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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
88. Jahrgang.
Erscheinungsweise: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis.- Im Oberamts- bezirk Calw für die einspaltige Borgiszeile 10 Psg.. außerhalb desselben 12 Psg-, Reklamen 2S Psg. Schluß sür Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Teleson 8.
Donnerstag, den 17. 3uli 1913.
Bezugspreis: In der Stadt mit Lrägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post- bezugSpreiS für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.
Amtliche Bekanntmachungen
K. Regierung für den Schwarzwaldkreis.
Zwangsinnung.
Hiedurch mache ich bekannt, daß die Aeußerungen für oder gegen die Errichtung einer Zwangsinnung für das Schneidergewerbe im Oberamtsbezirk Calw schriftlich bis zum 26. Juli ds. Js. oder mündlich in der Zeit vom 17. bis 26. Juli ds. Js. bei mir anzugeben sind. Die Abgabe der mündlichen Aeutzerung kann während des angegebenen Zeitraums an jedem Werktag vormittags von 8—12 Uhr und nachmittags von 3—6 Uhr in den Diensträumen der Kceis- regierung, Zimmer Nr. 26, erfolgen.
Ich fordere hiedurch alle Handwerker, welche im Oberamtsbezirk Calw das Echneiderhandwerk betreiben, zur Abgabe ihrer Aeußerung mit dem Bemerken auf, daß nur solche Erklärungen, welche erkennen lasten, ob der Erklärende der Errichtung der Zwangsinnung zustimmt oder nicht, gültig sind, und daß Aeußerungen, welche nach Ablauf des obigen Zeitpunkts eingehen, unberücksichtigt bleiben.
Reutlingen, den 15. Juli 1913.
Der Kommissar:
Oberamtmann Or. Kümmerten.
Die Herren Ortsoorsteher
werden beauftragt, vorstehende Bekanntmachung in ortsüblicher Weife zur Kenntnis der Beteiligten zu bringen.
Lalw, den 16. Juli 1913.
K. Oberamt.
Amtmann Rippmann.
Rußland und China
Es ist noch in lebhafter Erinnerung, daß um den Beginn .des Balkankrieges herum das Verhältnis zwischen Rußland mnd China wegen der mongolischen Frage sich arg zuzuspitzen begann. Rußland hatte aber, als Hintermann Serbiens und Montenegros, in der Balkanpolitik ein recht schlechtes Gewissen, wußte nicht, wie weit es sich mit seinen Schützlingen noch einlassen müsse, und ging darum her und schlug China ein Abkommen vor, das dieses einigermaßen befriedigen konnte, da es ihm wenigstens nicht alle Rechte in der Mongolei nahm. Das Abkommen durchlief inzwischen in China die nötigen verschiedenen Instanzen und war nun daran, seine Sanktion zu erhalten. In dieser Zeit hatten sich aber auch die Dinge ans dem Balkan so entwickelt, daß Rußland eine ernstliche Verwicklung nicht mehr befürchten zu müssen glaubte und nun ging es her und warf das Abkommen Mit China über den Haufen. Ihm scheint offenbar die Gelegenheit günstig, mehr für sich herauszuschlagen, als ihm unter den früheren Verhältnissen möglich war, und so haben wir heute den Beginn einer neuen Konfliktsära zwischen Rußland und China, wie sie uns in nachstehender Depesche angekündigt wird:
Peking, 15. Juli. Zu den inneren Unruhen in China treten nunmehr ernste Schwierigkeiten mit dem Ausland. Es herrscht hier große Aufregung sowohl unter den Chinesen als auch unter den Ausländern wegen neuer Forderungen, die von Rußland unerwarteter Weise gestellt wurden, die an Stelle des Abkommens treten sollen, das von der chinesischen Regierung angenommen, am 30. Mai dem Parlament unterbreitet, von ihm an eine besondere Kommission verwiesen wurde, alsdann die Zustimmung des Repräsentantenhauses erhielt und jetzt im Senat beraten werden soll. Gestern und heute fanden geheime Sitzungen beider Häuser statt. Der Premierminister, dringlich aufgefordert, machte den Mitgliedern die Mitteilung, daß Rußland China eröffnet habe, cs habe sich entschlossen, das vorgeschlagene Abkommen vor seiner Unterzeichnung zu annullieren. Rußland habe an Stelle dieses Abkommens vier neue Vorschläge gesetzt, die die chinesische Regierung für härter halte als die Bestimmungen des jetzigen Abkommens. Durch diese Vorschläge werde die volle Autonomie der äußeren Mongolei anerkannt, China nur zum Souzerän erklärt und gezwungen, die russische Vermittlung anzunehmen, um alle Rechte anzuerkennen, die durch das Abkommen und das Protokoll von Urga vom November v. Js. Rußland zugesianden worden seien. Ferner werden durch diese Vorschläge die Rechte der russischen Untertanen und Händler in der Mongolei festgesetzt. Alle Fragen, die sich daraus ergeben, sollen durch spätere Verhandlungen erledigt
werden. Im Parlament wurde gegen die neuen Vorschläge ein scharfer Widerspruch laut.
