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^§ 142 .

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Ealw.

88. Jahrgang.

Erscheinungsweise: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts­bezirk Calw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg.. Reklamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Samstag, den 21. Juni 1913.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post- bezugSpreiS für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., rn Bayern und Reich 42 Pfg.

Amtliche Bekanntmachungen.

Bekanntmachung.

Das Jnvalidenprüfungsgeschäft für dieses Jahr fin­det wie folgt statt:

Zn Herrenberg (Rathaus) am 3. Zuli, von vormitt. 8 Uhr ab.

in Neuenbürg (Rathaus) am 7. und 8. Zuli, von vormitt. 8 Uhr ab,

in Calw (Bezirkskommando) am 4. und S. Zuli von vormitt. 8 Uhr ab.

Es haben hierzu sämtliche Invaliden und Renten­empfänger, die diesseits in Kontrolle stehen und deren Pension bezw. Rente mit Ende September ds. Zs. ab­läuft, zu erscheinen.

Calw, den 19. Juni 1913.

Kgl. Vezirkskommando.

Parlamentarisches.

Aus dem Reichstag.

Berlin, 20. Juni. Nach befriedigender Beantwor­tung einer polnischen kleinen Anfrage durch den Direk­tor des Reichsamts des Innern, Eeheimrat Dr. Kas­par, gab es heute unerwarteter Weise eine lange und ausgedehnte Geschästsordnungsdebatte. Der Abgeordn. Frank (Soz.) holte die Genehmigung des Präsidenten ein, eine Depesche verlesen zu dürfen. Präsident Dr. Kaempf erteilte ihm hierzu die Erlaubnis, jedoch mit der Mitteilung an die Abgeordneten, daß der Inhalt der Depesche geeignet sei, eine neue Debatte über den gestern hinreichend lange behandelten Militärboykott wachzurufen. Gras Westarp (K.) erhob jedoch gegen die Verlesung lebhaften Widerspruch und auch von Payer (V.) trat aus Grund seiner langjährigen Prä- stdenenpraxis für die Nichtverlesung des Telegramms ein. Man strit noch lange hin und her, aber der un­absehbaren Debatte machte Dr. Frank in diplomatischer Weise Schluß, in dem er aus die Verlesung freiwillig verzichtete und das Telegramm zur Kenntnisnahme der Abgeordneten aus den Tisch des Hauses niederlegte. In der ganzen Aussprache war kein Wort über den In­halt des Telegramms gefallen und alle Abgeordneten waren neugierig, zu wissen, was in dem Telegramm stand. Sie eilten daher in dichten Scharen zum Auf- legetisch vor dem Rednerpult und dort wurde ihnen kund und zu wissen, daß die deutschen Ga st wirte in

einem an Dr. Frank gerichteten Telegramm mit ihren 100 000 Mitgliedern lebhaften Protest gegen die Ausfüh­rungen des Generalleutnants v. Wandel einlegten, wo­zu dieser erklärte, daß auch die Gastwirtsverbände den dauernden Boykott sozialdemokratischer Wirtschaften für richtig hielten. Erst darauf konnte man die gestern zu­rückgestellte Abstimmung vornehmen. Die sozialdemo­kratische Resolution über den Militärboykott wurde abgelehnt und die Resolution der Kommission über diese Frage nach Hammelsprung mit 196 zu 100 Stimmen an­genommen. Hieraus kam man aus das Kapitel der Beför­derung zu sprechen und Dr. Werner- Gießen (Antis.) unternahm es, auf die Frage der jüdischen Offiziere zu sprechen zu kommen. Schöpflin und Haase (S.)> Wald st ein (V.) und Erzberger (Z.) traten den Ausführungen des antisemitischen Führers in scharfer Weise entgegen. Schließlich wurde der sozialdemokrati­sche Beförderungsantrag abgelehnt. Ein weiterer so­zialdemokratischer Antrag verlangt, daß zum Militär­dienst eingezogene Mannschaften nicht zu polizeilichen Zwecken im wirtschaftlichen und politischen Kampf und nicht als Ersatz für streikende oder ausgesperrte Arbeiter verwendet werden dürfen. Liebknecht begründete den Antrag. Seine scharfen Ausführungen zogen ihm einen Ordnungsruf zu. Ihm, sowie dem Abgeordneten Sachse (S.) antwortete der Kriegsminister. Aber auch dieser Antrag wurde abgelehnt. Gegen die 7. Abendstunde stellte Bebel einen Vertagungsantrag, der jedoch abgelehnt wurde- Dätaus bestieg Stadthagen von der Sozialdemokratie die Rednertribüne, um in scharfer Rede gegen die Militärjustiz Stellung zu neh­men. Ilm 7 Uhr 50 vertagte sich das Haus auf morgen mit gleicher Tagesordnung.

