^ Bad Liebenzell, 21. Juli. Mit banger Sorge blickten wir gestern vormittag zum Himmel hinauf, schien es doch, als ob er alle Augenblicke seine Schleusen öffnen wolle und bei einem Militär- konzert stehen immer einige Hundert Mark auf dem Spiel. Doch nach 1 Uhr hellte es sich auf. Es schien, als ob das Erdbeben einen Einfluß auf die Witte­rung gehabt hätte, und um 4 Uhr konnte das Militärkonzert seinen Anfang nehmen. Herr Tho­mas hatte ein sehr schönes Programm zusammen­gestellt, das von der Kapelle mit bekannter Meister­schaft durchgeführt wurde. Reichen Beifall spendeten die dankbaren Zuhörer, was Herr Thomas mit verschiedenen Dreingaben quittierte. Leider war der Besuch nicht so stark wie früher. Den abgegebenen Karten nach war das Konzert von ungefähr 500 Personen besucht. Wohl war aus der Oberamts­stadt eine schöne Anzahl von Besuchern gekommen, aber die benachbarteGoldstadt" fehlte ganz.

8t. Oberhaugstett, 19. Juli. Das Bierfuhrwerk des Traubenw. Rothfuß von Wildberg kam auf noch un­geklärte Weise in der sog. Seesteige in so schnellen Lauf, daß die Pferde es nicht mehr halten konnten und es eines der wertvollen Pferde auf das eiserne Geländer des untenliegenden Vrückchens trieb, von dem eine Stange in die Brust des Pferdes eindrang, wodurch das Pferd sofort getötet wurde und der Wagen über die Brücke fiel.

8- Möttlingen, 20. Juli. Die bürgerl. Kollegien haben kürzlich beschlossen, unsere durch die vorjährigen Wasserleitungsarbeiten stark beschädigten Ortsstraßen einer durchgreifenden Erneuerung zu unterziehen und es soll zu diesem Zweck im Frühjahr die Dampf­straßenwalze in Tätigkeit treten. Beifuhr und Zer­kleinern von 500 cbm Steinen, welche dazu erforderlich sind, wurden in öffentlichem Abstreich von verschiedenen hiesigen Bürgern akkordiert. Die Landbewohner sehen mit Besorgnis auf die schön stehenden Fruchtfelder, welche durch den immerwährenden Regen bald Schaden leiden müssen, wenn die liebe Sonne nicht öfter in ihr Recht tritt.

Bad Teinach, 21. Juli. Am Sonntag abend ver­anstalteten zwei Stuttgarter Künstler, Leon Aschil, Hoftheatersänger, und Musikdirektor Zeller, im Ho­tel Hirsch ein Konzert, das, wenn es den Zweck hatte, die durch das trostlose Juliwetter getrübte Stimmung zu heben, außerordentlich gut gelang. Herr Aschil sang mit seinem für den kleinen Saal beinahe zu mächtigen Bariton Lieder unserer besten Meister. Die Künstler führten uns Werke von Wolfs, Weingartner, Rubin­stein, Schumann u. a. vor und durften sich eines stür­mischen Beifalles der leider sehr kleinen, aber dafür dankbareren Zuhörerschaft erfreuen. Nicht zu vergessen sind auch einige virtuos vorgetragene Klaviersoli des Herrn Musikdirektors Zeller. Wie wir hören, besteht die Absicht, am 22. Aug. im selben Lokal ein weiteres Konzert zu veranstalten und der Einsender möchte die Hoffnung daran knüpfen, daß die schönen Leistungen der beiden Künstler durch einen stärkeren Besuch gewürdigt werden. Am Abend zuvor spielte eine Zigeuner­kapelle im Gasth. zum Gold. Faß ihre flotten Wei­sen. Auch hier war der Besuch ein derart mangelhafter, daß die Veranstalter von einer Wiederholung durch zu geringe Einnahmen abgeschreckt wurden. Deshalb die kräftige Mahnung: Unterstützet derartige Veranstal­tungen durch fleißigen Besuch, was nur möglich ist, wenn die Abhaltung solcher Konzerte rechtzeitig und zeitge­mäß bekannt gemacht wird.

5t. Weilderstadt, 21. Juli. Eine Oberreal lehrersstelle an der hiesigen Realschule ist dem Hilfslehrer Dr. Adolf Steißler am Realgymnasium und der Oberrealschule in Ülm übertragen worden.

Württemberg.

