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^zs 200.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

88. Jahrgang.

ErsHeinungswelse: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Fm Oberamts- bezirr Calw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg.» Reklamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahrne 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Donnerstag, den 28. August 1913.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, bezugspreiS für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1-30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., m Bayern und Reich 42 Pfg.

Amtliche Bekanntmachungen.

K. Dersicherungsamt Ealrv.

An die Gemeindebehörden und die Vorstände der Krankenkassen.

Nach s 149 fs. der R. V. O. sind die Ortslöhne neu festzusetzen. Unter Hinweis auf den Erlaß des K. Oberoer­sicherungsamts vom 2. d. Mts. Nr. 2985 (M.-A.-Bl. S. 640) werden die Gemeindebehörden und die Vorstände der Kran­kenkassen ersucht, sich alsbald nach dem ihnen zugehenden Vor­druck zu äußern. Bei der Festsetzung der Ortslöhne sind nur die ortsüblichen Tagesentgelte solcher Personen zugrunde zu legen, welche als gewöhnliche Tagarbeiter Arbeiten verrich­ten, die eine besondere Vorbildung oder besondere technische Fertigkeiten nicht erfordern. Es scheiden dabei also insbe­sondere alle sogenannten gelernten Arbeiter aus. Arbeiter, die in einem festen, für längere Zeit abgeschlossenen Dienst­verhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stehen, können alsgewöhnliche Tagarbeiter" in der Regel nicht angesehen werden. Der Entgelt von Lehrlingen bleibt außer Ansatz, weil Lehrlinge keinegewöhnlichen Tagarbeiter" sind. Die Festsetzung erfolgt nach Maßgabe des Entgelts, der den ge­wöhnlichen Tagarbeitern im Durchschnitt tatsächlich für den Arbeitstag gewährt zu werden Pflegt. Hat der Tagesentgelt in den einzelnen Jahreszeiten eine verschiedene Höhe, so sind die wirklichen Tagesentgelte für 300 Werktage zusammenzu­zählen und durch 300 zu teilen. Der Begriff des Ent­gelts bestimmt sich nach s 160 R. V. O., wonach insbesondere dem in barem Geld gewährten Entgelt der Wert von Sach­bezügen (: Verköstigung oder dergl. :) hinzuzurechnen ist, wenn und soweit solche dem gewöhnlichen Tagarbeiter ge­währt zu werden pflegen.

Die Aeußerungen sind bis spätestens 20. September 1913 hieher vorzulegen.

^ Den 26. August 1913.

Regierungsrat Binder.

Balkansiege und Bodenreform.

Als die Balkanstaaten der Türkei den Fehdehandschuh hinwarfen, ahnte niemand, daß sie aus dem Kriege als Sie­ger hervorgehen würden. Und als es anders kam, suchte man die Ursache der türkischen Niederlagen überall, am we­nigsten aber in den Mängeln ihres Bodenrechts, welches den Vorschriften des Korans gemäß den Sultan zum obersten Lehnsherrn über den gesamten Grund und Boden macht, während das Obereigentumsrecht dem Staatsschätze zuge­schrieben wird. Dem Mißbrauch dieses Rechtes durch die türkischen Beamten und Würdenträger, die durch unsinnige Pachtbedingungen das Volk bis aufs Blut aussaugten und schwächten, sind aber hauptsächlich die türkischen Niederlagen zu verdanken.

Andererseits muß man bei genauerer Prüfung die Siege der Balkanstaaten ihrer zielbewußten bodenreformerischcn Tätigkeit zuschreiben. Bei denGriechen trifft das gegen­wärtig allerdings in geringerem Maße zu. Sie wurden bei ihrer Unterjochung durch die Türken ihres Grundeigentums beraubt, woraus sie sich hauptsächlich dem Handel zuwandten. Erst nach den Freiheitskriegen wurde jeder hellenischen Fa­milie durch das Dotationsgesetz vom 7. Juni 1835 von den Staatsländereien ein Anteil im Werte von 2000 Drachmen zur Nutznießung überwiesen. Die Griechen sind aber trotz­dem bis auf den heutigen Tag vorwiegend ein Handelsvolk geblieben. Blickt man auf die mit Strömen von Blut ge­schriebene Geschichte der Unterjochung der Serben und Bulgaren durch die Türken zurück, so erscheint es im er­sten Augenblick rätselhaft, wie diese Völker sich trotz des tür­kischen Jochs ihr Volkstum durch Jahrhunderte erhalten konn­ten. Es lag das daran, daß die Türken wohl um Auf­stände in den Grenzgebieten zu vermeiden sich vielfach mit der militärischen Besetzung des eroberten Landes begnügten und auf den Landbesitz der Bevölkerung keine Eigentums­rechte geltend machten. Das sieht man besonders deutlich an der zähen Volkskraft der Serben, die zuerst in der denkwür­digen Schlacht auf dem Amselfelde und dann 1458 von Sul­tan Mohammed II. ihres Reiches beraubt wurden, welches Urosch V., der Sohn des großen Stephan Tuschan, durch Ver­teilung des Landes an seine Günstlinge schon vorher über­aus geschwächt hatte. Ta war es eine Strafe der rächenden

