Nagold, 10. Juli. Am Montag, den 14. Juli d. Js. vormittags 10 Uhr wird auf dem Rathaus die Amtseinsetzung und die Verpflichtung des neuen Ortsvorsteher erfolgen. Da­nach findet ein Esten im Hotel Post stat. Blättermeldun­gen zufolge haben in den letzten Tagen drei Fremde, die man für Franzosen hielt, in einer hiesigen Sägemühle einen Ar­beiter für die Fremdenlegion anwerben wollen, indem sie ihm ein Handgeld von 500 anboten. Sie sollen dann im Auto ebenso schnell wie sie kamen, wieder verschwunden sein. Der Fall bedarf noch der Nachprüfung.

Württemberg.

Aus dem Landtag.

Stuttgart, 10. Juli. Die Zweite Kammer einigte sich heute darin, die Frage der Landespolizeizentrale durch einen Nachtragsetat der Regierung zu regeln und trat dann in die Beratung des Kinogesetzes ein. Weber (Z) wies auf den Schaden der Kinos an der Jugend hin und begrüßte den Beschluß der Ersten Kamer, Kinder unter 17 Jahren den al­leinigen Besuch zu verbieten. Er beantragte Ueberweisung des Entwurfs an den Justizausschuß. Dr. Hartenstein (V) begrüßte den Entwurf gleichfalls im Interesse der Jugend, wünschte aber eine möglichste Beschränkung der örtlichen Kon­trolle und eine Einschränkung der Kinos. Heymann (S) äußerte gegen den Entwurf mehrfache erhebliche Bedenken. Es wäre verfehlt, wenn eine ungeeignete Polizei strenge Zen­sur ausüben würde. Der Geschmack des Volkes lasse sich durch Polizeigesetze nicht beeinflussen. Minister v. Fleischhauer betonte, man könne der Regierung keine feindlichen Tendenzen gegen die Kinobesitzer in die Schuhe schieben, wenn sie gegen die Auswüchse Front mache. Um diese Auswüchse zu besei­tigen, ließen sich polizeiliche Vorschriften nicht entbehren. Dem Bundesrat werde in Bälde eine Vorlage betr. die Einschrän­kung der Zahl der Lichtspieltheater zugehen. R o t H-Leonberg (BK) bekannte sich als Freund des Entwurfes, durch den die Volksbildung gefördert und nicht erdrosselt werde. Hasel (N) begrüßte den Entwurf und sprach den Wunsch aus, daß Behörden, Schule und Eltern Zusammenarbeiten. Hierauf wurde der Gesetzentwurf an den Justizausschuß verwiesen. Morgen 11 Uhr Gerichts- und Notariatsgebühren und um 12 Uhr eine gemeinschaftliche Sitzung beider Häuser.

Stuttgart, 10. Juli. Erste Kammer. Das Haus geneh­migte heute debattelos in Uebereinstimmung mit der II. Kam­mer eine größere Anzahl Bauexigenzen und nahm dann Stel­lung zu den verschiedenen abweichenden Beschlüssen, die das andere Haus zu Beschlüssen dieses Hauses gefaßt hatte. U. a. hatte die ll. Kammer beschlossen, auf ihren Beschlüssen be­züglich der Quieszierung der Beamten der Tierärzt­lichen Hochschule zu beharren. Das diesseitige Haus beschloß nun heute, diesen Beschlüssen beizutreten, um die Vorlage nicht zu gefährden, sprach jedoch die Erwartung aus, daß durch die Anfügung des von der II. Kammer beschlossenen und von ihm bei der ersten Beratung gestrichenen Absatzes 6 keinerlei Konsequenzen für künftige Zuruhesetzungen entstehen. Der Entwurf wurde darauf in namentlicher Abstimmung, da nunmehr Uebereinstimmung zwischen beiden Häusern besteht, angenommen. Nach einer Pause von einer Stunde beschloß das Haus, den abweichenden Beschlüssen der ll. Kammer bezüg­lich des Entwurfs über einen Zuschlag zu den Gerichts­

kosten und Notariatsgebühren beizutreten, jedoch mit der Maßgabe, daß die dabei vorgesehene Zuschlagsbefreiung bei unbebauten Grundstücken von mehr als 5000 und bei be­bauten von mehr als 10 000 nicht eintreten darf. Da so­mit eine Uebereinstimmung noch nicht erzielt ist, geht der Ent­wurf nochmals an das andere Haus. Schluß 12 Uhr. Nächste Sitzung morgen 10 Uhr. Um 12 Uhr findet eine gemeinschaft­liche Sitzung beider Häuser statt.

