223 .

Amts- und AuzergeblatL für den Oberamlsbezirk Calw.

88. Jahrgang.

Erscheinungsweise: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im OberamtS- t>ezirk Calw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg.. außerhalb desselben 12Pfg., Reklamen 25 Dfg. Schluß für Jnserarannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Mittwoch, den 24. September 1913.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mt. L..26 vierteljährlich, Post» bezugSpreiS für den Orrs- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mr. 1.30^ Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg.. in Bayern und Reich 42 Pfg.

Der albanische Hexenkessel.

Ter Krieg der Balkanstaaten gegen die Türkei hat u. a. auch die staatspolitische Regelung der albanischen Frage mit sich gebracht. Von Oesterreich und Italien ist im Einvernehmen mit Deutschland die Selbständig- machung Albaniens als Fürstentum durchgesetzt morden. Vermutlich wird ein deutscher Fürst den albanischen Thron besteigen. Auf der Grundlage eines selbstän­digen, neutralen Albaniens konnte das wankende euro­päische Gleichgewicht aufgebaut werden. Schon bei der Gründung dieses neuen Albaniens wußten die Urheber, daß Albanien in der Zukunft noch nicht so rasch zur Ruhe kommen werde. Das albanische Volk ist an Raub und Kampf und Morden mehr gewöhnt, als an bür­gerliche Ordnung und gemeinstaatliche Gesinnung. Aber was zunächst diese Bedenken weit zurückzustellen zwang, das war das Schlachten der verbündeten Balkanstaaten unter sich, das nicht zuletzt auch darin seine Ursachen hatte, daß Griechen und Serben, die auf Albanien oder Teile davon als Siegespreis warteten, sich die er­wartete Beute entgehen lassen mutzten. Die Bulgaren wurden von den Griechen und Serben geschlagen und der zweite Teil des Balkankrieges endete mit der Auf­teilung Mazedoniens unter die Besieger Bulgariens. Serbien und Griechenland können nunmehr ihr Augen­merk mehr als bisher Albanien zuwenden, da sie wie­der freies Spiel haben. In Albanien stehen noch massenhaft serbische Truppen und es hat den Anschein, als ob die nicht nur zur Deko"ut'on und zum Manöver» spiel dort stünden. Der Umstand nämlich, datz die Ab­grenzung Albaniens gegen seine Anrainer noch nicht festgelegt ist, datz der Verlust von Skutari eben nicht so rasch verwunden werden kann, macht die Serben namentlich kühner und begehrlicher: so gut die Tür­kei durchsetzen konnte, datz sie Adrianopel wieder zurück­erhielt, so unmöglich ist es nicht, datz auch ihnen bei ent­sprechend forschem Auftreten die Eier nach Albanien auf irgend eine Weise gestillt wird. Mit den noch im albanischen Land stehenden Truppen werden die 'wilden Stämme des Landes fleißig zu Aufständen her­ausgefordert. Und dann ist der Fall bald praktisch, datz Serbien veranlaßt wird, mit bewaffneter Hand einzu­schreiten. Dann aber gute Nacht selbständiges Albanien, gute Nacht vielleicht auch schönes europäisches Gleich­gewicht! Und zu aller Verirrung kommt noch, datz Essad Pascha neuerdings sein Haupt erhebt. Der einstige Gouverneur von Skutari, der sich bei der Uebergabe der Festung an die Montenegriner in zum mindesten zwei­felhaftem Lichte zeigte, der ferner schon auf dem Sprunge war, sich auf den Schultern seiner Soldaten zum Herrscher von Albanien zu erheben, sieht die Stunde gekommen, da er wieder heraustreten mutz. Und der Verdacht steigt auf, datzder große Beweger der Mensch­heit auf dem Balkan", der russische Rubel oder der ser­bische Dinar, treibende Kräfte des neuen Spiels sind. Es war nur zum Schein, daß Essad Pascha, nachdem er von seinem Plane, Herrscher von Albanien zu wer­den, abstehen mutzte, sich an der vorläufigen Regierung des Landes beteiligte, indem er sich zum Minister des Innern machen ließ. Oesterreich-Ungarn hat auf der Hut zu sein. Die Hafenstädte Albaniens wenden ihr Gesicht den Lebensadern der Donaumonarchie zu und der ganze Aufwand an militärischen Machtmitteln, der Oesterreich in so große Kosten stürzte, ist erfolgt, um zu verhindern, datz sich vor den Toren des Doppelreichs eine feindliche Macht drohend aufrichte. Man sollte glauben, daß Serbien und Griechenland sich hüten, in denselben Fehler zu fallen wie Bulgarien, das heute, als Folge seiner Unersättlichkeit, gebrochen und ge­schwächt am Boden liegt. Die Einsicht der Staats­männer der beiden Staaten, sollte man annehmen dür­fen, sei immerhin, nachdem sie ein so drastisches Bei­spiel am früheren großen Bundesbruder haben, ver­ständiger als ihre Machtgelüste groß. Denn selbst, wenn die Serben und Griechen heute nach Albanien losziehen würden: morgen raufen sie sich gegenseitig selbst!

