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Samstag,

Zweites Blatt zu Nr. 184.

V. August ISIS.

Aus Höhen und Tiefen.

Abendstitte.

Nun hat am klaren Frühlingstage das Leben reich sich ausgeblüht; gleich einer ausgeklungnen Sage im West das Abendrot verglüht.

Des Vogels Haupt ruht unterm Flügel, kein Rauschen tönt, kein Klang und Wort; der Landmann führt das Roß am Zügel, und alles ruht an seinem Ort.

Nur fern im Strome noch Bewegung, der weit durch's Tal die Fluten rollt; es quillt vom Grunde leise Regung, und Silber säumt sein flüssig Gold.

Dort auf dem Strom noch ziehen leise die Schiffe zum bekannten Port, geführt vom Fluß im sichern Gleise sie kommen auch an ihren Ort!

Hoch oben aber eine Wolke von Wandervögeln rauscht dahin; ein Führer streicht voran dem Volke mit Kraft und landeskund'gem Sinn.

Sie kehren aus dem schönen Süden mit junger Lust zum heim'schen Nord, nichts mag den sichern Flug ermüden, sie kommen auch an ihren Ort!

Und du mein Herz! In Abendstille dem Kahn bist du, dem Vogel gleich, es treibt auch dich ein starker Wille, an Sehnsuchtsschmerzen bist du reich.

Sei's mit des Kahnes stillem Zuge, zum Ziel doch geht es immer fort; sei's mit des Kranichs raschem Fluge, auch du, Herz, kommst an deinen Ort!

Gottfried Kinkel.

Der Krieg gegen Bulgarien.

K.-li. Egri Palanka, 22. Juli. Armes Bulgarien! Seit dem Ausbruch des zweiten Balkankrieges hat Bulgarien zwei neue Feinde auf den Hals gekriegt! Rumänien und die Türkei. Feinde ringsum! Daß dem so ist, weist ohne Widerrede darauf hin, daß es Bulgarien nicht verstanden hat, sich Freunde zu erwerben, und daß es durch die Glück- Hastigkeit seiner bisherigen Politik und die ihm huldigende auswärtige Presse verwöhnt, in einen allzu selbstbewußten, herrischen Ton verfiel, der ihm schließlich nur Feinde an seinen Grenzen erwachsen ließ.

Die Kämpfe an der Bregalnitza haben nach mehr als achttägigem, Tag und Nacht fortdauernden, blutigen Ringen mrt der völligen Zurückweisung der bulgarischen Armee ge­endet. Auf der ganzen, mehr als 109 Kilometer langen Front erfochten die Serben, wenn auch unter schweren Opfern, den Sieg. So wurden die Bulgaren von der von ihnen nach Vereinbarung mit den Serben in den neuen mazedonischen Gebietsteilen festgesetzten Demarkationslinie wieder gegen ihre alte Grenze zurückgeworfen. Mittler­weile drangen von Süden her auch die Griechen siegreich voran. Sie hatten nur den Widerstand von zwei bulgari­schen Divisionen zu brechen, was ihnen aber in so uner­wartet glänzender Weise gelang, daß sie rasch weite Gebiets­teile besetzen konnten.

Inzwischen bin ich zum Stabe der ersten serbischen Armee abgegangen. Derselbe hatte sein Hauptquartier zu­nächst auf einer Anhöhe bei Eradiste. Von hier aus besuchte ich den Drenak, sowie den Raicanski rid, Eebirgskämme, welche die Bulgaren vor Beginn der Feindseligkeiten ver­tragswidrig besetzt hatten, um sich gute Positionen gegen die Serben zu sichern. Von beiden Orten waren sie aber unter Verlust von vielen Toten, Verwundeten und Ge­fangenen und unter Preisgabe einer Anzahl Geschütze und sonstigem Kriegsmaterial wieder verjagt worden. Die Fel­der und Bergabhänge trugen noch unverwischt die Spuren des heftigen Kampfes, der dort getobt hatte und die Gegend war erfüllt von dem Verwesungsgeruch der nur oberfläch­lich begrabenen zahlreichen Toten. Kurz darauf wurde das Hauptquartier des Stabes der ersten Armee Kom­mandant Kronprinz Alexander von Serbien auf eine mit schönen Steineichen bewachsene Bergkuppe des Orni vrh ver­legt. Von dort aus ging ich nach dem von dem bezeich- neten Orte immer noch mehr als 49 Kilometer entfernten Egri Palanka. Es hieß, daß hier unmittelbar eine Ent­scheidungsschlacht bevorstände und ich wollte dieselbe nicht versäumen. Indessen ist es zu einer solchen bisher nicht ge kommen und es dürfte auch, wenigstens dicht bei Egri Pa­lanka, dazu überhaupt nicht kommen, aus Gründen, die ich gleich darlegen werde.

