134. Amts- und Arrzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw. 88. Jahrgang.

Erscheinungsweise: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts- dezirk Calw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg., Reklamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Donnerstag, den 12. 2uni 1913.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich. Post- bezugSpreiS für den Orts- und RachbarortSverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk° 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg-

Amtliche Bekanntmachungen.

Bekanntmachung, betr. Kurs für Damenschneider und Damenschneiderinnen.

Die König!. Zentralstelle für Gewerbe und Han­del beabsichtigt, einen Kurs für Damenschneider und Damenschneiderinnen zu veranstalten. Näheres im Eewerbeblatt Nr. 23 S. 177.

Das Eewerbeblatt kann u. a. bei den Schult­heißenämtern eingesehen werden, welche zu diesem Zwecke hiermit angewiesen werden, den Gewerbe­treibenden auf Wunsch Einsicht in das ihnen mit dem Staatsanzeiger zugehende Eewerbeblatt zu ge­währen.

Calw, den 9. Juni 1913.

K. Oberamt.

Amtmann Rippmann.

Der deutsche Gedanke in der Welt.

Von Professor Dr. Carl Meinhof, Hamburg.

(Nach einem Vortrag, geh am 18. April 1913 zu Sangerhausen).

Wenn man das Regierungsjubiläum unseres geliebten Kaisers durch eine Nationalspende feiern wollte, so gab es dafür keinen besseren Plan, als diese Spende für die Arbeit der Mission in den deutschen Kolonien zu bestimmen. Ein Werk des Friedens mußte bei dieser Gelegenheit im Vorder­grund stehen, denn eine friedliche Regierung hat unser Kaiser geführt. Seine Absichten und die Absichten des deutschen Vol­kes sind friedliche, ob auch die Völker Europas immer wieder daran zweifeln. Wenn man mit Engländern und Franzosen vertraut wird, so wird man bald gefragt werden, warum die Deutschen mit ihnen Krieg führen wollten, und unser ehr­liches Erstaunen über diese Frage wird uns doch in der Regel nicht geglaubt. Es war darum ein sehr nützlicher und segens­reicher Gedanke, bei Gelegenheit des Regierungsjubiläums durch die Spende zum Ausdruck zu bringen, daß die Ge­sinnungen des deutschen Volkes und in erster Linie des Kaisers friedlich sind, daß wir friedliche Ziele im Auge haben. Als ich vor einiger Zeit in Hamburg öffentlich darüber sprach, sagte mir ein anwesender amerikanischer Missionar aus China:Ich freue mich, daß Sie einen solchen Plan Vorhaben, das wird in der Welt den allerbesten Ein­druck machen." Ein Zug friedlicher Eroberer ist von Deutsch­land in die Länder von Nord- und Südamerika, Südafrika und Australien ausgegangen. Ungezählte deutsche Lands­leute gingen dahin und trugen deutschen Fleiß, deutsche In­telligenz und deutsches Geld in jene Länder. In unseren Schulen waren sie ausgebildet, ihre Erziehung hatten sie bei uns genossen, das Geld hatten sie in Deutschland erworben. Wir haben damals in nationaler Kurzsichtigkeit diese Mil­lionen ziehen lassen und gar nicht den Versuch gemacht, sie in der Ferne geistig an ihr Heimatland zu fesseln. Unsere Ge setzgebung hat erst in neuerer Zeit angefangen, darauf Be­dacht zu nehmen, uns die Landsleute zu erhalten. Wir müs­sen doch das größte Interesse daran haben, daß ein Deutscher, mag er in der Welt sein, wo er will, auch ein Deutscher bleibt. Wie es bisher war, gingen diese Leute meist schon in der zweiten Generation zu den Engländern über und haben wesentlich zum Aufblühen Amerikas und Australiens beigetragen, haben also dazu geholfen, unsere wirtschaftlichen Konkurrenten groß zu machen. Wer einmal im Auslande gewesen ist, der weiß, wie leicht der Deutsche seine Sprache und Nationalität verliert. Das liegt nicht nur an der Gesetz­gebung, es liegt zum erheblichen Teile am Charakter des Deutschen, nicht zuletzt an seinem Hang zur Unkirchlichkeit. Der Engländer und Amerikaner ist im großen und ganzen kirchlich; es gehört dort nicht zum guten Tone, unkirchlich zu sein. So ist die Kirche für Engländer und Amerikaner der selbstverständliche Mittelpunkt. Die englische Kolonisation konzentriert sich um die englische Kirche und Schule. Unsere deutschen Landsleute dagegen haben zum größten Teile, wenn sie das Vaterland verlassen haben, das Gefühl: Gottlob, nun sind wir endlich frei, nun sind wir die deutsche Kirche und Schule endlich los! Ihre Kinder aber werden bald von der Umgebung beeinflußt, sie suchen sich Altersgenossen, und da diese als gute Engländer sich zur Kirche halten, so schließen sie sich ihnen an und gehen oft in unglaublich kurzer Zeit in

