222. Amts- und Auzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 88. Jahrgang.

LrsHetnungsrveise: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts­bezirk Talw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg., Reklamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Dienstag, den 23. September 1913.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post» LezugSpreiS für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.

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Den nahe bevorstehenden Vierteljahrswechsel nimmt das Lalwer Tagblatt zum Anlaß, sich seinen verehrten Lesern und Freunden wieder besonders in Erinnerung zu bringen.

Das kommende Winterhalbjahr wird auch unsere Zeitung gerüstet finden, die Ereignisse auf politischem, wirtschaftlichem, lokalem und allgemein kulturellem Ge­biet ihren Lesern in sachlicher und rascher Weise zu übermitteln, sodaß wir unserem Ziele, unter den ge­gebenen Umständen das Möglichste an Inhalt, Form und Aufmachung des Blattes zu leisten, immer näher rücken.

Damit wollen wir unfern Lesern erneut die Gewähr dafür geben, daß sie auch am bescheidenen Lokalblatt einen guten, im Haus und in der Familie willkom­menen Freund haben.

Das Lalwer Tagblatt bietet sich seinen Beziehern an in erster Linie als ein

Lokalblatt

Die Geschehnisse in der Oberamtst'ladt und an den Orten des Bezirks, soweit sie für die Oeffentlickkeit von Wichtigkeit sind und ihr dienen, finden Besprechung und werden ausgezeichnet im Lalwer Tagblatl und zwar mit einer Ausführlichkeit und in einer Mannigfaltigkeit, die ihnen die auswärtigen Zeitungen nie angedeihen lassen können. Die Wiedergabe der

Rathausverhandlungen

der Stadt und einzelner Bezirksorte,

AmtrversaniiiilringLberiehte

welche die Bürgerschaft des Bezirks fleißig unterrichten über den Gang der Verwaltung des Oberarnisbezirks die umfassende Berichterstattung über alle

Veranstaltungen

kommunaler, geselliger, künstle-ischer, festlicher Art, die nach Möglichkeit geübte Pflege und Förderung

heimischen Valkrtninr

sie sollen an erster Stelle den Inhalt unsres Lalwer Tagblatts ausmachen und sie sollen es sein, die unsere Zeitung dem Einwohner des Bezirks zu einer unent­behrlichen machen. Das Blatt des Heimatbezirks gehört in jede Familie, in der man den Zusammenhang mit den Begebenheiten innerhalb des Oberamts nicht verlieren will.

Erschöpft ist mit dieser bevorzugten Behandlung des lokalen Gebiets die Aufgabe unserer Zeitung aber noch nicht. Frisch und lebendig greift sie mitten hinein in den wogenden Strom der Zeit und weist auf die politischen, religiösen und kulturellen Wellenschläge, die er wirft.

Wohnungsnot und Kinderelend.

Der Jahresbericht der Deutschen Zentrale für Ju­gendfürsorge enthält einen Beitrag über die Wohnungs­verhältnisse, denen die kleinen Berliner Klienten der Fürsorgestelle entstammen. Man liest Bekanntes, oft Dargestelltes, aber insofern die Wohnungsnot hier als bestimmender Lebensumstand verwahrloster Kin­der auftritt, wird diese eine Seite ihrer schlimmen Wir­kungen ins hellste Licht gesetzt. Besonders zwei Um­stände: Die Unmöglichkeit der Eeschlechtertrennung und das Schlafstellenunwesen. In fast der Hälfte der Fa­milien, deren Kinder zu Schützlingen der Jugendfürsorge werden, leben familienfremde Personen, Burschen und Mädchen. In doppeltem Sinn treibt da die Wohnungs­not die Menschen zusammen: Der Mangel an Ledigen- wohnungen zwingt die jungen Leute in die elenden, übervölkerten Quartiere kinderreicher Familien, und der Mangel an erschwinglichen Familienwohnungen zwingt zur Aufnahme von Einmietern. Wie es um die

h« A«ek TOM.

Leitartikel

beleuchten große Fragen der Zeit knapp und verständlich, die Rubrik

Württemberg

erzählt von der engeren Heimat und

Air Welt «nd Zeit

entnommen sind die großen und kleinen Begebenheiten im In- und Ausland.