Egri Palanka, bis zum Ausbruch des Balkankrieges türkischer Besitz, zeigt ganz das Gepräge einer kleinen türki­schen Provinzialstadt. Die Straßen sind mit holperigem

Pflaster versehen, die aus Lehm und Ziegelwerk errichteten Häuser sind halb verfallen, die über den schäumenden Kriwa- Fluß, der mitten durch die Stadt fließt, gehenden Brücken befinden sich in einem vorsintflutlichen Zustande, und die Eeschäftsläden (die übrigens jetzt geschlossen sind) haben den Charakter schmutziger türkischer Bazare.

Von Egri Palanka führt in zahlreichen Windungen eine Straße nach Küstendil, das altbulgarischer Besitz ist. Das Terrain hier hat Hochgebirgs-Charakter und erinnert, ins Groteskere übersetzt, vielfach an Steiermark. Auf den von Nordwesten bis Osten nördlich von Egri Palanka sich hinziehenden hohen Bergen (Eolemi vrh 1826, Kifelica 1199, Lar vrh 2104 Meter) haben die Serben ihre Stellungen. Mit vieler Mühe und trotzdem mit großer Raschheit haben sie überall Wege bis nach den Gipfeln angelegt und auf sie außer Berggeschützen und Feldgeschützen auch schwere Ar­tillerie, insbesondere auch Haubitzen gebracht. Alles natür­lich feldmäßig verschanzt und durch Infanterie geschützt. Den Serben gegenüber befinden sich, durch ein Tal getrennt, auf den hohen Bergen der altbulgarischen Grenze die Bul­garen, die dort von früher her bereits sehr feste Verschan­zungen und Blockhäuser besitzen, auf die sie sich jetzt stützen. Die Entfernung der beiderseitigen Positionen schwankt zwischen 3 und 6 Kilometer. Es ist ohne weiteres einleuch­tend, daß auf diesem sehr schweren Terrain, das die Entfal­tung größerer Truvpenmafsen kaum zuläßt, eine Schlacht größeren Stils nicht geliefert werden kann. Sollte hier wirklich seitens der Serben eine Entscheidung gesucht wer­den, so könnte dies nur unter Umgehung dieser Erenzberge auf dem Plateau von Küstendil geschehen. In den letzten Tagen, namentlich am 19. Juli, war ich Zeuge von Kämp­fen, die sich auf der bezeichneten Linie abspielten. Da die S.erben nördlich von Eolemi vrh Fortschritte machten und den schon auf altbulgarischem Gebiet liegenden Ornock (1874 Meter) in ihren Besitz gebracht haben, suchten die Bulgaren am 19. Juli durch einen heftigen Angriff auf der ganzen Front sich der befürchteten Umklammerung zu entziehen. Der Angriff scheiterte an allen Punkten, die Bulgaren muß­ten sich zum Teil fluchtartig zurückziehen. Vorgestern und gestern haben darauf die serbischen Batterien die bulgarischen Positionen nachdrücklich beschossen, um einer Wiederholung dieses Angriffes vorzubeugen. Die Bulgaren scheinen aber nach den gemachten Erfahrungen alle Lust dazu verloren zu haben, sie erwidern sogar das serbische Eeschützfeuer nur sehr mäßig. Nach eifriger Beobachtung von den ferbischen Positionen aus glaube ich, daß die Bulgaren in ihren Po­sitionen überhaupt nur wenige Kräfte besitzen, und daß sie dieselben anderwärts versammeln, sei es, um ihre Haupt­stadt gegen die von allen Seiten andringenden Feinde zu verteidigen, oder sich mit ganzer Macht den Griechen ent­gegenzustellen.

