Amtsblatt für den Bezirk Nagold und für Altsnsteig-Stadt. Allgemeiner Aiyeiger für dis Bezirks Nagold, Calw und Freuden stadt

i «ikOMsjs» ^ V-H «Ad» d«u «MM» frei in! HauS «onatüch 100 Mark > Mr UrEsr «örr ^«rm Us«« 8 Mk>, >»k Nills«kzeii« 30 Mk. Mtsdestüelre >

- M LEÄ»«KE»«« Mmr M««v Mr kivikchmtch mt SesenM». > tinrt Smw:«« SS Mk. Äo Mrs-kÄl»«»»« Ksöstt. Äst KtMozlserruz W d«r Rabatt hmfälli»-

US Äen Tannen SW-b«

IlWN"-r-

M'W

t' 7?»

WM

Kr. L3S.

AttenAeig, Donnerstag den 1». Oktober

Jahrgang rsrr

Deutschland und die Ostfragen.

Ter Gesandte z. D. Geheinrrat R i e z l e r-Berlm fand auf dem vierten Reichsparteitag der Teutschen demokrati­schen Partei in Elberfeld stürmischen Beifall mit sii..vr Ausführungen über unser Verhältnis zu den L'tmächten. Ten Kern des Vortrags bildeten War­nungen vor jedem Optimismus für ein bal­diges Wiedererstehen Rußlands, kritische Betrachtungen über den Wert und die Durchführung des Vertrags von Rapallo, trübe Bilder unserer Ohnmacht und Zerrissen­heit und schließlich doch noch ein warmer Appell zur Einigkeit und Geschlossenheit. .Geheimrat Riezler besprach die Bedeutung und die Entwicklung der Probleme im Osten von Finland bis Konstantinopel, die im Frieden von Versailles niedergelegte französische Politik mit dem Stsatenkranz im Osten zwischen Teutschland einerseits und Rußland und dem Orient anderseits und ging dann mit wenigen Bemerkungen über Deutsch-Oesterreich zu dem großen russischen Problem über. Im wesentlichen führte er dazu aus:

Bei dem russischen Problem ist die Grundidee der französischen Politik, daß es ein Rußland als aus­schlaggebender aktionsfähiger Faktor in der europäischen Staatengemeinschaft nicht gebe. Wie heute, so beruhte schon unter Ludwig XIV. die französische Politik auf der Grundlage, im Osten willige Bundesgenossen zu schaf­fen, auf daß Frankreich für seine Politik der Reunionen am Rhein und in Flandern freie Hand habe. Als dann später in Rußland Peter der Große aktiv auf dem Felde Europas erschien, brach die Politik Ludwigs XIV. zu­sammen. Das Wiedererscheinen Rußlands als Staaten- tzebilde dürste auch heute das französische Hegemonie­system wie ein Kartenhaus zusammenwehen. Frankreich würde aber sofort versuchen, an Stelle der polnischen Zange getsen Teutschland beide Länder zu einer einzigen Zange zusammenzuschließen. Frankreich kennt die Schwä­chen seiner Machtposition. Deshalb hat es sich im Frie­densvertrag von Versailles im Par. 116 die Handhabe gegen ein wiedererstehendes Rußland geschaffen. Dieser Paragraph räumt den Verbündeten das Recht ein, Ruße- lands Forderungen gegen Teutschland geltend zu machen. Im Vertrag von Rapallo hat nun Mßland auf diesen Paragraph verzichtet. Frankreich hat freilich, wenn es auch alles daransetzt, Rußland nicht in die Höhe kommen zu lassen, zurzeit noch keinen Anlaß, auf Rußland beson­ders zu achten. Zurzeit ist Rußland noch kein derartiger Machtfaktor. Es liegt in Wirtschaftsnöten zusammen­gebrochen da. Hierüber dürfen uns weder die Gewandt­heit der russischen Diplomatie noch die Paraden der Trotz- ki'schen Armee täuschen. Bis auf weiteres liegen noch auf jeder praktischen Wiederaufbauarbeit ungeheure Hemmun­gen. Trotzdem haben die europäischen Staaten, einer nach nach dem andern, in der Erkenntnis der Unentbehrlichkeit Rußlands für den Wiederaufbau Europas sich nicht abhal­ten lassen, wenigstens mit der Arbeit zu beginnen und Handelsverträge abzuschließen. Es ist doch schon manches in aller Stille gefangen worden, das Schnellste und Erfolgreichste nicht von uns. Auf dem Papier geblieben ist zum größten Teil der Vertrag von Rapallo. Er ist gültig und abgeschlossen nur für das eigentliche Zentralrußland, nicht aber für die Föderativstaaten: Ukraine, Kaukasus, Sibirien und Weißrußland. Wir haben schon vor Monate gelesen, daß die Parallelverträge mit diesen Föderativstaaten dem Abschluß nahe seien, aber von einem Abschluß haben wir noch nichts gehört. Tie Gründe liegen nicht auf russischer, sondern auf deutscher Seite. Ich habe mich vergeblich bemüht, ausreichende Gründe dafür zu erfahren. Es war vielleicht nicht ganz ungefährlich, damals den Vertrag von Rapallo abzu­schließen. Nachdem man ihn aber abgeschlossen hat, ist schlechterdings nicht einzusehen, warum man nicht, nach­dem man Ä gesagt, auch das leichtere B und C sagt, zu­mal in allen Ländern eine industrielle Regsamkeit für Rußland sich geltend macht. Tie russische Politik, die zwar sehr schwächlich ist. aber sich in der beneidens­werten Lage befindet, von jeder innern Hemmung und Einwirkung frei zu » in, ist überall am Werk. ^ apan ist behutsam und vorsichtig. Die nördlichen Randstaaten sind gegenüber der Räteregierung gefügig, und wenn auch Verträge in die Rechte der Randstaaten emgreifen, machen sie von ihrer Selbständigkeit Moskau gegenüber wenig Gebrauch. Tie Lage im Orient gibt der Räteregierung 'manchen Vorteil in die Hand. Rußland hat zu eine Abrüstungskonferenz nach Warschau einge­

