regierung über eine Regierungserweiterung die Ermächtigung haben.

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MiWhafisprograrrime der Parteien. *

Im Zusammenhang , mit derz, Reparationskrise undii der bevorstehenden NenbilduMderMegierung, die durch einKabinett des wirtHaftlichen Wiederaufbaus^ vor sich gehen soll, haben vsrschied.ene Parteien Wrrt-i schaftsprogramme entworfen:-- ^ ;

Tie Deutsch demokratische Partei hat ein Wirtschafts-' programin ausgestellt, worin es u. a. heißt: Nicht »rnst genug kann davor gewarnt werden, den unter den heutigen Zuständen besonders leidenden Volks­schichten eine sofortige oder bald eintretende Besserung ihrer Nöte durch Markoesestigung oder Markstützung zu; versprechen. Mit der Fortdauer unverschuldeter Not­stände muß leider auch weiter gerechnet werden. Aus­gabe des Staates muß es sein, diese Notlage durch alle geeigneten Maßnahmen, insbesondere eine warmherzige Wohlfahrtspflege, möglichst zu erleichtern. Ms inner» politische wirtschaftliche Maßnahmen werden dann u. a. verlangt: Steiaernna der Nukwirkuna der wirtschaft-