Nemesis, daß Mohammed II. sämtliche Adelsfamilien des Landes und damit das feudale System in Serbien ausrottele, wobei über 200 000 Serben ohne Unterschied von Alter und Geschlecht in die Sklaverei verschleppt wurden. So konn­ten die Wurzeln der serbischen Volkskraft auf der eigenen Scholle sich wieder erholen, und die Serben waren eines der ersten Balkanvölker, denen es im Anfang des vorigen Jahr­hunderts gelang, sich einen eigenen Fürsten und eigene Ver­waltung zu erkämpfen, wenn sie auch den Türken tributpflich­tig bleiben mußten. Ganz besonders bemerkenswert sind die Formen des serbischen Bodenrechts. Der Bergbau ist Staats­regal und wird vom Staate als Monopol betrieben, wenn auch einige Bergwerke auf 90 Jahre englischen Gesellschaften zur Ausbeutung überlassen worden sind. An 500 000 kn Wald hat der Staat sich das Eigentumsrecht Vorbehalten, und Privatpersonen dürfen in ihren Forsten mehr keinen Raub­bau treiben. Das Volkswirtschaftsministerium übt gleich­zeitig die Funktionen einer Hypothek aus; am bemerkenswer­testen aber ist das serbische Heimstättenrecht vom 24. Dezember 1873, welches bestimmt, daß je nach dem Grundbesitz des Heimstättenberechtigten 35ka und die Heimstätte unver- schuldbar und unpfändbar sind. Auch die Bulgaren haben die Erhaltung ihres Volkstums den ihnen bei der Unter? jochung durch die Türken belassenen Sonderrechten zu verdan­ken, die bei fast völligem Fehlen von Latifundien die kräf­tige Entwicklung eines bodenständigen Bauernstandes begün­stigte. Es ist auch bezeichnend, daß die Bulgaren gleich nach ihren großen Siegen über die Türken eine Bestimmung er­ließen, nach welcher in den eroberten Gebieten nur nachweis­lich versteuertes Grundeigentum Besitzrechte sichern sollte. Da die türkischen Landusurpatoren, die Grundsteuern meist unter­schlugen, so bedeutet die Maßregel gewissermaßen eine Expropriation zugunsten einer nationalen Jnnenkolonisation. In Rumänien hatte der Bauernstand es schlechter, denn dort herrschte seit dem 16. Jahrhundert die sogenannte Robot-, d. h. Arbeitspflicht der Bauern für die feudalen Herren. Diese Art der Leibeigenschaft wurde erst durch das Bauern- manzipationsgesetz vom 14. August 1864 aufgehoben, wobei 1 ^ Millionen kg Gutsländereien für 107 Millionen Lei zugunsten der Bauern abgelöst wurden. Dadurch wurden zuerst 406,889 und bei weiterer billiger Vergebung von ^ Millionen Staatsland noch 52,000 Bauernfamilien seßhaft gemacht. Wie sehr die rumänische Regierung um eine wei­tere Förderung der inneren Kolonisation besorgt ist, beweist auch ein erst kürzlich erschienener Erlaß der rumänischen Staatsregierung, wonach in den neu erworbenen Gebieten alle Bodenverkäufe für ungültig erklärt werden und dem Staate das Verkaufsrecht Vorbehalten wird.

Diese kurzen Zusammenstellungen zeigen die wahren Ursachen des Aufschwunges der Balkanstaaten trotz des für Bulgarien infolge der Fehler seiner Diplomaten so un­günstig verlaufenen zweiten Krieges. Der Grund und Bo­den, das ist das Zeichen, in welchem die Völker siegen!

Karl Kuhls.

Stadt» Bezirk and Nachbarschaft.

Ta lw. 28. August 1913.

Vom Rathaus.

Statt einer Sitzung wurde für den heutigen Tag ein Ausflug der bürgerlichen Kollegien anberaumt. Die Fahrt geht in einem Auto der Neuenbürg-Liebenzeller Kraftwagen­gesellschaft auf die Hornisgrinde und an den Mummelsee. An dieser, beim heutigen prachtvollen Wetter doppelt dank­baren und genußreichen Fahrt beteiligen sich über zwanzig Kollegialmitglieder, die früh um 7 Uhr vomWaldhorn" wegfuhren. Unsre besten Wünsche auf eine fröhliche, schöne Reise begleiten die Herren.