Horb, 10. Juli. Der Minister des Innern v. Fleisch­hauer trifft am Samstag vormittag hier ein, um die ange­kündigte Konferenz mit den Vertretern der vom Unwetter betroffenen Gemeinden abzuhalten. Sie findet im hiesigen Rathaus statt. Am Nachmittag folgt ein Besuch der geschä­digten Gemeinden, an dem der Minister ebenfalls teilnehmen wird.

Böblingen, 10. Juli. Schultheiß Bauer von Ehningen hat dieser Tage sein 25jähriges Dienst­jubiläum als Ortsvorsteher begehen können. Er war 11'/s Jahre in Alldorf und seit 13'/- Jahren wirkt er hier. Er ist zugleich Bezirksobmann des Württ. Kriegerbundes.

Stuttgart, 10. Juli. Der zum persönlichen Berater Uuanschikais in Peking in allen technischen Fragen ernannte Baurat Baur ist, lt. Staatsanzeiger, ein geborener Stuttgar­ter, Sohn des verstorbenen Professors Dr. Baur am Polytech­nikum und Schwager von Finanzrat Knüpfel (früher bei Kmpp). Er hielt sich im Auftrag dieser Firma wiederholt längere Zeit in China auf. Seiner Zeit war er auch am Bau der Bahn Tuttlingen Beuron beteiligt und in den letzten Jahren in Kiel tätig.

Stuttgart, 10. Juli. Heute setzte es während der Sitzung der bürgerl. Kollegien scharfe Auseinandersetzungen ab. Bei der Beratung über Einrichtung eines neuen Asyls mit Kin­derkrippe führte die Debatte auch auf die städtische Bäckerei. B. A. M. Manz erwiderte dem Vorwurf G. R. Kälberers, ei­nen solchen Gesellen, wie Manz, behalte er keine 6 Wochen in seinem Geschäft, daß er bei Kälberer deshalb die Arbeit auf­gegeben habe, weil er es vor Wanzen nicht habe aushalten können und weil er nicht gewohnt sei, den Hundekot aus der Backstube zu kehren. Es sei unverantwortlich von K. ge­wesen, s. Zt. solch geringwertiges Brot an die Spitalverwal­tung zu liefern. G. R. Kälberer entgegnete, er habe noch nie einen Hund gehalten und früher habe er allerdings in einem Haus gewohnt, von dem jedermann wisse, daß Wanzen darin keine Seltenheit gewesen seien. Die spitzige Unterhaltung setzte sich auch bei einem anderen Kapitel weiter. Es wurde dem Oberbürgermeister vorgehalten, daß er die Vorlagen für Feste immer erst einbringe, wenn mit den Festvorbereitungen schon begonnen sei, der Rathaussaal sei zu einem Fest- und Freß- saal geworden. Der städtische Rechtsrat Dr. Albert begrün­dete die Berechtigung der abgehaltenen städtischen Feste und eine Kritik des Beobachtens über die Nichteinladung der Presse zum Zeppelinessen mit der unverfrorenen Bemerkung: Uebrigens ist es nicht einzusehen, warum die Presse nicht auch einmal über etwas berichten soll, wobei sie nicht mit- gegesten hat". Daraufhin verließen die Pressevertreter den Sitzungssaal.

Stuttgart, 10. Juli. Wie bereits kurz gemeldet, ist ein deutscher Soldat in Wittenbach Kanton St. Gallen, bei einem Einbruch in das Stationsgebäude, als er den Polizeiwacht­meister Giger mit seinem Seitengewehr angriff, erschossen und getötet worden. Es handelt sich um den 1892 in Ebingen geborenen Karl Mey, der vor einiger Zeit vom Grenadier­regiment 119 hier desertierte und sich in seiner Uniform in der Nordostschweiz Herumtrieb. Er hat den Polizeiwachtmeister schwer verletzt. Nachdem er den Schuß aus dessen Revolver empfangen hatte, lief er noch 50 Meter weit und brach tot zusammen. Mey soll auch einige Tage zuvor schon in der Station Hauptwil eingebrochen sein.

Stuttgart, 10. Juli. In dem schon wiederholt erwähnten Protest der Stuttgarter Bäckerschaft gegen die geplante Ein­richtung einer städtischen Bäckerei ist nun eine größere Streit­schrift der Bäckerinnung erschienen, die scharfe Angriffe gegen die Stadtverwaltung enthält. Es heißt darin unter anderem: Die Hoffnung der Gewerbetreibenden, daß in der bisher we­nig wohlwollenden Haltung der Stuttgarter Stadtverwaltung gegenüber berechtigten Wünschen des Kleingewerbes künftig eine Aenderung eintreten werde, hat sich nicht erfüllt. Die schöne Wahlrede war nur ein Köder. Im Bunde mit der Sozialdemokratie traten der Stadtvorstand und sein Stell­vertreter, der besoldete Gemeinderat Klein, für die städtische Bäckerei ein. Diese Erscheinung ist übrigens nicht vereinzelt. Auch sonst kann man die Beobachtung machen, daß auf dem Rathaus seit dem Abgang des Oberbürgermeisters v. Gauß ein verschämtes Liebäugeln mit der Sozialdemokratie begonnen hat."