der englischen Bevölkerung auf. Wir haben alle Ursache, durch deutsche Kirchen und deutsche Schulen im Auslande, in den Kolonien den Zusammenhang mit deutscher Geschichte, deutscher Literatur, deutschem Nationalbewußtsein festzuhal­ten. Die Mittelpunkte deutscher Gesinnung sind dort doch die Missionsstationen, wo man Bücher liest, die aus Deutsch­land kommen, wo man die Verbindung mit der Heimat fest­hält und im deutschen Geistesleben wurzelt, wo man deutsche Gottesdienste hält. Wir Deutsche machen noch andere fried­liche Eroberungen in der Welt. Wer vor Jahrzehnten einmal in Hamburg war und jetzt wieder dahin kommt, der ist er­staunt über den gewaltigen Aufschwung des Handels in diesen 25 Jahren. Wir haben es vor Augen, was deutsche Industrie und deutscher Schiffsbau heute leisten. Das ist ein Gewinn nicht nur für Hamburg, sondern für das ganze Reich. Neue Wege sind erschlossen worden, um den deutschen Jndustrie- erzeugnissen Absatz zu schaffen, neue Rohmaterialien werden aus der ganzen Welt herbeigeholt; der nationale Wohlstand ist erstaunlich gewachsen. Aber dieser rein wirtschaftliche Fortschritt steht in ganz engem Zusammenhänge mit dem Geistesleben. Die Beziehungen zwischen Handel und Mission sind neuerdings sehr freundlich geworden. Der Handel be­müht sich immer mehr, die barbarischen Formen der alten Zeit abzulegen. Der Sklavenhandel ist gewaltsam unter­drückt, man arbeitet an der Beseitigung des Opiumhandels und des afrikanischen Vranntweinhandels. Besonders in Westafrika sind bessere Beziehungen zwischen Handel und Missionen zu beobachten. Nach Aufhebung des Sklaven­handels trat zunächst eine Krise ein. Was sollte man aus dem verarmten Westafrika exportieren, wenn es keine Skla­ven mehr zu holen gab? Da hat u. a. die Basler Missions- Handelsgesellschaft auf ein in Westafrika reichlich vorhande­nes und noch wenig ausgenutztes Produkt hingewiesen, die Frucht der Oelpalmen. Seitdem ist ein ungeheurer Export von Oelfrüchten daraus entstanden. Ein anderer direkter Erfolg der Missionsarbeit ist z. B. der Kakaobaum auf der Eoldküste. Die Mission hat für den westafrikanischen Handel zwei große Dinge erreicht: Einmal hat sie einen kaufkräftigen Bauernstand geschaffen. Vis dahin waren die Eingeborenen ausgesaugt worden von Häuptlingen und Zauberer». Das hat aufgehört, die Leute können die Früchte ihrer Arbeit genießen, können wirtschaftlich vorwärts kommen, können etwas kaufen. Zum anderen werden in den Schulen der Mission ganze Scharen von jungen Leuten ausgebildet. Sie werden sittlich, aber auch intellektuell gehoben, lernen schrei­ben und rechnen, manche sprechen fließend Englisch oder Deutsch, sie lernen mit der Schreibmaschine umgehen und ein­fache Buchführung. Auf diese Weise sind sie für den Kauf­mann ein überaus wertvolles Material. Ohne diese jungen Leute würden die westafrikanischen Kaufleute längst nicht so billig arbeiten können, wie sie es tun. Eine andere fried­liche Eroberung haben wir in der Welt zu machen: Das ist die deutsche Wissenschaft. Als der Engländer Robert Cust 1883 sein Buch über die modernen Sprachen Afrikas schrieb, warf er am Schluffe die Frage auf, welcher Nation in der afrikanischen Sprachwissenschaft der Preis zukomme, und setzte dann auseinander:Welchem von den Völkern Europas soll die Ehrenpalme zuerkannt werden? Ohne Frage sind die Angelsachsen aus England und Nordamerika die ersten gewesen in der Entdeckung und Kolonisation, den kauf­männischen und Missionsunternehmungen. Die Holländer und Portugiesen mögen den Weg gezeigt und gewisse wichtige Punkte besetzt haben, die in der Folge von den Angelsachsen ausgenutzt sind, aber wie wenig wäre bekannt geworden über das Becken des Niger, Kongo, Sambesi, des oberen Nil und ide großen Seen des Innern, wenn es nicht durch den Mut, die Tatkraft und die Mittel der Angelsachsen geschehen wäre! Aber wenn die Zeit kam, das Material, das durch Zufall zusammengeworfen war, in ein System zu bringen, Gramma­tiken und Wörterbücher und Texte zusammenzustellen, die Verwandtschaften zu erörtern, das Gerüst eines linguistischen Baues auf wissenschaftlichen Grundlagen zu errichten, dann bedurfte es deutscher Gelehrsamkeit, deutscher Geduld und deutscher Intelligenz." So ist es auch auf anderen Gebieten; die deutsche Wissenschaft ist in der Welt voran. Ich erinnere an die Erforschung der Tropenkrankheiten: es genügt, einen Namen zu nennen: Robert Koch. Ich denke ferner an die