Die Stellung der Serben zieht sich von Zuli Kamik über Eolemi vrh und Kiselica nach Car vrh und geht dann dem Laufe der Bregalnitza entlang (dritte Armee). Gegenüber der Bregalnitza, am Strbi vrh (altbulgarische Grenze) schei­nen größere bulgarische Truvpenmafsen zu stehen, die sich je nach Bedarf gegen die Serben und Griechen wenden können. Die Griechen dringen in zwei Heersäulen den Ra- dowista-Fluß und den Struma-Fluß entlang nach Norden und ihre V> bevor

ander haben. Wollen die Bulgaren die Griechen kämpfen, so müssen sie sich daher beeilen. In Wahrheit glaube ich aber nicht an wertere größere Kämpfe. Gegenüber so vielen mächtigen Feinden würde Bulgarien seine ganze

Heil in diplomatischen Verhandlungen zu suchen, um auf diesem Wege zu retten, was noch zu retten ist. A. Kutschbach.

4VÜOVO Tote, 5 Milliarden Kosten.

Der augenblicklich in Mazedonien weilende Korrespondent desTorriere della Sera", der sämt­liche Hauptpunkte der Valkanschlachtfelder besucht hat, veranstaltet in einem längeren Bericht eine Schätzung der Verluste der Balkanstaaten. Er schätzt die Opfer an Menschen und Geld im ersten Feldzug folgendermaßen: Bulgarien: 350 000 Mann mo­bilisiert, 80000 Tote, 1200 Millionen Mark Kosten. Serbien; 250000 Mann mobilisiert, 30000 Tote, 620 Millionen Mark Kosten. Griechenland: 150000 Mann mobilisiert, 10000 Tote, 280 Mill. Mark Kosten. Montenegro: 30000 Mann mo­bilisiert, 8000 Tote. 16 Mill. Mark Kosten. Türkei: 450000 Mann mobilisiert, 100000 Tote. 1600 Mill. Mark Kosten. Für den zweiten Feldzug sind nach derselben Quelle die Ziffern schätzungsweise folgende: Bulgarien: 60000 Tote, 720 Mill. Mark Kosten. Serbien: 40000 Tote, 400 Mill. Mark Kosten. Wenn man hierzu die Ermordeten, die Opfer der Cholera und anderer Epidemien hin­zunimmt, so dürften die Menschenverluste mindestens 400 000 betragen, während die finanziellen Kosten insgesamt auf 5 200000000 Mark zu schätzen sind.

Napoleon im Dorftheater. Die humoristische Chronik der Dilettanten-Aufführungen wird vom Saalefelder Volksblatte um ein niedliches Beispiel vermehrt. Bei den Jubiläums­feiern und Gedenkfeiern der Befreiungskriege leisteten sich auch die Dörfler einer rudolstädtischen Dorfgemeinde ein Fest­spiel. Verfasser des Poems war der Gemeindediener, und aufgeführt wurde es von einer Anzahl Dorfinsassen. Der Verfasser hatte von der Dichterfreiheit ausgiebigen Gebrauch gemacht. So endete Napoleons Laufbahn endgültig schon bei Leipzig. Um den Zuhörern aber völlige Genugtuung zu geben, erhielt der Korse auf offener Bühne Prügel, die ihm Marschall Blücher vorher persönlich mit folgenden Worten ankündigte:Napoleon, du bist wohl toll? Ich haue dir den Hintern voll!" Das wäre alles ganz gut und schön ge­wesen, wenn nicht die Burschen im Dorf ihr patriotisches Ge­wissen hätten. Sie weigerten sich daher mannhaft, einen Franzosen oder gar den Oberfranzosen Napoleon zuspielen. Nach langem Beraten wurde daher beschlossen, die Franzosen durch angekleidete Strohpuppen darzustellen. Als Darsteller Napoleons gewann man mit Geld und guten Worten einen Knecht, der aber die Bedingung stellte, sich so maskieren zu dürfen, daß er nicht erkannt werde. Eins aber klappte bei der Premiere nicht besonders. Dem Knecht, der den großen Korsen spielte, war offenbar die Niederlage, bei der er oben­drein noch Prügel einstecken mußte, wohl ein wenig zu groß. Er setzte sich zur Wehr und prügelte da er von de» Fran­zosenstrohpuppen nicht unterstützt werden konnte höchst ei­genhändig als Kaiser von Frankreich die Preußen und ihre Verbündeten gehörig durch. Erst als Pastor, Lehrer und an­dere Honoratioren den schlagfertigen Napoleon innigst baten, doch die Flucht zu ergreifen, endete dieSchlacht bei Leipzig" mit einer Niederlage des Korsen. Es war leider nicht nur die erste, sondern auch die letzte Aufführung des Festspiels ge­wesen; denn keiner wollte mehr einenVerbündeten" spielen.

