Amtsblatt für den Bezirk Nagold und für Altensteig-^tadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirks Nagold, Lalw und Frsudenstadt
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M1e»ste8g, Freitag -e« 9. Juni
Jahrgang rssr.
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Weltmarktpreise.
Das jtarke Anziehen der Preise ist vielfach eie ein künstlicher Versuch bezeichnet worden, die Inlands veeste den Auslandspreisen zu nähern. Zunächst ist darauf aufmerksam zu machen, daß es einheitliche Weltmarktpreise nicht gibt und auch nie gegeben hat. So schwankte im Jahre 1913 der Preis für eine Tonne Weizen auf den Auslandsmärkten zwischen 150 Mark, der in Odessa für ukrainischen Weizen, und 226 Mark, der in Paris für französischen Weizen gezahlt wurde. Die Wsizen- vreise in Frankreich standen sogar weit über dem Durchschnitt des deutschen Weizenpreises. Für guten deutschen Mittelweizen wurden damals in Magdeburg 193 Mk., in Danzig sogar nur 179.80 Mk. gefordert und bezahlt. Dagegen lagen die Roggenpreise in Deutschland etwas höher als an den wichtigsten europäischen Getreidebörsen. Das gilt auch für die Viehpreise, namentlich für Rindvieh und Schweine, die im Inland höher notierten als in Oesterreich-Ungarn oder in Englaird. Internationale Preismessungen sind in der Regel nur für Erzeugnisse möglich, die so ziemlich in allen Wirtschaftsländern Vorkommen, wie z. B. für Brotgetreide und Schlachtvieh. Anders liegen die Dinge, wenn es sich um Monopol- artikel handelt. Die nordamerikanische Baumwolle ist War kein Monopolartikel, aber der Preis wird doch schließlich! in New Orleans gemacht, wobei Güte und Umfang der Ernte den Ausschlag geben. Wenn die Baum- wolleinheit in Liverpool, dem Hauptbaumwollmarkt der Erbe, 11.28 Schilling kostet, so bestimmt das auch den Preis für die Baumwolle in Bremen. Das bedeutet: für Rohstoffe, die wir aus dem Auslande beziehen müssen, müssen wir auch die Auslandspreise anlegen, die auf der anderen Seite aus den Preis des im Inland hergestellten F.rtigerzeugnisses einwirken.
Dies erklärt, warum beispielsweise für Textilien die sogenannten Weltmarktpreise erreicht sind. Äuslands- w Üe und -baumwolle, die jetzt in deutschen Fabriken ver- a leitet werden, sind zu einer Zeit eingekauft worden, als die starke Aufwärtsbewegung des Dollars schon eingesetzt hatte. Es kommt außer den Rohstosfkostcn in Mtracht, daß gerade in der Textilindustrie die Löhne verhältnismäßig hoch sind. Gewiss auch! die Spinnereien und Webereien waren trotzdem in der Lage, hohe Dividenden auszuschütten. Abgesehen davon, daß es sich d bei um entwertete Papiermark handelte, befinden sich die industriellen Unternehmungen hinsichtlich ihrer Dividenden-- valitik in einer Art Zwangslage. Wenn sie keine oder nur geringe Dividenden ausschütten, um den Reingewinn e s Werkserneuerungskonto vorzutragen, so setzen sie s'ch der Gefahr aus, daß sich ihnen der Geldmarkt bei i! men Kapitalaufnahmen versagt. Diese Kapitalaufnah- men sind notwendig, um die Betriebsmittel zu erhöhen, da die eigenen Einnähmen nicht ausreichen, um Rohstoffe nud neue Maschinen zu kaufen. Nun hat sich der Geldmarkt infolge der starken Ansprüche versteift. Es wird von Tag zu Tag schwieriger, neue Betriebskapitalien aufzunehmen. Daraus h ' sich allgem/in der Zwang entwickelt, die Preise für di "nie io hoch zu treiben,
da sich erforderliches Bel meruugskapital
aus dem Gewinn bilden 'kraft im Inland ist dieser Zwangsla« >, hsen, da das
Einkommen großer Verkämst,, >. '-'wrhalb des
Vorkriegseinkommens liegt. D. r irr der
Hauptsache die Belastung Schuir, e Wirtschaft
Äs Folge des verlorenen Krieges aus ,icy nehmen muß. «nrde aber versucht, den Ausgleich dadurch zu schaffen, daß die Preise mittels gesetzestechnischer Eingriffe ge- sssskt werden, so würde der Kapitalauszehrungsprozeß der Wirtschaft noch weiter fortschrciten. Entweder müßte aus- E»bisches Kapital hereingenommen werden, oder aber du Stillegung der ausgezehrten Betriebe wäre unvermeidlich. Das zeigt, daß es eine Frage auf Leben und ^°d für die deutsche Wirtschaft ist, daß das Entschädi- AUHsproblem in einer Weise gelöst wird, die nicht zum Achtum führt. Um den Zwang der Mehrarbeit und -Mehrleistung werden wir auch dann nicht herumkom- En. Tatsächlich ist die deutsche Wirtschaft durch den ilUeg und die Kriegsfolgen unterhöhlt worden.
