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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

88. Jahrgang.

Erscheinungsweise: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts­bezirk Calw sür die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg.. Reklamen 25 Pfg. Schluß sür Jnseratannahme 10 Uhr vormitrags. Telefon 9.

Mittwoch, den 16. Juli 1913.

VezugSpreiS? In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post- bezugsvreis für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg-, in Bayern und Reich 42 Pfg.

Die politische Lage in Baden.

Geh. Hofrat Rebmann, der Führer der National­liberalen Badens, legt in einem längeren, in badischen Blättern veröffentlichten Aufsatz die Gründe dar, die das vielumstrittene Stichwahlabkommen von National­liberalen, Volkspartei und Sozialdemokratie für die Landtagswahlen im Herbst rechtfertigen sollen. Er schreibt:

Der Sinn des ganzen Abkommens ist der, daß die drei Linksparteien entschlossen sind, eine klerikal-reaktio­näre Mehrheit zu verhindern, und daß sie dafür in der Stichwahl Zusammengehen wollen, während in der Hauptwahl mit Ausnahme von 5 Kreisen National­liberale und Fortschritt Zusammengehen, dagegen in al­len Kreisen gegen die Sozialdemokratie zu kämpfen haben werden. Das Abkommen unterscheidet sich von den Vereinbarungen der Jahre 1905 und 1909 dadurch, daß jetzt schon im Prinzip der Eroßblock für die Stich­wahl vorgesehen ist, während in jenen Jahren das nicht geschah und die Vereinbarung wegen ganzen oder teilweisen Zusammengehens nur mit der fortschrittlichen Volkspartei stattfand. Die heutige Lage ist die kon­sequente Entwicklung der Verhältnisse, die einmal durch die ganze Gestaltung der politischen Entwicklung des Landes seit zwei Menschenaltern, insbesondere aber durch die Verfassungsänderung des Jahres 1904 geschaf­fen worden ist, die dem Land das Reichstagswahlrecht beschert hat. Seit dem Jahre 1860 ist in Baden Regie­rung und Verwaltung liberal gewesen und bis zur letz­ten Verfassungsänderung hat die nationallib. Partei die Mehrheit im badischen Landtag gehabt. Bis zu jener Zeit hat das Zentrum versucht, diese Mehrheit" dadurch zu brechen, daß es Hand in Hand mit Demo­kratie und Sozialdemokratie gegangen ist und diese Parteien als Hebel gegen die Vorherrschaft der National­liberalen gebraucht und unterstützt hat. Mit der Ein­führung ds neuen Wahlrechts aber erhob sich alsbald die Gefahr einer klerikal-reaktionären Mehrheit. Das erkannt und die nötigen Schritte zu ihrer Verhinderung getan zu haben, ist das bleibende Verdienst der da­maligen nationalliberalen Führer. Diese Maßnahmen bestanden darin, daß die Demokraten aus ihrer Anleh­nung an das Zentrum herausgelöst und durch den da­maligen Kleinblock zu taktischem Zusammengehen mit den Nationalliberalen geführt wurden, und daß dann in der Stichwahl zum ersten Male der Eroßblock zu­stande kam, der nunmehr als Frucht dieser ganzen Politik eine liberal gerichtete Mehrheit in den badischen Landtag brachte. Genau die gleiche Taktik hatte im Jahre 1909 auch den gleichen Erfolg, und die ganze konsequente Fortführung dieses politischen Gedankens hat nunmehr zu den Abkommen der letzten Woche ge­führt. Der Kampf ist von hoher Bedeutung nicht bloß für Baden allein. Man bedenke, daß in Elsaß-Loth­ringen eine klerikale Mehrheit im Landtag sitzt, ebenso in Bayern, datz in Württemberg die Entwicklung nach derselben Richtung geht, daß allein in ganz Süddeutsch­land in Baden noch liberal regiert werden kann. Fällt auch diese Burg, so steht der ganze Süden des Deut­schen Reiches unter klerikal-konservativer Vorherrschaft. Daß das sür die gesamte Reichspolitik ein schwer be­drohlicher Zustand ist und auch für die Politik im Reich nicht ohne unheilvolle Folgen bleiben kann, ist ohne weiteres ersichtlich. Die Partei hat ihre volle Selbständigkeit äußerlich und innerlich gewahrt, hat auch gelegentlich radikale Versuche von rechts und links ab­zuwehren verstanden. Es ist bekannt, daß der Eroß­block in Baden bis weit in die Kreise der National­liberalen Partei hinein verurteilt wird, daher ist es nicht ohne Interesse, den Führer des rechten Blockflü- gels über ihn urteilen zu hören.

Stadt, Bezirk »nd Nachbarschaft.

Talw, 16. Juli 1913.

Erklärung.

