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Amts- und Auzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw.

88. Jahrgang.

Srscheinungsweise: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im OberamtS- be,irk Calw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg.. außerhalb desselben 12 Pfg.. Rettamen 2S Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Freitag, den 19. September 1913.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post- bezugSpreiL für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20. im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg.. in Bayern und Reich 42 Pfg.

Bodenreform. Sozialdemokratie und Geburtenriikkgaug.

Seit der Geburtenrückgang in Deutschland amtlich festgestellt worden ist, kommt diese Frage nicht mehr von der Tagesordnung. Und mit Recht. Handelt es sich hier doch letzten Endes um Sein oder Nichtsein der ganzen Nation.

Ganz besondere Beachtung erregte eine Ende vori­gen Monats in der Hasenheide bei Berlin abgehal­tene große sozialdemokratische Volksversammlung, die die Frage des Eebärstreiks auf die Tagesordnung ge­setzt hatte. Es ist immerhin erfreulich, daß gerade die sozialdemokratischen Frauen wie Klara Zetkin, Luise Zietz und andere sich ganz energisch gegen ein solches Kampfmittel mit dem modernen Staat aussprachen. Es kommt hier wohl das richtige instinktive Empfinden der deutschen Frau und Mutter zum Durchbruch, während leider die Mehrzahl der männlichen Redner sich für die Einschränkung der Geburten aus Gründen der Le­benshaltung, der Erziehungsmöglichkeiten als Waffe gegen den Kapitalismus, den Militarismus, usw. aus­sprachen. Von dieser Seite fiel Las frivole Wort: Der Mensch kann mit seinem Körper machen, was er will." Und man konnte es erkennen, wie sehr diese Her­ren, die doch vorgeben, an der Spitze der Kultur zu marschieren, noch heute von den Jrrtümern der Lehren des Malthus befangen sind. Diese verhängnisvolle Lehre, die besagt, daß die Bevölkerung die Tendenz habe, sich schneller zu vermehren, als die Nahrung, ist so recht eigentlich die stärkste Stütze der rücksichtslosen kapitalistischen Weltanschauung geworden, denn:nach diesem Gesetz muß jeder Versuch wirklicher sozialer Bes­serung in ganz kurzer Zeit ... in sein Gegenteil Um­schlagen," wie Damaschke in seiner Bodenreform (Ver­lag Gustav Fischer, Jena) eingehend ausführt. Nun ist es aber für die Bodenreformer doch eine längst er­wiesene Tatsache, daß das Malthusianische Gesetz falsch ist. Nach diesem Gesetz muß ja in seiner Konsequenz vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus die Geburt eines Ferkels mehr wert sein, als die Geburt eines Menschen. Man vergaß, daß der Konsum erst den Maßstab des Wertes bildet und nicht die Produktion. Darum ist es für die Volkswirtschaft eines Landes von größter Wichtigkeit, die Zahl der Konsumenten, also der Menschen, zu steigern, weil im entgegengesetz­ten Falle die schon jetzt drückendeUeberproduktion" noch viel schlimmer werden könnte. Dadurch würde sich auch dieArbeitslosigkeit" steigern und die Lebens­haltung noch mehr verschlechtern. Es kommt also, wie gesagt, darauf an, die Zahl der Konsumenten zu steigern, allerdings auch gleichzeitig ihre Konsumfähig­keit zu vergrößern, d. h. sie kaufkräftig zu machen. Das kann aber nur geschehen, wenn einem jeden einzelnen Menschen die Möglichkeit geboten wird, auf dem Grund und Boden, der vom Schöpfer der gesamten Menschheit als Wohn- und Arbeitsstätte zugewiesen worden ist, sich kräftig zu vermehren, zu entwickeln und zu gedeihen. Und der Geburtenrückgang?

Der Vorsitzende des Deutschen Anthropologentages in Nürnberg, Eeheimrat Dr. v. Luschau, sagte mit Recht: Tatsächlich ist die Beschränkung der Kinderzahl eine Kulturerscheinung, aber nach wie vor halte ich dafür, daß sie langsamen Selbstmord der Nation bedeutet und mit allen Mitteln bekämpft werden muß." Er wies u. a. darauf hin, daß eine der ersten Autoritäten auf diesem Gebiete, Lacassagne in Lyon, die Zahl der in Frankreich jährlich bewirkten Fehlgeburten auf rund 500 000 berechnet. Auch in Deutschland sei, wie von vielen Aerzten angenommen wird, die verwerfliche Be­schränkung der Kinderzahl längst schon von den Städten auf das flache Land vorgedrungen, und die Zahl der kriminellen allerdings nur zum geringsten Teil zur Kenntnis der Staatsanwaltschaft gelangten Fehl­geburten dürfte Lei uns der französischen Zahl kaum mehr noch nachstehen. Die ungeheure Zahl solcher Ein­griffe wurde auch vom sozialdemokratischen Arzt zuge­geben und er stellte seinen Zuhörerinnen damit un­gewollt ein trauriges Zeugnis aus, als er einer jeden von ihnen die Fähigkeit zusprach, schon ähnlich gehandelt