Peking, 16. Juli. Wie gemeldet wird, haben die Städte Kiangsi, Kiangsu, Kwangst, Fukien, Konton, Szechuan, Hunan und Anhui die Absicht, ihre Unabhängigkeit zu erklären. Einige von ihnen haben dies auch in vorsichtiger Form bereits getan. Viele Nordtruppen sind nach Kiangsi abgegangen, wo der Kampf noch andauert, augenscheinlich ohne Entscheidung. Die Haltung der Japaner ruft bittere Komentare hervor. Die Chinesen glauben, daß die Japaner überall Hader stiften. Die Anwesenheit japanischer Offiziere im Lager der Rebellen gibt dieser Annahme Farbe, besonders die Tatsache, daß japanische Kanonenboote in der Gefechtszone vor Anker liegen und zu einem Protest des Vizepräsidenten Liyuanhung geführt hat. Die Südtruppen erklären öffentlich, sie hätten Zusicherungen betreffend japanischer Hilfe erhalten. Chinesische Blätter wollen eine amtliche Erklärung bezüglich einer angeblichen Rede des zum japanischen Gesandten in Peking ernannten japanischen Diplomaten Aamaza, in der die Verwaltung Duanschikais kritisiert wird. Die japanische Gesandtschaft ist der Ansicht, daß Uamaza falsch zitiert worden sei und bestreitet, daß den Rebellen von den Japanern offiziell Unterstützungen gewährt werden oder sonst irgendwie die Neutralität verletzt worden sei.
London, 16. Juli. Aus Shanghai wird gemeldet, daß nach Nachrichten aus dem Innern des Landes China vor einer zweiten" Revolution steht.
Dom Kriegsschauplatz.
Die Aussicht auf baldigen Frieden hat sich nach den neuen Nachrichten vom Balkan wieder verschlechtert. Der Abschluß eines Waffenstillstandes ist in weite Ferne gerückt. Rußland weigert sich, weiter zwischen den Kriegführenden zu vermitteln, da Griechenland und Serbien seine Vorschläge zurückgewiesen habe. Die Folge dieses russischen Rücktritts ist zunächst nun die Demission des bulgarischen Kabinetts Danew, das sich, nachdem sein Ersuchen an Rußland fehlschlug, nicht mehr halten kann. Und die weitere Folge ist, daß der Waffenstillstand nun unterbleiben wird. Die Lage im allgemeinen spiegelt sich in folgenden Meldungen wieder:
Sofia, 16. Juli. Die russische Regierung weigert sich, nach der Zurückweisung der von ihr im Interesse Bulgariens vorgeschlagenen Milderung der Waffenstillstandsbedingungen, für Serbien und Griechenland in der Sache des Waffenstillstandes weiter tätig zu sein. Das russenfreundliche bulgarische Ministerium Danew hat deshalb seine Entlastung gegeben. An seine Stelle tritt ein aus allen liberalen Parteien zusammengesetztes Kabinett unter Radoslanow, dessen erste Aufgabe es ist, einen Ausgleich mit Rumänien herbeizuführen.
Rumänien.
Bukarest, 16. Juli. Der König hat gestern abend 10 Uhr seine Reise in das Hauptquartier angetreten. In der Nacht wurde Befehl erteilt, den Uebergang über die Donau zu beginnen. Das Brückenschlägen dauerte 7 Stunden. An zwei Stellen gingen die Truppen über den Fluß.
Bukarest, 16. Juli. Die rumänische Regierung hat an die Großmächte eine Note gerichtet, in der der Standpunkt Rumäniens wegen der von ihm geforderten strategischen Grenze und der ganzen Balkankrise dargelegt wird. In der Note wird erklärt, Rumänien sei jetzt der einzige intakte Faktor auf dem Balkan und habe außer der Grenze, die es bereits erreicht habe, keine besonderen Interessen auf dem Balkan außer der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts.
Die Türken.
Konstantinopel, 16. Juli. Nach dem Abzug der Bulgaren haben die türkischen Truppen, die Rodosto besetzten, Armenier und Griechen maßakriert. Auf die Beschwerde des armenischen Patriarchen hat die Pforte den Generalissimus beauftragt, eine Untersuchung einzuleiten. Der bulgarische Exarch wandte sich nach Petersburg, um die Vermittlung des Zaren zu Gunsten Bulgariens anzurufen.