Untertürkheim, 10. Juli. Die Daimlerwerke haben sich infolge schleppenden Geschäftsganges zu einer Verkürzung ih­rer» Arbeitszeit genötigt gesehen. Vom kommenden Montag an ist die Arbeitszeit auf 40 Stunden wöchentlich herabgesetzt worden.

Hohenhaslach OA. Vaihingen, 10. Juli. Gestern abend 7 Uhr kamen die Eheleute Eottl. Kurz in Streitigkeiten, in deren Verlauf Kurz seine Ehe­frau mit Stechen bedrohte. Die Frau rief um Hilfe, worauf der älteste Sohn herbeikam und dem Vater mit einer Haue einen Hieb auf den Kopf versetzte, daß er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mußte. Die Verletzungen machten seine Ueber- führung ins Ludwigsburger Bezirkskrankenhaus nötig, wo er heute früh starb.

Aalen, 10. Juli. In der gestrigen Sitzung der bürger­lichen Kollegien wurde der Voranschlag des Gemeindehaus­haltes für das Rechnungsjahr 1913 beraten. Nach dem Ab­schluß betragen die Einnahmen 254 000 die Ausgaben 610 000 ,sodaß sich eine Unzulänglichkeit von 356 000 ergibt, die eine weitere Erhöhung der Umlage, die seither schon 15)4 A> ergibt, um )4 erforderlich machte. Dadurch steht Aalen fast wiederum an der Spitze der Städte mit höch­ster Gemeindeumlage. Im übrigen konnte aus einer verglei­chenden Zusammenstellung der letzten 20 Jahre eine wesent­liche Erhöhung der vereinigten Steuerkataster festgestellt wer­den, wobei insbesondere auch das Gewerbekataster einen nicht unwesentlichen Anteil hat.

Kmina.

3) Roman von Gerhard Büttner.

Tiefe Stille umfing sie. Nur das gleichmäßige Ticken einer Uhr und der Atem von Mutter und Kind gab dieser Stille Inhalt. Der Mondesschein stahl sich ins Zimmer, blaßweiß, fast gespenstisch. Er umspielte die Schlafenden und erfüllte beide Gemächer mit einem phosphor-kuiulichen Licht. Und es war, als wenn der Zauber dieser Nacht sich harmonisch mit den Schönheiten einer Orientnacht verbunden hätte. Wenigstens schien das der wachenden Alia, der jetzt alle Schläfrigkeit ge­nommen schien, so. In Gedanken vermeinte sie bei ge­spanntem Aufhorchen die Wellen der Adria rauschen zu hören. Ihr war's, als plauschten die Zypressen ihrer Heimat Flüstermärchen. Und es waren doch nur fernhin die Wogen der Ostsee, die da rauschten und die Föhren des Parkes um das Kurhotel, die da ihr Nachtgespräch hielten. Und Alia dachte an Italien und ihre Heimat Durazzo zurück, an ihren ganzen Kreis der Verwandt­schaft und Freundschaften, an ihre Jugend und dann an die ihrer Herrin Amina.

Mulay Omar, der Herrin Vater, war ein reicher Kaufherr Durazzos gewesen, der mit Tabak handelte. Ein milder Mann von reichlichem Ansehen, der nur zu früh für seine Familie einer heimtückischen Krankheit erlag. Als italienischer Makler ging in dem Hause des alten Omar oftmals im Jahre der Venetianer Viktor Thomaso aus und ein; ein Handelspatrizier von schlankem Wuchs, vornehmen Allüren und einem ein­nehmenden Gesicht. Eine unverwüstliche Gesundheit schien ihm eigen zu sein und impulsiv, wie sein ganzes Benehmen, blickten auch seine Augen in diese Welt, etwa wie die eines Imperators Napoleon; seine Worte sprudelten stets nur so hervor. In allem aber, was er unternahm oder sagte, lag Wirkung. In seinen Ge­schäften so, wie in seinem Privatleben. Dieser Mann nun, dunkelbrünett, egoistisch und rasch lebend, konnte auf die Dauer einer Schönheit, wie Amina sie unter