Aus dem Landtag.

Stuttgart, 20. Juni. Die Zweite Kammer beriet heute den EtatsabschnittErtrag der Domänen" und be­faßte sich zunächst mit der Badanstalt in Wildbad, die sich fortwährend einer guten Weiterentwicklung erfreuen darf. Nach Mitteilung des Finanzministers von G est­ier soll die Errichtung eines Kurmittelhauses in An­griff genommen werden, sobald der erforderliche Be- riebssonds angesammelt sein wird, wahrscheinlich noch in dieser Etatsperiode. In der Debatte über das Ka­pitel der Forsten wurde betont, daß man mit der Forst­einrichtungsanstalt bis jetzt nicht die besten Erfahrungen gesammelt habe. Locher (Z.) erklärte, in Fachkreisen erscheine es nicht sicher, daß die Höhe der Holzpreise an-!

halten würde. Rübling (B.K.) wünschte längere Vorgfristen für die kleinen Holzinteressenten. Forst­direktor von Eraner stellte weitere MMel zu Weg­bauten in Aussicht. Der Holzertrag wurde entsprechend einem Antrag des Berichterstatters Mohr (Z.) für 1913 auf 19153 000 -4l, für 1914 auf 18 457 500 fest­gesetzt. Eine längere Aussprache knüpfte sich an den im Ausschuß abgelehnten und heute von Abgeordneten meh­rerer Parteien wieder eingebrachten Antrag, die Forst­ämter Hllrbel und Kleinaspach in Fostamtmannsbe-- zirke umzuwandeln und dasselbe auch tunlichst für das Forstamt Wiblingen vorzusehen, ferner den bisherigen Stand der Forstamtmänner im äußeren Dienst beizu­behalten und schließlich die Bewilligung der hiezu er­forderlichen Mittel auszusprechen. Der Berichterstatter Mohr (Z.) kritisierte, daß die Staatsvereinsachung ausgerechnet bei den Forstverwaltungsämtern anfangen wolle, obwohl sich dieser Berufszweig sehr gut rentiert und obwohl sie den Eemeindewaldungen die größten Vorteile bringen. Finanzminister von Eeßler er­klärte dann, daß das Haus seinerzeit 12 Aufhebungen von Forststellen gutgeheißen hat, während jetzt nur 6 ins Auge gefaßt seien. Diese Reduktion wird weder den Gemeinde- noch den Staatswaldungen nennens­werte Nachteile bringen. Commerell (N.), Köh­ler (Z.) und Freiherr Pergler von Perglas (B.K.) traten gleichfalls für den erwähnten Antrag ein. Da­bei wurde vor zu starkem Andrang zum Forstfach in nächster Zukunft gewarnt. Präsident v. Eraner teilte mit, daß er gern 10 Stellen aufgehoben hätte,' er dachte sich als künftige Zusammensetzung 145 Ober­förster- und 35 Forstamtmannsstellen. Haußmann (V.) beantragte, die ganze Frage nochmals an den Fi­nanzausschuß zurückzuweisen. Zu einer Entscheidung kam es nicht mehr. Morgen wird die Beratung fort­gesetzt__

Stadt» Bezirk und Nachbarschaft

Talw, 21. Juni 1913.

Dev Liederkranz wird morgen früh mit dem Zug 7 Uhr 30 Calw verlassen, um sich zum Sängerfest nach Tübingen zu begeben. Er sammelt sich ^7 Uhr im Badischen Hof". Gegen 10 Uhr wird der Zug in Tü­bingen ankommen, die Sänger werden sich dann nach Abgabe der Fahne im Tübinger Rathaus sofort bei ihren Quartiergebern vorstellen. Ein geschlossener Ab­marsch von diesen zum Mittagsquartier (Museum") wird dadurch erleichtert, daß die Liederkränzler fast alle

Das Wirtshaus im Spessart.

36) Erzählung von Wilhelm Hauss.