Belgrad, 23. Sept. Die Kämpfe an der serbisch-alba­nischen Grenze nehmen immer mehr den Charakter eines Krie­

ges zwischen Serbien und Albanien an. In dem Kampfe bei Reka verloren die Serben 32 Mann und die Albanesen 200. In der Schlacht bei Pischkopeia betrugen die Verluste der Albanesen 174 Mann, die der Serben 42. 27 000 Albanesen marschieren auf Debar los.

Stadt» Bezirk «nd Rachbarschast

Talw, 24. September 1913.

Herbstanfang.

Gestern hielt der Herbst seinen offiziellen, kalendermäßigen Einzug. Wunderprächtige Farben lagern auf Wäldern Wie­sen und Gärten, und wenn die Sonnenstrahlen darüber glei­ten, dann glitzert es in tiefen, satten, bunten Tinten. Reich­lich hat die Mutter Natur ihr Füllhorn ausgeschüttet und Birnen und Pflaumen in Menge beschert, dazu den Pfirsich, die Aprikose, die köstlichen Weintrauben so daß man schon zu­frieden sein kann. Freilich, die letzte Reife ist zugleich ein Hinweis auf das allmähliche Absterben der Natur. Schon raschelt es müde in den Zweigen, und es fallen wie jedes Jahr, eins nach dem andern, die gelben Blätter. Wehmütige Stimmungen überkommen den empfindsamen Menschen, die die Dichter oft zum Ausdruck gebracht haben. So singt Ludwig Tieck in seinem Herbstliede:

Doch als ich Blätter fallen sah,

Da dacht ich: Ach, der Herbst ist da!

Ter Sommergast, die Schwalbe, zieht;

Vielleicht so Lieb und Sehnsucht flieht Weit, weit Rasch mit der Zeit.

"Uber man soll nur nicht den Kopf hängen lassen. Ein an­derer Dichter, August Mahlmann, hat ja so hübsch getröstet. Die Liebe kehrt wohl wieder,

Im künft'gen lieben Jahr.

Und alles tönt dann wieder.

Was hier verklungen war.

Und gibt es nicht auch im Menschenleben so manches Mal nach vielem Hin und Her ein ruhiges Glück? Die Lebens­wünsche sind ein wenig zusammengeschrumpft, der unbändige Feuerdrang der Jugend liegt weit zurück. Es ist Herbst ge­worden, es hat sich aber auch eine gereifte und abgeklärte Weltanschauung eingestellt, die ihre eigene Note, ihre eigene Freude hat.

8t. Vom Realpvogymnasium. Oberreallehrer Dr. Brösamlen am hies. Realprogymnasium ist eine Ober­reallehrerstelle am Karlsgymnasium in Suttgart über­tragen worden.

Die 2. Dienstprüsung für kath. Volksschullehrer und Volksschullehrerinnen wird vom Montag den 13. Oktober ab in 3 Abteilungen des Kultministeriums, Alter Postplatz, ab­gehalten.

An die Rekruten. In kurzer Zeit rücken die Rekruten zu ihren Truppenteilen ein. Um sie nun vor etwaigen Nachteilen zu schützen, die ihnen durch den Verlust der Quittungskarten zur Invalidenversicherung erwachsen können, wird ihnen em­pfohlen, diese Quittungskarte bei der Ortsbehörde ihrer Hei­mat oder ihres letzten Beschäftigungsortes zu übergeben. Sie erhalten hierfür eine Aufrechnungsbescheinigung. Werden sie dann vom Militär wieder entlassen, so erhalten sie überall, wo sie Arbeit nehmen, auf Grund dieser Bescheinigung eine neue Karte, in welche auch die gediente Militärzeit eingetragen wird.

scb. Mutmaßliches Wetter. Für Donnerstag und Frei­tag ist mehrfach bedecktes, auch zu Niederschlägen geneigtes, jedoch zeitweilig aufheiterndes Wetter zu erwarten.

Pforzheim, 24. Sept. Zwei Eoldarbeiterinnen ge­rieten gestern mittag 12 Uhr in der belebtesten Straße vor der Musikalienhandlung Erietzmayer aus Eifersucht in Streit, wobei die eine die andere in das Schau­fenster warf. Dieses zerbrach, und die Hineingeworfene erlitt erhebliche Verletzungen. Außerdem wurden für über 100 -R Musikinstrumente zertrümmert. Die Po­lizei führte die zwei Holden unter dem Gelächter des zahlreichen Publikums auf die Wache.

WSrtte«berg.

8. Tagung deutscher Berufsvormünder.

II.