DasCalwer Tagblatt bringt in seiner Nummer 160 an hervorragender Stelle einen Aufsatz:Meu­

ternde Fürsorgesträflinge". In diesem Artikel findet sich die Stelle:Prüfe man doch einmal die sogenann­ten Hausväter im allgemeinen und man kann da oft sein blaues Wunder erleben". Dieser Satz enthält in seiner Allgemeinheit die Beleidigung eines Standes, der ebenso ehrenwert ist, wie jeder andere. Wenn der Zeitungsschreiber aus eigener Anschauung wüßte, wie viel saure Mühe, wie viel seelische Anstrengung und Aufregung, wie viel schwere Erziehungsarbeit mit dem Beruf eines Hausvaters verbunden sind, und wie gering vielmals der Erfolg all der getanen Arbeit ist, dann würde er ein anderes Urteil über diese Anstaltsmänner gefunden haben, als die verletzenden Ausdrückeso­genannter Hausvater" undsein blaues Wunder er­leben". Wer nicht ein Herz voll Liebe und die Kraft großer Selbstverleugnung hat, der läßt die Hand von der Stellung eines Hausvaters. Wenn unter diesen Männern sich einmal ein räudiges Schaf findet, so haben das die Hausväter mit sämtlichen anderen Berussarten gemein, und nach dieser billigen und zugleich sehr un­billigen Methode kann man jeden Stand verdächtigen. Zudem sind wir in Württemberg, und bei uns zu Lande gehören die Hausväter fast ausschließlich dem Lehrer­stand an; will man diesem Stand vorwerfen, er pflege Drill und Soldatengeist"? Wir weisen den Ton, in dem von densogenannten Hausvätern im allgemeinen" gesprochen wurde, zurück und glauben, daß diese Män­ner zu gut sind, um auf diese Weise vor der Öffent­lichkeit an den Pranger gestellt zu werden. Heber die Auffassung der Anstaltsarbeit, die aus dem Artikel spricht, wollen wir mit dem Verfasser nicht rechten. Nur das darf gesagt werden, daß unsere christlichen Rettungs- atrftalten die gefährdete Jugend nicht alsStocksünder" ansehen,an denen nichts mehr zu retten ist"; wir nennen unsere Häuser ja gerade Rettungsanstalten, weil wir glauben, daß hier viel zu retten ist. Gerettet, meinen wir, müssen junge Leute werden, derenFrei­heitsdrang" sich darin betätigt, daß sie die Schule schwän­zen, herumzigeunern, stehlen, Häuser anzünden, und ähnliches verüben. Wollten wir aus der bald hundert­jährigen Geschichte der Stammheimer Anstalt mit Tat­sachenmaterial aufwarten, so würde sich ein we­sentlich anderes Bild der Anstaltsarbeit ergeben, als der Verfasser sich zurechtphantasiert. Wir hoffen, daß die­jenigen Kreise der Bezirkseinwohner, welche unserer Rettungsanstalt bisher ihr Wohlwollen geschenkt haben, sich durch den erwähnten Artikel nicht daran irre machen lassen, datz in unserer Anstalt und von ihrem Haus­vater eine Arbeit geleistet wird, die ihr Vertrauen verdient.

Der Verwaltungsrat der Rcttungsanstalt Stammheim.

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Diese Erklärung drucken wir deshalb in ihrem Wortlaut ab, um unfern Lesern zu zeigen, wie sehr oft in bester Absicht geschriebene und der Öffentlich­keit übermittelte Aufsätze auch mißverstanden werden. Als Widerlegung des kritisierten Artikels wird man diese Erklärung nämlich nicht betrachten können, dazu ist sie viel zu aufgeregt und übersieht deshalb Zweck und Richtung des Artikels und die Auffassung des Ar­tikelschreibers über die Anstaltsarbeit. Wenn Würt­temberg bezüglich seiner Fürsorgeanstalten weniger zur Kritik Anlaß gibt, als Preußen, dann ist Entrüstung umso unnötiger. Natürlich können wir niemand hin­dern, sich beleidigt zu fühlen, wenn er meint, Anlaß dazu zu haben. Wir bedauern dabei nur, daß die Leute, statt eine Sache zu prüfen, was doch das Nächst­liegende wäre, sich so leicht gekränkt Vorkommen, und scheints glauben, der Redakteur sitze in einem fort da, und brüte aus, wie er diesen oder jenen Stand, diese oder jene Einrichtung am besten beleidigen könne! Daß es auch noch Leute gibt mit ruhigerer, objektiverer Ge­mütsart, mögen die Einsender daraus ersehen, daß wir ihre Erklärung samt den in ihr enthaltenen Schiefheiten, in denen sie merkwürdigerweise keine Beleidigungen er­blicken, unfern Lesern unterbreiten. D. R.