deutsche Pädagogik. Aehnlich ist es in der Naturwissenschaft. Ich möchte aber dem Gesagten über die Sprachwissenschaft noch etwas hinzufügen. Wenn man die Namen der Leute ansieht, welche in älterer Zeit die Bücher über afrikanische Sprachen geschrieben haben: Schön, Kölle, Kolbe, Krapf, Reichert usw., da weiß man gleich: das sind Deutsche. Aber sie haben ihre Bücher in englischer Sprache geschrieben, weil sie nicht darauf rechnen konnten, daß einmal in Deutschland großes Interesse dafür zu finden wäre. Die Sache hat sich geändert. Wer vor 25 Jahren die afrikanischen Sprachen studieren wollte, der mußte erst Englisch lernen, wer heute diese Sprachen studieren will, muß erst Deutsch lernen. Die deutsche Wissenschaft hat dadurch eine große Eroberung ge­macht und wir sind dadurch einen erheblichen Schritt vor­wärts gekommen. (Schluß folgt.)

Parlamentarisches.

Aus dem Reichstag.

Berlin. 11. Juni. Nach dem temperamentvollen Schluß der gestrigen Sitzung und nach der ^/bündi­gen Rede des Sozialdemokraten Noske kamen heute die Redner der bürgerlichen Parteien zum Wort. Erzberger vom Zentrum betonte, daß es selbst­verständlich sei, daß seine Parteifreunde der Wehr­vorlage zustimmen würden, natürlich nur unter der Erfüllung der bereits in der Presse vertretenen Pa­role des Zentrums: keine Ausgabe ohne gleichzeitige Deckung. Nachdem der nationalliberale Abgeordnete Dr. Seniler und der konservative Abgeordnete Gans Edler zu Puttlitz im Namen der Partei­freunde ihre Zustimmung zur Wehrvorlage kund ge­tan und eine Wiederherstellung der Regierungsvor­lage, d. h. die Bewilligung der gestrichenen 15 Kaval- lerieeskadrons befürwortet hatte, ergriff der volks­parteiliche Führer Müller- Meiningen das Wort, um ebenfalls für die Wehrvorlage eine Lanze zu brechen, um aber dagegen, wie er es in der Budget- kommission getan hatte, scharfe Kritik an einer Reihe von Institutionen des deutschen Heeres zu üben. Unter lebhafter Spannung des Hauses erhob sich der Reichskanzler zu einer kurzen Rede. Nicht ohne Geschick vertrat der Kanzler nochmals den Standpunkt der Regierungsvorlage und bat eindringlich um die Wiedereinstellung der in der Budgetkommission. ge­strichenen Kavallerieregimenter. Dann aber ging er näher auf die Frage der Verquickung der Heeres- mit der Deckungsvorlage ein, um schließlich auszusprechen: Wir wollen die Vorlage doch nicht nur bewilligen, wir wollen sie auch bezahlen. Deshalb wird es unser Bestreben sein, eine Einigung über die Frage der Deckung der Kosten zu erzielen, sofern eine solche noch nicht erzielt worden ist. Den Weg zu dieser Einigung haben wir in unserer Vorlage gezeigt, und ich bin fest überzeugt, daß die Einigung gefunden werden wird, weil sie gefunden werden muß." Nach dem Reichskanzler vertrat der Abgeordnete v. Liebert (Rpt.) die Bewilligung sämtlicher von der Regierung in Ansatz gebrachten Kavallerieregimenter. Hierauf betrat der nationalliberale Führer Vassermann das Rednerpult, um Stellung zu den heutigen Aus­führungen des Reichskanzlers zu nehmen. Er stimmte im wesentlichen dem Reichskanzler zu, nur in der Frage der fortlaufenden Ausgaben wünscht er deren Deckung durch eine Reichsbesitzsteuer, und nicht durch eine Abwälzung auf die Matrikularbeilräge. Nach einer Reihe von persönlichen Bemerkungen vertagte sich das Haus auf Donnerstag.

Aus dem Landtag.

Stuttgart» 11. Juni. Die heutige Sitzung brachte zunächst die Abstimmung Uber verschiedene zum Ka­pitelZentralstelle für Handel und Gewerbe" ein- gebrachte Anträge. Der Zentrumsantrag auf Ver­besserung des Verfahrens bei Vergebung öffentlicher Arbeiten wurde dem volkswirtschaftlichen Ausschuß überwiesen, während der Zentrumsantrag auf Er­richtung von Submissionsämtern angenommen wurde.