Vüch-rtisch.

Taschenbücher deutscher Dichter. Verlag von Eugen Salze r-Heilbronn. Ein Buch, von Eugen Salzer verlegt, ist immer etwas Gediegenes und Solides. Und wir persönlich schätzen den Heilbronner Verlag als den rührigsten innerhalb Württembergs auf dem Gebiete der schönen Heimatliteratur. Diese Taschenbücher deutscher Dichter find eine Sammlung von Erzählungen deutscher Dichter,deren Schaffen von ern­stem Können und inniger Gemütstiefe zeugt". In Leinwand gebunden kostet das handliche Bändchen 1 Bis jetzt find erschienen von: Hermann Anders Krüger, Geschich­ten; Anna Schieber . . . und hätte der Liebe nicht, Weihnachtliche Geschichten; Auguste Supper, Vom We­gesrand, Erzählungen. Diese drei Bändchen zeigen den Stil, die Art, wie Salzer sein oben angedeutetes Programm des neuen Unternehmens zu verwirklichen gedenkt. Der Heraus­geber des famosen Schwäb. JahrbuchsDie Scholle" hat auch mit der Sammlung und Herausgabe dieser Taschenbücher eine glückliche Hand und guten Geschmack in künstlerischen Dingen bewiesen. Man setze sich einmal in stiller Abend­stunde mit denWegesrand"-Erzählung auf sein Zimmer: wie viele Goldkörner der Sprache, der Seele, des Gemüts findet der nachdenkende Leser in diesen kurzen Geschichten; bester als von den ernsten, aus der Fülle menschlichen Erlebens ge­schürften Gedanken angeregt, kann er seinen Feierabend nicht begehen. Die Bücher gehören in die Häuser von Armen und Reichen, in die Schulen, Vereine und Lesegesellschaften, r.

* Das Schwabenland in Farbenphotographien. Das an dieser Stelle schon mehrfach besprochene Werk bringt in den Heften 6 und 7 an farbigem Bildschmuck die Seeburg im Ermstal, Horb a. N.; eine reizende Ansicht vom Bade- und Luftkurort Liebenzell, eine solche aus Möckmühl; auf 4 besonderen Tafeln das Fürstlich Hohenzollerische Schloß in Sigmaringen, die Burgruine Schülzburg im Großen Lauter­tal, Schwäb. Hall und Blaubeuren. Auch diese neueren Hefte halten, was ihre Vorgänger inbezug auf Güte der bildlichen und textlichen Ausgestaltung versprochen haben. Ein Heft kostet 1,25 das Werk ist in 20 Heften abgeschlossen, der Vertrieb für Württemberg ist der bekannten Verlagsfirma Holland und JosenhanS in Stuttgart übertragen. Bestellungen vermitteln alle Buchhandlungen.

Für die Schriftleitung verantwortlich: Paul Kirchner. Druck und Verlag der A. Oelschläger'schen Buchdruckerei.