Lairbrvirtsehaft an- Märkte

unterrichten über den Gang von Handel und Wandel auf diesem wichtigen Gebiet. Ein

<Sericht»faal

macht mit der Rechtsprechung unserer Gerichte bekannt, während der

SxreMaal

den Lesern zum sachlichen Meinungsaustausch öffentlich interessierender Angelegenheiten offensteht.

Schließlich rnöckten wir in besonderem Maße auf den unterhaltenden Teil des Lalwer Taablatts aufmerk­sam machen Zunächst auf die regelmäßig im Zweiten Blatt enthaltene Rubrik:

Arrr HStze« and Tiefen Unter ihr sammeln wir sorgsam ausgewählte Bei­träge von Dichtern und Denkern, Arbeiten wissenschaft­lichen, vornehm unterhaltenden und anregenden Inhalts, die auch die gebildeten Kreise befriedigen, hierher ge­hören gleichwohl unsere

Rsmane

Den Namen E. T. A. hoffmann, Wilhelm Hauff, Adalbert Stifter, Joseph von Eichendorff, die wir neu im Lalwer Tagblatt aufleben ließen mit ihren Werken, werden in den nächsten Monaten mit Novellen oder Erzählungen folgen: Die gemütvolle Lharlotte Niese, der große Schwede Björnstjerne Björnson und der deutschfühlende, prächtige Adolf Schmitthenner.

Je mehr das Lalwer Tagblatt durch Erhöhung der Zahl seiner Leser Unterstützung findet, desto gründ­licher und vollkommener kann es eine beachtete Tages­zeitung unter ihren großen und kleinen Schwestern werden und ein geachtetes Lokalblatt bleiben.

Wir kickten deshalb an alle bisher uns treuen Abonnenten die höfliche Bitte, Leser unsres Blattes zu bleiben und ersuchen MehlSvonnentei». Sich llil K0M- menaen leisten llietteilahr Meres Zahler rum «esug Ser Lalwer Lsgblattr ru entrchliessen.

Der vezirgxreks

beträgt: In der Stadt mit Trägerlohn Mark j.25 vierteljährlich, Postbezugspreis für den Orts« und Nach­barortsverkehr Mark f.20, im Fernverkehr Mark j.ZO. Bestellgeld in Württemberg 30 pfg.

MMm M Verlag des Awer TGlatts.

kinderreichen Familien steht, davon gibt der Bericht die folgenden Beispiele:Zwar sind Fälle, wie z. B. die Zusammendrängung von 9 Personen, darunter 5 unter 14 Jahren, in nur einer Küche mit Kammer, oder, wie es der Fall war, bei einem früher selbstän­digen Schuhmacher, von neun erwachsenen Per­sonen in einem Zimmer und einer Kammer, oder wie bei einer Familie, bestehend aus Eltern und 7 Kin­dern (alle unter 14 Jahren), die von ihrer Wohnung Zimmer, Küche, Kammer nur das Zimmer zum Wohnen und Schlafen benutzte, als besonders schlimme Ausnahmen zu bezeichnen. Es wurden jedoch Fälle folgender Art häufig angetroffen: Eltern und 8 Kin­der, darunter 2 über 14 Jahre, müssen sich wegen der langen Arbeitslosigkeit des Vaters mit einem Zimmer und einer Küche begnügen; im Zimmer stehen zwei Betten, in deren einem der Vater mit 2 kleinen Mäd­chen, in deren anderem 4 kleine Mädchen schlafen; die Mutter schläft mit den übrigen beiden Kindern in einem Feldbett in der Küche. Mann, Frau und 101

der noch lebenden 13 Kinder die Frau hatte 17 Ge­burten wohnen in zwei Zimmern und einer Küche; sie müssen sich mit drei Betten und einem Kinderwagen für ihre Ruhe begnügen. Die Eltern und 9 Kinder unter 14 Jahren wohnen in einem Zimmer mit Küche. Der Mann ist arbeitsscheu; die ganz zusammengebroche­ne Frau kann nur 15 -N in der Woche verdienen. Die Familie besitzt als Schlafstelle ein Bett mit Kissen ohne lleberzug und eine Bettstelle, die nur mit Lappen und Tüchern bedeckt ist. Sie müssen in ihren Kleidern schlafen. Ein Ehepaar mit 7 Kindern, darunter 5 unter 14 Jahren, bewohnt Zimmer und Küche; ein Vor­hang teilt das Zimmer in zwei Hälften, auf die sich die Familie verteilt. Als normal wären folgende Fälle anzusehen: Die Kellerwohnung besteht aus Zimmer und Küche, in dem Zimmer schläft die eheverlassene Frau mit ihren 5 Kindern, alle zusammen in drei Bettstellen.