Stuttgart, 23. Sept. In der Nachmittagssitzung fand erst eine kurze Mitgliederversammlung des Archivs

deutscher Verufsvormünder statt, in der der bisherige ständige Ausschuß einstimmig wiedergewählt wurde. Alsdann erstattete Stadtsekretär Fink (Brünn) Be­richt über die Frage der gegenseitigen Unterstützung der Berufsvormundschaften. Er führte aus, datz die Verfolgung von Alimentenansprüchen meistens dadurch besonders erschwert werde, datz der Kindsvater sich möglichst weit vom Wohnsitz der Mutter entferne, ja sogar ins Ausland gehe. Wenn man nun die Ver­folgung der Rechtsansprüche den Gerichten überlasse, so sei dies eine die Sache selbst erheblich schädigende Be­handlung, weil ihr die persönliche Note fehle. Es fei deshalb anzustreben, datz die Berufsvormünder unter sich sich gegenseitig in jedem Fall Unterstützung gewäh­ren, sowohl in prozessualer, wie auch in außergericht­licher Hinsicht. In der Vormittagssitzung wurde der Jahresbericht des Archivs deutscher Berufsvormünder verlesen und ein Vortrag über die Stellung der Be­rufsvormundschaft gegenüber Gericht und Polizei ge­halten. Wünschenswert sei, datz zwecks besserer Durch­führung von Fürsorgematzregeln gegenüber den Mün­deln vollkommenere, einheitlichere oder gleichmäßigere Regelung des Rechtshilfeverkehrs zwischen den deut­schen Gerichten und Verwaltungsbehörden und zwischen den deutschen Verwaltungsbehörden untereinander ge­troffen wird.

Die Dragonerselbstmorde.

Stuttgart, 24. Sept. Die Schwäbische Tagwacht hat vvr kurzem berichtet, ein Unteroffizier des Dcagoner-Regimenrs König Nr. 26 habe sich im Manöver erschossen. Diese Nach­richt entbehrt, nach dem Staatsanzeiger, jeder tatsächlichen Unterlage. Auch die bei der Besprechung der am 23. April bezw. 16. August erfolgten Selbstmorde zweier Dragoner der 1. bezw. 2. Eskadron desselben Regiments aufgestellte Behaup­tung, einer von ihnen sei auf der Stallwache von Kameraden mißhandelt worden, ist unrichtig. Der Dragoner der 1. Es­kadron vor und während seiner Dienstzeit mehrfach bestraft, hat sich erschossen, nachdem seine Versuche, unter falschen Vorspiegelungen und unter Drohung mit Selbstmord sich von seinen Angehörigen Geld zu verschaffen, erfolglos geblieben waren. Die eben abgeschlossene Untersuchung über den zwei­ten, am 16. August 1913 vorgekommenen Selbstmord eines Dragoners der 2. Eskadron hat ergeben, daß der Selbstmord in keinen Beziehungen zu dem militärischen Dienste stano, vielmehr mit größter Wahrscheinlichkeit auf Umstände persön­licher Art zurückzuführen ist. Der Verstorbene war ein braver, bei Vorgesetzten und Kameraden beliebter Soldat und nach Aussage seiner Angehörigen mit Leib und Seele Soldat und gerne beim Regiment. Noch wenige Tage vor seinem Tode wurde er für seine tüchtigen Leistungen als Fechter und Schütze ausgezeichnet. Ueber den Selbstmord eines Sanitäts- unteroffiziers des oben genannten Regiments ist die in allen Fällen eines Selbstmords bezw. des Versuchs eines sol­chen stattfindende gerichtliche Untersuchung noch nicht ab­geschlossen. Es ist aber nach den bisherigen Erhebungen fast mit Sicherheit anzunehmen, daß es sich bei diesem Fall über­haupt nicht um einen ernstlich beabsichtigten Selbstmord handelt.

Korpsmanöver.

Kirchberg an der Jagst, 23. Sept. Eine rote Armee ist über Kirchberg im Anmarsch in der Richtung auf Rupperts­hofen, um die rechte Flanke der im Bühlerabschnitt haltenden Armee zu decken. Die blaue 27. Division ist durch das Kocher­tal aus der allgemeinen Richtung Geislingen-Hall im An­marsch gegen den rechten Flügel einer feindlichen Armee, die mit ihren äußersten Truppen bei Einkorn steht. Als linker Flankenschutz ist eine Kavalleriedivision über Künzelsau-Nes- selbach im Vormarsch; sie stellte bei Sandelsbronn den An­marsch der 26. Division fest. Auf Grund dieser Meldung drehte der Führer von Blau seine Division in der allgemeinen Rich­tung Jlshofen-Sandelsbronn ab, um den Gegner über die Jagst zurückzuwerfen, nachdem er den unmittelbaren Flanken­schutz der Armee zum Rückzug gezwungen hatte. In der Folge kam es zwischen einer Brigade von Blau und der 26. Division zum Kampfe, der wegen der Uebermacht der letzteren und weil bei Blau die zweite Brigade nicht rechtzeitig in den Kampf eingreifen konnte, für Blau ungünstig ausfiel. Als aber die blauen Haupttruppen im Süden der Bahn erfolgreich waren und die ganze 22. Division zur Verfügung stand, wurde dem