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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

88. Jahrgang.

Erscheinungsweise: «mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts­bezirk Calw für die einspaltige Borgiszeile IO Pfg., außerhalb desselben 12 Psg., Reklamen SS Psg. Schluß für Jnseratannahme 10 llhr vormittags. Telefon 8.

Mittwoch, den S. Juli 1913.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.L5 vierteljährlich. Post. bezugSpreir für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. l.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Psg.. in Bagern und Reich 42 Psg.

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Rußlands Niederlage auf dem Balkan.

Von Ernst J äckh-Berlin.

K.-K. Bor dem Balkankrieg bin ich durch Bulgarien gewandert und geritten über den Schipkapaß hinaus und hinunter, über die blutgedüngten Schlachtfelder der grimmig-grausamen Winterkämpfe zwischen den damals vereinigten Russen und Bulgaren und den standhaften Türken im russisch-türkischen Krieg 1877/78, der Bul­garien befreit und begründet hat. Dort auf den Schipkapatzkuppen Bulgariens künden russische Kreuze auf weiten Massengräbern von der russisch-bulgarischen Gemeinschaft von dazumal aber aus manchen Gedenk­steinen hat bulgarischeUndankbarkeit" bereits das rus­sische Blei entfernt. Und in Rustschuk steht stolz in Erz gegossen ein bulgarischer Löwe, der die Ketten der Sklaverei zerreißt und zerbeißt: ich habe einmal bul­garische Generalstäbler gefragt, was das für Fesseln seien, die dieser Leu vernichte, und sie raunten rätsel­frei:Das waren einmal türkische Ketten, das werden bald auch die russischen Fesseln sein aus denen wir uns lösen!"

Das war in Rustschuk wie gesagt; in jenem Rustschuk, in dem der Vater des jetzigen russischen Herrn den Vorgänger des jetzigen bulgarischen Fürsten, den Battenberger, durch eine Depesche hat anhalten lassen, die ihm klipp und klar sagte, Rußlands Interesse wolle es nicht dulden, daß der bulgarische Fürst seine Herr­schaft weiterführe. Der Battenberger gehorchte und dankte ab: so drückend und so wirksam lasteten damals noch die russischen Klammern auf Bulgarien.

Wieder hat jetzt ein russischer Zar an einen bul­garischen Fürsten telegraphiert,die slavische Sache" fordere es, daß Bulgarien im bulgarisch-serbischen Streit­fall sich dem russischen Schiedsgericht füge. Aber der Koburger, klar und klua, stark und stolz, besteht auf seinem bulgarischen Recht und pocht auf den bulga­rischen Schuldschein. Diese Gegenüberstellung veran­schaulicht die Entwicklung des bulgarischen Selbstbe­wußtseins in diesen 27 Jahren, zwischen jener Zaren- Depesche an den sich duckenden Battenberger und der jetzigen Zarendepesche an den sich streckenden Koburger, eine Entwicklung, die den, der die bulgarische Geschichte und Eigenart kennt, kaum überrascht, die still, aber sicher die Richtung genommen hat, die über den Balkan­krieg hinaus Geltung bekommen wird. Die Natürlich­keit und Notwendigkeit der bulgarisch-russischen Diffe­renz und Divergenz beweisen und bestätigen folgende Tatsachen und Daten, deren Zusammenfassung gerade jetzt die verborgenen Kräfte klarlegt: 1879 wird der Prinz von Battenberg zum ersten Fürsten Bulgariens gewählt, und er erhält russische Beiräte. 1883 stellt der Battenberger die altbulgarische Verfassung von Trnowo wieder her gegen den russischen Willen. 1885 führt der Vattenberger die ostrumelische Vergröße­rung durch gegen den russischen Willen: Rußland ruft seine Offiziere von Bulgarien ab. 1886 wird der Battenberger durch den russischen Panslawismus ge­stürzt und vertrieben: der russische General Kaulbars wettert in Bulgarien gegen dieLandstreicherpolitik" des bulgarischen Ministeriums Stambulow, mit dem Erfolg", daß jede Verbindung zwischen Rußland und Bulgarien abgebrochen wird. 1887 verhindert Rußland eine bulgarische Thronbesteigung durch den dänischen Prinzen Waldemar (mit Erfolg) und versucht die gleiche Jntrigue gegen den deutschen Prinzen Ferdinand von Koburg (ohne Erfolg): Rußland fordert die Vertrei­bung des Koburgers aus Bulgarien durch die Türkei. 1891, 1892 und 1895 folgen sich die Mordtaten des russischen Panslawismus gegen die bulgarischen Mi­nister Veltsew, Vulkowitsch und Stambulow, die alle drei der Reihe nach durch Söldner Rußlands getötet werden. Erst 1895 wird eine bulgarische Deputation in Petersburg empfangen, erst 1896 der bulgarische Fürst Ferdinand selbst anerkannt. Dann kommen die Zahre, in denen Ferdinand die russische Freundschaft "Zuckst und gebraucht und in denen er auch die öster- rerchrsche Nachbarschaft genießt und ausnützt. Der erste Strich durch die russische Rechnung ist bereits die Um­biegung des Valkanbundes: Rußland wollte einen Bal­kanbund mit der Spitze gegen Oesterreich und Bulgarien zwang dem Valkanbund die Spitze gegen die Türkei auf eine Tatsache, die im vorigen Sommer in Ruß- land so überrascht und enttäuscht hat, daß noch kurz vor ^usbruai des Balkankriegs Petersburg in Belgrad oazu geraten hat, Serbien möge Bulgarien seinen