Vom Calwer Wald. Dem Umbau eines alten Bauern­hauses in Rötcnbach fiel kürzlich eine ungemein malerische interessante Stubenecke (abgebildet in dem BüchleinBad Teinach und Luftkurort Zavelstein") zum Opfer. Der Herd war, wie früher allgemein üblich, zur Erwärmung der Stube herangezogen, indem er die Stubenwand durchbrach und hier durch eine gußeiserne Platte seinen Abschluß fand. Mit dem Einzug der Kunstherde sind diese angenehmenBuckelwär­mer" fast ganz verschwunden und jetzt ist auch die interessan­teste und älteste Herdplatte des Calwer Waldes, eine der letz­ten, herausgerisscn worden. Da der Besitzer leider nicht zu

bewegen war, sie an der neuen Wand anzubringen, so wird sie der Kgl. Altertumssammlung in Stuttgart einverleibt wer­den. An ihr mögen sich wohl nicht nur Angehörige und Freunde des Hauses, sondern auch schon ungebetene Gäste, wie Schweden, Kroaten und Franzosen, den Rücken ge­wärmt haben, denn sie wurde schon 1599 gegossen. Die Reliefs zeigen 2 Wappen, Darstellungen aus der biblischen Geschichte und die Inschrift:Lästerzunge, läst're zu!" Es ist dies wohl einezarte Mahnung" an das zarte Geschlecht, beim Lichtkranz in der Spinnstube das 8. Gebot besser ein­zuhalten, denn Kachelofen und Herdplatte sind nach Scheffel nicht nurdas Brutnest trefflicher Gedanken", sondern auch Stätten, an denen dem lieben Nebenmenschen gerne etwas am Zeug geflickt wird. Die Ofenwand war mit quadratischen, 20 Ztm. langen, bemalten Tonkacheln geziert, die ein Neu- bulacher Hafner namens Röder für den damaligen Besitzer des Hofs, den SchultheißenDaniel kugele und seine Haus­frau katherina kuglerin in rethenbach 1808" anfertigte. Ur­sprünglich waren es gegen 150 mit Bildern und Sprüchen (sogenannten Ofensprüchen) bemalte Tonkacheln. Auf den noch vorhandenen ursprünglichen Kacheln enträtseln wir nach dem Vorstudium der originellen Rechtschreibung und des ru­nenartigen Alphabets folgende Sprüche:

unsser magt die ann, die het so gern ein mann. lüb du mich allein, oder laß gar sein. lübst du mich als wie ich dich, so bleibt die lieb bestingdihlich. gott der schöpfer war der erste döpffer. der brad, der steht im ofenloch, geh liebe frau und hol in doch. schüncht du mir die Wurst, so liech ich dir den dürft, lösch du den dürft, so schünch ich dir die Wurst. tugend und freude sind ewig verwandt, es knipset sie beide ein himmlisches band. der Hirsch, der zu dem .... sprang, die magt, die will den hanßen Hann. auf der Welt ist keine größere Pein, als nichts haben und vil schultieg sein. blumen mahlen ist gemein (gemein bedeutet so viel als einfach), aber den gerücht zu geben, das kann gott allein. Zufriedenheit seh unser Spruch, was Hilst uns gelt und ehr, das, was wir haben, sey genug, wer klugisch ist, winscht nicht mehr. junffernmülch- lieg (Jungfernmilch) und schnäckenblut, da ist vor allem scha­den gut. das weib dort bey der stubendür, weist alle narren her zu mir. lust und lieb zu einem ding, macht alle müh und arbeit ring. lieben und nichts haben, das ist hatter (härter), als stein graben. wann es den Hirsch nach wein det dürsten, so kindt man in dem wüdtshauß (Wirts­haus) bürsten. Die Schrift ist mit dem Malhorn (Känn­chen ähnlich einer Gießkanne) mit schwarzer Farbe auf rot­braunem Grund aufgeträufelt, die Einfassungsornamente sind gelb, die Eckverzierungen grün. (Pf.-A.)

Berufsjubiläum. 200 Jahre sind entschwunden, seit unsere heutige Art der Briefbestellung mit 4 Briefträgern in Deutschland ins Leben trat. Heute sind es Hunderttausende, die in Deutschland diesen Beruf ausüben. Mit freudigem Stolz kann der Stand, dessen Bringer fröhlicher und trau­riger Nachrichten uns allen unentbehrlich wäre, auf dieses Jubiläum zurückblicken.

scb. Mutmaßliches Wetter. Für Freitag und Samstag steht trockenes, warmes und gewitterfreies Wetter bevor.

Hirsau, 28. Aug. Der seit Jahren in Hirsau als ständiger Kurgast weilende, bekannte Opern­sänger Franz Jaeger veranstaltet auf Wunsch vieler Kurgäste morgen, Freitag, abends 8'/- Uhr, wieder einen humoristischen Recitations- und Liederabend. (S. Ins.)

Weilderstadt, 27. August. Vergangene Woche sind es 25 Jahre gewesen, als zum ersten Male das Projekt einer Bahnverbindung zwischen Pforzheim und Weilderstadt auftauchte. Trotzdem manche Ver­sammlungen gehalten und im bad. wie württ. Land­tag darüber verhandelt 'wurde, so ist bis heute diese Frage noch ungelöst. Es wurde in letzter Zeit auch von einer elektrischen Bahn von Pforzheim nach Weilderstadt geredet.

Altensteig, 27. Aug. Bei der am 20. August stattgefundenen Ziehung der Eärtringer Kirchen­bau-Geld-Lotterie fiel der erste Gewinn mit 15000 Mark dem Schuhmachermeister Morhard von hier zu. (A. d. T.)