laden, eine Konferenz, die bewerfen foltte, oaß nicht Rußland, sondern die Nachbarstaaten und ihr Protektor, Krankreich, schuld daran seien, wenn nicht abgerüstet, son­dern weitergerüstet werde Trotz dieser Geschicklichkeit der russischen Diplomatie wollen wir uns nicht ein starkes Rußland Vortäuschen. Rußland ist sehr schwach und auf lange Zeit kein Faktor, auf den Frankreich mit Sorge zu blicken hätte.

Ich komme zu dem Problem der türkischen Frage, dem jetzt aktuellsten Problem. Auch die Türkei haben die Verbündeten auf dem Papier aufgeteilt und sind dadurch sin eine Politik geraten, die durchzuführen sie weder mili­tärische Kraft und Einigkeit besaßen. Tie kleinasiatischen Türken wehrten sich mit bewundernswerter A-sdauer. Wir sehen nunmehr, wie England isoliert, durch A Ver­hältnisse gezwungen, eine radikale Schwenkung zu voll- sühren versucht. Ob diese Schwenkung heute noch mög­lich ist, oder ob das englische Weltreich durch Ungeschick­lichkeiten oder Zwischenfälle gezwungen wird, sich doch noch im Orient auf einem Terrain zu engagieren, von wo es .sich zurückgezogen hat, steht dahin. Wir können nur wün­schen, daß England die Gelegenheit bekommt, einen der bedenklichsten Fehler seiner Geschichte noch in letzter Stunde zu korrigieren. England hat sich in den letzten drei Jah­ren darauf versteift, gegen alle Warnungen der Orient­kenner Griechenland als eine Großmacht aufzublähen und jgegen den Strom zu schwimmen. Es ist gezwungen wor­den, Position um Position zu räumen. Jeder von uns

kommt aber auch bei der Beobachtung dieser Tinge auf den Gedanken, daß dort auch über unser Schicksal entschie­den wird, und deshalb die Rückwirkung der orientalischen Frage bis an den Rhein und bis in den Wiederhev- stellungsausschuß fühlbar werden kann.