Plattenhardt a. Fildern, 21. Juli. Am Samstag abend begab sich der ledige, mitte der 20er Jahre ste­hende Forstanwärter Wilhelm Klingler zu seinem ge­wohnten Abendreviergang in den Wald und kehrte nicht wieder zurück. Man suchte ihn den ganzen Sonntag über und auch heute vormittag, ohne ihn zu finden, weshalb sich die Nachricht verbreitete, daß er von Wil­derern ermordet worden sei. Die Sache hat sich nun folgendermaßen aufgeklärt: Als Klingler, ein sehr pflichteifriger und bei seinen Vorgesetzten beliebter jun­ger Mann, der erst vor kurzem vom Militär- in den Forstdienst übergetreten war, am Vetzenberg zwischen Plattenhardt und Waldenbuch im Reichenbachtal unge­fähr in der Gegend der Burkardtsmühle streifte, hörte er einen Schuß fallen, und eilte hinzu. Der 19jährige Gottlob Ruck von hier hatte in Begleitung des 18jähr. alten Christian Mack, ebenfalls von hier, einen Hasen geschossen. Der Forstanwärter rief die beiden Wilderer an. Wie sich nun die Vorgänge im einzelnen abspiel­ten, steht noch nicht fest. Jedenfalls hat Klingler ge­feuert und den Ruck am Ellenbogen leicht verletzt. Mack entriß Ruck seine geladene Flinte und gab auf Kling­ler einen Schuß ab, der diesen niederwarf. Da der Forstanwärter nicht gleich tot war, drehte Mack das Gewehr um und zertrümmerte ihm mit dem Ge­wehrkolben den Schädel. Darauf packten die beiden den sterbenden Mann und verbargen ihn in einer Schonung, wo die Leiche heute nachmittag um 4 Ilhr in einem schaudererregenden Zustand gefunden wurde. Der grausige Mord wäre nun wohl nicht so chnell an den Tag gekommen, wenn Gottlob Ruck nicht aus Angst um die möglichen Folgen seiner Mittäter­schaft den Angeber gemacht und sich beim Amtsgericht freiwillig gestellt hätte, wo er sich des Wilderns schuldig bekannte, die Mordtat aber seinem Kameraden Mack zuschrieb. Dieser ging zunächst flüchtig, stellte sich aber heute abend um ^10 Uhr in Stuttgart auf der Polizei­direktion. Auf den Fildern herrscht wegen dieser Tat große Aufregung. Plattenhardt ist übrigens seit Men­schengedenken dafür bekannt, daß es dort immer alte und junge Leute gegeben hat, die gern ohne Jagdschein auf die Pirsch gingen.

Ludwigsburg, 22. Juli. In der vergangenen Nacht wurde der 15jährige Schneiderlehrling W. Hieber, der sich, um zu naschen, in die Backstube einer Konditorei eingeschlichen hatte und dort zündelte, vom Bruder des Konditoreibesitzers erschossen. Der Junge hatte sich von seiner Schlafkammer drei Treppen herabge­schlichen, ein Fenster im Hofe seines Meisters durch­klettert und war dann über den Hof in das Backhaus gelangt, in das er durch das offene Fenster eindrang. Nachbarn bemerkten, daß in der Backstube etwas nicht ganz in Ordnung sei, und der Bruder des Besitzers begab sich in die Backstube, um nach dem Rechten zu sehen. Er rief in die dunkle Stube hinein, ohne aber jemand zu bemerken und zu erkennen und ohne Ant­wort von dem Jungen zu bekommen. Er ließ sich darauf einen Revolver holen und gab einen Schuß in die Backstube hinein ab. Der Schuß traf den zusammen­gekauerten Jungen gerade über dem Herz. Der unglück­liche>>,^e brachte den Geschossenen noch selbst zur Po­lizeiwache Dessen Leben war aber nicht mehr zu retten.

Oeschingen a. d. Steinlach, 21. Juli. Der in den vierziger Jahren stehende, hier allgemein beliebte und geachtete verheiratete Hauptlehrer E. Beck ist, wie be­reits kurz gemeldet, seit einigen Tagen mit einem bei ihm im Dienst gewesenen 16jährigen Mädchen ver­schwunden. Wie verlautet, hat Beck zuvor 5000 von seiner Lebensversicherung erhoben und sich von dem Ver­mögen seiner. Frau 600 zu verschaffen gewußt. Er hinterläßt eine Frau und 5 Kinder, denen sich all­gemeine Teilnahme zuwendet. Beck ist seit etwa 3 Jah­ren hier als Hauptlehrer tätig und war vordem in Ober­kochen.