Kampf allein durchfechten lassen. Und auch während des Balkankriegs hat der bulgarisch-russische Gegensatz trotz dergemeinsamen slawischen Sache" sich bestätigt: als der bulgarische Eeneralstab daran ging, die Tscha- taldschalinie zu formieren, da hat die russische Diplo­matie in Sofia ein Halt geboten. Ein russischer Zar soll das Kreuz auf die Hagia Sofia in Konstantinopel setzen dürfen, aber kein bulgarischer Zar!

Und ingrimmig zügelte der Vulgär sich nochmals: aber der bulgarischeVasall" fühlt sich in Lebensfragen doch frei vom russischenVäterchen"; der bulgarische Zar ist eine gleiche Größe neben dem russischen Zaren geworden und künftig ein gefährlicher Rivale im Schwarzen Meer und am Mittelmeer.

Noch einmal versuchte Rußland dem bulgarischen Volk sich als Protektor aufzustempeln in der Zaren­depesche, aber der bulgarische Kopf lehnt kühl und ruhig ab. Rußland mag noch Augenblickserfolge und Schein­erfolge diplomatisch sich zurechtmachen: je größer und kräftiger Bulgarien wird, desto selbständiger und selbst­bewußter wird und muß es handeln. So erklärt sich auch die russische Zuneigung zu Serbien, das noch länger am russischen Gängelband sich halten läßt im gemein­samen Gegensatz gegen das verhaßte Oesterreich. Der allrussische Chauvinismus jammert bereits über ein rus­sisches Mukden auf dem Balkan, über die russische Niederlage gegenüber Bulgarien: diese Auffassung wird durch die Geschichte bestätigt werden, ebenso wie die ent­gegengesetzte Politik Oesterreichs, das einem starken Bulgarien Vorschub leistet, um es wie Rumänien für die Dreibundspolitik zu gewinnen und so die deutsch­österreichische Verbindung über Rumänien und Bul­garien mit der Türkei zu erreichen.

Bom Kriegsschauplatz.

Wien, 8. Juli. Die Neue Freie Presse meldet aus Sofia: Die Armee des Generals Kowatschew ist in er­folgreichem Vordringen zwischen Köprülü und llesküb. Man weiß allerdings, daß die Armee Kowatschews mit den zur Aufnahme der Timokdivision entsandten serbi­schen Streitkräften, deren Stärke auf zwei Divisionen angegeben wird, einen harten Kampf zu bestehen hat. Von einem Rückschlag auf diesem Teil des Kriegsschau­platzes könnte jedoch durchaus nicht die Rede sein. Vom griechischen Schauplatz hört man nur, daß General Iwanow gegen die gesamte griechische Armee defensiv ohne große Verluste sich hält und Verstärkungen erhalten hat. Er hat feine bisher auf größere Räume verteilten Truppenkörper wieder vereinigen können und dürfte nunmehr in der Lage sein, den Griechen längere Zeit Widerstand zu leisten. Bei llesküb unternahmen gestern die Serben zwei heftige Angriffe, wurden aber durch Gegenangriffe der bulgarischen Truppen zu­rückgeworfen. Bei Küstendil scheinen die Serben zu versuchen, die bulgarische Küstendil-Armee von der bei Kratowo-Kotschana operierenden Armee abzuschneiden.

Belgrad, 8 .Juli. Wegen einiger in den hiesigen Krankenhäusern bei den Verwundeten festgestellten Cholerafälle erscheint die baldige Sperrung der öster­reichischen Grenze nicht unwahrscheinlich. Die Kranken werden in Baracken isoliert. Die Stadtbevölkerung ist noch nicht angesteckt.

London, 8. Juli. DerDaily Telegraph" meldet, die türkische Armee vor Tschataldscha sei entschlossen, den Vormarsch auf Adrianopel zu beginnen und diese Festung aus den Händen der Bulgaren zurückzuerobern. Die Pforte wird sich zu diesem Vorhaben vollkommen indifferent verhalten, um den Anschein zu erwecken, als ob die Armee gegen den Willen der Pforte handele.

Orsowa, 8. Juli. Der DampferTegethoff", der der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft gehört, führte 250 bulgar. Soldaten von Lompalanka nach Widdin. Vom rumän. Ufer aus wurde er bei Pojana von rum. Solda­ten angerufen, u. 3 Schüsse auf ihn abgegeben, die einen bulgarischen Soldaten tötlich verwundeten und einem rumänischen Fahrgast den Arm zerschmetterten. Von rumänischer Seite wird erklärt, die Soldaten seien von der Ansicht ausgegangen, daß die bulgarischen Soldaten eigentlich Deserteure seien, die als rumänische Staats­bürger bulgarischer Nationalität über die Grenze ge­flohen seien, um in bulgarische Dienste zu treten.