Was folgt nun aus einer solchen Lage für uns? Wir spüren die Rückwirkungen aller Fragen, an denen wir nicht direkt beteiligt sind, und wir müssen in einer Zeit der größten äußern Gefahr unsere innere Konsoli- dierung durchzu setzen suchen. Ein Volk, das in solche Lage ist, wie wir es sind, müßte alles daransetzen, seine wirtschaftliche Kraft und seinen moralischen Willen derart geschlossen unter einer einheitlichen und ruhigen Leitung zusammenzufassen, daß diese Faktoren wenigstens nach steten Plänen und in kühler Ueberlegung im Spiel der Kräfte zurückgehalten werden könnten. Das ist aber nicht der Fall. Wir gebärden uns, als hätten wir Muße und Zeit, planlos durcheinander zu reden, als könne jeder auf eigene Faust Politik machen und Sonderriemen aus der Haut des Staates schneiden. Wir scheinen uns nicht klar zu sein, daß wir durch eine solche Zersplitte­rung im Volke selbst diese Regierung in eine Kraft­vergeudung drängen, die, statt nach einem festen Plan das Gebäude auszubauen, sich darauf beschränken muß, die eingetretenen Ereignisse hinterher zu besprechen und zu kommentieren. Ich will nicht Kritik an der heutigen Re­gierung üben, ich verkenne nicht die ungeheuren Schwie­rigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hat. Aber ich habe die Tätigkeit der Staatsmaschine genug in der Nähe beobach­ten können, um zu erkennen, daß die Maschine oft leerläuft und ein großer Teil der Arbeit nutzlos vertan wird. Wer mit Ausländern sich unterhält und auch die uns wohlmei­nende Presse und Zeitschriften im Ausland verfolgt, kann sich nicht verhehlen, daß diese junge deutsche Re­publik noch ein sehr schwaches Gebilde ist, eingekeilt zwischen den Gewerkschaften einerseits und der Industrie und dem Landbund anderseits, nicht überall als Machtfaktor gewertet, der einheitlich und aktionsfähig ist. Aller Aufgabe sei es deshalb, die Sache des Staates über alle andere zu stellen und durch eine streng sach­liche Politik den jungen Parlamentarismus von seinen Kinderkrankheiten zu befreien, auf daß noch zur rechten Zeit der junge deutsche Staat ein lebendiger Körper und das Volk eine seelische Einheit werde.

Deutschland und der Völkerbund.

* Tie Streitfrage, ob Deutschland dem Völkerbund be­treten soll oder nicht, beschäftigt augenblicklich wieder cin- man in besonderem Maße die politischen Kreise. Am Samstag empfing der Reichspräsident Ebert den schwe­dischen Ministerpräsidenten Branting und gelegent­lich der sich bei dem Essen entwickelnden politischen Aus­sprache soll sich Herr Branting auch für de:: Eintritt Deutschlands in den Völkerbund -ihr warm ausaeivrocben baben. Von Herrn Ebert dam . oebauvten

dieLeipz.N.N.". daß er den Gedam ablehnte, und zwar >umter .Hinweis darauf, daß, solange die Ver­einigten Staaten von Nordamerika dem Völkerbund nicht angehören, die Sache auch für Teutschland nicht in Frage kommen könne. Hinzugefügt muß noch werden, daß die Anschauung des Reichspräsidenten auch von der Reichs­regierung ge'teilt wird. Es ergibt sich somit ein eigenartiger Gegensatz, daß auf der einen Seite der Reichs­tagspräsident Löbe den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund auf den Schild erhebt, wie aus seiner Stel­lungnahme beim letzten sozialdemokratischen Parteitag hervorgeht, auf der anderen Seite aber der jedenfalls sozialistisch gesinnte Reichspräsident der Frage ablehnend gegenübersteht. Tie neue sozialdemokratische Fraktion wird bei weiterer Aufrollung der Angelegenheit nicht um­hin können, Klarheit in ihren eigenen Reihen zu bringen und einen entsprechenden Beschluß herbeizuführen, ob man sich der Auffassung Löbes oder der des Reichspräsi­denten Ebert zuwenden will. Tie amtlichen Stellen in dieser Hinsicht befragt, zeigen sich zurückhaltend.

