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Amts- und Auzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

88. Jahrgang.

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Samstag, den 20. September 1913.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post- LezugSpreiS für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr ML. 1.30« Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg-

Was kostet und was leistet die Kirche?

6p. Unter dieser Ueberschrift erschien in Nr. 207 des Calwer Tagblatts ein Artikel, der auf Grund einer Angabe des bayrischen statistischen Amts, nach der in Bayern Stiftungen in Höhe von 719 Millionen Mark für die Kultuszwecke der beiden Konfessionen bestehen, desKirchenvermögen" in Deutschland aufruhig 3 Milliarden Mark" angibt. Diese Schätzung, so schreibt die Evg. Pressekorr. dazu stimmt deshalb nicht, weil in Bayern, das bis vor kurzem keine Kirchensteuer hatte, das fundierte Kirchenvermögen höher als in andern Ländern ist. Zudem wäre es, auch wenn sie richtig wäre, völlig irreführend, obige Summe schlechtwegKir­chenvermögen" zu nennen. Die Kirche besitzt überhaupt nichts, oder wenig in dem Sinne, wie ein Privatmann etwas besitzt, der über seinen Besitz nach freiem Er­messen verfügen kann. Alles Vermögen der Kirche ist mit moralischen oder gesetzlichen Verpflrcytungen be­lastet, z. V. für Kirchengebäude'und Personalaufwand, für Armenzwecke, Witwen- u. Waisenpflege, Erziehung verwahrloster Kinder u. dergl.; es wächst also nicht als totes Kapital an. Die Kirche verwaltet es nur, sie besitzt" es höchstens auf dem Papier. Wenn eine ge­naue Statistik, die, falls sie möglich wäre, auch von kirchlicher Seite nur freudig begrüßt werden könnte, auch Milliarden ergeben sollte, so ist das kein Vermögen zur toten Hand", sondern ein Vermögen in lebendigem Fluß. Völlig unbegründet ist ferner die Behauptung: während die bescheidenste Aktiengesellschaft über die Verwendung privater Kapitalien öffentlich Rechnung legen müsse, gebe die Kirche keine Rechnung über ihre durch Steuer erhobenen öffentl. Gelder. Aus unschwer zu erklärender Scheu halte man sogar alle Statistik vor der Oeffentlichkeit zurück." Die kirchliche Finanzverwaltung braucht die Oeffentlichkeit keines­wegs zu scheuen. Tatsächlich wird auch nichts in ihr der geordneten öffentlichen Einsichtnahme entzogen, und nur demagogische Blindheit und völlige Unkenntnis des kirchlichen Lebens kann einen derartigen Verdacht aus­sprechen. Jede Kirchengemeinde beschließt durch ihre geordnete Vertretung, den Kirchengemeinderat, die Höhe der Steuer nach Maßgabe Bedarfs; dieser Steuer­beschluß unterliegt, um vollstreckbar zu werden, der Prü­fung der Eemeindekollegien, sowie der Genehmigung der kirchlichen Aufsichtsbehörde und der Regierung. Und nachher wird die etatsmäßige Verwendung der Steuer­gelder wiederum genau kontrolliert. Der Etat, sowie die gestellte Rechnung werden eine bestimmte Zeit zur öffentlichen Kenntnisnahme aufgelegt, so daß also von irgend welchen Dunkelheiten nirgends die Rede sein kann. Daß in W ü r t t emb e r g auf Grund des von den Landständen beratenen Hauptfinanzetats die Pfar­rer vom Stat besoldet und die kirchlichen Gebäude teil­weise von ihm unterhalten werden, ist übrigens keines­wegs, wie der Verfasser zu glauben scheint, eine frei­willige Leistung des Staats, sondern beruht auf einer mit der Einziehung des alten Kirchenguts übernomme­nen Verpflichtung. Und nun was leistet die Kirche? Als Einziges weiß der Verfasser jenes Ar­tikels anzuführen,daß ein Hauspflegeverein in Berlin 135Diakonissinnen" unterhalte, während dort 244 evangelische Geistliche amtieren. Daraus so heißt es wörtlich weiter scheint doch hervorzugehen, daß die Selbstverwaltung der Städte die soziale Wohlfahrts­pflege der Kirche weitaus überflügelt hat." Die Logik dieser Sätze verstehen wir offen gestanden nicht; es ist auch im Grunde schade, daß.der Anonymus nicht so konsequent und beschlagen war, auch die 135 Diakonissen, die ja nicht direkt von der Kirche unterhalten werden, >wch vollends zu streichen und zu sagen, die Kirche leiste für ihre großen Einnahmen überhaupt nichts. Es wäre damit allerdings auch die ganze Oberflächlichkeit eines derartigen Rechenverfahrens zu Tage getreten. Wo ließen sich geistige Einflüsse überhaupt mit Zahlen mes­sen? Damit jedoch die Zahlen, die nun einmal für Manchen das Einzige sind, was Beweiskraft hat, nicht ganz fehlen, so seien wenigstens einige Werke angeführt. Neben den unmeßbaren geistigen Einflüßen dürfen als