Der Prozeß Killinger.
In Ergänzung unseres gestrigen Berichtes fahren nnr heute mit der Schilderung der 1. Sitzung fort:
Ter Angeklagte von Killinger,
^n grober Mann mit markanten Gesichtszügen und
straff gescheitelten Haarenx ivrrr> AE nach Der Besetzung der Geschworenenban? vernommen. Ihm wird vorgeworfen, den beiden mutmaßlichen Mördern Erzbergers Schulz und Tillessen bei ihrer Flucht behilflich gewesen zu sein und sie damit der Strafverfolgung entzogen zu haben. Er hat in der Zeit vom 29. bis 31. Mai 1921, also wenige Tage nach der Ermordung Erzbergers, die Reisekoffer des Schulz in seiner Wohnung in München aufbewahrt. Um Schulz der Verhaftung zu entziehen, hat er ihn im Auto weggebracht. Er hat sich bereit erklärt, den Briefwechsel Schulz' unter seiner Adresse zu verdecken. Der Angeklagte setzt darauf seinen ganzen Lebensgang auseinander. Bei der Marine war er Kommandant von U-Boot 45. Nach der Revolution schloß er sich zur Bildung von Freiwilligenkorps an den Kapitänleutnant Erhardt an und bekam den Befehl über eins Kompagnie von 80 bis 100 Unteroffizieren, die Mannschaftsdienst verrichteten. Weiter war er bei der Nie- derkämpfung der Räteregierung, den Kämpfen in Oberschlesien, bei Streiks an vielen Orten tätig. Im Herbst 1919 trat Schulz in seine Kompagnie. Am 1. September bekam Killinger eine Offizierskompagnie, in der Schulz Zugführer wurde. Im Dezember 1919 naHm Killinger seinen Abschied, weil er sich nicht mit den neuen politischen Verhältnissen befreunden konnte. Er begab sich nach München.
Hier gab der Vorsitzende Aufschluß über die desi Mordes an Erzberger Beschuldigten. Daran, ist im wesentlichen folgendes ersichtlich: Schulz war bei der Ausführung des Mordes 28, Tilleffen 26 Jahre all. Beide waren anfangs Juni 1920 in die unter dem Abgeordneten Dr. Heim arbeitende Zentralgenossenschaft in Recensburg cingetreten. Sie haben dort, wie ans Briefen hervorgeht, ein sehr geringes Einkommen bezogen. Es wird von einem Monatsgehalt von 600 Mk. gesprochen. Anfangs Juni 1921 begaben sie sich in der Absicht, zu studieren, nach München, wo sie mit Killinger zusammcntrafen.