Er mochte ungefähr zwei Stunden geschlafen haben, als ihn ein kalter Wind, der ihm übers Gesicht fuhr, und ein Rauschen wie von herannahenden Meereswogen aus seiner glücklichen Selbstvergessenheit aufrüttelte. Der Himmel hatte sich aufs neue verfinstert. Ein Blitz wie der, welcher den ersten Sturm herbeigesührt, er­hellte noch einmal die Gegend umher, und er glaubte abermals, das fremde Schiss zu erblicken, das jetzt dicht vor der Steenfollklippe aus einer hohen Welle zu hängen und dann jählings in den Abgrund zu schießen schien. Er starrte noch immer nach dem Phantom, denn ein unaufhörliches Blitzen hielt jetzt das Meer er­leuchtet, als sich auf einmal eine berghohe Wasserhose aus dem Tal erhob und ihn mit solcher Gewalt gegen einen Felsen schleuderte, daß ihm alle Sinne vergingen. Als er wieder zu sich selbst kam, hatte sich das Wetter verzogen, der Himmel war heiter, aber das Wetter­leuchten dauerte noch immer fort. Er lag dicht am Fuße des Gebirges, welches dieses Tal umschloß, und er fühlte sich so zerschlagen, daß er sich kaum zu rühren vermochte. Er hörte das stillere Brausen der Brandung, und mitten drinnen eine feierliche Musik wie Kirchen­gesang. Diese Töne waren anfangs so schwach, daß er sie für Täuschung hielt. Aber sie ließen sich immer wieder aufs neue vernehmen, und jedesmal deutlicher

und näher, und es schien ihm zuletzt, als könne er darin die Melodie eines Psalms unerscheiden, die er im vori­gen Sommer an Bord eines holländischen Herings­fängers gehört hatte.

Endlich unterschied er sogar Stimmen, und es deuchte ihm, als vernehme er sogar die Worte jenes Liedes. Die Stimmen waren jetzt in dem Tale, und als er sich mit Mühe zu einem Stein hingeschoben, auf den er den Kopf legte, erblickte er wirklich einen Zug von menschlichen Gestalten, von welchen diese Musik ausging, und der sich gerade auf ihn zu bewegte. Kummer und Angst lag auf den Gesichtern der Leute, deren Kleider von Wasser zu triefen schienen. Jetzt waren sie dicht bei ihm, und ihr Gesang schwieg. An ihrer Spitze waren mehrere Musikanten, dann mehrere Seeleute, und hinter diesen kam ein großer, starker Mann in altväterlicher, reich mit Gold besetzter Tracht, mit einem Schwert an der Seite und einem langen, dicken, spani­schen Rohr mit goldenem Knopf in der Hand. Ihm zur Linken ging ein Negerknabe, welcher seinem Herrn von Zeit zu Zeit eine lange Pfeife reichte, aus der er einige feierliche Züge tat und dann weiterschritt. Er blieb kerzengerade vor Wilm stehen, und ihm zu beiden Seiten stellten sich andere, minder prächtig gekleidete Männer, welche alle Pfeifen in den Händen hatten, die aber nicht so kostbar schienen als die Pfeife, welche dem dicken Manne nachgetragen wurde. Hinter diesen tra­ten andere Personen auf, worunter mehrere Frauens­personen, von denen einge Kinder in den Armen oder

an der Hand hatten, alle in kostbarer, aber fremd­artiger Kleidung. Ein Haufen holländischer Matrosen schloß den Zug, deren jeder den Mund voll Tabak und zwischen den Zähnen ein braunes Pfeifchen hatte, das sie in düsterer Stille rauchten.

Der Fischer blickte mit Grausen auf die sonderbare Versammlung,- aber die Erwartung dessen, das da kommen werde, hielt seinen Mut aufrecht. Lange stan­den sie so um ihn her, und der Rauch ihrer Pfeifen erhob sich wie eine Wolke über sie, zwischen welcher die Sterne hindurch blinkten. Der Kreis zog sich immer enger um Wilm her, das Rauchen ward immer heftiger, und dicker die Wolke, die aus Mund und Pfeifen her­vorstieg. Falke war ein kühner, verwegener Mann, er hatte sich auf Außerordentliches vorbereitet; aber als er diese unbegreifliche Menge immer näher auf sich ein- dringen sah, als wolle sie ihn mit ihrer Masse erdrücken, va entsank ihm der Mut, dicker Schweiß trat ihm vor die Stirne, und er glaubte, vor Angst vergehen zu müssen. Aber man denke sich erst seinen Schrecken, als er von ungefähr die Augen wandte und dicht an seinem Kopf das gelbe Männchen steif und aufrecht sitzen sah, wie er es zum erstenmal erblickt, nur daß es jetzt, als wie zum Spotte der ganzen Versammlung, auch eine Pfeife im Munde hatte. In der Todesangst, die ihn jetzt er­griff, rief er zu der Hauptperson gewendet:Im Na­men dessen, dem ihr dienet, wer seid ihr? Und was ver­langt Ihr von mir?" Der große Mann rauchte drei Züge, feierlicher als je, gab dann die Pfeife seinem