Stadt» Bezirk und Nachbarschaft.

Calw» 9. Juli 1913.

Die Eerichtsferien. Am 15. Juli beginnen wieder die bis 15. September dauernden Eerichtsferien. In dieser Zeit werden von den Gerichten nur in Ferien­sachen Termine abgehalten und Entschädigungen er­lassen. Feriensachen sind (siehe insbes. tztz 201 ff. des Eerichtsverfassungsgesetzes): 1. Strafsachen; 2. Arrest­sachen und die eine einstweilige Verfügung betreffenden Sachen; 3. Meß- und Marktsachen; 4. Streitigkeiten zwi­schen Vermieter und Mieter wegen lleberlassung, Be­nützung oder Räumung der gemieteten Räume (dagegen z. V. nicht wegen Bezahlung der Mietzinsen); 5. Strei­tigkeiten zwischen Dienstherrschaft und Gesinde, Arbeit­gebern und Arbeitern hinsichtlich des Arbeits- und Dienstverhältnisses, alle Kaufmanns- und gewerbe­gerichtlichen Sachen (mit Ausnahme der Streitigkeiten über Krankenversicherungsbeiträge); 6. Ansprüche aus außerehelichem Beischlafe; 7. Wechselsachen und Scheck­sachen; 8. Streitigkeiten wegen elektrischer Anlage; 9. Bausachen bei Streit über Fortsetzung des angefangenen Baues; 10. Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichts­barkeit; 11. Das Kostenfestsetzungsverfahren; 12. Das Mahnverfahren (Zahlungsbefehle); 13. Das Zwangs­vollstreckungsverfahren!. Mit Ausnahme der Straf­sachen, welche durch die Eerichtsferien naturgemäß keine Verzögerung erleiden dürfen, ist so das Gebiet der ge­setzlichen Feriensachen verhältnismäßig klein.

Neue württembergische Militärformationen. Nach dem Armeeverordnungsblatt wird die in Friedrichsha­fen neuzuerrichtende württ. Luftschifferkompagnie, welche die 4. Kompagnie (1. Mannheim, 2. Metz, 3. Lahr bezw. vorläufig Gotha) des Luftschifferbataillons Nr. 4 in Mannheim bilden wird, dem 14. (badischen Armeekorps zugeteilt. Die neue württ. Funkenkompagnie, welche als 3. Funkenkompagnie des Telegraphenbataillons Nr. 4 mit weiteren Kompagnien in Karlsruhe Garnison er­hält, wird der 2. Inspektion der Telegraphentruppen, Sitz in Karlsruhe, unterstellt; ebenso das württ. De­tachement der Festungsfernsprechkompagnie Nr. 4 in Straßburg.

Zum Liederfcst in Tübingen. DasLehrerheim" vom 5. Juli d. I. schreibt:Von den 92 wettsingenden Vereinen wurden 56 von seminaristisch gebildeten Leh­rern dirigiert. 40 derselben erhielten Preise. Don lebenden Komponisten aus dem Lehrerstand waren ver­treten: Nagel, Löffler, Arnold, Wengert. Ihre Kom­positionen errangen alle einen Preis. Besonders er­folgreich waren Ringwald (Schnaitheim), welcher mit 2 Vereinen einen Preis holte; ebenso Arnold (Alten­stadt), welcher mit seiner eigenen KompositionDas Sternlein" einen zweiten Preis im gehobenen Volks­gesang und mit einem andern Verein einen ersten Preis im einfachen Kunstgesang errang."

Außerwürttembergische National-Missionsspenden. die Sammlung des evangel. Komitees in Hessen hat 61 659,30 -4l, die in Pommern 133 000 -4t ergeben.

Schwäbische Gedenktage. Am 9. Juli 1796 war zwi­schen dem französischen General St. Cyr und dem öster­reichischen General Kaim ein heftiges Gefecht bei N e u- s a tz OA. Neuenbürg. Am 9.10. Juli I486 brann­ten 93 Gebäude (^l der damalig. Stadt) von Herren­berg nieder. Am 11. Juli 1652 vertauschte der Deutschorden die Herrschaft Möhringen an den Frei­herrn Georg Friedrich vom Holtz gegen dessen Ritter­gut Absberg in Franken. Am 12. Juli 1702 war bei Schramberg das ganze Tal überschwemmt, sodaß man nicht einmal zu Pferd von einem Haus zum andern kommen konnte. Vom 12. Juli 1759 bis 25. Septem­ber 1764 saß Johann Jakob Moser auf dem Hohentwiel gefangen. Am 14. Juli 1796 kam es zwischen Alt- und Neuheng st ett und Simmozheim OA. Calw zu einem Vorpostengefecht zwischen Franzosen und Oester­reichern. Am 15. Juli 1794 brannte die Stadt Sulz a. N. fast ganz ab, 193 Gebäude wurden ein Raub der Flammen. Am 16. Juli 1701 wurde in Tuttlingen der Mathematiker Georg Wolfgang Krafft geboren.