^ Aalen, 21. Juli. Der 23 Jahre alte Hilfswärter Jakob Riek wurde kürzlich von einem Insekt gestochen, legte aber der unbedeutenden Verletzung keinerlei Be­deutung bei. Es stellte sich Blutvergiftung ein, die den ordentlichen jungen Mann in kurzer Zeit hinweg­raffte.

Friedrichshafen. 21. Juli. Nach den Berichten des Direktors Dürr, der die beinahe 20 Stunden dauernde Fahrt des neuesten Militärluftschiffes L. Z. 20 leitete, war die Fahrt eine der schwierig­sten, die je mit einem Zeppelinluftschiff ausgeführt wurde. Stundenlang war das Fahrzeug von strö­mendem Regen gepeitscht. Ueber dem Bodensee gesellte sich dazu ein Gegenwind bis zu 20 Sekunden­metern, der das Luftschiff über eine Stunde lang am Fleck festhielt. Bei der Landung in Frankfurt war es so vom Regen beschwert, daß zu seiner Ent­lastung alles Entbehrliche über Bord geworfen werden mußte, um einen unsanften Aufprall zu vermeiden. Heber dem Bodensee wurde eine Höhen­fahrt eingelegt, die bis zu 1800 Metern hinaufführte. Die endgültige Uebernahme durch die Militär­behörde erfolgt erst nach Ueberführung des Schiffes nach Baden-Baden. Zu feinem Kommandanten ist Hauptmann Lange ausersehen.

Aus Welt und Zeit.

Erster deutscher Vlindentag.

Berlin, 19. Juli. Ein Delegiertentag der deutschen Blinden, der erste in seiner Art, ist am 16. ds. in der Reichshauptstadt zusammengetreten. Die langjährigen Vorarbeiten zur Gründung eines Reichsverbandes der deutschen Blinden waren vor Jahresfrist so weit ge­diehen, daß der Verband ins Leben treten konnte, und jetzt soll er durch Schaffung von Verbandssatzungen und durch Gründung einer Verbandszeitung ausgebaut werden. 2000 Blinde haben sich bereits dem Verbände angeschlossen. Es waren Delegierte aus allen Teilen des Reiches erschienen; die meisten Blinden in Beglei­tung ihrer Frauen oder erwachsenen Kinder, die ihnen als Führer dienen. Soweit sie führerlos nach Berlin gekommen sind, sind ihnen Sanitätsmannschaften oder Schulkinder beigegeben worden. Auf einem Vegrüßungs- fest erklärte der Verbandsvorsitzende Vogel-Berlin, die deutschen Blinden hätten bisher immer nur Wohl­taten empfangen, seien aber jetzt dazu übergegangen, sich selbst die Einrichtungen und Institutionen zu schaffen, die sie zur Vertretung ihrer Interessen brauchten und die notwendig seien, um die Wünsche und Bedürfnisse der Gesamtheit der Blinden einheitlich zum Ausdruck zu bringen. Bis auf vier kleine Vereine, deren An­schluß aber bevorstehe, seien sämtliche in Deutschland bestehenden Ortsvereine dem Reichsverband angeschlos­sen. Auf dem Delegiertentag teilte Pastor Reiner mit, daß es in Deutschland etwa 38 000 Blinde gebe,

klmina.

9) Roman von Gerhard Büttner.

Er schien ein wenig traurig.

Lasten wir das," fuhr sie fort,ich muß jetzt wirk­lich hinauf in mein Zimmer. Mir ist nicht ganz wohl. Ich werde ein wenig ruhen. Und wenn ich dann zum Diner komme vielleicht sehen wir uns dann wieder!"

Ich danke Ihnen; erwiderte v. Haller und ließ endlich nach einem noch raschen Druck ihre Hand fahren.

Dann ging Amina dem Kurhause zu. Fest und sicher schritt sie dahin. Er aber sah ihr nach, als hätte er ihr vergessen zu danken für die Freude, die für ihn in ihren letzten Worten lag.-

2. Kapitel.

Der Herbst war ins Land gezogen. In der Reichs­hauptstadt Berlin lag in den Alleen das Baumlaub vergilbt in den Straßen. Oktober schrieb man.

In der Fremdenmetropole fielen die beiden frem­den Frauen, die unter den Linden einen Spaziergang machten, nicht sonderlich auf. Nur hin und wieder wandte sich dieser oder jener Neugierige nach Amina um, um der Augen willen, die ihn zu fesseln vermochten.