Graf Bernstorfs verbreitete sich aus dem demokrati­schen Parteitag in Elberfeld eingehend über den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund. Die Frage müsse geprüft werden, denn 1. seien wir von England zum Eintritt auf­gefordert worden, und 2. sei es bestimmt, daß die Ent­schädigungsfrage nirgendwo anders als im Völkerbund gelöst werden könne, und 3. habe die Sozialdeinokratie eine Entschließung gefaßt, die Regierung aufzufordern, eine völkerbundfreundliche Politik zu treiben. Graf Bernstorsf, der die Ansicht vertrat, daß Amerikas Eintritt in den Krieg nur möglich war, weil es in Teutschland den In­begriff Pazifistischen Gegnertums erblickte, war der Auf- fasiung, daß die völkerrechtliche Bindung innerhalb des Völkerbunds nicht so stark sei, daß sie uns hindern könnte, eine unfern deutschen Interessen genehme Politik zu treiben. In Genf sei einzig und allein der Pun kt, wo deutsche Politik und deutsche Ehrenrettung wieder einsetzen könnte. Man brauche nicht zu fürchten, daß Teutschland bei seinem Eintritt gezwungen werden könnte, eine neue Erklärung über unsere Schuld am Kriege abzugeben, wenn wir uns auf den Artikel 19 der Bölker- bundsakte und auf die Mantelnote Clemenceaus beriefen, wonach der Völkerbund eine Einrichtung sei, den Fris- densvertrag von Versailles zu revidieren, wenn sich Punkte ergäben, die nicht mehr stichhaltig seien. Wir müßten dort erscheinen, wenn wir auf friedlichem Wege eine Aenderung des Versailles Vertrages erreichen wollten. Tie oberschlesische Frage wäre zweifel­los besser in deutschem Sinne geregelt worden, wenn wir s. Z. Sitz und Stimme im Bölkerbundrat gehabt hätten. Tie von uns getrennten Deutschen könnten eines Tages den Vorwurf erheben, daß von Deutschland ver­säumt worden sei, über ihr Schicksal im Völkerbundrap mitzuberaten. Das stärkste Argument, das ihn für den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund stimme, sei, daß Frankreich sieb die größte Müh? gebe, uuiern Eintritt zu verhindern. Ter Völkerbund werde Deutschland Gelegen­heit geben, vor dem Forum der ganzen Welt zu sprechen. Professor Quidde trat ebenfalls für die Eintritt Deutsch­lands in den Völkerbund ein. Abg. Korell bekannte sich als scharfer Gegner des Eintritts in den Völkerbund Tie ungerechte Entscheidung über das Saargebret und Oberschlesien könnten ihn nicht zu dem Gedanken bringen, daß mit dem Eintritt etwas für Deutschland heraus­komme. Wenn Freunde des Völkerbunds der Ansicht ftien, daß der Bund ein Resonnanzboden für deutsche Propaganda sein müsse, so antworte er, daß deutsch­freundliche Reden in Genf auch von fremden Korrespon­denten nicht anders verbreitet würden, als wie die Aus­führungen von prominenten Persönlichkeiten innerhalb des Reichs über deutsche Schuld oder Nichtschuld am Kriege. Er verglich den Völkerbund mit einem Kasino von Pharisäern und Sadduzäern, die zwar nicht in Jerusalem, aber in Genf säßen. Gesetzt den Fall, daß Teutschland in den Völkerbund eintrete, sei immer noch nicht abzusehen, ob Frankreich nicht austräte und ob der Völkerbund nicht auseinanderfallen würde. Wenn ein Deutscher im Völkerbund deutsche Propaganda treiben wolle, daß sei er der Ueberzeugung, daß man dieses Thema sofort abbrechen und Gelegenheit nehmen würde, auch im Böllerbund Teutschland als den Störenfried der Welt an die Wand zu malen. Er befürwortete zum Schluß eine scharfe in deutschem Sinne geleitete Propaganda von allen Kreisen, denen das Wobl Teutscblands am Herzen liege.