Wien, 16. Juli. Der „Neuen Freien Presse" wird von besonderer Seite gemeldet, daß die türkische Armee heute die Orte Bunar-Histar, Lüle-BurgaZ und Wisa besetzt und den Vormarsch auf Kirkiliste fortgesetzt hat. Demselben Blatt wird aus Konstantinopel von besonderer Seite gemeldet, daß
die Türkei bereits in den allernächsten Tagen den endgültigen Frieden mit Serbien und Griechenland unterzeichnen dürfte.
Budapest, 16. Juli. In Belgrad haben sich bisher 68 Erkrankungen an Cholera feststellen lasten, von denen 23 tödlich verliefen.
Stadt, Bezirk und Nachbarschaft
Talw, 17. Juli 1913.
Ein Zeppelinkreuzer, „L. Z. 20", rauschte gestern nachmittag, just zur Nachmittagsschläfchen-Zeit, über unsere Stadt hin und wurde mit dem üblichen Hallo und Hurra durch Junge und Alte begrüßt. Gar manch einer schreckte ob dem .ohrenbetäubenden Geschrei auf der Straße und im Haus aus seinem süßen, wohlverdienten Schlummerstündchen: „Wo brennts?", um sich dann aber rasch zu beruhigen, als er ange- schrien wurde: „D'r Zeppelin!" Und dann schrie man eben auch tüchtig mit Hurra! Das Luftschiff war in Friedrichshafen 11 Uhr 20 vormittags aufgestiegen, um nach Frankfurt a. M. überführt zu werden , An Bord befand sich ein Teil der militärischen Abnahmekommission. Ueber den Hohen- zollern weg flog es zu uns und traf nach guter Fahrt Uhr in Frankfurt ein. Dort wurde es glücklich in die Halle gebracht.
Insektenstiche. Auf Spaziergängen im Walde und auf Wegen zwischen Feldern setzt man sich in der jetzigen Jahreszeit, namentlich an schwülen Tagen und vor dem Ausbruch von Gewittern, sehr oft der Gefahr aus, von Insekten gestochen zu werden. Die Wirkungen der Insektenstiche werden kaum durch die geringfügige Verletzung hervorgerufen, das Gift vielmehr, das in die Wunde dringt, oder der Stachel, der stecken bleibt, verursachen den Schmerz. Im allgemeinen sind zwar Insektenstiche nur selten tödlich, aber immerhin geben sich ihre Folgen oftmals in mehr oder minder heftiger entzündeter Anschwellung des betreffenden Körperteiles und durch meist einige Tage hindurch andauerndes Schmerzgefühl kund. Gegen Insektenstiche, welche die Hände treffen können, schützt man sich am besten durch lederne Handschuhe. Von Stichen betroffene Hautstellen betupft man mit Salmiakgeist, den man deshalb auf Spaziergängen im Sommer stets bei sich führen sollte. Gegen die Entzündung macht man kühlende Umschläge. Diese sind zu erneuern, wenn das Tuch warm geworden ist und die Schmerzen an der betroffenen Stelle noch empfunden werden Rührt der Stich von einer Biene oder dergleichen her, so must der Stachel vorher mit den Fingern oder, wenn nötig, mit einer Pinzette herausgezogen werden. Die von altersher übliche Verwendung von kühler Erde ist zu verwerfen, da leicht kleine Teilchen von Erde in die Wunde gelangen können und dadurch die Gefahr einer Blutvergiftung entsteht. Gegen Stiche im Munde wendet man Eisstückchen an, die man im Munde zerschmelzen läßt, in schweren Fällen must ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden.
v. Parlamentarier-Jubiläum. Mit dem Abgeordneten Haußmann geht auch der Führer des Zentrums, der Abgeordnete Gröber seinem 25 jährigen Landtagsjubiläum entgegen. Beide Abgeordnete kandidierten erstmals im Herbst 1888 und wurden am 9. Jan. 1889 in den Landtag gewählt, in den sie am 30. Januar 1889 eintraten. Die beiden Abgeordneten sind jetzt diejenigen der gegenwärtigen Volksvertreter, die der 2. Kammer am längsten angehören. Gröber wird am 11. Febr. nächsten Jahres 60 Jahre alt, Haußmann ist 3 Jahre jünger.
Freie Bodenseefahrt. Den Mitgliedern der württ. Ständeversammlung ist neben der freien Eisenbahnfahrt nunmehr auch das Recht zur freien Fahrt auf den württembergischen Bodenseedampfschiffen in beliebiger Klasse eingeräumt worden. Für die Ständemitglieder sind am 11. Juli d. Js. Bodenseefahrkarten auf gelbem Papier mit dem Aufdruck „Nur für die eigenen Schiffe giftig" ausgestellt worden. Sie haben dieselbe Giltigkeitsdauer wie die Eisenbahnfahrkarten der Ständemitglieder.