Eltern und 5 Kinder, darunter 2 über 14 Jahre, bewohnen eine Stube, eine Küche, einen Korridor. In der Stube stehen zwei Betten und ein Sofa, auf dem Korridor wird nachts ein Feldbett aufgeschlagen. In zwei Zimmern und einer Küche wohnen die Mutter, 9 Kinder 6 über 14 Jahre, ein uneheliches Enkel­kind und die Braut des Sohnes, je zu zwei in einem Bett. Hier, wie in sehr vielen anderen Familien, ist eine Geschlechtertrennung der erwachsenen Mitglieder undurchführbar." Für das Schlafgängerwesen nennt der Bericht die folgenden Fälle als normale:Die El­tern und 2 erwachsene Töchter bewohnen das einzige Zimmer, der erwachsene Sohn mit einem Schlafbur­schen die Kammer. Die Küche ist zu eng, als daß ein Bett darin aufgestellt werden könnte. Eine geschie­dene Frau mit drei kleinen Kindern teilt ihre Wohnung (Zimmer und Küche) mit einer unverheirateten Be­kannten und deren beiden 1- und 3jährigen Kindern.

Eine eheverlassene Frau bewohnt mit ihrem ^jäh­rigen Sohn und einem Schlafmädchen die Küche. Im Zimmer wohnen zwei Schlafburschen. Daneben finden sich aber viel höhere Personenzahlen, die durch das Schlafgängerwesen verursacht werden: Eltern und 4 Söhne haben 2 Zimmer und Küche und beherbergen im zweiten Zimmer zwei Schlafburschen. Ein taubstum­mes Ehepaar mit 3 ganz gesunden Kindern gibt zwei seiner vier Betten an Schlafburschen ab; die Sauberkeit der Zimmer-Küchenwohnung läßt viel zu wünschen üb­rig. Eine Familie, bestehend aus Eltern, 3 Söhnen über und 6 Kindern unter 14 Jahren, hat in ihre Zim­mer-, Küche- und Kammerwohnung noch zwei Schlaf­burschen ausgenommen; diesen 13 Personen stehen 8 Bettstellen zur Verfügung."

Nimmt man noch hinzu, daß in diesen Wohnungen auch die Kranken von den Gesunden nicht getrennt werden können, so hebt es sich aus diesen Einzelfällen wie eine Kette verhängnisvoller Ursachen und schlim­mer Wirkungen: Kinderreichtum, Wohnungsnot, Ueber- füllung, Unsauberkeit, Krankheit, Verarmung, Cchlaf- gänger, sittliche Verwahrlosung, Kinderelend. Anfang und Ende dieser Kette schließen sich zusammen zu der Wahrheit, daß der ersehnte Eeburrenreichtum in Fluch gewandelt wird, in eine Belastung der Gesellschaft mit gefährdeten Wesen, daß Kinderreichtum aus einer Quelle der Kraft eine Quelle der Not und des Nieder­gangs wird.

Stadt» Bezirk ««d Bachdarschaft

Talw, 23. September 1913. Mitgliederversammlung des Bezirkswohltätigkeitsver­eins Calw.

Am gestrigen Nachmittag hielt der Bezirkswohltätig­keitsverein im Saale des ev. Vereinshauses seine Ver­sammlung ab. Den Vorsitz führte Dekan Roos. Die Besucher setzten sich aus den Spitzen der staatlichen und städt. Behörden, Ortsvorstehern, Geistlichen aus Stadt und Land und einigen wenigen sonstigen Freunden der Bestrebungen des Vereins zusammen. Dekan Roos er­wähnte in seiner Begrüßungsansprache, daß es zum erstenmal sei, daß der Verein eine derartige allgemeine Mitgliederversammlung abhalte. Dann berichtete er