zu haben. Wenn er erklärt, daß die ärztliche Anzeige- 1 Pflicht für solche Fälle ihn bestimmen würde, seine Praxis niederzulegen, da er nicht dazu da sei, den An­geber zu spielen, so läßt das tief blicken. Vergleicht man aber die Schlüsse, die Dr. Luschau und die sozial­demokratischen Aerzte aus ein und derselben Erscheinung ziehen, so muß man sich doch unwillkürlich fragen, ob es denn zwei verschieden urteilende Wissenschaften über dieselbe Frage gibt. Vom volksethischen und natio­nalen Standpunkt aus hat Dr. Luschau entschieden das Recht auf seiner Seite; wenn aber der andere Teil die Forderung der Bodenreformer gekannt hätte, dann würde er in seiner Auffassung wohl zu einem anderen Standpunkt gekommen sein, als er ihn jetzt vertritt. Denn der Geburtenrückgang läßt sich rationell nur bekämpfen, durch Schaf­fung von mehr Raum, Licht und Luft für die arbeitende Bevölkerung und die Heranwachsende Jugend. Dadurch wird schon auf ganz natürlichem Wege der Sittenlosigkeit ent­gegengewirkt. Ein im bodenresormerischen Sinne re­formiertes Bodenrecht würde auch den Wohlstand der Bevölkerung außerordentlich steigern und zur höchsten Blüte bringen. Erreichen ließe sich das aber nur durch Bekämpfung des Vodenwuchers, Terrainschwindels und unseres verkehrten Hypothekenrechtes, welches eine unverhältnismäßig hohe Grundrente züchtet, die die arbeitende Bevölkerung in Form von hohen Miets- und Lebensmittelpreisen aufbringen muß. Mit dem Siege der Bodenreform würde der Geburtenrückgang in Deutschland ganz von selbst aufhören und unsere Nation für alle Zeiten vor der drohenden Degeneration ge­sichert sein. Karlik.

Vom sozialdemokratischen Patteitag.*

IV.

Jena, 18. Sept. Der Parteitag nahm heute das Referat Wurms über die Steuerfrage entgegen. Ausgehend von einer großen Reihe von Leitsätzen, denen der Gedanke zu gründe lag, daß in der kapitalistischen Gesellschaft die Verteilung der Steuerlast eine politische Machtfrage sei, die Sozialdemokratie die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit fordere und in denen die verschiedenen, gegenwärtig eingeführten Steuern, Kapitalrentensteuer, Vermögenszuwachssteuer, Verkehrssteuern, Erbschaftssteuern, Stempelsteuern, Ver­brauchsabgaben nach sozialistischen Gesichtspunkten cha­rakterisiert wurden. In einer Resolution stellte der Redner folgendes Steuerprogramm auf: Der Parteitag fordert gemäß Punkt 10 des Parteipro­gramms: Stufenweise steigende Einkommen- und Ver­mögenssteuer zur Bestreitung aller öffentlichen Aus­gaben, soweit diese durch Steuern zu decken sind; Selbst- einschützungspflicht; Erbschaftssteuer, stufenweise stei­gend nach Ilmfang des Erbgutes und nach dem Grade der Verwandtschaft. Abschaffung aller indirekten Steuern, Zölle und sonstigen wirtschaftspolitischen Maß­nahmen, welche die Interessen der Allgemeinheit den Interessen diner bevorzugten Minderheit opfern. Fer­ner erklärt der Parteitag: Der Bedarf der Bun­desstaaten ist durch Zuschläge zu den direkten Reichssteuern zu decken. Für die Deckung des Bedarfs der Gemeinden ist gemäß den Beschlüßen des Parteitags zu Bremen zu fordern: Staatliche Zuschüße für die Aufgaben des Volksgesundheitswesens, des Schulwesens, der Armenpflege, des Wegbaues. Zuschläge zu den staatlichen Einkommen-, Vermögens- udn Erb­schaftssteuern. Wo derartige staatliche Steuern nicht existeren, soll den Gemeinden das Recht zustehen, be­sondere kommunale Einkommen-, Vermögens- und Erb­schaftssteuern auszubilden. Besteuerung des unverdien­ten Wertzuwachses an Grund und Boden. Der Partei­tag erklärt weiter: Für die Bewilligung von Steuern in Reich, Bundesstaaten und Gemeinden ist aber nicht allein maßgebend die Art der Steuern, sondern auch ihr Verwendungszweck. Gemäß dem Beschluß von Nürnberg 1908 ist jeder gegnerischen Regierung das Staatsbudget bei der Eesamtabstimmung zu ver­