Annahme von Eisenbahnanwärtern. Der Bedarf an Eisenbahnanwärtern ist noch nicht gedeckt. Weitere Kandidaten werden fortwährend angenommen. Be­werber, die nicht aus Grund ihrer Schulzeugnisse von einer Latein-, Real- oder Bürgerschule angenommen werden können, haben sich einer im Oktober d. I. statt­findenden Aufnahmeprüfung zu unterziehen.

8Ld. Mutmaßliches Wetter. Für Donerstag und Freitag ist zwar zeitweise trübes und gewitteriges, aber meistens trockenes und ziemlich wärmeres Wetter zu erwarten.

G Bad Liebenzell, 15. Juli. Vom herrlichsten Wet­ter begünstigt, wurde gestern das Kinderfest gefeiert. Ein stattlicher Zug freudigglänzender Kindergesichter bewegte sich gegen 2^ Uhr durch die Straßen der Stadt. Ein wesentlich anderes Bild bot er den Zuschauern, als in früheren Jahren. Hatte doch die Jugend selbst alles aufgeboten, um den Zug farbenprächtig zu gestal­ten. Den Zug erösfneten, überall freudig begrüßt, die sieben Schwaben. Ihnen folgte der Riese Erkinger in gleißendem Stahlgewand. Hinter ihm, gleich einem Brautzug, eine lange Reihe kleiner Wagen, jeder wie­der seine besondere Eigenart verratend. Ihnen folgten, vielfarbig, blumenschwer die Fingerhutfee und die Ro­senkönigin. Vielleicht hatten die in Aussicht gestellten Preise noch besonders zu eifriger Tätigkeit angeregt. Auf größeren Wagen folgten das Wappen von Lieben­zell, ein hübsches Birkenhäuschen und die Blumen­königin. Außer Konkurrenz fuhren dasNeue Schul­haus 19??, der Grundstein zum Konversationshaus und das von einem Hund gezogene Luftschiff, das mit Un­regelmäßigkeiten muß bei diesen Fahrzeugen ja noch ge­rechnet werden etwas zu spät, aber doch noch recht kam. Mochten auch unsere Straßen diesem und jenem, seine Stabilität nicht gut behauptenden Wagen etwas gefährlich werden, es kam doch alles glücklich in die zum Festplatz gewordenen Anlagen. Dort begann bald ein reges Leben. Nach dem Wettlauf begannen die ver­schiedenen Spiele: Kletterbaum, Ball- und Ringwerfen, Schießen. Besondere Heiterkeit erregte das Rutschen auf der Walze um die Wurst und das Tauchen nach dem ..Zehner". Trübte sich auch gegen Abend der Himmel, so hatte er heute doch sein Einsehen, denn er wartete mit seinem Naß, bis die letzten der Freudigen in zu­friedenster Stimmung den Festplatz geräumt hatten. Es darf wohl gesagt werden, das heurige Kinderfest be­deutet einen Fortschritt. Es hat nicht nur Gaben ge­bracht, es hat auch Anregungen gegeben und Kräfte geweckt, die bisher brach lagen und darin liegt nicht zum mindesten auch ein erzieherischer Wert. Das nächste Mal noch bester.

G Bad Liebenzell, 15. Juli. Kurtheater.Das grobe Hemd", ein Volksstück von C. Karlweis ging gestern über die Bretter. Im Mittelpunkt des Stücks stehen die Familien Schöllhofer und Wendelin. Schöll­hofer, ein praktischer Geschäftsmann (Hr. Blum au) hat es im Lauf der Zeit zu Wohlstand gebracht. Seine Tochter Franzi (Frl. Kraus) tut sich darauf auch et­was zu gut, während ihr Bruder Max (Hr. Schröder) glaubt, nur das selbsterworbene Gut mache glücklich. In der Familie des Baurat Wendelin (Hr. Mein- berg) gibt die Frau (Frl. Remmers) den Ton an. Im weiteren Verlauf zeigt sich Hr. Schöllhofer als sor­gender Hausvater und praktisch überlegender Geschäfts­mann, während der Sohn Max idealere Anschauungen vertritt. Der Vater täuscht nun seinen Kindern vor, daß er all sein Vermögen durch Spekulation verloren habe. Die Tochter findet sich bald in die veränderten Verhältnisse, weniger ihr Bruder, besonders als die Familie des Baurats Wendelin auf Betreiben der Frau immer mehr den Verkehr abbricht, während doch unter den Jungen schon gegenseitige Verbindungen ange- knüpst sind. Doch die Liebe siegt, vollends als sich Wendelin nach 27 Jahren auch einmal auf seine Man­nesehre besinnt und seiner herrschsüchtigen Frau zeigt, wer das Szepter zu führen hat. Als sich vollends zeigt, daß die Armut des Schöllhofer nicht den Tatsachen entspricht,