Früchte dieser kirchlichen Arbeit doch wohl alle Werke freiwilliger kirchlicher Liebestätigkeit bezeichnet wer­den. Allein in Berlin wirken z. B. nicht nur jene 135 Schwestern des Hauspflegevereins, die der Artikel auf- sührt, sondern dazu noch 1260 Diakonissen. Die Zahl der Diakonissen aller deutschen Anstalten, welche dem sog. Kaiserswerther Verband angeschlossen sind, beträgt auf 6500 Arbeitsfeldern: 17 661; dazu kommen 4803 Schwestern anderer kirchlicher Verbände. 3388 Diako­nen stehen als Gemeinde- und Krankenpfleger, als Hel­fer an Anstalten, Herbergen, Fürsorgehäusern usf. 460 Herbergen zur Heimat gewähren jährlich 2>- Millionen Schlafnächte, davon 540 000 völlig unentgeltlich. Die innere Mission erzieht im Auftrag des Staates gegen eine minimale Entschädigung in ihren Anstalten 12 000 Fürsorgezöglinge, für deren Unterhalt eigentlich der Staat zu sorgen hätte. Allein in Württemberg haben im Jahr 1912 1446 Schwestern im ganzen 135 505 Kranke verpflegt; 60 Pflege- und Fürsorgeanstalten be­herbergen ca. 6000 Pfleglinge. 3000 persönliche Kräfte stehen als Anstaltsleiter, Hilfs- und Pflegekräfte in Württemberg im Dienste der christlichen Liebestätig- keir. Dabei ist von der kirchlichen Fürsorge für die Ver­krüppelten, Siechen. Epileptischen, für entlassene Gefan­gene und Entgleiste, Trinker und Gefährdete usw. noch gar nicht die Rede, ebensowenig von den Summen, die die Kirche für Arme, Witwen- und Waisenpflege und dergl. jahraus jahrein aufwendet. Das alles sind Ar­beiten, die mit viel Aufopferung und Hingabe geleistet werden, ohne daß in der Oeffentlichkeit Aufhebens da­von gemacht wird; wer sie wirklich kennt und nur der hat ein Recht, darüber zu urteilen wird nicht den Eindruck haben, daß die Arbeit der Kirche umsonst geschehe. Was die Kirche leistet, würde in seiner ganzen Bedeutung sofort ins Licht treten, wenn diese Leistun­gen eines Tages plötzlich verschwänden.

Bom sozialdemokratischen Patteitag. v.

Jena, 19. Sept. Der gestern mitgeteilten Resolution Wurms zur Steuersrage setzte der Luxemburg- Flügel eine radikalere Eegenresolution entgegen, in der behauptet wird, alle öffentlichen Steuern im heutigen Klassenstaat, ob formell auf den Besitz oder auf den Arbeitsverdienst gelegt, ob als sogenannte direkte oder indireke Steuer erhoben, würden in letzter Linie von den arbeitenden Klassen aufgebracht, da diese es seien, die in der heutigen Gesellschaft allen gesellschaftlichen Reichtum schafften. Eine revisionistische Resolution verlangt uneingeschränkte Anerkennung der Haltung der Reichstagsfraktion zu den beiden Besitzsteuergesetzen. Dr. Südekum hielt das Korreferat zur Steuerfrage, das er in außerordentlich geschickter und gewandter Weise dadurch vertiefte, daß er die Haltung der Reichs­tagsfraktion bei der Deckungsfrage als eine wichtige Etappe auf dem Wege der Entwicklung von den rein politischen Steuern zu den sozialgerechten Steuern schil­derte. Die große Mehrheit der Versammelten spendete der Mündigen Rede stürmischen Beifall. 52 Wort­meldungen zur Debatte liegen vor. Es soll immer ein Redner für und einer gegen die Wurmsche Entschließung sprechen. Rosa Luxemburg schlug wieder die radikalsten Töne an. Dann begründete Dr. David die Resolution, die der Reichstagsfraktion das Vertrauen aussprechen sollte. Eine aufsehenerregende Wendung nahm die Debatte, als Molkenbuhr einen Brief Bebels verlas, den dieser kurz vor seinem Tode geschrieben hatte und aus dem hervorgeht, daß die Taktik der Mehrheit der Fraktion bei der letzten Steuervorlage dieselbe sei, die sie seit 1893, also seit einer Zeit, wo der Revisionis­mus noch nichterfunden" war, geübt habe. Und wei­ter geht daraus hervor, daß gerade die Genossen, die am eifrigsten gegen die Haltung der Reichstagsfraktion angehen, vor Jahren denselben Standpunkt vertreten haben. Schließlich, nach einer Rede Dr. Franks, be­tonte sogar Dr. Liebknecht, daß er in der Steuerfrage das Schiff der Radikalen verlasse und zur Resolution Wurm halten wolle. Diese wurde mit 336 gegen 140

Stimmen dann angenommen, desgl. mit ungeheu­rer Mehrheit die Vertrauensresolution für die Reichs­tagsfraktion.