Tie Organisation L 74
in München, deren Leitung in den Händen v. Killin- gers lag. umfaßte etwa 400 bis 500 Mitglieder. Sie hatten sich zum Ziel gesetzt, gegen kommunistische Streiks aufzutreten. An der Spitze der Gesamtorganisation stand Kapitänleutnant Erhardt, der sich jetzt .flüchtig im Ausland aufhält. Die Organisation O bedeutet den Geheimausdruck für „Consul". Die Oraanisation zerfiel in drei Abteilungen, X Sammel- ftellen aller Nachrichten unter Leitung Hoffmanns, der das Material weiterzugeben hatte, 6 Provaganda- stelle, der Killinger Vorstand, mit der Aufgabe, in verschiedenen Städten neue Mitglieder zu werben. In dieser Abteilung waren Schulz und Tilleffen tätig. Außerdem ein gewisser Baldenius. O Presse und politische Abteilung, die die Zeitschrift „Wiking" herausgab. Als Zweck der Organisation ergibt sich aus den Satzungen, die der Vorsitzende verlas, die Bekämpfung der Weimarer Verfassung. Die Organisation nennt sich eine O-Organisatton, was v. Killinger mit Geheimorganisation bezeichnet. Mitglied konnte nur werden, wer drei Bürgen stellte, die bestätigten, daß der Bewerber einwandfreier Deutscherist. Jedes Mitglied mußte dem Vorsitzenden unbedingten Gehorsam geloben. Paragraph 7 der Satzung bestimmt: „Juden und Ausländer sind von der Aufnahme ausgeschlossen." Die Parole lautete: „Für Deutschlands Wiedergeburt!"
Killinger hält die gegen den Ermordeten erhobenen Vorwürfe wegen Unterzeichnung des Friedensvertrags für unrecht, weil nichts anderes übrig geblieben sei, als den Vertrag zu unterzeichnen, nachdem der In- fanterist sein Gewehr weggeworfen und der Kanonier seine Kanone verlassen habe. Im Gegenteil sei er z gleich seinen Kameraden für die Unterzeichnung des > Vertrages von Versailles wie Erzberger eingetreten. ! Ihm sei nichts davon bekannt, daß von einer gewalt- , strmen Beseitigung Erzbergers gesprochen worden sei. Er weiß auch nicht, von welcher Seite Mittel für diesen Pl--^ zur Verfügung gestellt wurden. Er weiß nur, daß Kreise aus Industrie und Landwirtschaft waren, dst nteresse an seiner Organisation hatten. Anfangs August 1921 ging Schulz und Tillessen in Urlaub. Der Angeklagte genehmigte ihnen, obwohl ? keinerlei Aufzeichnungen darüber gemacht wurden, etwa z drei oder vier Wochen Ferien. Am 1. August ging ! Schulz in das Haus Tillessens. Hier schrieb er einen ! Frachtbrief, der zerrissen im Papierkorb aufge- j funden wurde, der eine Regensburger Adresse auf- ! wies, wie auch aus einem Brief des Schulz vom 27. ! Juni 1921 an die Tochter seiner Wirtin in Regens- > bürg zu ersehen ist, daß er zwei Tage seines Urlaubs j in Regensburg verbringen wollte. Jedoch schon tags z darauf schrieb er einen zweiten Frachtbrief, worin j er seinen Koffer nach Saatfeld sandte. Am 4. Anankt >
rg Der Koffer aufgegevrn nvorben. Während der ganzen Urlaubszeit der beiden hat Killinger keine Post von ihnen erhalten. Ihr Verkehr sei nicht sehr freundschaftlich gewesen. Er habe erst am 27. August ein Lebenszeichen erhalten. An diesem Tage fand er einen von Tilleffen geschriebenen Zettel vor, wonach er von diesem in den Englischen Garten gebeten wurde zu einer zwanglosen Zusammenkunft. Hierbei wurde hauptsächlich von den Arbeiten der Organisation, von dem Morde an Erzberger nur nebensächlich gesprochen. Am Vormittag des 29. August waren Schulz und Tilleffen bei Killinger aus dem Büro. Am nächsten Tage sprachen Schulz und Tillessen wieder auf dem Büro bei Killinger vor. Hier erst teilten sie ihm mit. daß sie ihre Koffer in seine Wohnung geschickt hätten, weil sie noch ins Gebirge fahren wollten. Am darauffolgenden Dienstag kamen die beiden wieder zu ihm mit der Mitteilung, sie hätten ihre Absicht geändert und baten nochmal um acht Tage Urlaub nach Lindau, Den genauen Zeitpunkt ihrer Abreise weiß der Angeklagte nicht. Am 9. September kehrte Schulz allein zurück teilte v. Killinger mit, er wolle aus der Zentra'Organisation austreten da man ihm in Lindau eine einträglichere Stelle in Berlin verschafft habe. Hierbei habe Killinger bei der Erwähnung der Ermordung Erzbergers im Scherz gesagt, Schulz könne ja auch der Mörder sein, weil er auch eine Narbe aus der Nase habe wie der steckbrieflich verfolgte Mörder.