weigern, es sei denn, daß die Ablehnung durch unsere Genossen die Annahme eines für die Arbeiterklaße un­günstiger« Budgets zur Folge haben würde. In gleicher Weise ist auch jede direkte Steuer, selbst wenn sie allein den Mehrwert trifft, von unfern Genossen abzulehnen, falls der Verwendungszweck den Interessen der Arbeiter­klasse widerspricht, es sei denn, daß die Ablehnung der direkten Steuern durch unsere Genossen die Annahme der bekämpften Vorlage nicht hindert und eine für die Arbeiterklasse ungünstigere Besteuerung zur Folge haben würde. Entsprechend unserer Programmforderung haben unsere Genossen in den Parlamenten stets dar­auf hingedrängt, daß bestehende indirekte, die Arbeiter­klasse belastende Steuern abgeschafft und durch direkte ersetzt werden, ohne Rücksicht darauf, zu welchen Zwecken die Staatseinnahmen verwandt werden. Demgemäß haben sie auch zu verhüten, daß neue indirekte Steuern auf die Arbeiterklaße gewälzt werden, und wenn dies nur durch Zustimmung zu direkten Steuern zu erreichen ist, haben sie dafür zu stimmen, da dann der Verwen­dungszweck der direkten Steuern nur noch der Ersatz indirekter Steuern ist. Die Rede Wurms dauerte den ganzen Nachmittag, sodaß das Korreferat Südekums nicht mehr angehört werden wollte. Am Vormittag war eine Entschließung über die Arbeitslosen­fürsorge angenommen worden. Darin ist gesagt, daß die gegenwärtige Arbeitslosigkeit schleunige Maß­nahmen zu deren Behebung erfordere. Von den sozial­demokratischen Organisationen wird erwartet, daß sie durch Veranstaltung von Massenversammlung das Wirken ihrer Vertreter in den Gemeinden und Par­lamenten nachdrücklich unterstützen. Eine dauernde Hilfe für die von der Arbeitslosigkeit Betroffenen könne nur durch Einführung der sozialdemokratisch organisier­ten Produktion erwartet, während durch die soziale Ge­setzgebung nur eine Milderung der Arbeitslosigkeit her­beigeführt werden könne.

Stadt» Bezirk »nd Nachbarschaft.

Talw, 19. September 1913.

Von einem Waldspaziergang wird uns geschrie­ben: Eines Tages ging Schreiber dieses an einem großen Wald entlang, was sah er da am Waldgraben? Eine Pflanze mit schönen, goldgelben Blüten, welche mit Olivenöl angesetzt ein gutes Wundmittel geben, das Johannisöl vom Johanniskrant (Hypericum per- toratum). Arme Kinder verdienen etwas, wenn sie dieses Heilkraut für die Apotheken sammeln. Desgl. fand einSommerfrischler", welcher bei mir war, die Rot- oder Blutwurz, auch Tormentillwurz und Ruhr­kraut genannt, potentilla tormentilla; der Wurzelstock enthält Gerbstoff, wird mit Branntwein angesetzt, wel­cher blutrot wird, und verwendet wird zur Stärkung des Magens und gegen Durchfall. Das Landvolk schätzt diese Pflanze mit Recht hoch. Im Schatten des dun- len Fichtenwaldes steht der gemeine Sauerklee, welcher viel Sauerkleesalz enthält; die aus der Pflanze ge­wonnene Sauerkleesäure ist ein schnelltötendes Gift; ver­tilgt Tintenflecke. Von den maßenhaft vorkommen­den Besenpfriemen werden Besen angefertigt, auch die­nen sie zum Korbflechten.

Zur Erinnerungsfeier der Völkerschlacht bei Leip­zig. Die Mitglieder der dem Württ. Kriegerbund an­gehörenden Krieger-, Militär- und Veteranenvereine, die sich an den Erinnerungsfeiern der Völkerschlacht bei Leipzig beteiligen, werben auf sämtlichen deutschen Staatseisenbahnen, sowie auf den meisten Privatbah­nen in der Zeit vom 15. bis 22. Oktober in Eil- und Personenzügen von der Heimatstation nach Leipzig und zurück in der 3. Klaße zum Preise von 1.75 für das Kilometer befördert. Die Fahrkarten sind spätestens bis zum 22. September bei der Fahrkarten­ausgabe unter Vorzeigung einer vom Verein auszu- stellenden und unterschriebenen, mit dem Vereinsstempel versehenen Bescheinigung anzufordern. Die Bescheini­gung, die insbesondere enthalten muß: Name des Be­stellers, Mitgliedschaft beim Verein und Zugehörigkeit des Vereins zum Württ. Kriegerbund, ist zuvor zur