Stadt, Bezirk «nd Nachbarschaft

Calw, 20. September 1913.

Vom Rathaus.

Oeffentliche Sitzung des Eemeinderats unter dem Vorsitz von Stadtsch. Conz am Freitag nachmittag von 4 Uhr ab. Anwesend sind 11 Eemeinderäte. Der Eemeinderat hat sich zuerst mit einem Rechts­streit zu beschäftigen, daraufhin mit einigen kleineren angefallenen Beratungsgegenständen. Der Bauunter­nehmer Jakob Schaible, der den Hirsauer Weg ausbaut, will dort eine Kantine erstellen. Vom Bezirksrat, dem das Gesuch schon vorlag, ist die Erfüllung des Ge­suchs nicht beanstandet worden; und der Eemeinderat befürwortet es. Der Gemeindeverband Stat. Teinach hat an das Oberamt ein Gesuch, betreffend die Führung der Hochspannungsleitung nach Calw, Hir­sau und Ernstmühl eingebracht, das zugleich auch für den Gemeinderat gilt. Die Leitung erhält die hier schon bezeichnete Führung, die der Eemeinderat nicht be­anstandet. Statt des Gehilfen Schäberle auf dem Stadtschultheißenamt ist infolge Stellentauschs Artur Neu, bisher am Stadtschultheißenamt Balingen, aus dem hiesigen Stadtschultheißenamt eingetreten. Die 7. Klasse des Realprogymnasiums hat Heuer die höchst erreichte Besuchsziffer von 8 Schülern. Die Aussichten aus Steigerung des Besuchs sind nach Aus­führungen von E.-R. Vaeuchle sehr günstige, so- datz mit einer Eingabe um Belastung dieser Klasse, die durch Schaffung der Realschule aufgehoben werden sollte, an die maßgebenden Behörden gegangen werden sollte, damit der allgemeine Wunsch der Bevölkerung auf Be­lastung erfüllt und deren Notwendigkeit nachgewiesen würde. Von einem E.-R.-Mitglied wird energisch Be­schwerde darüber geführt, das anläßlich der Hunde­ausstellung sehr rücksichtslos mit Geräten u. Räum­lichkeiten der Turnhalle umgegangen worden sei. Zum Büro der Ausstellung sei unberechtgerweise das Neben­zimmer der Turnhalle benützt worden und dieses dann recht verwahrlost zurllckgelassen worden. Ferner sei die Lohe von den Hunden und mit Papierschnitzeln ganz und gar verunreinigt worden. Außerdem habe man die Barren, der Witterung ungeschützt preisgegeben, im Freien stehen lasten. Dieser Vorgang wird ein Fin­gerzeig dafür sein, daß die Stadt mit der Ueberlassung der Turnhalle künftig vorsichtiger' ist. Gemeinsam mit dem Vürgerausschuß, von dem 11 Mitglieder sich eingefunden hatten, beriet der Eemeinderat dann von abends 6 Uhr ab über die Frage der

Gasversorgung Hirsaus durch Calw.

Stadtschulth. Conz gab kurz einen Ueberblick über die Frage und machte die Vorschläge bekannt, die Calw an Hirsau bei einer am Mittwoch hier stattgefundenen Versammlung auf dem Rathaus mit den Vertretern Hirsaus gelangen ließ. Darnach haben die neuerdings angestellten Berechnungen ergeben, daß Calw für 1 cdm Gas von Hirsau 15 fordern muß, falls die Leitung bis zur Ortsgrenze gelegt wird. Im Falle Calw die Ausführung der Leitung bis zur Gasuhr und den Gasbetrieb dort völlig aus sein Werk übernimmt, sollen Hirsau 22 L abgefordert werden bei einer Mindest­abnahme von 20 000 cdm jährlich, 21 L bei 25 000 cdm und 20 L bei 30 000 cbm Abnahme. Unter Zugrunde­legung dieser Staffelung hält Calw für Hirsau noch folgendes Entgegenkommen bereit: Calw will, falls eine Differenz zwischen der vertraglichen Mindest­abnahme und der tatsächlichen Abnahme zutage tritt, sich diese Differenz von Hirsau mit nur 10 L pro cbm bezahlen lasten. Dann soll im ersten Jahre des Be­triebs keine Garantie für Mindestabnahme verlangt werden, erst vom 2. Jahre ab. Während der Bauzeit will Calw die Anschlüsse von der Hauptleitung zur Gasuhr, also die Hausanschlüste, kostenlos ausführen, damit eine Steigerung der Anschlüsse herbeigeführt wird, später sich Anschließende haben dagegen diese