den Durazzoer Frauen vorstellte, nicht gleichgültig ge­genübertreten. Er suchte sie zu gewinnen, und gewann sie; wenn auch nicht durch Erwiderung seiner angeb­lichen Liebe, als mehr durch seine langjährigen Bezie­hungen zum Hause Omar, dessen damals längst ver­storbener Stammherr seine Freundschaft zu Tomaso sei­nem Sohne Kadir Ahmed vererbt hatte. Dieser Bru­der Aminas aber, und ihre Mutter Lala el Alia waren für den Plan einer ehelichen Verbindung ihres Hauses mit dem venetianischen Patriziergeschlecht der Thomasos sehr eingenommen, da dadurch die gegenseitig vorteil­haften Geschäftsverbindungen der beiden Handelshäuser nur gefestigt werden konnten. Und deutlich kamen der Dienerin die öfteren Erzählungen ihrer Herrin in Erinnerung. Erst gestern hatte sie zu ihr gesagt:Ja, Alia, meine Mutter war es, die diese Heirat erstrebte. Mich nahm es eigentlich wunder, daß sie als Türkin solche Wünsche hatte und auch meine Zustimmung er­wirkte. Jedoch, heute weiß ich es, daß sie es ihrem eigenen Herzen zuliebe tat. Thomasos Vater, Alia, war meiner Mutter Freund vor ihrer Ehe mit Mulay Omar, meinem Vater, gewesen, den sie nie geliebt hatte." Und dann überdachte Alia die Tage der Braut­zeit Aminas mit Viktor Thomaso, die Zeit der Ehe­schließung und der Flitterwochen; war sie doch als alte Dienerin ständig um die Herrin gewesen. Nur als die Uebersiedelung Aminas dann nach Venedig erfolgte, blieb sie daheim, in Durazzo. Doch schon nach kaum Jahresfrist kam ein Brief aus Venedig von Amina an sie:Alia, wenn Du noch die alte gute bist, die Amina treu sein kann, dann komm! Elend bin ich und mein kleines Kind schreit nach einer Wärterin, die der Mut­ter Laute spricht, eine gute Seele hat und ihre Mutter schützt gegen die Stiche italienischer Vampire. Sage meiner Mutter, Alia, daß Du zu mir willst, ohne diesen Brief zu zeigen und komm! Du sollst es gut haben, bei Deiner Amina." Wenige Wachen darauf reiste Alia nach Venedig. Und dort sollte sie es nur zu bald er­kennen, daß Amina unter unsäglichen Peinigungen litt, und so gar nicht recht mit ihren kaum zwanzig Jahren auf dem Platze der Frau des Kaufherrn Thomaso war.

Nach einem Jahre einsamer Ehe stellte es sich heraus, daß der Gatte sich wenig um Aminas Liebe zur alten Heimat kümmerte, sie eifersüchtig quälte und im Jäh­zorn oft zu Tätlichkeiten sich verflieg, deren roher Ur­sprung Amina das Herz zerrissen und ihr den nie recht geliebten Mann zu einem Quälgeist machte. Und mit jedem neuen Morgen wuchs Schritt für Schritt die Ent­fremdung mit der zunehmenden Brutalität des Italie­ners. Und dann die kleine Eiovanna-Refia war ge­rade ein halbes Jahr alt da kam der folgenschwere Konflikt, der Tag, an dem Viktor Tomaso die Gattin für einen von ihm unerlaubten Ausgang züchtigte. Eiskalt lief es der alten Dienerin bei der Erinnerung daran über den Rücken. Sie sah sich noch in der Hast, mit der sie zu Hilfe eilte, und die schwer geschlagene Herrin aus den Händen dieses Wüterichs befreite, der hinter einer schönen Larve eine Unnatur verbarg. Mit zischenden Lauten hatte der pöbelhafte Patrizier sein Weib fahren lassen, die alte Alia zurückgestoßen und war gegangen. Wohin? Man wußte es nicht. Vielleicht in ein Weinhaus am Sant Marko. Vielleicht in eins der venetianischen Hotels, wo man jeut, als gäbe es in der weiten Welt kein weiteres Gebot als nur: spielen und zechen! Und wie köstlich, daß er nicht so bald heimkehrte. Mit Fieberhaft drängte Alia zur Flucht. Heimwärts nach Durazzo. Doch Amina über­legte und sann und schließlich sagte sie sich mit Recht, daß sie dort nicht geschützt war vor den tierischen Be­gierden und dem Sklavenbändigertum ihres Mannes. Und sie erinnerte sich der Reiseprospekte, die sie in Un­zahl als Kind bei ihrem Vater gefunden hatte und be­sonders der in ihrer Erinnerung haftengebliebenen Bil­der des Ostseestrandes, quer durch das ferne deutsche Reich hindurch. Wie eine höhere Eingebung kam es ihr vor, daß sie jetzt jene Landschaft als Zufluchtsort wählte. Mit Alia gemeinsam raffte die junge Frau ihre Habseligkeiten zusammen, versah sich mit den nö­tigen Mitteln, und bereits noch in derselben Nacht reisten Mutter, Kind und Dienerin dem fernen Norden entgegen.

(Fortsetzung folgt.)