Zu Beginn der Nachmittagssitzung verlas der Vorsitzende einen Brief, den Schulz an seine Mutter geschrieben hat. Er sagt darin, es gehe ihm finanziell gut und es werde ihm jetzt möglich sein, Geld nach Hause zu schicken. Er erinnerte seine Mutter daran, daß jetzt die Landtagswahlen bevorstünden und riet seinen Angehörigen, deutsch national zu wählen. Er kenne viele Abgeordnete dieser Partei, die für die Kleinrentner einträten. Sie solle nicht liberale Volkspartei wählen, weil das die Partei der Kapitalisten sei, und nicht demokratisch, denn das sei die Partei der Juden. Er bemerkte dann noch in dem Briefe, Weng seine Mutter an ihn schreiben wollte, so solle sie das unter der Adresse Killinger tun. — Der Angeklagte v. Killinger bemerkt dazu, davon wisse er nichts.
Die Zeugenvernehmung.
Zuerst sollte als Zeugin Frau Erzberger vernommen werden. Sie ließ sich aber durch Krank- heitentschuldigen.
Als erster Zeuge wurde deshalb Reichstagsabgeordneter Diez Radolfzell vernommen, der am 26. August 1921 in Griesbach angekommen war, um mit Erzberger zusammenzutreffen. Diez gibt dann eine Schilderung der Vorgänge vor und nach der Mordtat. Er teilt mit, daß auf dem Spaziergang auf der Straße von Griesbach zuerst zwei türme Männer ihnen folgten, sie dann überholten und, als sie umgereyrt waren, wieder hinter ihnen gingen. Plötzlich seien die beiden vor sie gesprungen und hätten mehrere Schüsse abgegeben. Von einem dieser Schüsse wurde Diez getrosten und ohnmächtig. Als er wieder zu sich gekommen war. suchte er Bluffpuren folgend nach Erzberger und fand ihn tot. Hoch oben am Wegrand standen die beiden Männer. Dann eilte er fort, um Hilfe zu holen.
Als nächste Zeugen wurden die Landwirte Panther und Huber vernommen, die in unmittelbarer Nähe der Mordstelle mit Heuen beschäftigt waren. Als sie die Schüsse hörten, glaubten sie. es handle sich um Wilderer. Sie gingen in der Richtung der Schüsse und fanden Erzbe-ger tot auf. Huber erkannte in dem Toten Erzberger.
Amtmann Dr Licrmann, der 1921 beim Amtsgericht in Oberkirch tätig war und die ersten Maßnahmen nach dem Mord leitete, sagt, auf die Frage des Verteidigers, warum nach dem Mord nicht sofort der Bahnhof Oppenau gesperrt worden sei, er habe anfänglich gar nicht genügend Polizei zur Verfügung gehabt.
Bezirksarzt Sartori in Oberkirch gab einen Bericht von der Oeffnung der Leiche. lieber die Gesundheits- Verhältnisse Erzbergers erklärte er, Erzberger sei Todeskandidat gewesen: er habe an Arterienverkalkung gelitten und ein dopvelt so großes Herz gehabt wie andere normale Menschen. Sechs von den acht auf Erzberger abgegebenen Schüssen seien tödlich gewesen, und zwar hätte jeder einzelne der sechs Schüsse den Tod herbeiführen müssen.
Nach einer kurzen, unwesentlichen Zeugenvernahme eines Polizeibeamten wird die Weiterberatung auf Donnerstag vormittag vertagt.