Erst gestern war Amina mit Alia und und Eio- vanna-Refia in Berlin eingetroffen. Aus Steinkirchen waren mit zunehmender Kühle nahezu alle Badegäste abgereist. Da hatte auch Amina nichts mehr gehalten.

In Berlin hatten sich die Türkinnen nach einem mehr privateren Quartier umgetan und sie hatten eine nette Wirtin angetroffen, die zwar kein Wort türkisch verstand, desto mehr aber über das gebrochene

Deutsch ihrer Mieterinnen lächelte. Nicht, weil sie es nicht verstand, sondern gerade, weil sie es gut verstand. Sie hatte schon an viele internationale Gäste vermie­tet gehabt; an Männer und Frauen; an Leute fast aller Nationen. Denn ihr Chambre garnie hieß aus­drücklichKosmos-Chambre-garnie", was gleichbedeu­tend schien mitmöbliertes Zimmer für Weltbürger". Und sie hatte eine große Wohnung, diese Wirtin, welche sich Madame Greifenstädt nannte, keine Kinder und keinen Anhang zu haben schien, ziemlich bejahrt war und wohl eine ehrsame Witwe vorstellte. Wenigstens schien das so. Gestern, da Amina und Alia und die kleine Giovanna-Refia bei ihr ein Quartier nachsuch­ten, gab sie sich sehr französisch, war dies doch die einzige fremde Sprache, die sie einigermaßen beherrschte, und in der sie sich Fremden gegenüber sehr gefiel. Man merkte es Madame Greifenstädt an, wie sehr sie sich ärgerte, daß die fremden Damen diese Sprache nicht auch konnten, und sie mit ihnen auf gut Deutsch reden mußte, wobei es ihr unerträglich schien, die deutsche Sprache so falsch und gebrochen von den Türkinnen be­handelt zu misten. Aber immerhin verstanden sich die Drei allmählich. Dabei erklärte Madame Greifen­städt, daß zu gleicher Zeit mit den Damen, jetzt bei ihr ein Franzose, zwei Dänen, ein Rüste und fünf Eng­länder wohnten. Und sie hielt sich deshalb für das begehrteste Chambre garnie der Millionenstadt. Zu­gleich empfahl sie den Damen sehr ihren beliebten Mit­tagstisch, der auch international sei. Sie verstehe sich auf die kosmopolitanischen Gaumen. Und beim Mit­tagstisch blieben die Fremden auch nicht einsam. Man käme reichlich aus der Stadt, bei ihr zu dinieren. Ihr Dining-Room, welchen Ausdruck sie für ihren Speise­

saal, seit dem ersten Engländer, der bei ihr gewohnt

hatte, benutzte, sei so komfortabel, daß selbst der ver­wöhnteste Gentleman bei ihr gerne speiste. Und zudem der Flirt in ihrem Hause! Der stände Sommers und Winters in gleicher Blüte. Madame Greifenstädt ver­langte aber auch eine respektable Miete, und die Speise­karte? Amina und Alia hatten später Gelegenheit, sich von den Preisen den Appetit verderben zu lassen, trotzdem sie an Ansprüche und Ausgaben gewöhnt wa­ren. -Also in diesem Hause wohnte Amina.

Zwar erst den zweiten Tag; aber es gefiel ihr bis jetzt. Nur den Mut, in der tadle cl'kote des Hauses mit teilzunehmen, den hatte sie bis heute noch nicht finden können, und so suchte sie denn heute, wie auch gestern, mit Alia ein erstes Hotel in der Stadt auf, wo es ähnlich zuging, wie im Kurhotel in Steinkirchen, wo ihr annähernd die Umgangsformen der deutschen Welt vertraut geworden waren, die für eine internatio­nale Mittagstafel bei Madame Greifenstädt wohl nicht zureichten.

Die nachmittägliche Herbstsonne lag aus der Straße Unter den Linden", als Amina jetzt mit Alia nach gemeinsamem Mittagsmahl dort ein wenig spazieren ging. Die Straße war gedrängt voll. Die meisten mochten ihrem Geschäft nach der mittäglichen Pause zustreben. Die Sonne meinte es um diese Stunde noch recht gut mit dem alten, lieben Berlin.

So faßte denn Amina den Entschluß, nach ihrem Quartier zu eilen und mit der kleinen Giovanna-Refia ihren Spaziergang fortzusetzen.-

Es war gegen die dritte Nachmittagsstunde, als sie mit Alia das Haus der Madame Greifenstädt er­reichte. Das Haustor war fest verschlossen. Die beiden